Im Jüdischen Museum Berlin wird zurzeit die Ausstellung „Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung“ gezeigt, die auch in der FR rezensiert wurde. „Die Ausstellung reagiert auf die Debatte, die vor zwei Jahren vom Kölner Landgericht ausgelöst wurde“, heißt es im FR-Artikel. „Rechtshistorisch uninformiert, sozial- und kulturpolitisch extrem unsensibel wertete das Gericht die seit drei Jahrtausenden überlieferte rituelle Beschneidung von Jungen als Körperverletzung.“ Zu dieser Ausstellung – und als Reaktion auf den FR-Artikel – erreichte mich nun eine Rezension der Ausstellung, die einen völlig anderen Fokus auf die Ausstellung hat. Der Autor Victor Schiering engagiert sich im beschneidungskritischen Verein mogis e.V., in dem sich Betroffene sexuellen Missbrauchs, sexueller Ausbeutung und sexualisierter Gewalt zusammen­geschlossen haben. Ich veröffentliche diese Rezension als Gastbeitag.

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Traurige Allianzen

von Victor Schiering

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Noch bis zum März 2015 ist im Jüdischen Museum Berlin die Ausstellung „Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung“ zu sehen. Der Tenor der zahlreichen medialen Berichterstattung preist geradezu einmütig einen angeblich hohen Wert der Themenaufarbeitung und eine vielschichtige, sachliche, unaufgeregte und informative Darstellung. Wir waren vor Ort, um uns selbst ein Bild zu machen. Um es vorwegzunehmen: Diesem ihr zugeschriebenen Anspruch kann sie nicht gerecht werden.

Leider gleicht „Haut ab!“ eher einer Werbeveranstaltung für Kinderrechtsverletzungen unter tatkräftiger Mithilfe diverser Theologen und Akademiker, die der Ausübung fragwürdiger ritueller Praktiken an Kindern generell eine Daseinsberechtigung liefert. Nüchtern betrachtet findet man in den vier Räumen der Ausstellung kaum etwas, was nicht schon bei einer kurzen Google-Suche nach „Beschneidung“ auftauchen würde – und dies verblüffend Wenige geht kaum über die Präsentation folkloristischer Elemente hinaus. Der Titel der Ausstellung „Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung“ verwundert, da medizinische, psychologische und kinderrechtliche Aspekte über eine oberflächliche Erwähnung hinaus keine Berücksichtigung in der Konzeption finden. Ehrlicherweise müsste es „Unsere Haltungen“ heißen, denn die suggerierte inhaltliche Auseinandersetzung mit anderen „Haltungen“ bleibt fast völlig aus.

Das selbst erklärte Ziel der Ausstellung ist es „dem Thema der religiös motivierten Knabenbeschneidung in den drei monotheistischen Religionen Tiefe zu geben (…) und (..) zu zeigen, welchen essentiellen Stellenwertes dieses Ritual sowohl für das Judentum als auch für den Islam bis heute hat“ (Dr. Cilly Kugelmann., Programmdirektorin). Und genau das tut sie auch, indem sie ihren Fokus auf religiös-kultisch-mystische Aspekte beschränkt.

Der Rundgang

Eine gleich zu Beginn der Ausstellung präsentierte hinlänglich bekannte Weltkarte der WHO von 2007 verzeichnet diejenigen Länder, in denen Vorhautamputationen an männlichen Kindern praktiziert werden. Anhand der prozentualen Rate soll sie als Zeichen weltweiter Akzeptanz des Eingriffs dienen, wobei sich dieses auf ein eher simples „Wenn es so viele machen, kann es nicht falsch sein“ beschränkt. Dergleichen grob vereinfachende Argumentation bietet nicht den geringsten Neuwert an Erkenntnissen: Schließlich kommen derart hohe Zahlen statistisch nachweisbar nur dadurch zustande, dass Vorhautamputationen Kindern aufgezwungen werden, also in den allermeisten Fällen nicht auf mündige Entscheidung der Person stattfinden, die den Eingriff erdulden und lebenslang die erheblichen Folgen tragen muss.

Diese Weltkarte ist im Hinblick auf die Akzeptanz von Zwangsbeschneidung in etwa so aussagekräftig wie eine Karte mit Kennzeichnung aller diktatorisch regierten Ländern, aus der man schließen würde, wie viele Menschen weltweit gerne unter Gewaltherrschaften leben. Zu einer umfassenderen Information für die AusstellungsbesucherInnen vermisst man auf der Karte den Vermerk jeweiliger Fallzahlen zumindest der Komplikationen, die einen Krankenhausaufenthalt notwendig machen (von Blutungen über Infektionen bis hin zu Fällen, in denen der komplette Penis im Nachhinein amputiert werden musste) sowie die in der Weltpresse dokumentierten Todesfälle.

Das Publikum der Ausstellung erwartet weiter ein buntes Potpourri an folkloristischen Gegenständen. Ein Kissen, Statuen, Gewänder, ein Prinzenkostüm, wie es muslimische Jungen bei den Feierlichkeiten tragen, eine Vielzahl an historischen Beschneidungsinstrumenten und andere Relikte mit entsprechendem Bezug fallen dem Besucher ins Auge. Eine Erläuterung ihrer Bedeutung hingegen kommt zu kurz – wer nicht schon vorher wusste, warum die Jungen als Prinzen auftreten, wird dieses Wissen auch aus der Ausstellung nicht mitnehmen können. Zu sehen auch ein modernes steriles Einweg-Beschneidungs-Set, das scheinbar alles enthält, was zu einer Beschneidung gehört – vom Messer über Verbände bis hin zu einer Duft-Gewürzmischung für den Segensspruch. Was erst auf den zweiten Blick auffällt, ist, dass keinerlei Betäubungsmittel enthalten sind – nicht einmal die rezeptfrei erhältliche EMLA-Creme, die trotz ihrer erwiesenen Nichteignung noch von vielen Beschneidern als das Mittel der Wahl angesehen wird, wenn eine Betäubung stattfinden soll.

„I do miss „stances“ – as the title implies. And do agree on having circumcision legal – but oppose it very much – it is mutilation and irreversible. (…) And no info on historic roots in Judaism!“ („Ich vermisse die ‚Haltungen‘, die der Titel impliziert. Ich stimme einer Legalität der Beschneidung zu – lehne sie jedoch stark ab – es ist eine Verstümmelung und irreversibel. (…) Zudem keine Informationen über die historischen Wurzeln im Judentum!“) (Zitat aus dem Gästebuch der Ausstellung)

Alles in allem bleibt der fade Nachgeschmack, dass hier von der eigentlichen Operation und all ihren möglichen sowie unvermeidlichen Folgen bewusst abgelenkt werden soll, um den Mythos des „kleinen Schnittes“ und seiner Harmlosigkeit nicht zu gefährden. Es ist schon bezeichnend, dass die Einträge im Gästebuch und ein Überfliegen der im Museumsbuchladen erhältlichen Literatur (bei der eigentlich nur das Buch von Prof. Matthias Franz „Die Beschneidung von Jungen“ fehlte) mehr Information bieten als die eigentliche Ausstellung.

Überraschung im Medienraum

Im die Ausstellung beschließenden Medienraum bietet sich neben Ausschnitten aus der Bundestagsdebatte und medialen Geschmacklosigkeiten aber schließlich doch eine echte Überraschung: In einem Ausschnitt aus dem Film „Cut“ von Eliyha Ungar-Sargon kann man doch noch medizinische Details zur männlichen Vorhaut und den Folgen ihres Verlustes erfahren. Leider wird die hier vorgestellte kontroverse Diskussion nirgendwo aufgegriffen, obwohl sie auch innerhalb des Judentums stattfindet.

Der Katalog

Wer die 25 Euro für den aufwändig gestalteten Katalog zur Ausstellung ausgibt, kann erheblich tiefere Einblicke in die Gedankenwelt derer gewinnen, die die Vorhautamputation an nicht einwilligungs- und urteilsfähigen Jungen so vehement propagieren. Er enthält diverse Essays, die sich dem Thema aus religiös-kultureller Sicht nähern, und offenbart einige Sichtweisen und Interpretationen, die weitaus stärker irritieren als die beschriebene inhaltsarme Ausstellung selbst. Man versäumt in dem 175 Seiten starken Katalog nicht zu erwähnen, dass 60 Prozent aller männlichen Juden in Schweden mit vollständigem Genital leben. Ebenso findet sich die Information, dass es eine Bewegung namens „Jews against circumcision“ gibt. Ein Satz über den vehementen Widerstand des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte gegen die Legalisierung der Zwangsbeschneidung wird ebenfalls fallengelassen, und selbst Maimonides’ Ausführungen aus dem 12. Jahrhundert hat man abgedruckt, in denen er den Verlust sexuellen Gefühls ausdrücklich als eines der Ziele der Beschneidung nennt und nur den Erhalt der Fortpflanzungsfähigkeit für wichtig erachtet. Doch nichts davon wird erläutert und keiner der Widersprüche aufgegriffen, die sich damit für die Grundaussage der Ausstellung ergeben. Die genannten Hinweise scheinen keine „Haltungen“ zu sein, auf die es sich lohnte einzugehen. So bleiben im Ganzen geschätzt zehn isolierte Sätze mit kritischen Angaben eingerahmt von 165 Seiten Forderungen nach Kinderrechtsabschaffung, pauschalen Antisemitismusvorwürfen, ausführlich „begründeten“ Mythen und Falschbehauptungen.

„Bei allem Respekt vor Glaube und Religion, die Ausstellung macht eines deutlich, Beschneidung dient lediglich der Unterwerfung. Schade, mehr Fragen als Antworten.“ (Zitat aus dem Gästebuch der Ausstellung)

Ebenso fehlt eine angemessene Erläuterung alternativer Rituale wie der sich in einigen jüdischen Gemeinden stetig größerer Beliebtheit erfreuenden Brit Shalom, die ohne chirurgischen Eingriff auskommen. Es wird verschwiegen, dass es im Islam überhaupt keine Verpflichtung im religiösen Sinne zur Vorhautamputation an Minderjährigen gibt, sondern lediglich eine Empfehlung. Die zu dem Thema in der Zwischenzeit erschienenen kritischen wissenschaftlichen Publikationen bleiben unbehandelt. Eine kinderrechtliche Perspektive findet überhaupt keinen Platz in einer Sammlung über einen Übergriff, der Kindern zugemutet wird. Ihre Schmerzen und ihre Leiden haben in der Welt von Erwachsenen und deren Rechtfertigungskonstrukten keinen Platz.

Dass vom Museum auf diesem Konzept aufbauende Schülerworkshops und Lehrerseminare angeboten werden, ist bedenklich. Vor dem Hintergrund dessen, was das Museum den Besuchern anbietet, ist davon auszugehen, dass diese einseitige, völlig unreflektierte Sichtweise ungefiltert in die Schulen getragen werden soll. Zudem ist angesichts der hohen medizinischen, psychologischen, rechtlichen und insbesondere individuell-sexuellen Komplexität der Thematik fraglich, ob eine „Für & Wider“-Abwägung im Schulalter überhaupt schon umfassend möglich ist. Den Kindern wird dadurch verweigert, eine Sicht auf das Ritual zu entwickeln, welche ein Leiden an dessen Folgen nicht unterdrücken muss. Kritik an der Praxis und Empathie mit den Betroffenen wird frühzeitig mit Schuldgefühlen gegenüber den beschneidenden Communities belegt, fehlendes Mitgefühl, Wegschauen und Schweigen bei dieser Kinderrechtsverletzung nahezu anerzogen.

„Liebes Museum, leider wurde die Ausstellung nur sehr einseitig dargestellt. (…) Mir persönlich fehlt der Bezug zur sexuellen Selbstbestimmung und zur gelebten Sexualität. Welche Auswirkungen hat eine Beschneidung auf das sexuelle Empfinden des Mannes, sowie der Frau.“(Zitat aus dem Gästebuch der Ausstellung)

Die Ausstellung wolle „um Akzeptanz für das religiöse und kulturelle Ritual der Beschneidung werben“, so die Kuratorin. Ist es nicht etwas zu simpel gedacht zu glauben, dieses Ziel durch Ausschluss aller dies potentiell gefährdenden Perspektiven und der persönlichen Belange der negativ betroffenen Kinder, deren Körper und Rechte auf Selbstbestimmung verletzt werden, erreichen zu können?

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PS von Bronski: Zu diesem Thema gab es im April 2014 einen Blogtalk. –> HIER ist der Link. Es gab damals auch eine große Veröffentlichung eines Auszugs aus dem Talk in der Print-FR.

 

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89 Kommentare zu “Traurige Allianzen

  1. Danke für diese „Gegendarstellung“.
    Ich kann mir gut vorstellen, wie schwer es für die jüdische Seite sein muss, sich mit einem derart hohen religiösen Gebot kritisch auseinandersetzen zu müssen. Dennoch bin ich enttäuscht über die konsequente Verweigerung jeglicher Diskussion, Kritik oder ehrlichem Hinterfragen. Die Augen zu verschließen vor der „anderen Seite der Wahrheit“ hat noch niemals ein Problem gelöst.
    Und das wird es auch in diesem Falle nicht.
    Ich bin sicher, dass ich das Ende der sinnlosen Kinderverstümmelung noch erleben werde. Und darüber bin ich froh – auch wenn ich selbst nichts mehr davon haben werde.

  2. Danke an Victor Schiering für seinen erhellenden Beitrag.

    Sie lassen nicht locker, die Verteidiger der … Religion. Ja, der Religion! Es geht nämlich nicht um Beschneidung, deshalb geht es auch nicht um die Kinder und deren Schmerzen oder späteren Leiden. Das Ritual könnte jede beliebige Form haben – Haare rot färben oder lustige Schuhe anziehen.

    Es geht um Religion, die auf einem wackeligen, immateriellen Fundament steht. Die böse Wissenschaft hat inzwischen alle in „Heiligen“ Büchern festgeschriebenen „Beweise“ zertrümmert. Es fehlen also schon etliche der Beine, die einst für festen Stand sorgten.

    Diejenigen, die davon (gut) leben, dass sie an einen Geist im Weltraum glauben und diesen mittels Channeln zu Barmherzigkeit bewegen können – mindestens zur gnädigen Aufnahme in sein Himmelreich -, diejenigen würden alles tun, um zu verhindern, dass die restlichen Beine auch noch wegknicken und der ganze Mist einfach umfällt, um im Staub der Geschichte verschwindet.

    Und dazu ist jedes Mittel Recht. Da werden Fakten verbogen oder beliebte Antisemitismus- und Islamophobie-Vorwürfe aus der Kippa oder der Gebetsmütze gezaubert. Egal was, Hauptsache man kann mithilfe einiger christlicher Weihrauchschwaden schön den Talar des Schweigens über dem Problem ausbreiten, dass tatsächlich Kinder für den Rest ihres Lebens gezeichnet werden. Denn um die Zeichnung geht es! Das „Wie“ ist nur nebensächlich. Das maßgebliche Interview zwischen Gott und Abraham hat sowieso nie stattgefunden. Es geht darum, dass der Teufelskreis der Brandmarkung, der unverbrüchlichen Bindung an die Religionsgemeinschaften so lange es geht aufrechterhalten bleibt.

    Häresien und Schismen haben die Idee des einen Gottes schon arg gebeutelt. Aufklärung, Wissenschaft, Humanismus und böse Atheisten haben ihr weiter zugesetzt. Die Religionen befinden sich in einem Rückzugsgefecht und da wird jeder Meter erbittert verteidigt. Die Kinder spielen dabei natürlich keine Rolle, nicht einmal die Beschneidung selbst.

    Es geht um die Erhaltung der letzten Macht. Diese geniale Geschäftsidee, Menschen dazu zu bringen, einen Teil ihres Einkommens für hohle Sprüche abzuliefern, droht zu scheitern. Immer mehr verlassen die Religionen, wachen auf aus einem 2.600-jährigen Alptraum.

    Was mich – auch wenn beim Thema „Zwangsbeschneidung“ nichts zum Lachen ist – mindestens zum Schmunzeln bringt, ist die immer deutlicher zu Tage tretende Erkenntnis, dass ausgerechnet die Institutionen, die schon immer mit dem Begriff „Wahrheit“ äußerst inflationär umgegangen sind, es bei ihrer Selbstdarstellung mit Wahrheit – siehe die Ausstellung in Berlin – nicht so genau nehmen. Aber offenbar kann man religiöse Wahrheit nur mit Lügen verkaufen…

  3. Danke, lieber Victor Schiering, Du schilderst das, was ich auch gesehen und empfunden habe. MoGis wird noch lange kämpfen müssen, aber der Kampf lohnt sich und ihr seid nicht allein. Ich weiß wovon ich rede, denn ich setze mich seit 30 Jahren für ein Ende von weiblicher Genitalverstümmelung ein. Auch wenn man in keiner Weise alle grausamen Formen der Genitalverstümmelung von der Art des Eingriffs und den Folgen vergleichen kann, gilt für mich: Die körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht aller Kindern ist unantastbar.

  4. Herr Kammermeier spricht hier indirekt einen wichtigen Punkt an, der mich an der Ausstellung ganz besonders entsetzt hat – die völlige Wahlfreiheit. Ich habe mir den Katalog zur Ausstellung durchgelesen, und es kommt dort sehr deutlich heraus, daß es nicht die Art der Kennzeichnung ist auf die es ankommt, sondern nur darum, daß sie stattfindet.
    Besonders deutlich wird das, wenn dort alle möglichen Arten der Körpermarkierung als harmlos verklärt werden, inklusive des Bindens der Füße im alten China – hier wurden kleinen Mädchen die Füße gebrochen und abgeschnürt, damit sie nicht mitwachsen können. Auch diese Praktik wird dort als legitim gerechtfertigt, solange sie in einem kulturellen bzw. religiösen Kontext stattfindet. Jegliche Form der Verstümmelung ist wird dort zum Segen umgemünzt, wenn sie dem Kind denn nur den Weg in die Gemeinschaft ebnet – und auch wenn es als nahezu einzige Praktik nicht namentlich erwähnt wird, so lässt sich im Rahmen der Argumentationen des Kataloges auch die weibliche Genitalverstümmelung davon nicht mehr abgrenzen.
    Diese pauschale Aufhebung sämtlicher Kinderrechte zugunsten von Traditionen und Riten ist es, die diese Ausstellung in ihrer Gesamtheit durch die Hintertür auch zu einer Plattform werden lässt für Befürworter der FGM – ein Umstand, der nicht nur mir äußerst bedenklich erscheint, sondern auch einer, der bei allen Menschenrechtlern die Alarmglocken schrillen lassen sollte.

  5. Ich meine das nicht nur indirekt, sondern recht zentral: Bei sämtlichen rituellen Verstümmelungen, Kennzeichnungen, Brandmarkungen geht es einerseits um eine Art religiösen, kulturellen „Personalausweis“ (schließlich war die jüdische Nation die erste, die auf diese Weise viele Stämme ohne das bis dahin „klassische“ Reich zu einer größeren Einheit zusammenführte), andererseits ist dieser „Ausweis“ theoretisch und theologisch austauschbar.

    Da mittlerweile Personalausweise in weniger schmerzhafter Form existieren, die ebenfalls eine identitätsstiftende Wirkung entfalten, könnte der Ritus völlig unkompliziert ohne theologische Einbuße z.B. durch Brit Schalom ersetzt werden. Dass viele Juden – auch solche mit denen ich persönlich sprach – dies nicht wissen und sogar jede Diskussion dazu innerhalb der jüdischen Gemeinden verleugnen, lässt tief blicken.

    Vielleicht könnte hierbei ein Aspekt helfen, der von religiöser Seite gerne ins Spiel gebracht wird: die Toleranz! Wie oft musste ich hören, dass Religionsgemeinschaften für ihren Glauben (den ich hier gar nicht hinterfragen möchte) Toleranz und Respekt einfordern. „Wir haben doch Religionsfreiheit!“ (ein Grundgesetzartikel, den selbst bildungsferne, zumindest politisch eher desinteressierte Kreise nur zu gut kennen) etc.

    Aber das betrifft „nur“ das Verhältnis des säkularen Staates und seiner säkularen Bürger zu den Religionen. Doch wie sieht es innerhalb der Religionsgemeinschaften aus? Das Ausgrenzungsargument, das allzu oft Verwendung findet, wenn es um die Rechtfertigung barbarischer Riten geht, ist ein ausschließlich innergemeindliches Argument. Säkularen Bürgern, Humanisten oder Atheisten ist es vollkommen egal, ob ein Mitmensch rituell gezeichnet oder verstümmelt ist. Er verlangt dies in keiner Weise.

    Selbst unterschiedliche Religionen verlangen von den Vertretern der jeweils anderen Glaubensrichtung keine derartigen Verstümmelungen.

    Jedoch entsteht der soziale Druck innerhalb der Gemeinden zwischen den Glaubensgenossen, die einander offenbar völlig intolerant sind, wenn ihr Glaubensbruder oder ihre Glaubensschwester nicht die gleichen Markierungen aufweist. Dazu gehören neben den Körpermerkmalen auch die Bekleidung, diverse Speisegebote und sonstige Äußerlichkeiten, die keinerlei spirituellen Wert besitzen. Es wäre ja auch zu kurios, wenn mich das Nichtessen von Schweinefleisch einem Gott näherbrächte. Oder das Tragen von Stoff, um das Haupthaar abzudecken.

    D.h., die immer wieder gerne von Dritten eingeforderte Toleranz bringen Gläubige untereinander – gerade ihrer eigenen Gemeinde – nicht zustande. Damit wird jedoch immer wieder offen und ohne rot zu werden argumentiert. Doch diesen Pappkameraden kann ich nicht mehr akzeptieren. Bevor ein Gläubiger von mir Toleranz für seinen Geisterglauben verlangen darf, muss er diese Toleranz erst einmal den Kindern seiner Gemeinde gegenüber zeigen und diese vor körperverändernden Maßnahmen schützen. Alles andere ist dummes Geschwätz.

  6. zu B. Kammermeier, Beitrag 1.

    „Die Religionen befinden sich in einem Rückzugsgefecht und da wird jeder Meter erbittert verteidigt. Die Kinder spielen dabei natürlich keine Rolle, nicht einmal die Beschneidung selbst.“

    Die Kinder werden die Religion auch nicht abschaffen. Niemand wird Religion abschaffen, und es wird auch nicht über den Hebel behaupteter Kindesmißhandlung durch religiös motivierte Beschneidung zu bewerkstelligen sein. Wenn Religion durch ihre Rituale Machtausübung betreibt, dann ist umgekehrt die Kampagne gegen die Beschneidung aus religiösen Motiven auch nichts anderes als ein Vehikel, antireligiöse Gegenmacht zu inszenieren. Daher die Schärfe der Auseinandersetzung, die Unerbittlichkeit, der Furor, die hochtrabende Attitüde, die Belehrung, der Anspruch, der anderen Haltung überlegen zu sein.

    Ob der Sache damit gedient ist ? Wohl kaum. Knaben, die aus medizinischen Gründen beschnitten werden, sind einem Klima der fortgesetzten Schmähung ausgesetzt, in ihrem neuen Zustand gezeichnet zu sein, sehen sich herabgewürdigt als „Amputierte“, „Genitalverstümmelte“ , als Männer mit „minderwertigem Sexualempfinden“ abgestempelt. Auch diese späteren Männer sind Opfer, die sich womöglich lebenslang mit dem aufgedrückten Etikett der körperlichen und sexuellen Versehrtheit abplagen müssen. Härte und Unbarmherzigkeit werden zum Mittel, den Gegner umso heftiger zu treffen, auch wenn es Opfer kostet.

    Der eine untertreibt, der andere übertreibt. Wer sich ein Urteil über die Berliner Ausstellung bilden will, muß eben selber hingehen und schauen. Da hat der Autor (V. Schiering) vollkommen recht. Von daher ist sein Bericht so relativ zu nehmen wie die Ausstellung, die zu beschreiben sucht. Sicherlich wird es eine Gegenaustellung geben, die den Fokus auf die gegenteiligen Aspekte der religiösen Beschneidung richtet. Das Pendel schlägt immer nach beiden Seiten aus, und es durchläuft dabei ein Extrem immer auf beiden Seiten.

    Der eine untertreibt, der andere übertreibt. Der Debatte wäre geholfen, würde nicht auf Kinder gezielt, aber Religion gemeint. Niemand wird je Religion abschaffen, und Dawkin´s rührend-naive Versuche einer Kampagne gegen Religion gemahnen an Vermessenheit, als ob er der Evolution eine neue Richtung verordnen könnte, die zu einem religionsfreien Erdball führen würde. Glaube, so sage ich hier erneut, verschafft sich eine Realität eigener Art, eine „Realität“ hinter der Realität, jenseits der Schranken der Vernunft. Glaube und Wissenschaft stehen daher nicht notwendigerweise im Gegensatz, sondern sind einander ergänzende „Realitäten“. Von daher verbietet es sich, von Märchenstunde oder „Wahn“ (Dawkins) zu sprechen, will man Religion nicht mit Absicht verunglimpfen. Es verböte sich auch, einen Naturwissenschaftler (z.B. Kosmologen) mit dem Verdikt „Wahn“ zu belegen, nur weil er einer nicht bewiesenen oder nicht beweisbaren Hypothese anhängt. Dawkins wird dies vielleicht eines Tages verstehen, denn er ist ja intelligent. Einstweilen aber läßt er sich von seinem „delusional“ way of thinking bzw. atheistischem Glauben fortreißen.

    Man kann im Namen der Kinder- und Jugendärzte alles mögliche behaupten. Besser wäre es, jeden einzelnen Mediziner selbst zu befragen und das gewonnene Meinungsbild zu veröffentlichen, als daß Verbandsobere unautorisierte Stellungsnahmen abgeben, die zwar ihr persönliches Empfinden wiedergeben, nicht aber den Sachverstand der übergangenen Mitglieder. Vorausgesetzt, daß die Ärzte überhaupt mit der Circumcision – sei es operativ oder in der Nachbehandlung – in nennenswertem Umfang praktisch (!) betraut sind. Dies ist meiner bescheidenen Kenntnis nach bislang aber nicht geschehen.

    Wenn sich etwas an der religiösen Beschneidung ändern sollte, dann nur aus den betroffenen Religionen selbst heraus, von innen her veranlaßt. Antireligiöse Eiferer werden jedoch gar nichts ausrichten, auch nicht über das instrumentalisierte Kind.

  7. Vielen Dank für die Veröffentlichung.

    Es ist wichtig, zu erkennen, das Kinderrechte nicht verhandelbar sind. Auch Ärzte sollten nicht immer gleich zum Skalpell greifen. Es wird auch da viel zu schnell gleich operiert und nicht einfach abgewartet. Wenn keine echten Probleme vorhanden sind ist auch die Behandlung nicht nötig.

  8. @ 6. # V. Grebe am 30. November 2014 um 13:46:

    „Knaben, die aus medizinischen Gründen beschnitten werden, sind einem Klima der fortgesetzten Schmähung ausgesetzt, in ihrem neuen Zustand gezeichnet zu sein, sehen sich herabgewürdigt als “Amputierte”, “Genitalverstümmelte” , als Männer mit “minderwertigem Sexualempfinden” abgestempelt. Auch diese späteren Männer sind Opfer, die sich womöglich lebenslang mit dem aufgedrückten Etikett der körperlichen und sexuellen Versehrtheit abplagen müssen. Härte und Unbarmherzigkeit werden zum Mittel, den Gegner umso heftiger zu treffen, auch wenn es Opfer kostet.“

    Wird nicht andersrum ein Schuh draus? Wer schützt denn mich? Männer wie ich, also vorhautamputiert, genitalverstümmelt und mit minderwertigem Sexualempfinden versehen, müssen sich tagtäglich mit solchen Aussagen, wie von Ihnen getätigt, auseinandersetzen. Ich bin Opfer eines körperlichen Übergriffs und nicht nur dadurch stigmatisiert worden, sondern mir wird durch die Verweigerung von Empathie und der Nicht-Kenntnisnahme meiner Probleme immer wieder vermittelt, dass meine Probleme nichtig sind.
    Ob dieser der Eingriff aus medizinischen, religiösen, hygienischen (!) oder ästhetischen (!!) Gründen durchgeführt wurde oder nicht, spielt hierbei keine Rolle, mein Penis wurde beschädigt und ich leide unter den sexuellen Folgen, die es nachweislich gibt. Hierzu gibt es ausreichend Medien zum Thema (siehe Video unten).
    Die von Ihnen genannte „Härte und Unbarmherzigkeit“ zeigen gerade Sie mir mit Ihrem Kommentar.

    „Man kann im Namen der Kinder- und Jugendärzte alles mögliche behaupten. Besser wäre es, jeden einzelnen Mediziner selbst zu befragen und das gewonnene Meinungsbild zu veröffentlichen, als daß Verbandsobere unautorisierte Stellungsnahmen abgeben, die zwar ihr persönliches Empfinden wiedergeben, nicht aber den Sachverstand der übergangenen Mitglieder. Vorausgesetzt, daß die Ärzte überhaupt mit der Circumcision – sei es operativ oder in der Nachbehandlung – in nennenswertem Umfang praktisch (!) betraut sind. Dies ist meiner bescheidenen Kenntnis nach bislang aber nicht geschehen.“

    Bei den „Verbandsoberen“ handelt es sich im Übrigen auch um Ärzte. Und wenn Sie einen einzelnen Mediziner hören möchten, empfehle ich Ihnen den Vortrag „„Zur medizinischen Tragweite einer Zirkumzision“ von Prof. Dr. Maximilian Stehr, Chefarzt der Kinderchirurgie- und Urologie Klinikum Hallerwiese Nürnberg: https://www.youtube.com/watch?v=6uPibcokpUs

  9. Ich fände es sehr positiv, die Diskussion nicht auf Nebenschauplätze zu verlagern und sie damit zu verwässern. Es geht hier um Kinder, um Menschenrechte, um körperliche Unversehrtheit, um lebenslange Folgen für die Betroffenen.
    Zum Beitrag von V. Grebe: Prof. Maximilian Stehr, Chefarzt der Kinderurologie und -chirurgie am Klinikum Hallerwiese in Nürnberg ist wie kaum ein anderer mit seinem Berufsleben mit dem Thema vertraut und kein „Verbandsoberer“. In diesem Vortrag erläutert er laienverständlich und eindringlich den Aufbau und Nutzen der Vorhaut als auch die zwangsläufigen Schäden, die mit ihrer Amputation einhergehen müssen:
    http://genitale-autonomie.de/videos-der-vortraege/stehr/index.html

  10. An dieser Stelle möchte ich einmal einwerfen, daß es hier nicht um ein Für und Wider in Bezug auf die Religionen geht. Daß man dieses Thema nicht völlig von religiösen Vorstellungen abkoppeln kann, ist klar, aber keinesfalls sind sie der zentrale Punkt.

    Der Fokus liegt ganz klar auf den Rechten den Kinder auf körperliche Unversehrtheit und sexueller Selbstbestimmung. Grund und Anlass sind dabei nebensächlich. Auch der Junge, der von einem Arzt leichtfertig beschnitten wird, obwohl andere Behandlungsformen möglich gewesen wären (oder eine Behandlung vielleicht sogar hätte komplett unterbleiben können) ist davon betroffen – in Deutschland machen diese Operationen nach wie vor den größten Anteil aus. Auch hier werden die Rechte des Kindes missachtet, wenn aus Unwissen oder Bequemlichkeit direkt zum Messer gegriffen wird – denn die Folgen hat in jedem Falle der Junge zu tragen.
    Die Kinder- und Jugendärzte arbeiten intensiv daran, das Problem leichtfertiger Amputationen durch besseres Wissen und dessen konsequenter Verbreitung zu bekämpfen.

    Die Debatte über Kinderschutz und -rechte mit allgemeiner Religionskritik zu verbinden ist nicht nur unsachlich, sondern lenkt auch unnötig von den eigentlich Betroffenen – den Kindern – ab. Dies hat man schon 2012 erleben können, als primär über religiöse Freiheiten debattiert wurde, und die Argumente bezüglich der Grund- und Menschenrechte von Kindern dadurch völlig an die Seite gedrängt wurden.

  11. @ V. Grebe

    Sie schildern den Idealfall. Doch wer will ruhig dasitzen und abwarten, ob dieser (bisher nicht sichtbare) Prozess in Gang kommt? Für mich grenzt dies an unterlassene Hilfeleistung, wenn weiterhin Kindern ein unwiederbringliches Stück ihres Körpers geraubt wird. Der Gesetzgeber hatte vor kurzem geplant, das Fotografieren nackter Kinder unter Strafe zu stellen. Der gleiche Staat, der es Eltern erlaubt, ihre Kinder an dem gleichen Genital verstümmeln zu lassen.

    Foto nein?
    Abschneiden ja?

    In diesem gesellschaftspolitischen Klima sehen sich Religionsgemeinschaften kaum gezwungen ihre Praxis zu überdenken. Je früher ein Umdenken auf politischer Ebene einsetzt (und die Religionsgemeinschaften sollten dies aus reinem Eigennutz befördern), desto früher werden Kinder wieder geschützt, egal, welchem Geschlecht sie angehören.

    Religion, dies sage ich voraus ohne Prophet zu sein, wird nur dann aussterben, wenn sie sich beharrlich weigert, in der Moderne anzukommen.

  12. @ Stefan Schritt

    „An dieser Stelle möchte ich einmal einwerfen, daß es hier nicht um ein Für und Wider in Bezug auf die Religionen geht. Daß man dieses Thema nicht völlig von religiösen Vorstellungen abkoppeln kann, ist klar, aber keinesfalls sind sie der zentrale Punkt.“

    Das wäre schön, wenn dies alle so sehen würden. Ein wenig provokanter formuliert: Ohne Religion gäbe es das ganze Problem nicht, denn selbst John Harvey Kelloggs „Beschneidungsinitiative“ basiert auf seinen religiösen Moralvorstellungen, bzw. der daraus abgeleiteten „Masturbationsprävention“.

    Personen, wie V. Grebe hier (meine Antwort auf ihn ist leider digital verunglückt), sind ja gerade aus religiösen Gründen blind für das Leid der Kinder. Noch deutlicher: Ich kann mir kaum vorstellen, dass je3mand, dem Religion völlig egal ist, ein Problem damit hat, zu begreifen, dass Zwangsbeschneidung einen massiven Eingriff in Kinderrechte mit sich bringt.

    Daher ist meine Position: Religionen täten sich einen Gefallen, die Debatte selbst positiv zu befruchten, um von den sinnlosen Diskussionen wegzukommen, ob Gott Abraham nun ein Interview gab oder nicht. Das hilft niemandem weiter.

    Nur bestimmen die Gläubigen selbst das Maß des Widerstandes gegen diese „religiösen Vorschriften“, nach denen sie sich offenbar selbst außerstande sehen, ergebnisoffen über Zwangsbeschneidung zu diskutieren. Mir ist das doch völlig egal, ob jemand glaubt und faktisch tangiert das Thema hier auch nicht deren spirituelles Verhältnis zu ihrem Gott. Aber – auch das gebe ich zu Bedenken – ging es bei Victor Schierings Artikel um eine Ausstellung, die sich schwerpunktmäßig mit dem Thema „Beschneidung aus religiösen Gründen“ auseinandersetzt. Es ging dabei weder um genitale Anpassung, noch um überflüssige Phimose-OPs, Hygiene, Ästhetik oder HIV-Prävention – auch wenn das hilfsweise eingeführte Argumentationsfiguren sind. Kernaussage ist und bleibt: Beschneidung ist aus religiösen Gründen wichtig!

    Wie kriegen wir da die Kuh vom Eis, ohne zumindest am Selbstverständnis der Religionen zu rütteln?

    Anmerkung Bronski: Aus Gründen, die ich nicht kenne, ist Bernd Kammermeiers vorangegangener Kommentar zerschossen worden. Ich habe das lange Zitat aus V. Grebes Kommentar, das Bernd Kammermeier gebracht hat, entfernt. Der Bezug ist, hoffe ich, immer noch klar.

  13. „Anmerkung Bronski: Aus Gründen, die ich nicht kenne, ist Bernd Kammermeiers vorangegangener Kommentar zerschossen worden. Ich habe das lange Zitat aus V. Grebes Kommentar, das Bernd Kammermeier gebracht hat, entfernt. Der Bezug ist, hoffe ich, immer noch klar.“

    Vielen Dank. Es ist okay so. Super Service!!! Aber auch ein weiterer Beweis, dass Computer mich nicht mögen. Oder ob höhere Mächte… ?

  14. Diskussionen um Religion und Beschneidung, finde ich, führen zu nichts.

    Wenn eine Religion eine Ausstellung über eine alte Tradition macht, finde ich ist das ihr gutes Recht.Was mich an so,einer Ausstellung stört ist die Verharmlosung dieses Eingriffes, die Verharmlosung der Folgen für die Sexualität

    Ich war schon mal in einem Museum mit Folterinstrumenten. Witzig und ironisch in Szene gesetzt war da nichts.

    Ich leide seit ich mich als Erwachsener beschneiden ließ, in dem Glauben nur so könne ich von meiner relativen Phimose geheilt werden, an den Folgen dieses Eingriffes. Eltern, die ihre Kinder beschneiden lassen wollen, sollten umfassend über die möglichen Folgen aufgeklärt werden. Auch das es Männer gibt, die schon versuchten aufgrund der massiven Einschränkung ihrer Sexualität, sich das Leben zu nehmen. Das ist es was Beschneidung macht, die Beschränkung der männlichen Sexualität auf Fortpflanzung und Triebabfuhr.
    Wenn Menschen sagen, es sei aber eine alte Tradition bei ihnen, die werden es machen, da helfen auch keine Gesetze…

  15. Die Tiefe, die diese Ausstellung dem Thema geben soll, kann ich nicht ausmachen. Im Gegenteil. Schade, Chance vertan.

    Das am 12.12.12 verabschiedete „Beschneidungsgesetz“ ist ein schlimmer Akt positiver Diskriminierung von Juden und Muslimen, unter völliger Missachtung der Grundrechte von Kindern. Der Deutsche Bundestag hat sich und den Religionen damit einen Bärendienst erwiesen, weil es zur weiteren Ausgrenzung führte und die Menschenrechte mit Füßen trat. Dennoch bin ich wie Vorkommentator Hannes überzeugt, dass auch ich das Ende dieses verfassungswidrigen Gesetzes erleben werde.

    Religion ist Privatsache und darf Religiösen niemals das Recht geben, andere Menschen zu schädigen. Judentum und Islam sind seit Jahrhunderten Teil unserer Gesellschaft und Kultur, und das ist gut so. Aber verstümmelnde Riten haben in einer modernen Gesellschaft nichts verloren. Möge jeder ab 18 selbst über seinen Körper entscheiden.

  16. Beschneidung als religiöser Akt
    zu Beitrag 2 Bernd Kammermeier am 30. November 2014 um 08:26:
    „Sie lassen nicht locker, die Verteidiger der … Religion. Ja, der Religion! Es geht nämlich nicht um Beschneidung, deshalb geht es auch nicht um die Kinder und deren Schmerzen oder späteren Leiden. Das Ritual könnte jede beliebige Form haben – Haare rot färben oder lustige Schuhe anziehen.“
    Das ist falsch. Es geht nur um menschliche Handlungen, die rechtswidrig sind. „Haare rot färben oder lustige Schuhe anziehen“ sind keine rechtswidrigen Handlungen. Sie zu bestrafen, weil sie religiös motiviert sind, wäre mindestens nach Art 3 GG und Art. 4 GG rechtswidrig. Ebenso rechtswidrig wären dann die Brit Shalom oder die Taufe.
    Die Beschneidung mit rechtskonformen religiösen Handlungen gleichzusetzen, lässt zu Recht die Befürchtung entstehen, Religion letztlich verbieten zu wollen, was rechtswidrig wäre.
    Zu Beitrag 6 V. Grebe am 30. November 2014 um 13:46:
    „Es verböte sich auch, einen Naturwissenschaftler (z. B. Kosmologen) mit dem Verdikt „Wahn“ zu belegen, nur weil er einer nicht bewiesenen oder nicht beweisbaren Hypothese anhängt.“
    Gegenfrage: Dürfte ein Naturwissenschaftler aufgrund „einer nicht bewiesenen oder nicht beweisbaren Hypothese“ ein Körperverletzungsverlangen gegenüber einer anderen Person durchsetzen?
    „Glaube, so sage ich hier erneut, verschafft sich eine Realität eigener Art, eine “Realität” hinter der Realität, jenseits der Schranken der Vernunft.“
    Das ist genau richtig. Frage: Darf dann jede vernunftwidrige Vorstellung auch in die Tat umgesetzt werden. Dürfen andere Menschen glaubensbasierte, vernunftwidrige Taten an Ihnen, V. Grebe, umsetzen? Ich erlaube mir, anzunehmen, dass Sie davor geschützt werden möchten und dies auch über einen Rechtsanspruch sichergestellt wissen wollen. Da Sie die Vernunft als zwingende Schranke selbst ausgeschlossen haben, wie wollen Sie nun Ihren eigenen Schutzanspruch vernunftwidrig (!) begründen?
    „Wenn Religion durch ihre Rituale Machtausübung betreibt, dann ist umgekehrt die Kampagne gegen die Beschneidung aus religiösen Motiven auch nichts anderes als ein Vehikel, antireligiöse Gegenmacht zu inszenieren.“
    Dieser Satz zeigt das Problem. Die rituelle Beschneidung ist eine Machtausübung. Auch der Gesetzgebungsprozess im Parlament und die vorangegangene Diskussion haben gezeigt, ausschließlich die Positionierungen zur Religion und die daraus resultierenden Machtverhältnisse im Parlament haben dieses Gesetz möglich gemacht. So formuliert Prof. Dr. Martin Heger, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Europäisches Strafrecht und Neuere Rechtsgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin:
    „Je heiliger der Zweck, desto eher ist die Beschneidung mit dem Kindeswohl vereinbar.“
    Und wenn der Zweck in seiner Heiligkeit noch oben gesetzt wird (der Willkür sind ohne einschränkende Vernunft keine Grenzen gezogen), ist schnell auch die weibliche Beschneidung gerechtfertigt:
    „Von manchen wird diese Regelung allerdings für verfassungswidrig gehalten. So wird u. a. eingewandt, weil sie ausdrücklich nur für männliche und damit nicht zugleich auch für weibliche Kinder gelte, liege ein Verstoß gegen die Gleichheit von Mann und Frau vor (Art. 3 Abs. 2 GG). Das ist aber nicht überzeugend; denn der Gesetzgeber hat eben nur die Knabenbeschneidung geregelt und nicht auch die Beschneidung von Mädchen. Insoweit gelten – wie bei den Knaben bis vor kurzem auch – die allgemeinen Regeln, so dass im Einzelfall geprüft werden muss, ob eine wirksame Einwilligung der Eltern vorliegen kann. Dass der Strafgesetzgeber zugleich im Vorjahr im Einklang mit internationalen Vorgaben in § 226a StGB die Verstümmelung der weiblichen Genitalien unter Strafe gestellt hat, so dass darin nicht eingewilligt werden kann, ändert nichts daran, denn damit ist gerade nicht eine allenfalls leichte Form der Genitalbeschneidung gemeint. Unter Geltung des Gleichheitssatzes kann man damit allenfalls möglicherweise zu einer entsprechenden Anwendung von § 1631d BGB auch auf Mädchen kommen, nicht umgekehrt zu einer Verfassungswidrigkeit dieser Norm.“
    Quelle: http://www.theo-web.de/zeitschrift/ausgabe-2014-01/
    Weiterhin ist (teil)richtig, dass die „Kampagne gegen die Beschneidung aus religiösen Motiven“ eine „antireligiöse Gegenmacht“ erzeugt. Natürlich schränkt ein Beschneidungsverbot die religiöse Machtausübung ein. Diesem allerdings die vorrangige Zielsetzung der Erreichung des Kindeswohls abzusprechen und es als „nichts anderes als ein Vehikel“ zur religiösen Machteinschränkung darzustellen, ist die Verkehrung der Tatsachen. Die religiöse Machteinschränkung ist im Gegenteil das notwendige „Vehikel“ um das Kindeswohl sicherzustellen. Dieses „Missverständnis“ speist sich aus zwei Ursachen. Das Kindeswohl kann im religiösen Bewusstsein nicht als vorrangig angenommen werden. Vorrangig ist immer – wie gezeigt – die selbst festgelegte Höhe des heiligen Zweckes. Das Kind ist also erwiesenermaßen Mittel zum Zweck. Der religiöse Beschneidungsbefürworter projiziert also sein eigenes Wertesystem auf die Beschneidungsgegner allgemein. Dort, wo allerdings die Abschaffung auch rechtskonformer religiöser Handlungen oder sogar ein Verbot von Religionen gefordert wird, ist die Infragestellung der Zielsetzung der Kindeswohlsicherung allein(!) verständlich.

  17. Schon der Titel der Ausstellung deutet an wohin die Reise geht: Ins Reich der Propaganda. Die nicht einmal subtile Unterstellung, die allgemein vorherrschende Ablehnung von Genitalverstümmelung an wehrlosen Kindern sei rassistisch motiviert.
    Bereits der Titel ist „ein Schlag unterhalb der Gürtellinie“
    Und unter der Gürtellinie geht es weiter im diktatorischen Kommandoton: Jetzt aber Schluss mit lustig, raus mit dem Messer, runter mit der Vorhaut!: „Haut ab!“ Und keine Widerrede!

    Die Ausstellung reiht sich ein ein eine ganze Reihe derartiger Propagandaveranstaltungen, z.T. in jüdischen Museen, z.T. von jüdischen Gemeindemitgliedern vor Schulklassen wo sogar wahrheitswidrig behauptet wird, diese Amputation sei bei Neugeborenen „schmerzfrei“.

    Nicht so sehr die Ausstellung hat also entsetzt – diese Propaganda kennt man schon – sondern noch mehr das Presseecho.
    Unisono, kritiklos und denkbefreit wurden die Beschönigungen, Verharmlosungen, Relativierungen, Ablenkungen und die subtilen Diffamierungen der Gegner nachgebetet.
    Sei es im DLF „ganz KLEINE [intakte] Penisse…der GEGENSATZ dazu ist der jüdische Körper mit dem beschnittenen Penis“
    beim RBB „klügste und informativste“..“sinnlich und witzig, ironisch und höchst modern“,
    zdf/heute „Das Selbstbestimmungsrecht der Kinder werde schließlich in vielerlei Hinsicht eingeschränkt.“, D-RadioKultur „Momente größter Freude“ (für das Baby?), „Die Nazi-Hetzschrift „schrille Debatte“, „Der Stürmer“…“ (die ÖR-Medien sind bei der Propaganda für diese geschlechtsspezifische Menschenrechtverletzung immer vorneweg),
    sei es in der SZ („winziges Stückchen Haut“ (also was stellen sich die Opfer bloß so an – ist doch bloß ein „winziges Stückchen Haut“? – zufällig rd. die Hälfte der erogenen Oberfläche)),
    ZEIT „so gesehen ein zivilisatorischer Fortschritt“, Spiegel „Schnippelei“ (eine Amputation) „antisemitische Propaganda der Nationalsozialisten“ „die heimliche Hymne aller Beschnittenen: „The First Cut Is the Deepest““ lustig, hahah!,
    Tagesspiegel „so gesehen ein zivilisatorischer Fortschritt“ (exakt der selbe Text wie bei der ZEIT, spart wohl Kosten..), usw…

    Leider ist der Artikel in der FR „Es darf auch gelacht werden“ nicht viel besser.
    Ganz übel einseitig ist der Satz:
    „Rechtshistorisch uninformiert, sozial- und kulturpolitisch extrem unsensibel wertete das Gericht die seit drei Jahrtausenden überlieferte rituelle Beschneidung von Jungen als Körperverletzung. “

    Was will man denn da mit Rechtshistorie? Ebenso hätte man 1998 argumentieren können – bzgl. der Züchtigung von Kindern – rechtshistorisch nicht begründet! Im Gegenteil!
    Wer sich auf „Rechtshistorie“ beruft, der kann jetzt auch wieder die Todesstrafe und allerlei andere Greueltaten/Menschenrechtsverletzungen wiedereinführen.
    Auf diese Art gibt es nie FORTSCHRITT.
    „extrem unsensibel“ gegenüber – wem? Gegenüber Erwachsenen, oder gegenüber Kindern?
    „drei Jahrtausende“ … was ist das denn für ein Argument? Es gab noch mehr Jahrtausende Unterdrückung/Entrechtung der Frauen u.v.a.m. das wir heute nicht mehr haben wollen.
    Allein dieser Satz offenbart, wo die FR steht. Da rettet der vorletzte Absatz (das einzige Fitzelchen kritischer Betrachtung) dann das Ganze auch nicht mehr.

    Ein Armutszeugnis für unsere vorgeblichen Qualitätsmedien (die jetzt mehr und mehr auch noch die offenbar lästigen Leserkommentare „wegmachen“).
    Da muss also ein Nicht-Journalist namens Victor Schiering (Vielen herzlichen Dank!) kommen und den Profi-Journalisten zeigen, wie man eine kritische, duchdachte Rezension schreibt!

  18. zu B. Kammermeier Beitrag 12.

    „… Ein wenig provokanter formuliert: Ohne Religion gäbe es das ganze Problem nicht….

    Personen, wie V. Grebe hier (meine Antwort auf ihn ist leider digital verunglückt), sind ja gerade aus religiösen Gründen blind für das Leid der Kinder. Noch deutlicher: Ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand, dem Religion völlig egal ist, ein Problem damit hat, zu begreifen, dass Zwangsbeschneidung einen massiven Eingriff in Kinderrechte mit sich bringt….“

    Muß die Menschheit Ihrer Meinung sein, Herr Kammermeier ? Nein, muß sie nicht. Sie verabsolutieren Ihre Meinung, das ist das Problem. Die Debatte ist geprägt von weltanschaulicher Kompromißlosigkeit auf beiden Seiten, denn rein medizinisch lassen sich sowohl Gründe gegen wie für die prophylaktische Beschneidung anführen. Die rituelle Beschneidung der Knaben ist unter medizinischen Gesichtspunkten nichts anderes als eine prophylaktische Maßnahme. Ich halte es für plausibel, daß sich die Beschneidung dereinst entwickelt hat, um einem weit verbreiteten schwerwiegenden Gesundheitsproblem mit chronischen Genitalinfektionen bei Männern und Frauen zu begegnen. Die religiös-rituelle Erhöhung der Maßnahme wäre demzufolge ein Mittel gewesen, die prophylaktische Beschneidung in der Bevölkerung auch tatsächlich durchzusetzen. Die medizinisch-prophylaktische Bedeutung der Circumcision hat mit Einzug der modernen Medizin (dort, wo sie denn tatsächlich eingezogen ist) zweifellos an Bedeutung verloren, ohne sich jedoch relativiert zu haben (sogar dort, wo Wasser im Überfluß ist, haben junge Männer ein Problem, das Naß an sich heranzulassen). Dagegen hat sich die religiöse und identitätsstiftende Funktion der Knabenbeschneidung über viele Jahrhunderte hinweg derart gefestigt, daß sie zum prägenden Sinnelement religiöser und ethnischer Zugehörigkeit avanciert ist. Mit anderen Worten: beschränkte man das Pro und Contra allein auf das Gebiet der Medizin, wäre die Schlacht gegen die rituelle Beschneidung für die Angreifer mangels durchschlagender Argumente nicht zu gewinnen.

    Es ist auch nicht zu sehen, daß die Circumcision die sexuelle Selbstbestimmung eingeschränkt. Ob und wie das sexuelle Empfinden durch die Beschneidung verändert wird, können einigermaßen verläßlich nur solche Männer sagen, die bereits vor der Circumcision ausreichend sexuelle Erfahrungen gesammelt haben und daher in der Lage sind, vergleichen können. Eine solche Gruppe wurde meines Wissens deshalb nicht befragt, weil sie nie gebildet wurde. Auch hier mangelt es den Kritikern der rituellen Beschneidung an durchschlagenden Argumenten und objektiven Daten.

    Es herrscht stattdessen ein Chaos an Einzelstimmen mit nicht überprüfbaren Einlassungen, in welcher Subjektivität und Empörungspotenz Ton und Aggressivität der Rhetorik bestimmen. Einem durch die Kritik hoch verabsolutierten Kinderrecht stehen das Erziehungsrecht der Eltern gegenüber, der Anspruch des Kindes auf Erziehung und Integration in das ethnisch-kulturelle Erbe durch die Eltern, das auch ein Erbrecht des Kindes in Hinblick auf religiöse Traditionen einschließt. Da die Schlacht rein medizinisch nicht gewonnen werden kann, ist das antireligiöse Moment der Kampagne zu seinem hervorstechendsten Merkmal geworden. Daher auch – ich sagte es bereits in meinem Beitrag Nr. 6 – die Schärfe der Auseinandersetzung, die Unerbittlichkeit, der Furor, die hochtrabende Attitüde, die Belehrung, der Anspruch, der anderen Haltung überlegen zu sein.

  19. Herr Grebe, bedauerlicherweise weichen Sie immer wieder vom eigentlichen Thema dieser Diskussion ab. Hier geht es explizit um eine Rezension einer Ausstellung. Herr Schiering beklagt – meiner Meinung nach völlig zurecht – die extrem einseitige Ausrichtung der Ausstellung, ihren Propagandacharakter, das Verschweigen von Komplikationen und negativen Spätfolgen sowie das geradezu peinlich anbiedernde Verhalten des weitaus größten Teils der berichtenden Medien.
    Hierum geht es in dieser Diskussion und selbst ein entschiedener Befürworter der Genitalbeschneidung von Jungen, den ich in Ihnen sehe, sollte zu so viel Selbstkritik in der Lage sein, dies zuzugeben.
    Statt dessen weichen Sie aus und singen das Hohelied der Religionsfreiheit, dies jedoch, ohne einen einzigen Ton zu treffen.

    Kommen Sie bitte zurück zur Sache und geben Sie zu, dass in dieser Ausstellung das Wohl der Kinder – und dies sollte uns allen gleich heilig sein – zu allerletzt kommt. Denn sogar wenn man Faktoren wie „Identitätsstiftung“, „Zugehörigkeit zur Gesellschaft“ und „religiöses Gesetz“ heranzieht: Kein empathisch veranlagter Mensch wird bestreiten, dass Säuglingen hier starke Schmerzen zugefügt werden, dass erogene Körpersubstanz unwiederbringlich verloren geht, dass das Recht der Jungen auf körperliche Unversehrtheit ignoriert wird, dass das Risiko von Komplikationen in Kauf genommen wird und es unbestreitbar genitalbeschnittene Männer gibt, die höchst unglücklich über ihren Zustand sind.
    Was hier kritisiert wird, ist, dass in dieser Ausstellung all diese Tatsachen unter den Tisch fallen.
    Ich frage Sie, Herr Grebe: Haben die Initiatoren dieser Ausstellung diese Manipulationen wirklich nötig?

  20. @ Steffen Wasmund

    „Es geht nur um menschliche Handlungen, die rechtswidrig sind. „Haare rot färben oder lustige Schuhe anziehen“ sind keine rechtswidrigen Handlungen. Sie zu bestrafen, weil sie religiös motiviert sind, wäre mindestens nach Art 3 GG und Art. 4 GG rechtswidrig.“

    Das ist ja völlig klar. Ich habe die beiden absurden Beispiele gewählt, um die Beliebigkeit des Ritus an sich zu zeigen. Es gibt sicher eine Reihe von Riten, die völlig rechtsstaatlich erlaubt sind und niemanden wirklich stören.

    Für mich liegt aber in dieser Erkenntnis der Keim zu Lösung des Problems, siehe eben Brit Shalom. Es gibt aber – gerade bei der katholischen Taufe – einen Knackpunkt: Nach katholischem Selbstverständnis gilt die Taufe für immer, ist unauflöslich. Und das spätere Verlassen einer muslimischen Glaubensgemeinschaft kann im Einzelfall sogar gesundheitsschädlich sein. Die Zwangsbeschneidung hat ja deshalb diesen „Charme“ des ewigen Bündnisses, weil sie nicht mehr entfernt werden kann. Als sich Griechen früher über die (weniger schlimm als heute) beschnittenen Penisse der Juden lustig machten, zogen dies den Rest über ihre Eicheln, um nicht aufzufallen. Daraufhin wurde die Eindringtiefe bis zur heutigen Totalamputation von innerem und äußerem Vorhautblatt verschärft.

    Jetzt könnte man im Fall der Taufe oder Brit Shalom sagen: Wen kümmert das? Wir haben in D auch die negative Religionsfreiheit, niemand muss in dem Verein mitmachen. Richtig! Aber dieses gleiche Argument nutzen die beschneidenden Juden und Muslime auch, wenn sie so frei sind, ihre Schäfchen aus der Gemeinde zu entlassen. Denn auch beschnitten kann man religionsfrei leben.

    Insofern geht es nicht so sehr um die Art des Ritus, sondern den Umgang der Religionsgemeinschaften damit. Gäbe es dort ein rechtsstaatliches Denken, dann wäre nach Art. 4 GG der Wechsel zu einer anderen Religion oder das völlig Verlassen selbiger kein Problem. Doch dieses Klima der Toleranz herrscht gerade in den Religionen nicht vor. Der soziale Druck wäre immer der gleiche, ob ich zwar religionsfrei, aber zwangsweise beschnitten herumlaufen muss, ob ich meine Haare entfärbe oder die lustigen Schuhe ausziehe.

    Wir haben es also mit einem sehr vielschichtigen Problem zu tun, dass nicht allein dadurch gelöst werden kann, dass Zwangsbeschneidung gesetzlich verboten wird (trotzdem wäre dies ein schöner Anfang). Alle Religionsgemeinschaften müssen in der Wirklichkeit eines freiheitlichen Staates ankommen und ihren Mitgliedern jede persönliche Positionierung zu ihrer Religion erlauben – und zwar aus innerster Überzeugung, weil wir heute eben als Gesellschaft keinen Zwang in dieser Frage ausüben wollen.

    „Ebenso rechtswidrig wären dann die Brit Shalom oder die Taufe.
    Die Beschneidung mit rechtskonformen religiösen Handlungen gleichzusetzen, lässt zu Recht die Befürchtung entstehen, Religion letztlich verbieten zu wollen, was rechtswidrig wäre.“

    Es geht mir eben nicht um ein Verbot von Religion. Ich will ja auch keinen Briefmarkenverein verbieten lassen. Wozu? Wenn sich Menschen in einer Religionsgemeinschaft wohl fühlen, dann sollen sie es tun. Das Wächteramt des Staates ist aber überall dort aufgerufen, ausgeübt zu werden, wenn Dritte in diese religiöse Praxis gegen ihren Willen einbezogen und körperlich markiert werden.

    So dürfte sicher ein FCB-Fan seinen acht Tage alten Sohn dort als Mitglied anmelden, doch er dürfte ihm auf kein Körperteil das Logo der Bayern tätowieren lassen. Und wenn der Sohn später lieber Dortmund-Fan wird, dann hätte dies der Vater zu respektieren, auch der FCB, der ihn dann ohne hämische Worte aus dem Mitgliederverzeichnis streichen müsste.

    Es geht also in diesem Fall nicht um ein Verbot von Fußballclubs, sondern um die jederzeit auszuübende Entscheidungsfreiheit, dort aktiv zu sein oder eben nicht. Gerade Religionsgemeinschaften tun jedoch so – auch durch sozialen Druck – als produzierten Taufe, Zwangsbeschneidung etc. lebenslange Verpflichtungen, in den Gemeinden zu verbleiben. Ich würde mir hier Signale der Religionen wünschen, ein wenig menschlicher und verständnisvoller mit den Befindlichkeiten der Bürger umzugehen. Dies setzt für mich jedoch voraus, dass sie ihren Absolutheitsanspruch aufgeben und sich lediglich als ein gesellschaftliches Angebot unter vielen ansehen.

    Erst wenn das realisiert ist, wird weder für ewig getauft, noch zwangsbeschnitten, noch werden zwangsweise die Haare rot gefärbt oder lustige Schuhe angezogen. Das kann dann jeder für sich selbst machen wenn er volljährig ist.

  21. @V.Grebe:
    „“denn rein medizinisch lassen sich sowohl Gründe gegen wie für die prophylaktische Beschneidung anführen. „“

    Natürlich lassen dich Gründe anführen – nur keine wirklich stichhaltigen. Verbesserte Hygiene durch Beschneidung ist in der „westlichen Welt“ nicht gegeben, und spielt somit in der Debatte um §1631d BGB keinerlei Rolle. Die angebliche Verhütung von HIV basiert auf massiv umstrittenen Studien gepaart mit einem Medienhype. Mal als Denkanstoß: in den USA, wo die Beschneidungsrate jahrzehntelang 80% und mehr betrug, ist die HIV-Quote 6x HÖHER als in Deutschland oder Finnland – viel klarer kann man den fehlenden Effekt eigentlich kaum verdeutlichen. Gegen HPV gibt es sehr wirksame Impfungen. Peniskrebs ist ebenfalls ein Scheinargument.

    Hinzu kommt, daß die verbesserte Hygiene erst recht eine FGM rechtfertigen würden, sammeln sich doch unter der Klitorisvorhaut mehr Ablagerungen an als unter der Penisvorhaut.

    „“Es ist auch nicht zu sehen, daß die Circumcision die sexuelle Selbstbestimmung eingeschränkt. Ob und wie das sexuelle Empfinden durch die Beschneidung verändert wird, können einigermaßen verläßlich nur solche Männer sagen, die bereits vor der Circumcision ausreichend sexuelle Erfahrungen gesammelt haben und daher in der Lage sind, vergleichen können.““

    Schon alleine die Logik gebietet, hier zumindest eine deutliche Veränderung anzuerkennen. Daß der Verlust des gesamten mechanischen Gefüges der Penishaut zusammen mit dem Verlust eines Großteils der Rezeptoren so gar keinen Unterschied machen soll, ist – mit Verlaub – eine sehr absurde Vorstellung.

    Um den Rahmen der Kommentarspalte nicht völlig zu sprengen, möchte ich Ihnen an dieser Stelle die Lektüre des „Großen Zirkumpendiums“ nahelegen – dort finden sie detaillierte Informationen zu dem, was ich hier in Kurzform schrieb.
    http://www.zirkumpendium.de oder einfach auf meinen Namen oben im Kommentar klicken.

  22. @ V. Grebe (Nr. 18)

    „Sie verabsolutieren Ihre Meinung, das ist das Problem.“

    Damit haben eher Religionen Probleme.

    „[…] rein medizinisch lassen sich sowohl Gründe gegen wie für die prophylaktische Beschneidung anführen.“

    Falsch!

    „Die rituelle Beschneidung der Knaben ist unter medizinischen Gesichtspunkten nichts anderes als eine prophylaktische Maßnahme.“

    Als die Knabenbeschneidung ca. 600 v.Chr. eingeführt wurde, spielte Medizin überhaupt keine Rolle. Die Babylonier hatten nicht beschnitten, die dorthin verbannten Juden wollten sich unterscheiden, das war es.

    „Ich halte es für plausibel, daß sich die Beschneidung dereinst entwickelt hat, um einem weit verbreiteten schwerwiegenden Gesundheitsproblem mit chronischen Genitalinfektionen bei Männern und Frauen zu begegnen.“

    Wie sollte das in einer Zeit ohne mikrobiologische Kenntnisse möglich gewesen sein?

    „… sogar dort, wo Wasser im Überfluß ist, haben junge Männer ein Problem, das Naß an sich heranzulassen).“

    Und deswegen ist es gerechtfertigt, Knaben zu beschneiden? Es soll auch junge Männer geben, die sich die Nase nicht putzen. Sollte man ihnen deshalb prophylaktisch die … ?

    „[…] beschränkte man das Pro und Contra allein auf das Gebiet der Medizin, wäre die Schlacht gegen die rituelle Beschneidung für die Angreifer mangels durchschlagender Argumente nicht zu gewinnen.“

    Deshalb argumentiere ich immer in beide Richtungen. Die Religionen müssen begreifen, das manche ihrer Riten schädlich sind und die Medizin zeigt uns, dass sinnlose Beschneidungen (auch solche „säkularer Art“) schädlich sind. Solange Religionsvertreter die Zwangsbeschneidung für ein Gebot Gottes halten, werden sie sich über jede medizinische Vernunft hinwegsetzen.

    „Ob und wie das sexuelle Empfinden durch die Beschneidung verändert wird, können einigermaßen verläßlich nur solche Männer sagen, die bereits vor der Circumcision ausreichend sexuelle Erfahrungen gesammelt haben und daher in der Lage sind, vergleichen können. Eine solche Gruppe wurde meines Wissens deshalb nicht befragt, weil sie nie gebildet wurde.“

    Diese „Gruppe“ antwortet ganz freiwillig (z.B. Hans Waldorf, Kommentar 14). Das Internet ist voll von Kommentaren von Männern, die das „vorher-nachher“-Erlebnis kennen. Aber ich fürchte, sie würden auch nach Studien fragen, die klären, ob das Abschneiden der Fingerkuppen das Tastempfinden einschränkt.

    „Einem durch die Kritik hoch verabsolutierten Kinderrecht stehen das Erziehungsrecht der Eltern gegenüber, der Anspruch des Kindes auf Erziehung und Integration in das ethnisch-kulturelle Erbe durch die Eltern, das auch ein Erbrecht des Kindes in Hinblick auf religiöse Traditionen einschließt.“

    Sie liefern hier einen weiteren Beweis dafür, warum ich gegen frühkindliche religiöse Indoktrination bin. Auch Gehirnwäsche kann Kindern schaden, nicht nur das Abschneiden eines Körperteils.

  23. Herr Kammermeier,
    ich bitte auch Sie dringend, zum eigentlichen Thema dieser Diskussion zurück zu kehren. Ihre Rundumschläge schaden dieser Diskussion hier und nützen ganz sicher nicht, wenn es darum geht, das generelle Für und Wider von rituell begründeten Genitalbeschneidungen diskutieren. Sie stoßen gläubige Menschen mir Ihrer Argumentation erheblich vor den Kopf, was eine sinnvolle Diskussion per se unmöglich macht.

  24. @ Frank Wieckmann

    Haben Sie eine Antwort auf meinen Kommentar 5, in dem ich das Problem versuchte darzustellen?

    Was ist denn das „eigentliche Thema“? Es geht um eine Ausstellung, in der Beschneidung aus religiösen Gründen unkritisch präsentiert wird – oder schärfer formuliert: In der Propaganda dafür betrieben wird.

    Natürlich würde ich mir eine Diskussion wünschen, die sich ausschließlich mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit etc. auseinandersetzt. Doch dass hier Art. 4 GG mit reinspielt, haben z.B. die Ausstellungsmacher und sonstige gläubig Argumentierende verschuldet.

    Ich habe etliche persönliche Gespräche mit Befürwortern der Zwangsbeschneidung geführt, die nach einer anfänglich sachlichen Diskussion rasch in religiöse Denkschemata abdrifteten. Soll ich dann ausweichen und gehen?

    Umgekehrt: Wenn ich mit nichtreligiösen Befürwortern spreche, habe ich nicht derartige Schwierigkeiten, klarzumachen, dass man so etwas Kindern nicht antut – aus gar keinem Grund! Da reicht es, die oft vorherrschende Unwissenheit durch Fakten zu korrigieren und das Gegenüber ist für die Aufklärung sogar dankbar.

    Wenn ich mich also dem religiösen Aspekt des Themas (nicht „genitale Verstümmelung“ sondern „Beschneidung aus religiösen Gründen“, wie in der Ausstellung) nicht stellen sollte, dann muss ich mir jede Argumentation in diese Richtung verkneifen. Natürlich würde das den Gläubigen guttun, weil sie von unliebsamen Argumenten verschont bleiben, doch was sollte das gesellschaftlich ändern? Diesen Status quo haben wir doch schon – inklusiver klarer, gesetzlicher Regelung.

    Wenn mehr Platz, als in einem solchen Blog ist, dann weiß ich schon, wie ich theologisch argumentieren kann, ohne dass mein Gegenüber das Gefühl hat, ich wolle ihm sein Recht auf Glauben nehmen. Ich trenne hier scharf zwischen schädlichen und unschädlichen Auswirkungen von Religion. Allerdings muss dies meiner Überzeugung nach geschehen – sachlich und verständnisvoll geschehen – weil sonst die Klappe bei meinem Gegenüber mit 1.Mo 17 herunterklappt und er schlicht zumacht.

    Dass mein Insistieren religiöse Gefühle verletzt, ist verständlich, aber unvermeidlich. Diese Gefühle werden aber bei dem Thema immer verletzt. Denn – dies muss man sich stets vor Augen halten – am Ende steht IMMER die Forderung, dass Kinder bis zum 18. Lebensjahr von jeder Zwangsbeschneidung verschont bleiben sollten. Allein das ist ein Affront gegen Religion, denn sie schreibt anderes vor.

    Aber selbstverständlich versuche ich stets vorrangig biologisch und medizinisch zu argumentieren. Ich habe sogar mal offizielle Vertreter einer christlichen Kirche von der Schädlichkeit der Zwangsbeschneidung überzeugen können – ausschließlich mit biologischen Argumenten.

  25. zu F. Wieckmann Beitrag Nr. 19

    „Herr Grebe, bedauerlicherweise weichen Sie immer wieder vom eigentlichen Thema dieser Diskussion ab. Hier geht es explizit um eine Rezension einer Ausstellung. Herr Schiering beklagt – meiner Meinung nach völlig zurecht – die extrem einseitige Ausrichtung der Ausstellung, ihren Propagandacharakter, das Verschweigen von Komplikationen und negativen Spätfolgen sowie das geradezu peinlich anbiedernde Verhalten des weitaus größten Teils der berichtenden Medien.
    Hierum geht es in dieser Diskussion und selbst ein entschiedener Befürworter der Genitalbeschneidung von Jungen, den ich in Ihnen sehe, sollte zu so viel Selbstkritik in der Lage sein, dies zuzugeben.
    Statt dessen weichen Sie aus und singen das Hohelied der Religionsfreiheit, dies jedoch, ohne einen einzigen Ton zu treffen….“

    Es geht wohl nur schwarz oder weiß, Herr Wieckmann, nicht wahr ? Steht man nicht vorbehaltlos auf Seiten der Beschneidungskritiker, kann man ja nur zu den unbedingten Befürwortern der rituellen Beschneidung zählen !

    Ich würde die Beschneidung für mich und meine Kinder ablehnen. Punktum. Ich nehme für mich in Anspruch, beide Seiten zu sehen und zwischen den Extrempositionen abzuwägen. Nennen Sie mich also neutral, dazwischen stehend oder auch nur nachdenklich, schwer zu indoktrinieren und ziemlich resistent gegen imperiales Meinungsgehabe. War das deutlich genug ?

    Ich nehme für mich auch in Anspruch, Toleranz nicht nur als Lippenbekenntnis zu sehen, sondern mit Leben zu erfüllen. Und ich bin so frei, meine Auffassungen und persönlichen „Glaubenswertungen“ nicht unbedingt anderen Menschen aufzwingen zu wollen. Sie können aus dem Gesagten gerne indirekt ablesen, wie ich über Stil und Anmaßungen der Beschneidungsgegner denke.

    Mein Standpunkt, sehr geehrter Herr Wieckmann, ist zu rational, als daß ich mich auf abenteuerliche Wertungen so ohne weiteres einlasse. Hätten Sie meinen Beitrag Nr. 6 aufmerksam genug gelesen, hätten Sie übrigens auch festgestellt, daß ich mich sehr wohl zur Ausstellung geäußert habe. Der entsprechende Absatz lautet, ich zitiere mich selbst:

    „Der eine untertreibt, der andere übertreibt. Wer sich ein Urteil über die Berliner Ausstellung bilden will, muß eben selber hingehen und schauen. Da hat der Autor (V. Schiering) vollkommen recht. Von daher ist sein Bericht so relativ zu nehmen wie die Ausstellung, die zu beschreiben sucht. Sicherlich wird es eine Gegenaustellung geben, die den Fokus auf die gegenteiligen Aspekte der religiösen Beschneidung richtet. Das Pendel schlägt immer nach beiden Seiten aus, und es durchläuft dabei ein Extrem immer auf beiden Seiten.“ Ende Eigenzitat

    Ist Ihnen denn nicht aufgefallen, daß der Bericht von Victor Schiering antireligiöses Sentiment en masse aufbietet ? Von daher war es nur logisch, daß in der Debatte – nicht nur von mir allein – das antireligiöse Moment zu thematisieren sein würde.

    Eine Korrektur: es geht bei der Beschneidung keine „erogene“ Körpersubstanz verloren, sondern nur „erotogene“.

  26. Bernd Kammermeier schrieb: „Natürlich würde ich mir eine Diskussion wünschen, die sich ausschließlich mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit etc. auseinandersetzt. “

    Na dann machen sie doch!

    Wie witzig, sie sind genau derjenige der das hier sabotiert! Allen Einwendungen und Bitten von Hannes, Stefan Schritt, Hans Waldorf, Steffen Wasmund, Frank Wieckmann zum Trotz.
    Hören sie doch endlich auf, ihre antireligiösen Kampfparolen abzuspulen!
    Es gibt doch bestimmt andere Foren wo sie ihren „monotheistischen“ Religionshass ventilieren können, wo das nicht off-topic ist.
    Offenbar ist es ihnen völlig egal, dass sie damit dem Widerstand gegen kindliche Genitalverstümmelung nur schaden. Das nenne ich Trittbrettfahrerei.
    Sie ziehen hier ihre Show ab und dienen nebenbei erkennbar als nützlichen Stichwortgeber für V. Grebe und sie beide ruinieren gemeinsam diesen Thread.

  27. zu B. Kammermeier Beitrag Nr. 22

    1. Sie verabsolutieren Ihre persönliche Meinung und wollen Ihre (sehr eingeschränkte) Definition des Kindeswohls anderen Menschen ganz offenkundig aufzwingen. Was um keinen Deut besser ist als das, was sie den Beschneidungsreligionen vorwerfen. Es ist sogar schlimmer.

    2. Was immer über den Ursprung der Beschneidung gesagt wird, auf eines können wir uns mit absoluter Gewißheit verlassen, nämlich auf die Infektion als Geißel der Menschheit bis zum Beginn der antibiotischen Ära. Die These, daß der Ursprung mit verheerenden Uro-Genitalnfektionen im Zusammenhang stehen könnte, ist medizinisch hochplausibel. Die Menschen hatten ein Problem, und sie haben eine probate Methode gefunden, diesem Problem quantitativ abzuhelfen. Hätte es keine Entlastung durch die Beschneidung gegeben, hätte sich die Methode kaum derart verbreiten können.

    Das Auftreten von Infektionen ist übrigens nicht an mikrobiologische Kenntnisse gebunden.

    3. Sie mögen mangelhygienische Aspekte leugnen, die aus unzureichender präputialer Pflege herrühren. Sie existieren gleichwohl.

    4. Die rituelle Beschneidung benötigt keine religiösen Gründe, um sich gegen die Beschneidungskritik zu wehren. Sie hat genügend medizinische Gründe aufzubieten, die ein Pro rechtfertigen.

    5. Die „Gruppe“ spätbeschnittener erwachsener Männer spricht nicht durch einen einzelnen Sprecher, von dem Sie und ich nicht wissen, ob zutrifft, was er zu sein vorgibt. Dafür gibt es eine saubere Wissenschaft, um dies herauszufinden.

    6. Gehirnwäsche ? Wollen Sie Erziehung wirklich als Gehirnwäsche bezeichnen ?

  28. @V. Grebe:

    Warum sind Sie eigentlich nicht auf meine Ausführungen in #8 eingegangen? Ich habe über meine Probleme und meinen Körper berichtet und Sie übergehen das einfach und beißen sich weiterhin an „den Beschneidungsgegnern“ fest. Das finde ich schon ziemlich schwach, weil es am Ende des Tages doch um Menschen geht und nicht um Ideen, Traditionen und Ideologien. Sie haben mit Menschen wie mir die Chance, sich aus erster Hand darüber zu informieren, wie es sich anfühlt, „beschnitten“ worden zu sein, abseits der Diskussion über Religion und Tradition.

    Des Weiteren interessiert mich:

    „Ich würde die Beschneidung für mich und meine Kinder ablehnen. Punktum.“

    Wären Sie so freundlich uns zu erläutern, warum sie die Beschneidung für sich und Ihre Kinder ablehnen, sie jedoch in einem anderen Kontext, also bei anderen Menschen außerhalb Ihrer Familie, als ggfs. angemessen betrachten?

  29. @Bernd Kammermeier:

    „Ich kann mir kaum vorstellen, dass je3mand, dem Religion völlig egal ist, ein Problem damit hat, zu begreifen, dass Zwangsbeschneidung einen massiven Eingriff in Kinderrechte mit sich bringt.“

    „Umgekehrt: Wenn ich mit nichtreligiösen Befürwortern spreche, habe ich nicht derartige Schwierigkeiten, klarzumachen, dass man so etwas Kindern nicht antut – aus gar keinem Grund! Da reicht es, die oft vorherrschende Unwissenheit durch Fakten zu korrigieren und das Gegenüber ist für die Aufklärung sogar dankbar.“

    Dann gibt es von mir mal einen Schwank aus meiner Jungend (naja eher von einem Gespräch mit einer Arbeitskollegin vor wenigen Wochen):

    Nachdem ich ihr von meinem Zustand erzählt hatte, erwiderte sie:

    „Na und? Ich hätte fast meinen Bruder beschneiden lassen“
    „Wie bitte? Würdest du dir gerne an Deinen Genitalien rumschnippeln lassen?“
    „Wäre ich ein Mann, würde ich das machen“
    „Das beantwortet nicht meine Frage, ich habe von Deinen Genitalien gesprochen“
    „Ich als Frau, die mit beschnittenen Männern Sex hat,finde das besser“
    „Was DU willst zählt nicht!“
    „Ich habe das meiner Mutter zumindest damals gesagt“
    „Deine Mutter zählt auch nicht, es ist sein Körper!“
    „Ja, aber er war ein Jahr alt, er hätte das doch nicht selbst entscheiden können“

    Ich habe sie dann aus meinem Büro geschmissen, sonst hätte ich ihr wahrscheinlich eine gebatscht. 😉

    Ob z. B. Kellog damals die Zirkumzision propagiert hat oder nicht, hat in diesem Moment absolut keine Rolle gespielt. Hier ging es um die,
    nunja, geschmackliche Präferenz einer Frau. Wobei ich es eher eine geschmacklose Präferenz nennen möchte…

    Von solchen Erlebnissen kann ich mittlerweile zuhauf berichten, da ich offen über das, also in erste Linie mein Thema spreche. Und dabei ist es egal, ob es sich um religiöse Menschen handelt oder nicht, die Reaktionen gehen quer durch die Bank. Natürlich ruft mein Umgang mit dem Thema nicht nur solch negative Reaktionen hervor, oft wissen die Menschen einfach zu wenig über diesen Eingriff und die daraus resultierenden Folgen. Und oft wecke ich zumindest Interesse an dem Thema. Aber in Bezug auf die verständnislosen, verharmlosenden, manchmal auch feindseligen Reaktionen lautet mein Resümee: Religion spielt in den seltensten Fällen eine Rolle.

    Die Religionskritik resultiert aus der Auseinandersetzung mit dem Aspekt der Kinderrechte und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit. Bei Ihnen gewinne ich leider den Eindruck, dass es Ihnen ausschließlich nur um die Kritik an Religionen geht und das finde ich nicht zielführend und vor allem eins: schade.

  30. @ Fridtjof

    Schön und gut. Ich habe das Problem in Kommentar 12 als Frage formuliert. (Ich habe vorher fälschlich Nr. 5 geschrieben)

    Welcher Redebedarf besteht denn bezüglich der biologischen oder medizinischen Ablehnungsgründe der Zwangsbeschneidung? Alle Argumente liegen doch auf dem Tisch. Der Punkt ist aus meiner Sicht, dass dies von Beschneidungsbefürwortern nicht akzeptiert wird. Auf jede Studie wird eine Gegenstudie vorgelegt. Alter und Verbreitung des Ritus werden als Argumente herbeizitiert und selbst die juristische Schiene fruchtet nicht, weil schließlich der Gesetzgeber entschieden hat, dass Knabenbeschneidung legal ist – und der wird es wohl wissen.

    Also, was ist noch unklar, was die Befürworter überzeugen könnte, ohne dass sie einen ihrer alten Hüte hervorziehen? Normalerweise würde ein einziger Satz ausreichen: „So etwas macht man nicht!“ Doch warum reicht das nicht? Weil es doch schon sooo lange praktiziert wird, weil es doch so viele weltweit machen und weil Ärzte sagen, dies sei gut für die Gesundheit.

    Natürlich kann ich diese Argumentationsfiguren im Schlaf widerlegen, ich habe genug Vorträge zum Thema gehalten. Doch es führt zu nichts, wie wir in Berlin sehen.

    Und noch etwas: Aus welchem meiner Texte geht „monotheistischer Religionshass“ hervor? Es ist richtig, dass ich Religion für ein veraltetes Modell der Gesellschaftskontrolle halte. Und gleichzeitig für ein falsches, schädliches. Doch das sind Erkenntnisse, die von „Hass“ sehr weit weg sind. Diesen Begriff kenne ich sonst nur von Anhängern dieser Religionen, die nicht einsehen wollen, dass sie auf das falsche Pferd setzen. Allein das kritische Hinterfragen wird ja schon als Blasphemie gewertet.

    Doch ich will in Gedanken den Spieß einen Moment lang umdrehen: Ich glaube also an einen Gott, sogar gerne an den monotheistischen. Welches Argument hätte ich nun gegen Beschneidung? Gar keines, weil dies eben klipp und klar von Gott in 1.Mo 17 so vorgeschrieben wurde.

    Und jetzt?

    Ich müsste dann Moses Maimonides folgen, der ja deutlich genug den Zweck der Beschneidung beschrieb, nämlich die Sexualkontrolle der männlichen Bevölkerung. Und genau dies wünscht sich Gott ja laut den Texten des Tanach und des Koran. Weder die Juden, noch die Muslime verhalten sich falsch, wenn sie beschneiden. Falsch und angreifbar wird das Ganze m.M.n. nicht, indem ich moderne wissenschaftliche Fakten gegen die Beschneidung vortrage (denn Gott ist es offenbar egal, ob seine männlichen Anhänger in ihrer Kindheit und später – siehe M. Maimonides – in der Sexualität leiden), sondern indem ich die Gültigkeit der religiösen Vorschrift anzweifle und widerlege.

    Das impliziert jedoch keineswegs, dass ich einen „Hass“ gegen Religion oder gar gegen Gläubige empfände. Und ich bin auch nicht „islamophob“ oder antisemitisch eingestellt, im Gegenteil, ich bin gegen jede Art von echtem oder eingebildetem Rassismus. Für mich ist Glaube Privatsache, in die ich mich nicht einmische. Aber Religion darf nicht vor Ideologiekritik geschützt werden, wie keine Ideologie vor Kritik geschützt werden dürfte.

    Und um speziell auf diesen Blog hier zurückzukommen: Wenn das Thema „Beschneidung ja oder nein“ wäre, dann würde ich kein Sterbenswörtchen über Religion verlieren, weil dies in der Tat bei einem medizinischen Eingriff keine Rolle spielt. Wenn jedoch eine Betrachtung zu einer religiös motivierten Ausstellung in einem jüdischen Museum zentrales Thema ist, dann ist Religion irgendwie nicht völlig zu vermeiden. Oder?

  31. @ Steffen H.

    Ich sollte in meiner Kindheit beschnitten werden, nicht religiös motiviert. Der Arzt meinte, es wäre besser, weil ich eine Phimose hätte. Meine Mutter ließ mir die Entscheidung. Ich war unsicher, wusste nicht, was da passiert und habe abgelehnt.

    Und? Was hat das mit einer Ausstellung zu religiös motivierter Beschneidung in einem jüdischen Museum zu tun?

    Und das Gespräch mit Ihrer Arbeitskollegin hätte ich anders geführt. Ich hätte nicht nur auf die Rolle des potentiellen Opfers verwiesen oder ihren Egoismus, sondern auf die physiologischen Folgen. Sowohl für den Mann, als auch die Frau. Ich hätte ihr keine „gebatscht“, sondern ich hätte ihr ganz simpel, step by step, das biologische Szenario aufgelistet. Auch in diesem Gespräch wäre Religion als Thema völlig sinnlos gewesen.

    Wie schaffe ich es, bei Ihnen den Eindruck zu erzeugen, mir ginge es ausschließlich um Religionskritik?

    Können Sie sich nicht vorstellen, dass es genau umgekehrt war? Dass ich einmal gläubig war und lange vor dem Kölner Beschneidungsurteil über diesen Ritus „gestolpert“ bin, wodurch ich mich einem Feuerwerk an Argumenten Gläubiger ausgesetzt sah, die dies glühend verteidigten – als Inbegriff der Religionsfreiheit? Und dass ich mich dann mit Religion in einem kritischen Kontext auseinandergesetzt habe, UM diese Argumente zu entkräften. Ich versichere: Gäbe es keine Beschneidung, wäre ich vermutlich nie ein profunder Religionskritiker geworden. Möglicherweise wäre ich heute sogar noch gläubig. Für mich war das Thema „Beschneidung“ meine persönliche Theodizee.

  32. @#27 V. Grebe am 1. Dezember 2014 um 18:08:

    „2. Was immer über den Ursprung der Beschneidung gesagt wird, auf eines können wir uns mit absoluter Gewißheit verlassen, nämlich auf die Infektion als Geißel der Menschheit bis zum Beginn der antibiotischen Ära. Die These, daß der Ursprung mit verheerenden Uro-Genitalnfektionen im Zusammenhang stehen könnte, ist medizinisch hochplausibel. Die Menschen hatten ein Problem, und sie haben eine probate Methode gefunden, diesem Problem quantitativ abzuhelfen. Hätte es keine Entlastung durch die Beschneidung gegeben, hätte sich die Methode kaum derart verbreiten können.“

    Hierfür hätte ich gerne Belege, speziell zu der Aussage „Hätte es keine Entlastung durch die Beschneidung gegeben, hätte sich die Methode kaum derart verbreiten können.“

    „3. Sie mögen mangelhygienische Aspekte leugnen, die aus unzureichender präputialer Pflege herrühren. Sie existieren gleichwohl.“

    Zur Erziehung gehört nach meiner Auffassung, den Kindern die Intimpflege nahezulegen und beizubringen und nicht, aus Bequemlichkeit dies nicht zu tun und dafür einen gesunden Teil des Körpers zu entfernen. Niemand würde auf die Idee kommen, den Kindern die Zähne zu ziehen und die Dritten zu verpassen, weil sie sowieso nicht die Zähne putzen.

    „4. Die rituelle Beschneidung benötigt keine religiösen Gründe, um sich gegen die Beschneidungskritik zu wehren. Sie hat genügend medizinische Gründe aufzubieten, die ein Pro rechtfertigen.“

    Wie darf ich das verstehen? Dass man einen medizinisch (notwendigen?) Eingriff einfach zum Ritual umfunktioniert hat? Selbst wenn das früher zugetroffen haben mag, heutzutage ist das eine hanebüchene Argumentation.

    Warum lassen sich eigentlich dann nicht alle Männer beschneiden, wenn es so viele Pros gibt? Bedeutet das im Umkehrschluss, dass alle Männer mit Vorhaut benachteiligt sind?

  33. zu H. Steffen Beitrag 28

    Was immer Sie an Beschwerden haben, Herr Steffen, bedaure ich dies natürlich sehr und hoffe, daß Sie erfolgreiche Therapie oder wenigstens Linderung finden.

    Zu Ihren Fragen.

    Ich sehe für mich und meine Kinder in einer Beschneidung keinen Sinn, respektiere jedoch gegensätzliche Einstellungen.

    Leider kann ich aus Ihren persönlichen Schilderungen hier keine allgemein verbindlichen Schlußfolgerungen ableiten. Niemand kann das, denn dies geht nur mit Hilfe einer sauberen wissenschaftlichen Untersuchung, für die Sie sich eventuell zur Verfügung stellen sollten. Sie können damit zu einem wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnisgewinn beitragen.

    Ich zitiere aus Ihrem Beitrag Nr. 8, in dem Sie einleitend mich selbst zitieren, Zitat:

    „“Knaben, die aus medizinischen Gründen beschnitten werden, sind einem Klima der fortgesetzten Schmähung ausgesetzt, in ihrem neuen Zustand gezeichnet zu sein, sehen sich herabgewürdigt als “Amputierte”, “Genitalverstümmelte” , als Männer mit “minderwertigem Sexualempfinden” abgestempelt. Auch diese späteren Männer sind Opfer, die sich womöglich lebenslang mit dem aufgedrückten Etikett der körperlichen und sexuellen Versehrtheit abplagen müssen. Härte und Unbarmherzigkeit werden zum Mittel, den Gegner umso heftiger zu treffen, auch wenn es Opfer kostet.”

    Wird nicht andersrum ein Schuh draus? Wer schützt denn mich? Männer wie ich, also vorhautamputiert, genitalverstümmelt und mit minderwertigem Sexualempfinden versehen, müssen sich tagtäglich mit solchen Aussagen, wie von Ihnen getätigt, auseinandersetzen. Ich bin Opfer eines körperlichen Übergriffs und nicht nur dadurch stigmatisiert worden, sondern mir wird durch die Verweigerung von Empathie und der Nicht-Kenntnisnahme meiner Probleme immer wieder vermittelt, dass meine Probleme nichtig sind.“

    Ich halte es für ausgeschlossen, daß man ein allgemeines Klima der Angst oder sogar Panik vor der medizinisch begründeten Beschneidung erzeugt. Mit dem systematischen Schüren von Ängsten ist niemandem geholfen. Über allen Maßnahmen hat stets stets das Gebot der Hoffnung zu stehen.

  34. @31. # Bernd Kammermeier am 1. Dezember 2014 um 18:58:

    „Wie schaffe ich es, bei Ihnen den Eindruck zu erzeugen, mir ginge es ausschließlich um Religionskritik?“

    Ich brauche dazu nur Ihren ersten Beitrag zu lesen, in dem es gleich losgeht mit: „Sie lassen nicht locker, die Verteidiger der … Religion. Ja, der Religion! Es geht nämlich nicht um Beschneidung, deshalb geht es auch nicht um die Kinder und deren Schmerzen oder späteren Leiden.“ Und ich weiß sofort, wohin die Reise geht. Ich mag mich täuschen, aber alle Ihre Beiträge weisen darauf hin, dass Sie sich anhand dieses Themas an Religion im allgemeinen und evtl. „Ihrer“ Religion im speziellen abarbeiten. Ich möchte nicht anmaßend sein, aber genau dieser Eindruck entsteht, unabhängig, dass man im Zusammenhang einer Ausstellung zum Thema im JM natürlich auch über Relgion sprechen muss. Aber zuerst einmal darüber, dass Kinderrechte, der Wille des Kindes, Komplikationen bei und die Folgen der Beschneidung leider keine Rolle in der Ausstellung und dem Begleitbuch spielen, denn genau das ist der Tenor der Rezension von Herrn Schierung.

    „Und das Gespräch mit Ihrer Arbeitskollegin hätte ich anders geführt. Ich hätte nicht nur auf die Rolle des potentiellen Opfers verwiesen oder ihren Egoismus, sondern auf die physiologischen Folgen. Sowohl für den Mann, als auch die Frau. Ich hätte ihr keine “gebatscht”, sondern ich hätte ihr ganz simpel, step by step, das biologische Szenario aufgelistet. Auch in diesem Gespräch wäre Religion als Thema völlig sinnlos gewesen.“

    Nun, mit guten Argumenten kommen Sie bei unbelehrbaren und verblendeten Menschen leider nicht immer weiter. Ich bin ja überhaupt nicht dazu gekommen, ihr von meinen Problemen zu erzählen, da es immer nur um ihre Sicht ging. Nach Ihren Aussagen hingegen hätte sie unter dem Aspekt der Kinderrechte, und den habe ich schlussendlich mit „es ist sein Körper“ betont, zumindest ins Grübeln kommen müssen.
    Abgesehen davon behalte ich es mir als Betroffener vor, in solchen Situation lieber die Reißleine zu ziehen, als die Situation eskalieren zu lassen. Aber ich versichere Ihnen: Die Gespräche werden oft auch ruhig und sachlich geführt und trotzdem schlagen die Argumente nicht an. Oder die Menschen ziehen sich verschämt ganz schnell zurück.

  35. Was mich an dieser Ausstellung so massiv stört, ist, dass negativ betroffene Männer konsequent ausgeblendet werden. Ich gehöre zu den Männern, die um ihre natürliche und erfüllte Sexualität betrogen wurden. Und immer wieder, hauptsächlich von Urologen, den hauptsächlichen Profiteuren der Beschneidungsmaschinerie, zu hören bekommen: „So etwas habe ich noch nie gehört!“
    Doch ich weiß, dass es Männer wie mich zuhauf gibt. Wer sich auf diese Männer einlässt, ihnen ohne Ressentiments und Arroganz begegnet, ihnen nicht das Totschlagargument entgegenschleudert, es gäbe keine beschnittenen Männer, die sich beschweren, der wird sich wundern, was er plötzlich zu hören bekommt.
    Doch genau das passiert nicht. Nicht in dieser Ausstellung, nicht in der „offiziellen“ Debatte. Es darf uns nicht geben, weil wir eine Gefahr darstellen, weil wir lange zementierte Machtgefüge und Geldquellen gefährden. Deshalb werden Männer wie ich, die tagtäglich mit ihren Einschränkungen leben müssen, mit einer defizitären Sexualität, schmerzenden Narben und psychischen Traumata konfrontiert sind, verleugnet.
    Keinen anderen Anspruch und Zweck hat diese Ausstellung. Und die Medien sind willfährige Lakaien in diesem Spiel.

  36. Seltsam , wie wenig religiöse Vertreter merken , wie sehr sie sich mit ihrem Beharren selber ins Knie schießen.
    Eine Glaubensgemeinschaft ist darauf angewiesen , fragwürdige Rituale an Kindern durchzuführen , was gibt das denn für ein Bild ab?
    Was sagt das über die eigene Überzeugung , über die vorgetragenen Werte und über deren inhaltliche Stärke ?
    Unabhängig davon , ob Religionsgemeinschaften so ein Ritual vorschreiben oder freiwillig in den Raum stellen , auch im relgiösen Bereich müssen sich Sichtweisen entwickeln und ändern können , da mag in den einschlägigen Leitbüchern stehen , was will , eine Reiligion ohne inneres Leben ist dazu verdammt , unterzugehen.

    Die Gesetzgebung des Bundestags dürfte ein klassischer Pyrrhussieg werden für die Befürworter der Beschneidung.

  37. @ Steffen H.

    „Ich brauche dazu nur Ihren ersten Beitrag zu lesen, in dem es gleich losgeht mit: “Sie lassen nicht locker, die Verteidiger der … Religion. Ja, der Religion! Es geht nämlich nicht um Beschneidung, deshalb geht es auch nicht um die Kinder und deren Schmerzen oder späteren Leiden.” Und ich weiß sofort, wohin die Reise geht.“

    Dieser erste Satz ist eine Feststellung bezüglich der religiös motivierten Notwendigkeit zu genau diesem Ritus! Denn es ist falsch, dass es einen Grund in der Art, wie V. Grebe ihn vorschlägt, dafür gegeben hat. In ganz Babylonien mit vielen 100.000 Bewohnern hat sich niemand beschnitten, obwohl alle in dem gleichen Klima lebten und Infektionsgefahren in der dicht bevölkerten Metropole Babylon ein stückweit größer waren. Ausgerechnet dort entschlossen sich die verbannten Stämme Kanaans – aus denen später das jüdische Volk hervorgehen sollte – zur Säuglingsbeschneidung. Es hätten aber auch rot gefärbte Haare oder lustige Schuhe gewesen sein können. Möglicherweise kam es zur Genitalbeschneidung aus dem Grund, weil die Ägypter ihre Sklaven beschnitten und der neue Gott der künftigen Juden als Sklavenhalter geschildert wird.

    Und da der Rit5us im Grunde beliebig ist, geht es den religiös motivierten Beschneidern eben nicht dezidiert um die Verteidigung dieses Ritus (schließlich haben Rabbiner die Alternative „Brit Schalom“ ohne theologische Einbußen erfunden), sondern um die Verteidigung ihrer Religion, bzw. um den Erhalt des Status quo was Mitgliederzahlen betrifft.

    Theoretisch könnten doch alle Religionsgemeinschaften problemlos auf jede Art von Markierung ihrer Mitglieder verzichten und auf reine Freiwilligkeit setzen. Doch dem trauen sie nicht, weil sie merken, dass sie sich in einem Rückzugsgefecht befinden. Das ist zunächst keine Religionskritik, sondern eine Feststellung, der man sich nicht verschließen sollte.

    Ich bin so dezidiert der Meinung, dass sich Religionsgemeinschaften einen Gefallen täten, wenn sie auf ihre unzeitgemäßen Attitüden verzichten würden, die aufzuzählen ich mir hier erspare. Jeder wird sie kennen. Religionen, die den Ballast der Bronzezeit über Bord kippen, hätten eher eine Chance, den Kopf oben zu halten und wenigstens noch ein paar spirituell Begeisterte an sich zu binden.

    Alles das sind natürlich Hilfsargumente, denn in der Tat ist des Zentrum der Frage: Schadet die Beschneidung? Und das tut sie jenseits aller ideologischen Fronten oder Gräben. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Vielleicht gelingt es mir eines Tages einen jüdischen oder muslimischen Vater davon zu überzeugen, seinen Sohn intakt zu lassen, ohne ein einziges Mal das Wort „Religion“ in den Mund zu nehmen…

  38. @33. # V. Grebe am 1. Dezember 2014 um 19:27:

    „Was immer Sie an Beschwerden haben, Herr Steffen, bedaure ich dies natürlich sehr und hoffe, daß Sie erfolgreiche Therapie oder wenigstens Linderung finden.“

    Meine Beschwerden kann ich eindeutig benennen: Ich habe keine Vorhaut mehr. Um aus einer Folie von Professor Stehr aus seinem o. g. Vortrag zu zitieren (siehe Minute 16:10), den ich Ihnen nach wie vor nahelege:

    Langzeitkomplikationen:
    – Verlust des Präputiums als erogene Zone
    – Minderung der Glanssensibilität
    – Mangelnde Gleitfähigkeit (straffe Haut, verm. Lubrifikation)

    Diese Punkte kann man nicht wegdiskutieren. Zu dieser Erkenntnis bin ich auch ohne das Internet und Mediziner wie Prof. Stehr gelangt, es handelt sich hierbei schlichtweg um die Bestätigung meiner persönlichen Erfahrungen.

    Dass darüber hinaus der Eingriff (also Übergriff) ohne meine Einwilligung erfolgte, brauche ich nicht mehr zu erwähnen. Es spielt in meinem Alltag zwar so gut wie keine Rolle, aber ich kenne andere Männer, denen genau dieser Kontrollverlust und die Fremdbestimmtheit besonders zu schaffen macht. Es handelt sich um ein traumatisches Erlebnis und dabei spielt es keine Rolle, ob sich der Betroffene bewusst daran erinnern kann oder nicht, ich kann es zumindest nicht. Aber ich sehe und spüre das Ergebnis. Wenn ein Mensch mit KO Tropfen außer Gefecht gesetzt und vergewaltigt wird und sich danach an nichts mehr erinnern kann, würde man diesem Menschen dann entgegnen „Halb so schlimm, Du kannst Dich ja nicht daran erinnern“?

    „Ich sehe für mich und meine Kinder in einer Beschneidung keinen Sinn, respektiere jedoch gegensätzliche Einstellungen.“

    Ich verstehe leider immer noch nicht, warum Sie sich selbst und Ihren Kindern die von Ihnen ganz allgemein erwähnten Pros vorenthalten möchten. Führen Sie doch bitte konkret die Pros auf und legen uns dar, warum Sie sich trotzdem nicht für die Beschneidung entscheiden. Sie schreiben zB in #27:

    „Die rituelle Beschneidung benötigt keine religiösen Gründe, um sich gegen die Beschneidungskritik zu wehren. Sie hat genügend medizinische Gründe aufzubieten, die ein Pro rechtfertigen.“

    Diese Vorteile gelten aber für ALLE Jungen/Männer, unabhängig einer religiösen Zugehörigkeit der Eltern. Warum entscheiden gerade Sie sich dann dagegen, warum sehen Sie keinen Sinn darin?

    „Ich halte es für ausgeschlossen, daß man ein allgemeines Klima der Angst oder sogar Panik vor der medizinisch begründeten Beschneidung erzeugt. Mit dem systematischen Schüren von Ängsten ist niemandem geholfen. Über allen Maßnahmen hat stets stets das Gebot der Hoffnung zu stehen.“

    Ganz ehrlich, ich verstehe den Zusammenhang in Bezug auf meine Aussage nicht. Ich bitte um Erläuterung.

  39. Zu Beitrag 18 V. Grebe am 1. Dezember 2014 um 14:19:
    „Mit anderen Worten: beschränkte man das Pro und Contra allein auf das Gebiet der Medizin, wäre die Schlacht gegen die rituelle Beschneidung für die Angreifer mangels durchschlagender Argumente nicht zu gewinnen.“

    Das ist natürlich falsch:
    Aus dem Institut für Rechtsmedizin der Universität Gießen Direktor: Prof. Dr. med. Dr. jur. R. Dettmeyer und dem Institut für Rechtsmedizin der Universität Frankfurt/Main‘ (Direktor: Prof. Dr. med. H. Bratzke)
    Autoren: Prof. Dr. med. Dr. jur. Reinhard Dettmeyer1, Assessor Priv.-Doz. Dr. med. Markus Parzeller, Johannes Laux, Hannah Friedl, Barbara Zedler und Prof. Dr. med. Hansjürgen Bratzke
    Medizinische und rechtliche Aspekte der Genitalverstümmelung bzw. Beschneidung Teil II: Die rituelle Zirkumzision

    „So kann die rituelle Beschneidung als körperliche Misshandlung im Sinne des § 223 StGB mit der Verletzung der körperlichen Integrität (auf den Substanzverlust abstellend: (39]) oder den mit der Beschneidung verbundenen, spätestens postoperativ entstehenden Wundschmerzen begründet werden. Des Weiteren erfüllt die Beschneidung auch die zweite Tatbestandsalternative des § 223 StGB in Form der „Gesundheitsschädigung“ (ebenso: (14]). Hierunter versteht man das Hervorrufen, Verlängern oder Steigern eines möglicherweise nur vorübergehenden pathologischen Zustandes (40), z. B. durch Beifügung von Wunden, Organ- oder Gliederverluste, den Verlust von Körperteilen (41) sowie die Herbeiführung oder Aufrechterhaltung von Schmerzzuständen (42). Es ist daher festzuhalten, dass die Vornahme der Zirkumzision an einem anderen den Grundtatbestand der Körperverletzung gern. § 223 StGB in beiden Tatbestandsalternativen erfüllt. […] Unstreitig ist die Qualifikation des§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB dann erfüllt, wenn jemand ohne die notwendige Qualifikation (z. B. Approbation) und Kunstfertigkeit den Eingriff _etwa mit einem Messer vornimmt (48, 49).“ (beleke.de/shop/AID/1332/archiv_fuer_kriminologie_band_227_heft_3_und_4_maerzapril_2011/)

    Der körperliche Gesundheitsschaden ist also nachgewiesen und nur auf diesen kommt es an. Rechtfertigungsfähige medizinische Vorteile sind per Definition des § 1631d BGB ausgeschlossen. (…das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche …)

    Die Komponenten der elterlichen Sorge:
    „Der sachliche Schutzbereich des Art. 6 II 1 umfasst die freie Entscheidung über Pflege und Erziehung. Pflege bedeutet die Sorge für das körperliche Wohl, Ernährung, Gesundheit und Vermögen. Erziehung beinhaltet die Sorge für die seelische und geistige Entwicklung des Kindes sowie die Vermittlung von Wissen und Wertorientierung“
    http://www.beck-shop.de/fachbuch/leseprobe/Groepl-Studienkommentar-Grundgesetz-9783406642302_0404201306161298_lp.pdf
    (Auch ein guter Nachweis für den freiheitsrechtlichen Charakter der elterlichen Sorge. Anders als Prof. Reinhard Merkel ausführte.)

    Anwendung auf die Komponenten der elterlichen Sorge:
    Pflege: Der nachgewiesene körperliche Gesundheitsschaden widerspricht der „Sorge für das körperliche Wohl“ des Kindes. Der nachgewiesene körperliche Gesundheitsschaden widerspricht der „Sorge“ für die „Gesundheit“ des Kindes.

    Kindeswohl Rn. 48: „Begrenzung durch das Wohl des Kindes. Die Ausübung des Elternrechts muss sich am Wohl des Kindes als oberster Richtschnur ausrichten (BVerfGE 121, 69 [92 f.]). Dieses zieht dem Erziehungsrecht der Eltern Grenzen. Bei ihrer Ermittlung sind grundrechtliche Wertungen zu berücksichtigen. Dabei ist auf die Auswirkungen der elterlichen Entscheidung für das Kind abzustellen, etwa für sein allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I).“ (siehe auch unten zum Eingriff in den Intimbereich)

    Da in der elterlichen Sorgerechtskomponente Pflege das Kindeswohl allein durch den medizinischen Schaden verletzt und nicht nur gefährdet wird, greift das Wächteramt des Staates und muss den Vorgang verbieten.

    Rechtfertigungsversuch über Erziehungsziele
    „Erziehung beinhaltet die Sorge für die seelische und geistige Entwicklung des Kindes sowie die Vermittlung von Wissen und Wertorientierung“
    Weiter heißt es Rn. 47:
    „Elternrecht. Die Eltern können nach Art. 6 II 1 „grundsätzlich frei von staatlichem Einfluss nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen. Ziel, Inhalt und Methoden der elterlichen Erziehung liegen im Verantwortungsbereich der Eltern. Konkrete Erziehungsziele sind ihnen von Verfassungs wegen nicht vorgegeben. […]“
    Das elterliche Erziehungsrecht ist also bzgl. der Setzung von Zielen und Werten sehr weit gefasst und wird deshalb oft als ausschlaggebend für die Beschneidung aufgeführt, wie das schon erwähnte Beispiel von Martin Heger: „Je heiliger der Zweck, desto eher ist die Beschneidung mit dem Kindeswohl vereinbar.“
    Nun soll also ein beliebiger „heiliger Zweck“ – ob religiös oder nicht – über die dafür, nach Ansicht der Eltern, zwingend notwendige Beschneidung erreicht werden.

    Prof. Dr. Dr. h.c. Josef Isensee: „Das Wächteramt begleitet die Ausübung des Elternrechts von Anfang an und ohne Unterbrechung. Der Staat kann sich seines Amtes nicht entledigen und das Gesetz kann ihn davon auch nicht zeitweilig und nicht gegenständlich beschränkt suspendieren.“
    http://www.beschneidung-von-jungen.de/home/gesellschaftliche-aspekte-der-beschneidung/beschneidung-und-recht/isensee-aufsatz-in-der-juristenzeitung.html?L=0

    Das Erziehungsziel, der „heilige Zweck“ und die zwingend dafür notwendigen Bedingungen (Beschneidung), also der gesamte Ablauf ohne Unterbrechung und ohne gegenständlich beschränkte Suspendierungsmöglichkeit unterliegen dem Wächteramt des Staates. Dieses hat aber die Kindeswohlschädlichkeit bereits über den diagnostizierten körperlichen Schaden innerhalb der Sorgerechtskomponente Pflege festgestellt, auf die sich die Beschneidung unmittelbar auswirkt.

    Die von den Eltern frei wählbaren Erziehungsziele sind nun aber nicht geeignet die körperlich relevanten, oberhalb der Bagatellgrenze liegenden Schäden (Dettmeyer), die durch die Beschneidung entstehen zu relativieren, da die Definitionen von Gesundheit und körperlichem Wohl und damit auch deren Negierung, dem Schaden, nicht dem freien Willen der Eltern unterliegen. So wie die Erziehungsziele. Der freie Wille ist naturgemäß nicht dazu geeignet, nicht dem freien Willen unterliegende Objekte zu beinflussen.

    Das Wächteramt des Staates steht nun also seinem eigenen, im Bereich der Pflege bereits gefällten Urteil gegenüber. Um das heilige Erziehungsziel zu erreichen müsste ein und dieselbe Instanz in Bezug auf ein und denselben Vorgang zu zwei unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Daraus folgt: Es gibt kein einziges rechtskonformes Erziehungsziel, das über einen pflegerischen Aspekt erreicht werden kann, der das Kindeswohl verletzt.

    V. Grebe: „Es ist auch nicht zu sehen, daß die Circumcision die sexuelle Selbstbestimmung eingeschränkt.“
    Nur zur Feststellung: Sie sehen nicht, dass die Teilamputation des Sexualorganes in die sexuelle Selbstbestimmung eingreift.
    Die Beschneidung ist auch ein Eingriff in den abwägungsresistenten Intimbereich.
    „Das Persönlichkeitsrecht des Kindes ist betroffen, weil die Abtrennung der Vorhaut in das sexuelle Empfinden des Knaben, in seine Intimsphäre eingreift und das sexuelle Erleben lebenslang beeinflusst. Art. 2 Abs. 1 GG mit Art. 1 Abs. 1 GG schützt den Intim- und Sexualbereich unter dem ungeschriebenen Freiheitsrecht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, und zwar in der speziellen Ausprägung des Rechts zur Selbstbestimmung in sexueller Hinsicht (BVerfGE 47, 73; 60, 134; 121, 175; Hofmann, 2011, Rz. 31). Aus der Verbindung mit dem Menschenwürdeprinzip des Art. 1 Abs. 1 GG ergibt sich gegenüber der allgemeinen Handlungsfreiheit und insbesondere für Intimbereichsverletzungen eine »Verstärkung des Schutzes« (Murswieck, 2011, Rz. 62).“ (Jörg Scheinfeld in Franz Die Beschneidung von Jungen)
    Ebenso“
    Art. 2 Rn. 1 „Abs. 1 garantiert die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Daraus sind zwei eigenständige grundrechtliche Gewährleistungen entwickelt worden: die allgemeine Handlungsfreiheit und – i. V. m. Art. 1 I – das allgemeine Persönlichkeitsrecht. […] da nur beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht die Wahrung des abwägungsresistenten Intimbereichs zu prüfen ist.“ (Gröpl, Windthorst, von Coeln)
    Weiterhin heißt es bei Windthorst Art. 1 Rn. 67: „Das Grundrecht der Menschenwürde gem. Art. 1 I unterliegt weder benannten noch unbenannten Schranken. Eingriffe können daher weder durch einen Gesetzesvorbehalt noch durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden. Der grundrechtliche Schutz der Menschenwürde kann mit keinem anderen Grundrecht abgewogen werden (BVerfGE 107, 275 [284]) […]Das gilt selbst dann, wenn der Eingriff die einzige Möglichkeit darstellt, andere höchstrangige Rechtsgüter, etwa das Leben vieler Personen, zu schützen.“

    Das bedeutet, dass die Beschneidung durch absolut gar nichts gerechtfertigt werden kann.

  40. @Bernd Kammermeier

    „…dann ist Religion irgendwie nicht völlig zu vermeiden. Oder?“

    „Nicht völlig zu vermeiden“, das ist in Bezug auf ihre Ausführungen hier – ein Witz. Nicht einmal ein besonders origineller.
    Aber ich werde auf sie nicht mehr weiter eingehen, es ist offenkundig sinnlos.

  41. @V. Grebe:

    „Ich sehe für mich und meine Kinder in einer Beschneidung keinen Sinn, respektiere jedoch gegensätzliche Einstellungen. “

    Das ist nun wirklich das einzig richtig spannende was sie bislang hier von sich gegeben haben!

    Sie würden eine „gegensätzliche Einstellung“ respektieren? Wenn also irgend jemand ihnen eine Drink (dummerweise mit KO-Tropfen)spendieren und sie anschließend zirkumzidieren würde, würden sie das „respektieren“?
    Nein, wenn es einen selbst betrifft, dann möchte man so etwas schon ganz gerne selbst bestimmen, gell?

    Oder – sehen sie in einer Vorhaut-Amputation für „sich keinen Sinn“ weil es gar nicht geht? Weil sie längst keine mehr haben? Seit ihrer Kindheit?
    Erzählen sie doch ruhig – ist doch nichts dabei! Ist doch anonym hier.

    Sie preisen hier doch die die medizinischen Vorteilen der Vorhaut-Amputation, und dass sie schadlos sei – wie kommt es denn nur, dass sie diese „Wohltat“ ihren EIGENEN Kindern ggf. vorenthalten würden ?
    Ja, ist das dann nicht verantwortungslos?
    Das müssen sie doch jetzt etwas genauer erklären!

  42. @ all

    Ich hatte die Diskussion gestoppt, weil es im Hintergrund ein paar Dinge zu klären gab. Das ist nun geschehen, und es kann meinetwegen weitergehen – aber auf andere Weise. V.Grebe und einem oder zwei seiner Widersacher sei noch jeweils eine Rede und Gegenrede quasi als Schlusswort zur bisherigen Debatte gestattet, d.h. mehr als zwei oder drei Kommentare in der hergebrachten Manier werde ich nicht zulassen. Ich bitte Sie, diese letzten Kommentare wirklich als Schlusswort zu begreifen und sich kurzzufassen. Für diesen Sonderfall ziehe ich eine Zeichenobergrenze ein, die später wieder aufgehoben wird: 1000 Zeichen, mehr dürfen Sie nicht schreiben.

    Dann möchte ich weg von der akademischen Ebene hin zum persönlich Erlebten und Gefühlten. Das heißt, wir werden dann nicht mehr über Religion und Theologie und Paragraphen reden. Nach allem, was ich über Knabenbeschneidung weiß und erfahren habe, verbirgt sich hinter der kühlen Rede in manchen Fällen schweres persönliches Leid. Nutzen Sie die Gelegenheit, Ihre persönliche Situation zu schildern. Benutzen Sie dabei gern einen Nicknamen, um sich nicht völlig zu entblößen, aber erwarten Sie dann bitte auch, dass Sie eine Mail von mir bekommen, in der ich nach Ihrer wahren Identität frage. Diese Daten werden natürlich vertraulich behandelt. Achten Sie dabei darauf, dass Sie nicht gerade einen Googlemail-Account als Kontaktmail angeben.

    Dieser Teil der Diskussion erfolgt moderiert. Kommentare, die nicht meiner Bitte entsprechen, werden nicht durchgelassen.

    Ihr Bronski

  43. Danke lieber Bronski für diesen erklärenden Kommentar.

    Für mich als intakter Aktivist ist in den letzten zwei Jahren vor allem ein Gefühl dominant gewesen – die Unsicherheit im direkten Gespräch. Wie spricht man das Thema an, und vor allem – wie gebe ich mein Wissen weiter, ohne Gefühle zu verletzen? Grade aus meiner Position als Intakter heraus fällt es mir auch heute noch schwer, jemanden über all die Risiken und Nachteile aufzuklären, der selber betroffen ist. Wie stelle ich das an, ohne daß es sich wie ein „mein Ding ist besser als deines“ anhört? Wie kann ich jemandem die Freude vermitteln, die mir meine Vorhaut bereitet, ohne daß er sich dabei schlecht fühlt?

    Ein Facebook-Chat mit einem beschnittenen Mexikaner hat sich dabei tief eingebrannt – er war sehr neugierig, und in den fast 3 Stunden wurde das Gespräch immer offener. Wir redeten über sehr private Erfahrungen so selbstverständlich wie über das Wetter. Erst gegen Ende wurde mir irgendwann bewusst, wie es ihm wohl jetzt gehen müsse – in diesem Moment fühlte ich mich unglaublich mies, geradezu schuldig. Ich nahm meinen Mut zusammen und fragte nach. Ja, so ließ er mich wissen, er wäre traurig und ernüchtert, und auch irgendwie enttäuscht, daß seine Vermutungen sich in dieser Nacht bewahrheitet hatten. Zugleich fühlte er sich dennoch erleichtert – ihm war vorab klar gewesen, daß er wohl einiges erfahren könnte, was ihm selber verwehrt bleiben würde. Sich dem zu stellen war sein Ziel, als er mich ansprach.

    Mich hat das nie wieder ganz losgelassen. Die Angst, mein Gegenüber zu verletzen, schwingt seitdem noch deutlicher mit. Umso mehr bewundere ich den Mut all derer, die mit ihrem Leiden an die Öffentlichkeit gehen, die sich nicht scheuen zu sagen „mir fehlt etwas, mir wurde etwas angetan, und ich leide darunter“ – in dem Bewusstsein, daß bei weitem nicht jeder Verständnis zeigen und ihre Probleme ernst nehmen wird.
    Sie alle verdienen unsere Empathie.

  44. Dann mal gleich eine Bitte, Stefan Schritt: Erzählen Sie doch mal, was Sie als intakten, also unbeschnittenen Mann — verstehe ich richtig, oder? — dazu bringt, sich für dieses Thema zu engagieren.

    Möglicherweise ist das eine sehr persönliche Frage. Ich akzeptiere, wenn Sie die Antwort ablehnen.

  45. Okay. Bis jetzt, 23:30 Uhr, hat sich keiner der Kontrahenten der bisherigen Diskussion mehr zu den Aspekten gemeldet, die ich nun von der weiteren Debatte ausschließen möchte. Ich tue das ganz bewusst deswegen, weil ich den Verdacht hatte, dass die Debatte über die religiösen und juristischen Aspekte andere Aspekte in den Hintergrund drückt. Dass ich mit diesem Verdacht richtig lag, kann jeder selbst feststellen, der die Kommentare bis # 41 mit denen vergleicht, die nun kommen. Sie wurden über den Abend hinweg nicht freigeschaltet, um Platz für die Schlussworte zu lassen. Nun, vielleicht besteht ja gar kein Bedarf an diesen Schlussworten. Sie können immer noch eingeflochten werden. Die 1000-Zeichen-Grenze gilt für diese Beiträge weiterhin.

    Für die folgenden Beiträge ist diese Grenze aufgehoben. Diese Beiträge kamen nicht zu den Uhrzeiten herein, mit denen sie nun markiert sind, aber in derselben Reihenfolge, in der sie nun veröffentlicht werden.

  46. Lieber Bronski,

    ich komme ihrer Bitte gerne nach. Ich bin mit einem vollständigen Glied aufgewachsen – für mich war es schon immer normal, daß alles da unten so aussah und sich so anfühlte wie es das tat, auch wenn ich es heute mehr zu schätzen weiß denn je. Es liegt schon fast zwei Jahrzehnte zurück, daß ich das erste mal bewusst über Beschneidung nachdachte – ich wusste bereits, was es war, hatte es nur nie genauer betrachtet. Mir war sehr schnell klar, daß das eine Menschenrechtsverletzung ist – auch wenn ich damals nicht im Ansatz soviel wusste wie heute. Einem Kind ein Stück vom Penis abschneiden – die Vorstellung alleine reichte damals bereits aus.

    Im Sommer 2012 wurde ich auf das Kölner Urteil und die Debatte aufmerksam – endlich, so dachte ich, bringt das mal jemand auf den Tisch. Ich war guter Hoffnung, daß dies zu einer schnellen Ächtung der Kindesbeschneidung führen würde, sprachen doch alle Fakten klar dafür. Umso mehr war ich geschockt, als es plötzlich hieß, man müsse sofort für eine Legalisierung sorgen. Alles drehte sich um Traditionen und die Wünsche der Eltern, pauschal gestreute Vorwürfe von Antisemitismus und Xenophobie schwirrten in den Medien umher – nur um die Kinder, um die ging es praktisch nie.

    Der erste Entwurf für das Legalisierungsgesetz war dann der auslösende Faktor. Unser Grundgesetz ist eines der höchsten Güter, die wir haben – und dieser Entwurf (der ja im Endeffekt fast 1:1 zu §1631d BGB wurde) war in meinen Augen damit in keinster Weise zu vereinbaren. Zu Lasten von Kindern elementare Grundrechte auszuhebeln, das ging zu weit.
    Seit diesem Tag tue ich, was in meiner Macht steht, um den Kindern wieder zu den Rechten zu verhelfen, die ihnen bis Ende 2012 noch vom Grundgesetz garantiert wurden. Sie verdienen diese Rechte wie jeder andere Mensch auch. Sie haben keine Lobby, können nicht für sich selber streiten – in Deutschland hing der Kinderschutz schon immer hinter dem zurück, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, alles kam erst sehr spät und viel zu zögerlich (wie z.B. das Recht auf gewaltfreie Erziehung).

    Wir Erwachsene haben die Pflicht, uns für die Kinder einzusetzen, weil sie selbst es nicht können – das ist mir 2012 sehr schmerzlich klar geworden. Ich kann mich nicht mehr mit gutem Gewissen ruhig hinsetzen und die Hände in den Schoß legen – das würde sich wie ein Verrat an den Schwächsten unserer Gesellschaft anfühlen. Ich denke, daß ich tue was ich tue, weil ich es ihnen schuldig bin.

  47. Ok, Bronski, ich danke Dir.
    Ich gestehe, ich selbst habe die Ausstellung nicht gesehen und werde das auch nicht schaffen, da ich zu weit weg von Berlin wohne. Andererseits weiß ich auch nicht, ob ich es schaffen würde, dort hinzugehen. Jedenfalls nicht alleine.
    Meine „Beschneidung“ (ich mag dieses Wort nicht sehr gerne, da bei mir nie mehr was nachwachsen wird, wie bei Rosenbüschen) hat tiefe Narben in mir hinterlassen, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Wie tief diese seelischen Wunden reichten, wurde mir vor einigen Tagen erst wieder bewusst, als ich mich einer Operation unterziehen musste, bei der eine hässliches und vor allem störendes und schmerzendes Überbleibsel dieses Eingriffs vor 35 Jahren beseitigt wurde. Ich kam damals in einer Klinik unters Messer, meine kindlich verengte Vorhaut wurde mir zum Verhängnis. Wohlgemerkt, keine immer wieder kehrende Entzündung, keine Schmerzen. Nur eine enge Vorhaut. Mit 8 Jahren damals ein Unding.
    In dem Krankenhaus lief alles nach Plan ab. Vollnarkose, keine übermäßigen Schmerzen danach, keine Heilungsprobleme. Dennoch war das Ereignis traumatisch für mich. Als ich jetzt wieder operiert wurde, kam dieses Trauma zurück. Ich lag wieder im OP, wieder mit nacktem Penis, mit Menschen um mich rum. Und ich wachte wieder auf mit dick verbundenem Glied, das gelb vom Jod und rot von verkrustetem Blut war. Der Vorfall von damals kam am nächsten Tag, als die Narkose endgültig überwunden war, zurück zu mir und hatte mir ganz schön eine übergebraten.
    Auch darum halte ich es für fahrlässig und verantwortungslos, Kinder diesem Erlebnis auszusetzen, ohne einen wirklich zwingenden Grund. Eine Operation am Genital, am privatesten Körperteil eines Jungen, bei der noch dazu ein Stück davon abgeschnitten wird…
    Wie soll so etwas spurlos an einem Kind vorüber gehen? An meiner Seele hat sich dieser Tag jedenfalls tief eingegraben.

    Und die körperlichen Folgen… So ganz habe ich sie wohl noch immer nicht überblickt. Noch immer entdecke ich Dinge, die ich Zeit meines Lebens für selbstverständlich gehalten habe, weil ich nichts anderes kannte. Eine trockene, unempfindliche Eichel? Klar, das gehört so. Oder?
    Eine Narbe, die dick und wulstig ist? Ok, aber ist das schlimm?
    Verhärtete Lymphgefäße, die sich ertasten lassen. Hat das nicht jeder Mann? Nein, hat er nicht. Aber ich.
    Insofern habe ich sehr viel Verständnis für „beschnittene“ Männer, die nicht wahrhaben wollen, was mit ihnen geschehen ist. Die sich wehren, dem Schaden ins Auge zu sehen. Ist doch alles perfekt! Man kann länger als ein sizilianischer Bauarbeiter! Toll, oder? Nein, ist es nicht. Weil seltsamerweise noch keine Frau zu mir sagte: Komm, gib mir eine weitere halbe Stunde Rammelei!
    Und so war ich halt oft frustriert, warum ein ästhetisch, aerodynamisch und hygienisch perfekter Penis nur auf den ersten Blick gut ankommt. Denn letztlich ist er nur ein Dildo mit Haut drüber.
    Zumindest meiner.

  48. Vielen Dank, Victor Schiering, für diese Rezension. Und vielen Dank an Bronski für diesen Blog und die Möglichkeit einer Diskussion darüber. Zuletzt bin ich dankbar dafür, dass Religion und Jura als Themen gesperrt wurden. Es scheint leider immer wieder notwendig zu sein, auch wenn an und für sich die beiden Themen eine beachtenswerte Rolle spielen mögen.

    Gleichwohl hoffe ich, mit meinem Beitrag nicht gegen die Vorgaben zu verstoßen, denn ich möchte gern zunächst auf die Rezension und die Ausstellung selbst eingehen, statt von meinen persönlichen Erfahrungen zu sprechen.

    Ich habe die Ausstellung nicht besucht und nehme die Sache nur aus verschiedenen Beschreibungen wahr. Dennoch scheint klar zu sein, dass es sich um eine sehr einseitige Angelegenheit handelt. Es ist wohl eine Ausstellung von einigen Angehörigen der Beschneidungskulturen, die ihre Sicht der Dinge darlegen wollen. Dies muss man gleichwohl festhalten: es ist – zumindest ganz überwiegend – weder eine objektive Darstellung der Diskussion selbst noch der verschiedenen Standpunkte zur rituellen Vorhautamputation, da die kritischen Ansichten hierzu allenfalls angerissen werden; vermutlich nur deswegen, um sie überhaupt irgendwie erwähnt zu haben. Es ist den Beschreibungen nach der Versuch, den Ritus den Besuchern der Ausstellung als etwas Positives nahezubringen.

    Ich nehme allerdings deutlich mehr Anstoß an einem Presse-Echo, das diese einseitige Sichtweise der Ausstellungsmacher überwiegend unreflektiert bespricht und recht häufig diese doch eher hilflos wirkende Veranstaltung über den grünen Klee lobt. Denn die Menschen, die das schreiben, sind in aller Regel nicht ihr ganzes Leben lang mit einer kulturell tief verwurzelten positiven Haltung zur Vorhautamputation aufgewachsen, und sie haben ihre eigenen Söhne in der Regel nicht selbst die Vorhaut amputieren lassen, wodurch zwangsläufig ein emotionaler Konflikt entsteht, wenn der Ritus kritisiert wird. Sie müssen nicht den Schmerz erleiden, sich als Beschnittener selbst einzugestehen, dass am besten Stück, an diesem Zentrum des Männlichkeits-Gefühls und der Potenz, etwas fehlt. Diesen Schritt schaffen längst nicht alle Betroffenen, hier ist eine Abwehrhaltung und Schönfärberei – auch mit teilweise völlig absurden Argumenten – relativ normal. Befasst man sich vertieft mit der emotionalen Situation der Betroffenen, kann man dafür auch zumindest Mitgefühl empfinden, auch wenn man die Vorhautamputation unmündiger Kinder selbst verurteilt. Journalistinnen und Journalisten jedoch, die glauben, sie müssten diesen Menschen alles stur nachplappern, tun damit niemandem irgendeinen Gefallen. Die Unterstellung, Beschneidungskritik entspringe einer antisemitischen oder islamophoben Grundhaltung, finde ich hierbei zudem unverzeihlich. Nicht nur, weil diese Behauptung beleidigend gegenüber den Kritikern ist. Man muss sich auch vor Augen halten, dass gerade im jüdischen Kulturkreis viele Menschen schnell dazu neigen, Angst zu haben. Neben den tiefen Wunden aus der Vergangenheit haben einige Personen auch hinreichende Erfahrungen mit echtem Antisemitismus gemacht; vor allem im nahen Osten und in der arabischen Welt kann dieser erschreckend ausgeprägt sein. Diese Ängste als externer Journalist zu schüren und zu bestärken, finde ich grausam. Ich hätte mir gewünscht, dass die Presse sehr viel stärker eine vermittelnde, erklärende, kritische Haltung einnimmt und die Positionen der Ausstellungsmacher allenfalls distanziert beschreibt. Dies würde allen Beteiligten mehr nützen, als vor deren Darlegungen bloß „stramm zu stehen“.

    Insofern begrüße ich nochmals mit Nachdruck diesen Blogtalk und die Veröffentlichung des Gastbeitrages von Victor Schiering. Für mich ein echter Lichtblick.

  49. Tja. Da gibt es bei der Vorhautamputation noch eine zweite Seite: Die Frauen.

    Ich spreche an der Stelle *nur* für mich. Für niemand anderen.

    Ich kenne beides. Beschnitten und unbeschnitten. Ich weiß wie wunderbar Sex sein kann, wenn der Mann intakt ist. Und wie verdammt quälend, wenn er beschnitten ist.

    Ich gehöre zu den Frauen, die nicht genug Lubrikation produzieren, um die fehlende Gleitfunktion der amputierten Vorhaut auszugleichen. Für mich war Sex mit einem beschnittenen Mann daher vor allem eins: Schmerzhaft. Und das nicht nur während des Sex, sondern auch danach. Heilung dauert halt.

    Wenn ich mit einem beschnittenen Mann schlafe, sorgt die erhöhte Reibung dafür, dass ich wund werde. Das tut einfach weh nach einer Zeit. Meist dann, wenn er, noch seinem eigenen Orgasmus nachjagend, noch nicht annähernd „fertig“ ist.

    Handjobs? Nur mit künstlichen Lubrikationsmitteln. Oralverkehr? Superidee – als Frau muss man lernen, denn die Grenze zwischen „yay“ und „ouch“ ist haarscharf und sehr dünn. Jeder Mann ist da auch anders – denn die Narbe ist bei jedem unterschiedlich ausgeprägt. Man tut da sehr schnell weh, ohne es zu wollen.

    „Männer können länger“. Nein, meine Lieben. Sie müssen. Weil die Desensibilisierung so weit fortgeschritten ist, dass sie entsprechend starke Stimuli brauchen. Man(n) stößt härter und schneller zu – was die Reibung erhöht.

    Was an der Oberfläche witzig klingt (ich hab selbst das Bild eines Hasen im Kopf, der durch die Reibung in Flammen aufgeht) bedeutet in der Realität aber etwas sehr anderes: Es tut weh, es schmerzt, es sorgt dafür, dass die Frauen ein erhöhtes Risiko von Pilzinfektionen und ähnlichem haben – ich hatte nie so viele Infektionen wie zu der Zeit, als ich mit meinem beschnittenen Freund zusamemn war. Warum?

    Weil die erhöhte Reibung auch Mikrorisse verursachte – und die waren ein offenes Scheunentor für allerlei Krankheitserreger.

    „Haut ab“ – nein. „Haut dran“.

  50. Mir wurde als Säugling die Vorhaut abgeschnitten, und dann von Kind auf eingetrichtert, es sei ein Vorteil beschnitten zu sein. Ich habe daran nie gezweifelt. Dann kam das Kölner Urteil und damit auch eine Menge Aufmerksamkeit zu dem Thema. So habe ich mich auch damit beschäftigt und mich gefragt, was genau ist eigentlich eine Vorhaut? Was wurde mir da abgeschnitten?

    Die Antwort hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich habe gelesen, dass die Vorhaut mit so etwa 20.000 Nervenendigungen durchsetzt ist und bei Weitem der empfindlichste Teil des Penis. Die Eichel hat nur 4.000 Nervenendigungen (und die Klitoris 8.000). Und fast alle spezifischen Rezeptoren in der Haut sind in der Vorhaut lokalisiert. Es war ein Schock. Vielleicht war ich naiv, aber ich dachte immer die Eichel sei der Ort wo das Gefühl zu Hause ist.

    Es war ein Schock das zu erfahren, auch deshalb, weil mir dadurch viel über meine Sexulalität bewußt wurde. Ich will da jetzt nicht ins Detail gehen. Es hat jedenfalls viel mit müssen und weniger mit können zu tun.

    So bin ich nun geprägt und ehrlich gesagt, vermisse ich in den Artikeln über die Ausstellung eine reflektierte Sicht darüber, was da abgeschnitten wird. Eine Struktur so sensibel versorgt wie die Lippen, die Fingerspitzen. Meist ohne Betäubung. Da stellt sich doch jedem Menschen mit gesundem Menschenverstand die Frage, wo die Religionsfreiheit zur Verletzung körperlicher Unversertheit wird?

  51. Nun, wenn Erfahrungen gewünscht werden, dann hier aus Sicht einer Frau. Als ich 2012 die Diskussion um die Beschneidung anfing zu verfolgen, war ich sehr erstaunt, das Beschneidung ohne medizinischen Grund hier in Deutschland, tatsächlich überhaupt möglich ist. Ich war über das Urteil in Köln sehr erleichtert und entsetzt das unsere Regierung meinte, das sie dann unser GG ändern müsste. Ich begann mit der Recherche und mir viel als erstes auf, das Männer, die bekannten unter ihrer Beschneidung zu leiden voller Hohn behandelt wurden. Um so mehr ich las, um so schlimmer empfand ich das ganze. Ich lernte, das auch heute noch Säuglingen ohne Betäubung beschnitten werden. Ich las und las, und um so tiefer ich in das Thema kam um so mulmiger wurde mir. Ich erinnerte mich an früher, ich war in einem sehr musikalisch talentierten und liebevollen jungen Mann verliebt. Er war damals 19 Jahre und ich etwas jünger. Die Beziehung war echt schön und total romantisch. Er konnte so irre gefühlvoll Gitarre spielen. Wir verstanden uns echt toll und als es dann irgendwann auch intim wurde, sah ich das ihm da was fehlte. Er war stolz auf seine Beschneidung. Fand sie total klasse allerdings war das Kondom nicht unbedingt das Verhütungsmittel seiner Wahl. Es ginge nicht, meinte er. Ich war ärgerlich, weil ich dachte, das er sich nur drücken würde, das er nicht angefasst werden wollte, weil ihm das unangenehm war, interpretierte ich als – „der will nur Das eine“. Der Sex war die reinste Qual. Während er stolz wie nur was war, das er eine dreiviertel Stunde brauchte um zum Ende zu finden, hatte ich schmerzen ohne Ende. Mir tat nur noch alles weh und kürzer ging nicht. Er brauchte seine dreiviertel Stunde, mindestens aber eine halbe Stunde. Ich habe daher mit meinem Gynäkologen gesprochen, der verstand das gar nicht. Meinte ich sollte mich entspannen. Das ich voll feucht war, nur das ganze zu lange dauerte, das hat niemand, uns eingeschlossen, verstanden. Als ich die Berichte der negativ Betroffenen las, viel es mir endlich auf. Die Probleme die ich mit meinem beschnittenen Partner hatte, hatte ich nur mit beschnittenen Männern, niemals mit unbeschnittenen. Der Sex ist grober, da die Vorhaut als Gleitmechanismus fehlt. Der Sex dauerte zu lange, weil die Vorhaut fehlt. Mit Vorhaut ist es ein gemeinsames gleiten bis zum Höhepunkt. Ohne Vorhaut, ist der Sex grob und man möchte nur, das es endlich aufhört. Es kommt zum Streit, weil der Mann zu Grob ist. Das er nicht anders konnte, das wusste ich damals nicht. Ich fragte mich, wie es denn sein könnte, das die Männer damit zufrieden sein können. Dann fand ich heraus, das in der Kindheit erlebte Traumata vom Gehirn so in Schubladen gepackt werden, das sie nicht mehr als solches wahrgenommen wird. Denn es darf nicht falsch gewesen sein, daher mache ich es auch. So vererbt sich ein Trauma durch die Generationen. Nach zu lesen in dem Buch von Matthias Franz: Die Beschneidung von Jungen – Ein trauriges Vermächtnis. Was da beschrieben steht erklärt, warum Eltern ihre Kinder verprügeln, beschneiden lassen oder einfach so in das Verhaltensmuster der eigenen Eltern fallen, obwohl sie darunter gelitten haben. Es gibt mit Sicherheit Paare die Beschneidung klasse finden. Sicher ist das so, nur meine ich, das Erwachsene das selber entscheiden sollen. Es greift tief in die Sexualität des Kindes und daher haben Erwachsene nicht das Recht für das Kind zu entscheiden.

  52. Von mir ebenfalls Danke an Bronski für die Erläuterung und die Entschlackung der Diskussion

    Als Betroffener möchte ich gerne den Faden von Stefan Schritt aufgreifen, dass es schwierig ist, mit anderen Betroffenen über das Thema zu sprechen. „Betroffene“ heißt in diesem Zusammenhang übrigens nur „ohne Vorhaut“, ohne Wertung. Denn nicht jeder empfindet diesen Zustand (und die Beschneidung selbst) als nachteilig und muss ihn erst recht nicht so empfinden, nur weil es in meinem Fall so ist. Ich möchte vermeiden, anderen vorhautlosen Männern ein Problem einzureden.

    Gleichzeitig sehe ich jedoch nicht ein, meine Probleme unter den Teppich zu kehren, nur damit andere Menschen sich nicht unwohl fühlen oder mit der Wahrheit auseinandersetzen müssen. Wenn andere betroffene Männer mit ihrem Zustand klarkommen, fein, denn darf ich ja erst Recht meine Geschichte geradeheraus erzählen, ohne dass sich jemand angegriffen fühlen muss, oder? Ich versuche natürlich trotzdem, immer nur über mich zu reden und keine Aussagen wie „Das muss bei Dir doch genauso sein!“ zu treffen, das wäre anmaßend und übergriffig. Aber ich fordere Empathie und Verständnis ein!

    Ein Bekannter und ebenfalls Betroffener wurde laut eigener Aussage als Kind aufgrund einer Phimose beschnitten und kann heute mit über 40 nicht klagen. Nach meinem „Coming-Out“ war er noch gesprächig, aber mittlerweile ist es so, dass er verdächtig einsilbig wird, sobald ich über Beschneidung rede, sei es über mein Engagement in der Sache oder über meine persönliche Situation. Ich habe das Gefühl, dass in diesen Momenten etwas Unausgesprochenes zwischen uns liegt. Entweder hält er mich für komplett bescheuert oder ich bin wie ein Spiegel für ihn, in den er nicht schauen möchte, weil er sich sonst der Realität stellen müsste. Ich weiß es nicht. Aber es belastet mich, weil mir dieser Mensch wichtig ist. Deswegen werde ich ihn früher oder später direkt darauf ansprechen müssen.

  53. Zu Beitrag 44 Bronski am 2. Dezember 2014 um 17:40:

    Ich möchte die Frage an Stefan Schritt aufgreifen und für mich beantworten.

    Meine Motivation besteht aus der Zielsetzung, die Leiden der gefolterten und verstümmelten Kinder zu beenden, sowie in der Ambition, die Beseitigung fundamentaler grundrechtlicher Werte wieder rückgängig zu machen.
    Ich selbst bin in der DDR aufgewachsen und konnte somit ein System erleben, in dem einige eine Allmachts- und Unfehlbarkeitsinstanz behaupten, um sich anschließend zu der Anmaßung aufzuschwingen, in ihrem Namen zu sprechen, um Macht über andere auszuüben, die sich jeder Schranke, vor allem die der Vernunft, entledigt.

  54. Guten Abend,

    @ Bronski: danke für die Wiedereröffnung der Diskussion und den geplanten Perspektivwechsel.

    Ich bin eine Frau und habe sexuellen Kontakt mit einem beschnittenen Mann. „Vor ihm“ kam ich mit dem Thema der Beschneidung nur in der Theorie und zudem nur sehr beschränkt in Kontakt. Ich war völlig uninformiert, weil die Folgen der Knabenbeschneidung medial auch absolut unterrepräsentiert sind. Zumindest, wenn man sich nicht gezielt informiert.

    Ich muss dazu sagen, ich habe einen knapp 2 Jahre alten Sohn, mit dem ich wegen Problemen beim Wasserlassen schon etliche Male beim Kinderarzt war. Ohne mit der Wimper zu zucken, wurde dort 2 Mal seine Vorhaut zurückgeschoben. Er verzog dabei schmerzlich das Gesicht, aber mir war nicht bewusst, dass das Schmerzen verursacht. Und Narben bedingen kann. Narbengewebe ist unempfindlich und auch wenn es natürlich lange nicht den sexuellen Einbußen einer Beschneidung gleichkommt, ist es UNnötig und kann Solche bedingen. Der Diagnose hat das in unserem Fall auch nicht gedient. Wir bekamen eine Salbe verschrieben und eine Überweisung zum Kinderchirurgen. Diesen Termin habe ich am Ende nicht wahrgenommen. Heute ärgere ich mich. Hätte man mir möglicherweise nahegelegt, mein Kind proforma zu beschneiden??! Die Beschwerden treten temporär immer wieder mal auf, aber wäre es wirklich die vorhaut, wären sie doch immer da! Die Vorhaut ist doch auch immer da. Bei den Glücklichen unter den Männern zumindest 😉 Also, ich finde es eine Frechheit, dass ohne mich zu Fragen, die Vorhaut meines Sohnes zurückgezogen wird. Aber warum fragt man mich nicht? Weil auch der Kinderarzt Unterinformiert ist! Wäre ich nicht persönlich durch den erwähnten Mann sensibilisiert worden, wäre ich wohl auf weiter Flur verlassen gewesen. Unsere beiden Kinderärzte haben jedenfalls völlig arglos gehandelt. Wenn mein Kind Schmerzen beim Wasserlassen hat (gelegentlich, alle 2 bis 3 Monate tritt das Problem willkürlich auf) müsse gehandelt werden (Kinderchirurg). Da wurde gar keine große Sache draus gemacht. Ich, als Mutter, informiere mich in Zukunft also auch unabhängig. Nicht nur auf den Themenkomplex Vorhaut bezogen.

    Und nun mal die Sicht einer Frau auf den sexuellen Kontakt mit einem nicht intakten Mann (Vorher hatte ich jahrelang Sex mit einem nicht beschnittenen).
    Ja, er kann länger! ABER, will Man(n) das?! Er kann es, weil er weitaus weniger spürt. Es ist eine enorme Konzentration auf das nötig, was noch empfunden wird. Fallenlassen kann er sich nicht. Nicht so, wie ich es kenne. Sex ist Arbeit. Ein Trieb will „befriedigt“ werden. Und am Ende ist er es dennoch nicht. Die Empfindungen sind durch den Verlust der Vorhaut, die dadurch bedingte Oberflächenaustrocknung, kein „hin und her schieben“ der Vorhaut beim Verkehr in der Scheide, so gedrosselt, dass keine echte Befriedigung mehr möglich ist.
    Der Verkehr ist in Gänze härter. Es geht alles über Reibung. Die noch empfindsamen Stellen müssen gezielt stimuliert werden. Beschnittenen Männern ist die Möglichkeit genommen worden, sich mit ihrer Partnerin wellenartig hochzuschaukeln. Das bedeutet mit einem Intakten nicht, dass jeder zum Abschluss kommen muss. Aber stetig intensiver werdende Erregung auf beiden Seiten. Das Erfüllt auch! Die Nichtexistenz dieser Variation beschränkt das sexuelle Erlebnis Beschnittener.
    Tempo! Es ist nicht nur hart. Es muss auch schnell sein. Wenn er das Tempo raus nimmt bleibt ebenfalls nicht mehr viel an Stimulation übrig.
    Schneller, härter, länger ist hier die Devise!
    Freilich geht das auch auf Kosten der Frau. Nicht nur eingeschränktes Vergnügen. Es können Schmerzen auftreten, Blutungen. Die Scheide ist nicht unbedingt für harten Verkehr gemacht. Also, nicht ausschließlich harten Verkehr. Der Mix machts und ist für meine Erfahrung mit EINEM beschnittenen Mann nicht gegeben. Der Sex wird immer auf Kosten eines Partners variiert. Langsamer = angenehm für die Frau, keine Stimulation für den Mann. Schneller = nach einer Weile mögliche Schmerzen für die Frau, weniger Lubrikation, weil dem Gehirn Schmerz signalisiert wird. Aber bestmögliche Befriedigung für den Mann.

    Ich stehe diesem Menschen sehr nahe. Es würde mich endlos glücklich machen, ihm zu echter Befriedigung zu verhelfen. Das steht nicht in meiner Macht.
    Und alles, wegen einer furchtbaren Verstümmelung, die ihm OHNE Notwendigkeit im Alter weniger Tage beigebracht wurde. Mitten in Deutschland. Das macht wütend. Auch, weil man durch alle Ebenen hinweg kaum auf Gehör und Verständnis für das individuelle Leid trifft. Und das ganze gesetzlich noch untermauert wird!

    Vielleicht habe ich mit meinem Post die sexuelle Seite etwas beleuchten können. Auch die der Frau.

    Eine meinungsbildende, gut moderierte Diskussion, wie an dieser Stelle ist ein echter Gewinn. Vielen Dank nochmal.

  55. Meine nachfolgende Geschichte habe ich schon vor Monaten wo anders gepostet, geändert hat sich aber daran nichts. Meine Suche nach Hilfe, zur Lösung der durch meine Beschneidung entstandenen Probleme, bei Urologen und Psychologen, hat ungefähr den gleichen Umfang und den gleich frustrierenden Schluss, wie diese hier…

    Auf Urologenportalen im Internet ist immer wieder zu lesen, eine Vorhautamputation (VA) führe zu keinen Beeinträchtigungen. Ich fühle mich seit meiner Vorhautamputation mit Mitte 20 stark beeinträchtigt. Am besten erklärbar ist vielleicht noch meine mechanische Beeinträchtigung. Konnte ich früher allein durch hin- und herschieben meiner Vorhaut auf Schaft und Eichel problemlos zum Höhepunkt gelangen, ist dies heute ohne Gleitmittel bei Handbetrieb nicht mehr möglich, da nur noch die Eichel stimulierbar ist. Versuche, die verbliebene Schafthaut zu bewegen, bewirken nur Zug auf Eichel oder Bauchdecke. Das Handling und das Aussehen meines erigierten Gliedes ist am besten mit einem Dildo vergleichbar. Auch war früher „Schenkelverkehr“ (das Festhalten des Gliedes und Vorhaut mit den Oberschenkeln) sehr reizvoll. Heute in der Form unmöglich.

    Dies sind nur meine mechanischen Beeinträchtigungen, mit denen ich noch gut leben könnte, und die vielleicht noch für viele nachvollzieh- und erklärbar sind , ebenso wie Unempfindlichkeit der Eichel, Narbenschmerzen sowie unangenehme Empfindungen der nackten Eichel bei Reibung an der Unterwäsche. Auch das Problem einer unangenehm langen Dauer bzw. manchmal sogar die Unmöglichkeit durch normalen Geschlechtsverkehr nur zu einer Ejakulation zu kommen mangels fehlender Sensorik, mag noch verständlich sein. Oft muss ich über Handarbeit zum Schluss kommen.

    Meine stärkste Beeinträchtigung und absolutes Hauptproblem ist jedoch meine Orgasmuslosigkeit seit meiner Vorhautamputation. Das Einzige, was ich erreichen kann, ist eine Ejakulation. Kam früher mit Einsetzen der Ejakulation ein Gefühl aufsteigender Wärme, ein Gefühl des Verschmelzens mit meiner Partnerin und meiner Umgebung, ein Gefühl, die Grenzen meines Körpers nicht mehr zu spüren, ein kurzer, nicht fassbarer Moment absoluten Glücks und Befriedigung, so spüre ich heute nichts mehr von alldem. Es ist am Besten mit einer Entladung vergleichbar: das sexuelle Verlangen ist zwar vorbei, aber nicht befriedigt. Und was bleibt nach einer Entladung? Nichts, Leere, ein Gefühl der Frustration.

    Was ist ein Orgasmus? Kann man ihn beweisen, nachmessen, greifen? Ist es nur ein Zusammenspiel verschiedener Regionen im Gehirn? Wie kann ich mein Gehirn zu diesem Zusammenspiel anregen/bewegen? Also doch nur Kopfsache, ich brauche gar keinen intakten Körper um körperliche Liebe/Sex zu haben, um sexuelle Empfindungen und Befriedigung zu erfahren? Ist es egal, das mir mehr sensibles/erogenes Gewebe genommen wurde, als was ich jetzt noch besitze? Die Zahlen sind ja unterschiedlich, aber oft hört man von 25 % verbleibender Nervenendigungen nach einer radikalen Zirkumzision. Und diese 25 % stumpfen dann noch durch ständige Reizung ab und verschwinden langsam hinter einer sich verhornenden Hautschicht.

    Manche sprechen ja von nächtlichen oder vorzeitigen Orgasmen. Auch ich hatte früher „feuchte Träume“, aber ein Orgasmus war das nie, nur eine Entladung. Das Gleiche galt früher bei mir auch, wenn ich „zu früh losging“ (naja, ich war jung, und eine halbe Stunde später klappte es dann ganz normal), kein Orgasmus, keine Befriedigung, nur eine Entladung. Für mich sind Ejakulation und Orgasmus grundlegend verschiedene Erscheinungen.

    Ich hatte früher eine relative Phimose, die Vorhaut konnte bei einer Erektion maximal bis zur Hälfte der Eichel gezogen werden. Ich hatte keine Schmerzen und eine Erektion wurde absolut nicht behindert. Nur durch hin- und herschieben der Vorhaut auf Schaft und Eichel gelangte ich problemlos zum Orgasmus (ich hatte nie eine direkte Stimulation der Eichel). Heute weiß ich, ich hätte besser zu diesem Anderssein gestanden und die etwas andere Handhabung Partnern erklärt, als den jetzigen Zustand sexueller Unbefriedigtheit und Frustration ertragen zu müssen. Ich habe durch diesen Eingriff nichts gewonnen, sondern fast alles verloren. Meine rel. Phimose war nicht schmerzhaft (nur wenn die Engstelle hinter den Eichelrand rutschte) oder entzündet. Ich wäre glücklich, sie wiederzuhaben, samt Vorhaut.

    Mir war klar, dass meine Beschneidung eine körperliche Veränderung bringen würde. Aber dass dadurch mein sexuelles Empfinden und meine sexuelle Befriedigung auf der Strecke bleiben… .Das ist mein Hauptproblem mit meiner Beschneidung. Dieser massive Eingriff in das sexuelle Empfinden und die sexuelle Befriedigung. Ich fühle mich in einem Körper gefangen, dem dies nicht mehr möglich ist. Es ist wie Hunger, den ich nicht mehr sättigen, Durst denn ich nicht mehr stillen, ein Verlangen, das ich nicht mehr befriedigen kann. Ein Leben, das nie mehr so sein wird wie es sein sollte.
    Und manchmal frage ich mich was schlimmer für mich ist. Die verheerenden Auswirkungen dieses Eingriffes für meine Sexualität und mein Leben, oder das Wissen, das mich diese Ärzte damals falsch aufgeklärt, ja angelogen haben. Trotz Nachfrage sagte man mir beim Aufklärungsgespräch, nur eine radikale Beschneidung helfe bei so etwas, andere OP-Techniken gebe es nicht. Auf dem OP-Tisch fragte mich dann noch mein beschneidender Arzt :“ Wie viel sollen wir denn wegschneiden?“. Als ich sofort antwortete :“ Sowenig wie möglich“, bekam ich nach kurzem Überlegen des Arztes zur Antwort :“ Das machen wir jetzt wie besprochen, das passt dann schon so“, und er und sein Student verpassten mir die radikalste Form der Beschneidung, bei der die komplette innere Vorhaut und das hochsensible Frenulum (Lustbändchen) entfernt werden. Gepasst hat es nie. Und ich bezweifle, ob es nun nach bald 15 Jahren noch jemals passen wird….

  56. 1000 Zeichen nur, und dann alle gegen mich und ich gegen alle, nur weil ich die Standpunkte auch der anderen Seite beachte ? Und ab Zeichen 1001 wird “zwangsbeschnitten” ? Nein, das ist nicht fair, Bronski. Ich verzichte.

    Ich greife Bronski auf, der im Beitrag Nr. 42 u.a. sagt:

    “Dann möchte ich weg von der akademischen Ebene hin zum persönlich Erlebten und Gefühlten. Das heißt, wir werden dann nicht mehr über Religion und Theologie und Paragraphen reden. Nach allem, was ich über Knabenbeschneidung weiß und erfahren habe, verbirgt sich hinter der kühlen Rede in manchen Fällen schweres persönliches Leid.”

    Die Ausstellung heißt “Haut ab”. Welches Wort soll man betonen ? Es können ja beide Worte betont werden. Die Schärfe, Erbitterung, Kompromißlosigkeit, Radikalität, mit der die Definition des und Verantworung für das Kindeswohl jüdisch-muslimischen Eltern entrissen werden soll, verschiebt Betonung und damit Sinn der Ausstellung tendenziell in Richtung auf das 2. Wort, nämlich das “ab”. Der versteckte Sinn des “haut (doch) ab ! im Haut ab” ist schon allein in der Wahl der Austellungsortes vorgegeben, des Jüdischen Museums Berlin nämnlich. Die Front der Beschneidungsgegner hat mit ihrer weltverbesserischen Attitüde nachvollziehbare Besorgnisse hervorgerufen, und das hat exakt mit “persönlich Erlebtem und Gefühlen” zu tun. Vielleicht ein wenig anders, als Bronski es meinte, aber wo wären wir, wenn wir diesen Aspekt erlebten Leids hier in einem von der FR betrieben blog nicht benennen dürften ?

    Audiatur et altera pars. Es soll auch der andere Teil gehört werden. Es kann nur dieser Grundsatz gelten. Mit dieser Bemerkung an St. Wasmund, Fridtjof und andere möchte ich enden.

  57. @ V.Grebe:

    ich finde es schade, dass Sie sich jetzt zurückziehen, denn mich interessieren weiterhin Ihre Antworten auf meine Fragen:

    Können Sie denn die von Prof. Stehr aufgeführten Langzeitzkomplikationen nach einer Beschneidung nachvollziehen?
    Und warum ziehen Sie Beschneidungen für sich und Ihre Kinder nicht in Erwägung, wenn die Vorteile derartig ins Gewicht fallen?

    Schlussendlich geht es ja ebenfalls um das persönliche Erleben von uns beiden, jeweils aus einer anderen Perspektive und Lebenssituation heraus.

  58. @ V. Grebe

    „Es soll auch der andere Teil gehört werden.“

    Er wurde gehört, er wird gehört und er wird gehört werden. Die Ausstellung läuft ja noch bis März. Warum ist es denn andererseits für Sie so schwer, sich mal den anderen Teil anzuhören?

    Ich gebe das Stichwort „weltverbesserische Attitüde“ in die Runde und höre mir gern die Kommentare dazu an, bitte aber alle Kommentierenden, einen sachlichen, möglichst gelassenen Ton anzuschlagen.

  59. Ich greife das Stichwort auf. Die Kritik an dem Ritus wurde vielfach als Übergriff in eigene Angelegenheiten dargestellt. Dem möchte ich entgegenhalten, dass nicht alle Handlungen, die eine Gemeinschaft durchführt, jeglicher Kritik entzogen sind. Glaubensvorstellungen ja, Handlungen nicht. Zudem ist es gerade der Blick von außen, der klar und unbefangen sein kann. Ich behaupte: wenn jemand morgen in ein abgelegenes Dorf im Amazonasgebiet gehen, den Leuten die Vorhautamputation von Babys oder Kindern schildern und sie fragen würde, was sie davon hielten, so würden diese Menschen darauf ebenso entsetzt reagieren wie große Teile der Bevölkerung in Deutschland während der Debatte 2012. Ich bin der Meinung, dass es zwingend bestimmter Konditionierungen bedarf wie etwa die Gewöhnung an die Idee einer solchen Amputation von Kindheit an, um dies anders zu sehen.

    Der Titel der Ausstellung, der selbstverständlich darauf abzielt, auch als „haut doch ab!“ verstanden zu werden, weist auf eine Opferrolle hin, die man sich selbst zuweist. Ich halte das nicht für gerechtfertigt, zumal eindeutig die Intention verfolgt wird, die Debatte und die Kritik an der rituellen Vorhautamputation in eine antisemitische/ fremdenfeindliche Ecke zu stellen. Es ist eine ziemlich dreiste Verurteilung der Kritiker auf einer persönlichen Ebene (und zwar unterhalb der Gürtellinie) im Rahmen einer reinen Werbeveranstaltung für die eigene Position.

    Ich persönlich hätte auch nichts dagegen einzuwenden, mit Herrn v.Grebe weiter zu diskutieren bei weiterer Sperrung der Themen Religion und Jura. Es obliegt aber der Moderation, darüber zu befinden.

  60. Ich kann an der simplen Forderung nach Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention auch für Kinder männlichen Geschlechtes keine „weltverbesserische Attitüde“ erkennen.

    Dieser Vorwurf trifft im Übrigen auch häufig Frauenrechtlerinnen, die z.B. in Afrika für den Schutz von Mädchen und gegen patriarchalische Strukturen kämpfen.

    Ich halte dieses Stichwort für ein Totschlagargument, dass emotionalisiert und damit einer sachlichen Diskussion entgegen wirkt, was ich sehr bedaure.

    „Mein Körper gehört mir“ u.ä. ist Titel vieler Aktionen und Kinderbücher.

    Es ist eine Herausforderung an eine den Menschenrechten verpflichtete Gesellschaft, diese an sich schon Mainstream gewordene Botschaft auch für Jungen durchzusetzen.

    Dazu braucht es eine respektvolle, sachliche und an Fakten orientierte Debatte und damit oendlich Empathie für die ohne jeglichen Schutz gestellten Jungen und das u.U. lebenslange Leid der negativ Betroffenen.

    Der Fokus muss auf der Perspektive derer liegen, die hilflos sind und deren Selbstbestimmungsrechte übergangen werden.

  61. zu Bronski Beitrag Nr. 58

    Bronski, ich habe mich schon früher ausgiebig mit dem Pro und Contra der prophylaktischen Beschneidung bechäftigt und bin zu dem Schluß gekommen, das die Entscheidung auch weiterhin den fürsorgeberechtigten Eltern eines männlichen Kindes überlassen bleiben sollte. Ihre Unterstellung, ich hätte Schwierigkeiten, mir die Einlassungen erklärter Beschneidungsgegner anzuhören, weise ich als abwegig zurück. Ich habe in meinen Beiträgen stets sehr deutlich gemacht, daß ich ein Gegner des Schwarz-Weiß-Denkens bin, wie meine Replik an Herrn Wieckmann (Beitrag 25.) belegt, Eigenzitat:

    „Es geht wohl nur schwarz oder weiß, Herr Wieckmann, nicht wahr ? Steht man nicht vorbehaltlos auf Seiten der Beschneidungskritiker, kann man ja nur zu den unbedingten Befürwortern der rituellen Beschneidung zählen !“ Eigenzitat-Ende.

  62. Was wohl auch eher unter den Tisch in der Ausstellung fiel, ist, das es durchaus eine Bewegung innerhalb religiöser Gruppen gibt die ihre Kinder solange intakt lassen, bis diese zu mindestens mitbestimmen können. In meiner Umgebung weiß ich von einer jüdischen Familie, die ihren Sohn nicht mit acht Tagen beschneiden ließ, sondern kurz vor seiner Bar Mizwa (13 Jahre). In den weiten des www wird deutlich, das es als Initiationsritus noch die Brit Shalom gibt. Sie ist unblutig und ist ein riesen Fest. Solche Sachen hätten aber durchaus in die Ausstellung gehört. Was mich persönlich noch sehr stört, ist, das es Frauen gibt, die so abwertend über einen unbeschnittenen Penis reden, das einen ganz anders wird. Es ist bestürzend. Würden Männer so über die Genitalien von Frauen herziehen wäre der Teufel los. So kann man in vielen Elternforen lesen wie Mütter beschneiden lassen wollen, weil sie es schöner finden. Das hat rein gar nichts mit irgend welchen religiösen Gefühlen zu tun. Hier macht sich die Auswirkung des Gesetztes zu Beschneidung des männlichen Kindes ganz deutlich bemerkbar. Es zeigt deutlich, das dem Missbrauch hier Tür und Tor geöffnet worden ist. Ärzte machen es einfach auf Wunsch, es werden Wunschdiagnosen gestellt und oft nicht hinterfragt. Da nutzt auch der Zusatz nichts, das bei Kindeswohlgefährdung eine Beschneidung abzulehnen ist. Nach meinen Erfahrungen sollten Eltern besser aufgeklärt werden, welche Funktionen die Vorhaut hat. Dies gilt auch für Ärzte, die es oft ebenfalls nicht zu wissen scheinen. Es gibt so manche Eltern, denen ich im Gespräch in Elternforen begegnet bin , die froh waren mal etwas zu erfahren über Funktion und mögliche Auswirkungen. Das ist doch das mindeste was man von Ärzten erwarten kann, das sie über die tatsächlichen Auswirkungen bescheid wissen, richtig aufklären und nicht alles bagatellisieren. Das geschieht aber nicht in der Realität. Ist ja bekannt das in Deutschland viel zu schnell zum Skalpell gegriffen wird, nicht nur bei der Vorhaut ganz allgemein. Das ist gelinde gesagt, bedauerlich.

  63. Zu Beitrag 58 Bronski am 3. Dezember 2014 um 11:28:
    „Ich gebe das Stichwort “weltverbesserische Attitüde” in die Runde und höre mir gern die Kommentare dazu an, bitte aber alle Kommentierenden, einen sachlichen, möglichst gelassenen Ton anzuschlagen.

    1}At|ti|tü|de die; -, -n:
    a) Einstellung, [innere] Haltung;
    b) angenommene, nur den Anschein einer bestimmten Einstellung vermittelnde Pose.
    © Duden – Das große Fremdwörterbuch, 4. Aufl. Mannheim 2007 [CD-ROM]

    Die Bedeutung zu a lasse ich als auf mich zutreffend gelten. Die Beschneidung im Sinne von § 1631d BGB macht die Welt schlechter. Sie abzuschaffen, ist mein Ziel. Mein Ziel ist es also die Welt besser zu machen.

    Bedeutung b sagt aus, ich würde diese Zielsetzung nur zum Schein vortragen. Mein Handeln müsste demzufolge tatsächlich eine andere Zielsetzung verfolgen.

    Für den Fall, dass sich V.Grebe auf b bezieht: Die reine Behauptung schafft auch hier keine Existenz. Dem geforderten Anspruch Audiatur et altera pars folgeleistend, sollte die Beweisführung gehört werden.

  64. Als ich ein kleiner Junge war, da habe ich zuerst davon erfahren, dass so etwas gemacht wird.
    Meine Mutter hat mir das im Plauderton erzählt, als ob das die harmloseste Sache der Welt wäre, und auch so nützlich: Hygiene, Peniskrebs, CervixCa, usw…
    Ich war total schockiert. Ich habe geradezu einen Schmerz da unten verspürt. Und Solidarität mit den Jungen mit denen das gemacht wird.
    Mir ist später erst klar geworden, wie knapp ich an dieser Verstümmelung vorbeigeschrammt bin – ich habe Glück gehabt.

    @V. Grebe:
    „Und ab Zeichen 1001 wird „zwangsbeschnitten“ ? Nein, das ist nicht fair, Bronski. Ich verzichte.“

    Danke vielmals, V. Grebe, sie bringen es auf den Punkt!

    Zwangsverstümmelung ist NICHT FAIR.

    Und Babys/Kleinkinder würden gerne darauf verzichten.
    Dass Kinder sich selbst verstümmeln ist auch ziemlich selten, und immer ein gravierendes Symptom einer psychischen Erkrankung.
    Ich verzichte auch. Ich habe die Wahl. Ich könnte mir jeden Tag die Vorhaut amputieren lassen, aber ich möchte keinesfalls auf diese Quelle der Lust und den Schutz meiner Eichel verzichten. Ich kann das ganz selbstbestimmt entscheiden, ist das nicht toll?
    Und warum sollten nicht alle Männer das Recht haben, das ganz selbstbestimmt zu entscheiden? Es ist doch ihr Körper, nicht der ihre Eltern!
    Es wirkt sich lebenslang auf IHRE Sexualität aus.

    Ich habe mich auf Anraten eines Arztes beschneiden lassen.
    Wirklich be-schneiden lassen. Das ist etwas ganz anderes als ab-schneiden.

    Das Wort „Beschneidung“ allein ist ein unverschämter Euphemismus für das, was bei Kindern fast immer (die wenigsten Fälle sind wirklich indiziert) eine absichtliche Verstümmelung ist. Und diese Wortwahl ist intentionell. Sie soll das verschleiern, beschönigen.

    Als der Arzt sagte, dass da besser operiert werden sollte bekam ich einen Riesenschreck – der will mir doch nicht… da wurde mir so richtig klar – dass ich auf diese erogenen Zone keinesfalls verzichten möchte. Aber das hatte der Arzt auch gar nicht vor.
    Nach der OP war ich für ca. 1,5 Tage quasi wie ein vorhautloser Mann – ich hatte die Anweisung erhalten, die Vorhaut zunächst zurückgezogen zu lassen.
    Da habe ich gemerkt, wie extrem unangenehm dieser Zustand ist. Die Berührung durch den Slip hat mich fast wahnsinnig gemacht.
    Das ist definitiv nicht die Umgebung, für die die Eichel geschaffen ist!
    Dass das irgendwann nach einer Vorhaut-Amputation erträglich wird, liegt allein daran, dass die Eichel ABSTUMPFT. Da ist nichts dran schönzureden. Das ist ein Verbrechen, das der FGM kaum nachsteht.

  65. @V. Grebe #61

    „ich habe mich schon früher ausgiebig mit dem Pro und Contra der prophylaktischen Beschneidung bechäftigt“

    ich kann mich nur wiederholen, dann gehen Sie doch bitte konkret auf die Pros und Contras ein und beantworten Sie die Fragen der Diskussionsteilnehmer, damit wir uns von der abstrakten auf eine konkrete Ebene begeben.

    „das die Entscheidung auch weiterhin den fürsorgeberechtigten Eltern eines männlichen Kindes überlassen bleiben sollte“

    Worauf begründet sich diese Aussage? Wie bringen Sie das in meinem konkreten Fall in Einklang? Meine Mutter hat diese Entscheidung damals getroffen und heute, als erwachsener Mann leider ich darunter. Wo war die Fürsorge in meinem Fall, wo wurde mein Wohl berücksichtigt? 1 Minute Zeitersparnis bei jedem Duschgang steht einem lebenslang verstümmelten Sexualorgan gegenüber, dass sich sowohl körperlich als auch psychisch auswirkt.

  66. @ V. Grebe (62.)

    „… ich habe mich schon früher ausgiebig mit dem Pro und Contra der prophylaktischen Beschneidung bechäftigt und bin zu dem Schluß gekommen, das die Entscheidung auch weiterhin den fürsorgeberechtigten Eltern eines männlichen Kindes überlassen bleiben sollte.“

    Gäbe es denn ein Körperteil, welches Sie prophylaktisch unbeschnitten lassen würden? Kinder waschen sich auch ungerne hinter den Ohren. Auch die Nase läuft oft unkontrolliert. Zähne putzen? Nicht jedermanns Sache! Zwischen den Fußzehen ordentlich waschen? Etc. pp.

    Sehen Sie bei all diesen Fällen nicht eventuell auch Handlungsbedarf einer prophylaktischen Beschneidung zum Kindeswohl? Nicht? Warum dann ausgerechnet der Penis? Welchen Grund gibt es Ihrer Meinung nach dafür, ausgerechnet das für die Sexualität wichtige Organ um ihren unbeschnittenen Spaß zu bringen?

    Hätte Prophylaxe zu irgendeinem Zeitpunkt eine Rolle gespielt, dann wären auch andere Körperteile davon betroffen, finden Sie nicht? Aber alle Gründe, die historisch nachweisbar sind, laufen auf Kontrolle der männlichen Sexualität hinaus. Restlos alle. Moderne Studien, die nachträglich „beweisen“ sollen, dass es gesundheitliche Vorteile gäbe, stehen auf wackligen Beinen oder sind schlicht erfunden.

    Wäre es anders, gäbe es weitaus vielfältigere Amputationen im Interesse des Kindeswohls.

  67. Ich möchte noch etwas nachtragen zum auch hier auftauchenden Begriff „Beschneidungsgegner“, mit dem bisweilen versucht wird, Befürworter der Selbstbestimmungsrechte von Kindern in einen konstruiert radikalen Kontext zu setzen:

    Es gibt keine „Beschneidungsgegner“, genauso wenig wie wie es „Brustvergrößerungsgegner“ oder Ähnliches gibt.

    Es geht ausschließlich darum, dass solche medizinisch unnötigen Eingriffe, und dazu gehört auch eine nichttherapeutische Vorhautamputation, nur in informierter Entscheidung der mündigen Person erfolgen dürfen, die allein den Eingriff erdulden und lebenslang die daraus resultierenden Folgen tragen muss.

    Wir sehen hier, wie schon beim erwähnten bekannten „Mein Körper gehört mir!“, dass es sich nur um Sicherstellung eigentlich bereits völlig selbstverständlicher ethischer Standarts geht.

    Die als „Beschneidungsgegner“ betitelten Menschen sind folglich in erster Linie „Befürworter“:
    nämlich der Selbstbestimmungsrechte eines jeden Menschen, wie klein er auch ist, und auch dann, wenn es sich um Jungen handelt.

  68. Auch ich möchte meine persönliche Erfahrung hinzufügen. Ich bin Anästhesistin. Am 23. August 2012 fand eine Sitzung des Deutschen Ethikrates zur religiösen Beschneidung statt. Im Radiobericht wurde aus dem Vortrag von Prof. Leo Latasch zitiert. Die Audiodatei ist auf der Seite des Deutschen Ethikrates abrufbar (http://www.ethikrat.org/sitzungen/2012/religioese-beschneidung).

    Ab etwa Minute 7:30 beschreibt Prof. Latasch mit sachlicher Stimme die Brit Mila. Im Hintergrund brüllt durchdringend und jämmerlich ein Neugeborenes. Ich habe nur gedacht „JA, HÖRT DER DENN NICHTS?“

    Nein, der hört nichts.

    Die Neugeborenenbeschneidung ohne wirksame Anästhesie findet weiterhin am achten Lebenstag statt. Sie findet zu einem Zeitpunkt statt, wo normale Anpassungsvorgänge des gerade geborenen Menschenkindes eine Allgemeinanästhesie zu einem hohen Risiko machen. In dieser Lebensphase werden Allgemeinanästhesien (Narkosen) nur bei absolut dringlichen Eingriffen durchgeführt. Die Anpassungsvorgänge und Organunreifen des Neugeborenen führen aber auch dazu, daß Schmerzen und Streß zu lebensgefährlichen Störungen der Körperfunktionen führen können. Eine Operation, die aus gutem Grund in jedem anderen Kindesalter in Allgemeinanästhesie durchgeführt wird, ist eine solche extreme Streßsituation.

    Eine schwierige Situation für die Traditionalisten, die die Neugeborenenbeschneidung weiterhin nach den biblischen Vorschriften durchführen wollen. Sie müssen irgendwie verdrängen, daß ein Menschenkind bei der Prozedur laut hörbar schreckliche Schmerzen hat.

    So wenden sie dann hoffnungslos unzulängliche pharmakologische Lächerlichkeiten wie Paracetamol-Zäpfchen oder EMLA-Salbe, die immer noch rezeptfrei erhältlich sind, als Scheinanästhesien an.

    Und sie blenden die schmerzhaftesten Teile des operativen Eingriffes aus. Die extrem schmerzhafte Lösung der bei Neugeborenen fast regelhaft vorhandenen Vorhautverwachsungen mit der Eichel wird als Banalität (oder gar nicht) erwähnt – und oft in einem Nebenraum vor der eigentlichen Beschneidung in Anwesenheit der versammelten Gemeinde durchgeführt. Die bei Zirkumzisionen älterer Kinder in Allgemeinanästhesie regelhaft durchgeführte sorgfältige Blutstillung mit Elektrokoagulation (= punktförmige Verbrennung von Blutgefäßstümpfen) und die Vernähung der Wundränder wird bei der Neugeborenenbeschneidung nicht durchgeführt, obwohl daraus ein erhöhtes Nachblutungsrisiko resultiert (Prof. Graf vom Jüdischen Krankenhaus Berlin in seiner Stellungnahme vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages).

    Diese Verdrängungsstrategien sind fester Bestandteil des Rituals. Fühlende empathische Zeugen einer Neugeborenenbeschneidung werden als „überempfindlich“ hingestellt. Da mit hoher Wahrscheinlichkeit die – männliche – Hälfte der teilnehmenden Gemeinde selbst Opfer einer Neugeborenenbeschneidung war und die andere Hälfte diesen unsäglichen Schmerz zugelassen hat, sind die Verdrängungen der Erwachsenen „Täter“ verständlich. Diese Verdrängungen sind aber auch der Grund, warum Hilfe für die Neugeborenen und eine Beendigung der barbarischen Quälerei nur sehr unwahrscheinlich ausschließlich aus der Religionsgemeinde kommen kann. Es wird die nicht beteiligte Zivilgesellschaft sein müssen, die dem ein Ende setzt. Der Bundestag hat mit seiner Verabschiedung des § 1631d dabei in erschreckender Weise versagt.

  69. Zu der Aussage von V. Grebe, “das die Entscheidung auch weiterhin den fürsorgeberechtigten Eltern eines männlichen Kindes überlassen bleiben sollte” habe ich noch einige Anmerkungen:

    Selbstverständlich treffen Eltern für Entscheidungen für ihre Kinder, das liegt in der Natur der Sache und lässt sich nicht vermeiden. Und je jünger die Kinder sind, umso mehr Entscheidungen treffen die Eltern, da sich Kinder noch nicht ausreichend artikulieren können oder der Tragweite ihrer eigenen Entscheidungen nicht bewusst sind. Ob die Tragweite jedoch den Eltern immer bewusst ist, darüber lässt sich trefflich streiten, ich sage nein, alleine aufgrund meiner eigenen Geschichte. Aber ein bißchen Schwund ist immer, die „perfekte Entscheidung“ gibt es nicht.

    Wichtig ist jedoch, dass jede Entscheidung am Kindeswohl ausgerichtet wird. Dabei ist nicht entscheidend, dass hierzu gesetzliche Regelungen bestehen (bis auf § 1631d BGB natürlich), sondern hier reicht der gesunde Menschenverstand und Empathie vollkommen aus. Darüber hinaus handelt sich bei Kindern um SCHUTZbefohlene, d. h. sie müssen besonders geschützt werden, weil sie ihre Rechte nur eingeschränkt wahrnehmen können. Kinder sind zuallererst Menschen und mit den gleichen Rechten wie Erwachsene versehen. Das meine ich jetzt nicht aus juristischer Perspektive, ich bin kein Jurist, sondern aus menschlicher Perspektive. (Sorry an alle Juristen ;-))

    Nun gibt es schlichtweg qualitative Unterschiede bei den Entscheidungen, die Eltern treffen können, vor allem in Bezug auf körperliche Eingriffe. Wenn ich Ohren anlegen, Zahnspange tragen, Ohrlochstechen und Impfungen der Jungenbeschneidung, egal ob medizinisch indiziert oder nicht, gegenüberstelle, dann stelle ich eindeutig zu benennende Unterschiede bzgl. der Schwere der jeweiligen Eingriffe fest, ohne sie moralisch bewerten oder explizit gutheißen zu wollen. Hierzu habe ich ganz klare Meinungen, die ich jedoch nicht weiter ausführen möchte, weil es sonst den Rahmen sprengt. Aber es ist offensichtlich, dass eine Vorhautamputation, speziell hinsichtlich der körperlichen Folgen und der Funktion des Penis, hierbei den schwerwiegendsten Eingriff darstellt, ohne damit die anderen automatisch moralisch aufwerten zu wollen.

    Eines ist allen jedoch gemein: Sowohl der Eingriff selbst als auch die Folgen können eindeutig benannt und abgegrenzt werden, ein Schnitt ist und bleibt ein Schnitt. Im Falle der Beschneidung bedeutet das mindestens (siehe Vortrag von Hr. Prof. Stehr): Weniger Empfindsamkeit durch Verlust der Vorhaut als erogene Zone, Minderung der Eichelsensibilität durch den nicht vorhandenen Schutz der Vorhaut und mangelnde Gleitfähigkeit aufgrund der strafferen Haut, quasi „Handjob Impossible“, zumindest nicht ohne Hilfsmittel. Wie die betroffenen Personen, die sich diesen benannten Eingriffen unterziehen mussten, in dem Moment und in der Folge damit leben und wie sich es auf ihre Psyche und auf Ihre Entwicklung auswirkt, das steht selbstverständlich auf einem anderen Blatt.

    Man muss nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern vor törichten Entscheidungen schützen. Selbst wenn sich später (!) herausstellen sollte (!!), dass ein Mann keine Probleme wegen der an ihm durchgeführten Beschneidung hat, sei es wegen des Eingriffs selbst oder der daraus resultierenden kurz- und langfristigen Folgen, dann rechtfertigt es trotzdem nicht, die Beschneidung im Kindesalter ohne medizinischen Grund durchführen zu lassen, auch nicht aus sog. prophylaktischen Gründen. Denn wo Prophylaxe an und wo hört sie auf? Am besten setzt man dann überhaupt keine Kinder in die Welt. Denn Menschen, die nicht existieren, werden auch nicht krank!

    Und selbst wenn medizinische Gründe, also ausdrücklich Beschwerden vorliegen, dann sollten erst alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Und hier nehme ich die Eltern in die Pflicht. Es liegt zuallererst an den Eltern, sowohl von Ärzten zweite und dritte Meinungen einzuholen als auch die Ressourcen des Internets und sonstiger, weitestgehend unabhängiger Informationsquellen zu nutzen. Ich habe jetzt schon desöfteren von Eltern gehört „MEIN/UNSER Arzt hat gesagt…“. Richtiger wäre hingegen „EIN Arzt hat gesagt“. Aber selbst wenn ALLE Ärzte etwas sagen, Contergan wurde sicher auch jahrelang aus der vollen Überzeugung heraus verschrieben, dass es nicht schädlich sei. EINE sog. „Expertenmeinung“ entbindet Eltern nicht von der Pflicht, sich umfassend zu informieren. Und im Zweifel für den Angeklagten, sprich lieber „Nein“ sagen. Vorsicht ist besser als Nachsicht.

    Im Rahmen der elterlichen Fürsorge stehen natürlich auch andere Entscheidungen an, die auf die Psyche und die Persönlichkeitsentwicklung Einfluss haben. Ich wurde getauft, habe eine christlich geprägte Schule besucht, wurde von meinem Opa zum Fussball mitgenommen und habe sowohl mit seinem (!) Verein als auch mit „Deutschland“ mitgefiebert. Diese und andere Entscheidungen und Beeinflussungen haben mich geprägt. Vieles davon habe ich als Erwachsener abgelehnt und abgelegt. Ich billige es rückblickend zwar nicht, dass ich getauft wurde, aber ich konnte mich ohne größere Probleme innerlich davon lösen und spätestens mit meinem Austritt aus der Kirche auch offiziell erklären „ich gehöre dem Verein nicht mehr an“. Genauso wenig kann ich mit „Deutschland“ als verbindendem, Identität stiftendem Element etwas anfangen, Patriotismus und Nationalismus sind mir zuwider. Bis in meine Pubertät hinein war das jedoch stellenweise anders.

    Andere Erziehungsmaßnahmen und Erfahrungen aus meiner Jugend prägen mich hingegen bis heute und sie werden mich sicher bis an mein Lebensende begleiten und einschränken. Jedoch besteht zumindest in der Theorie eine Chance, diesen Einschränkungen zu begegnen und sie zu besiegen. Und genau hierin besteht wieder der qualitative Unterschied zu der an mir durchgeführten Vorhautamputation. Denn was ab ist, ist ab! Hier hilft weder Psychoanalyse noch autogenes Training. Von daher sollten sich die Befürworter und Verharmloser der Vorhautamputation aka Beschneidung hüten, jegliche elterliche Entscheidungen qualitativ auf eine Stufe zu stellen und speziell diesen invasiven Eingriff als nur einen weiteren Aspekt der elterlichen Fürsorge zu betrachten.

  70. Zu Beitrag 68 Dr. Birgit Pabst am 3. Dezember 2014 um 19:34:

    Vielen Dank für diesen Beitrag. Und ich möchte an dieser Stelle auf Ihre erfolgreiche Intervention gegen die EMLA-Salbe hinweisen.
    Quelle: http://www.sueddeutsche.de/wissen/beschneidung-von-neugeborenen-fragwuerdige-betaeubung-1.1747655
    Vielen sicher schon bekannt. Anderen vielleicht noch nicht.
    Die Reaktionen von Kristof Graf vom Jüdischen Krankenhaus in Berlin entsprechen praktisch Ihren Beobachtungen bei Leo Latasch. Eine objektive Sicherheit zur Schmerzausschaltung ist für Graf nicht notwendig, eine Garantie wird nicht zur Voraussetzung gemacht.

    Ihre Ausführungen zur „extrem schmerzhafte Lösung der bei Neugeborenen fast regelhaft vorhandenen Vorhautverwachsungen mit der Eichel“ werden von Dr. med. Yael Adler bildhaft untermalt:
    „In der Regel sieht der rituell frisch beschnittene Penis erschreckend roh aus, so als wäre der halbe Penis gehäutet. Dieser Anblick ist allerdings normal und bessert sich innerhalb weniger Tage.“

    Auch die unter Punkt „Schwellung“ aufgeführte Anmerkung „Denn Lymphwege und Venen müssen sich erst neu bilden. In der Narbe bilden sich die Abflüsse erst langsam neu. Dieser Prozess kann Wochen bis Monate dauern.“ unterstreicht das „Hervorrufen, Verlängern oder Steigern eines möglicherweise nur vorübergehenden pathologischen Zustandes“ (Dettmeyer et al., mein Beitrag 39 hier am 1. Dezember 2014 um 21:57)
    Quelle: http://dradler-berlin.de/media/operation-beschneidung.pdf

  71. Als Beschneidungsgegner würde ich mich jetzt nicht bezeichnen. Eher als Aufklärungsbefürworter. Alle sollen umfassend über die möglichen Folgen, vor allem die Langzeitfolgen, aufgeklärt werden, die aber unsere Schulmedizin immer noch als psychisches Problem sieht. Mir wurde schon oft gesagt, meine Probleme seien somatoformer Natur, körperlich nicht erklärbar, alles nur psychisch bedingt.

    In der Debatte um Beschneidung möchte ich nicht über Ideologien oder Religion sprechen. Führt zu nichts, jeder soll das glauben, was er für richtig hält.

    Vielmehr würde mich die Meinung von Ärzten interessieren, vor allem von solchen, die rituelle Beschneidungen durchführen. Was sagen die zu Männern, die unter den unabsehbaren Folgen dieses Eingriffes leiden? Wie rechtfertigen sie ihr handeln, da sie einen Eid darauf geschworen haben, ihr ganzes Können und Wissen zum Nutzen ihrer Patienten, zum Heilen einsetzen, nie um Leben zu zerstören, ihren Patienten zu schaden? Warum führen sie an einem völlig gesunden Jungen einen Eingriff durch, der in keinster Weise medizinisch indiziert ist, setzen ihn den Risiken einer Operation aus, deren Folgen für das spätere Leben dieses Menschen noch niemand sehen kann, am wenigsten der Betroffene selbst? Warum? Nur aus finanziellen Gründen, aus Habgier, aus niederen Beweggründen?

    Und dann würde mich noch die Meinung von Ärzten interessieren, die ihren Patienten eine Beschneidung als einzig sinnvolle Therapie bei einer Phimose empfehlen, ihnen die Möglichkeit einer Erweiterungsplastik verschweigen oder diese weitaus anspruchsvollere OP-Technik als nicht erfolgsversprechend hinstellen. Nur weil Sie nicht erweitern können, nichts anderes wie abschneiden gelernt haben, sie zu stolz sind um zu sagen das kann ich nicht, sie ihre Patienten an einen anderen Arzt verweisen müssten, ihnen dadurch Einnahmen entgehen würden? Wieder niedere Beweggründe?

    @V.Grebe
    Da Sie der Meinung sind eine Beschneidung habe keinerlei Einfluss auf das sexuelle Empfinden, solche Personen wie ich sind nicht real, machen Sie doch bitte Ihre eigenen Erfahrungen. Und falls Sie diesen Schritt wagen, dann mit den Empfehlungen an den Beschneider zu kurz gibt es nicht, bei einer Erektion ist es egal wenn behaarte Haut von Bauchdecke und Skrotum nach oben gezogen wird, Frenulum und innere Vorhaut penibelst entfernt werden, im Zweifelsfall lieber noch was vom Eichelsaum mit wegschneiden, und der Nervenstrang des ehemaligen Frenulums auch ja komplett entfernt, damit auch die Unterseite des Gliedes nicht mehr so störend sensibel ist. Dann könnten wir uns wieder unterhalten und direkt vergleichen.

  72. @ Steffen H.

    „Wichtig ist jedoch, dass jede Entscheidung am Kindeswohl ausgerichtet wird. Dabei ist nicht entscheidend, dass hierzu gesetzliche Regelungen bestehen (bis auf § 1631d BGB natürlich), sondern hier reicht der gesunde Menschenverstand und Empathie vollkommen aus.“

    Völlig richtig! Wenn jemand mit Empathie in der Nachbarwohnung öfters ein Kind schreien hört, wird er möglicherweise irgendwann das Jugendamt informieren. Wenn Eltern ihre eigenen Kinder weinen hören, springt sofort der Instinkt an, diese schützen oder ihnen helfen zu wollen.

    Das ist normal. Da dies, wie Sie und andere richtig bemerken, offenbar im Fall der Beschneidung nicht funktioniert, muss doch nach dem Warum gefragt werden. Eine ältere Bekannte war einmal in Israel zu einem Beschneidungsfest eingeladen. Das Kind jammerte und schrie herzerweichend und sie – als Christin, die nicht beschneidungsaffin sozialisiert wurde – fühlte sich extrem unwohl. Doch den anwesenden Familienmitgliedern macht das nichts aus; sie feierten, während das Baby litt.

    Warum ist das so? Würde man dem gleichen Kind, das gerade seine Zwangsbeschneidung durchleiden musste, mit den gleichen Gästen und Familienangehörigen ein Ohr „beschneiden“ wollen, wären das Entsetzen und die Hilfsbereitschaft, das zu verhindern, groß.

    In der Debatte 2012 gab es deswegen ein fatales Missverständnis, das bis heute den offenen Austausch zwischen Beschneidungs- und Kinderrechtsbefürwortern behindert: Es kam der Verdacht auf, Kinderrechtsbefürworter würden jüdischen oder muslimischen Familien unterstellen, ihre Kinder nicht zu lieben. Das ist natürlich grundfalsch. Sie haben auch eine große Empathie ihren Kindern gegenüber.

    Das Kernproblem ist die Sozialisierung! Wenn mir von klein auf indoktriniert wurde, dass Beschneidung ein Geschenk sei, das man dem Kind macht, das nur dadurch in die Gemeinschaft aufgenommen wird – d.h. es geht um dauerhaften Schutz und Anerkennung – dann ist man eher bereit, sein eigenes Missbehagen dem Ritus gegenüber zurückzustellen und es psychisch auszuhalten, was das Kind physisch durchleiden muss.

    Diesen Effekt gibt es natürlich auch bei nicht kulturellen Beschneidungen, nämlich wenn die Autorität „Arzt“ zur OP rät. Allerdings fällt hier der soziale Druck weg und in meinem Fall hat mir meine Mutter die Wahl gelassen. Ich habe die Beschneidung abgelehnt – ohne zu verstehen, was da überhaupt gemacht werden sollte – und bin heute dank meiner instinktiven Entscheidung noch intakt. Und dank meiner Mutter, die mir die Wahl gelassen hat.

    Im kulturellen Kontext fällt jedoch diese Möglichkeit, dem Kind die Wahl zu lassen, vollständig weg (bis auf sehr wenige Ausnahmen), weshalb stets möglichst früh zwangsbeschnitten wird. Hier müsste man an den Mechanismus, der das System seit vielen Generationen bruchlos aufrechterhält. Erst wenn dieser vollständig verstanden und mittels Aufklärung zurückgedrängt werden kann, wird hier auch wieder die natürliche Empathie der Eltern greifen und sie werden ihr Kind auch vor einer Zwangsbeschneidung schützen.

    Zusammenfassend: Im kulturellen Kontext lassen Eltern ihre Kinder nicht trotz ihrer Empathie beschneiden, sondern wegen ihrer Empathie. Hier muss mittels Aufklärung angesetzt werden, um das Problem ohne gesetzlichen Druck von außen zu lösen.

  73. Ich wurde ebenfalls als Kleinkind ( ca 1975 im Alter von knapp 3 Jahren ) beschnitten.Maßgebend waren sog. medizinische Gründe, die für mich heute nicht mehr rekonstruierbar sind; ob der Eingriff nach damaligen oder heutigen medizinischen Standards wirklich erforderlich war, soll daher mal dahingestellt bleiben, es spielt letztlich hinsichtlich der physischen und psychischen Folgen auch keine Rolle.Dabei muss ich betonen, dass die OP selbst keine besonderen Komplikationen verursachte, alles lief nach den Regeln der “ ärztlichen Kunst“ , und das Ergebnis wurde allseits und auch bei späteren Untersuchungen als medizinisch und ästhetisch gelungen bewertet, geradezu eine Muster-OP wie aus dem Lehrbuch. Also alles super ? Nein.

    Entscheidend ist, dass ich es nie als vorteilhaft empfand , beschnitten zu sein. Allein, das Wort “ beschnitten , “ beschneiden“ etc, auch wenn es in einem völlig anderen Zusammenhang fiel, ließ mich in früheren Jahren innerlich zusammenzucken und ging mir selbst bis vor einigen Jahren kaum über die Lippen. Es erinnerte mich immer daran, dass ich am intimsten, symbolträchtigsten und bedeutensten Organ meiner Männlichkeit verletzt worden war, unvollständig war. Dieser tiefsitzende Minderwertigkeitskomplex, das Gefühl , anders zu sein,in meiner Männlichkeit an sich verletzt, ja “ beschnitten“ zu sein im wahrsten Sinne des Wortes, begleitet mich seit meiner Kindheit.
    In der Schulzeit war es noch die Angst, in der Umkleide “ geoutet“ zu werden, die Angst vor Spott,Häme und blöden Sprüchen der anderen Jungen war groß. Und natürlich auch die Angst, von den Mädchen ausgelacht zu werden, nicht als vollständiger Junge anerkannt zu werden. Da ich von Natur aus ohnehin eher ein schüchterener und zurückhaltender Typ war, war das natürlich eine zusätzliche Bürde und hemmte meine sexuelle Entwicklung.
    Auch wenn sich solche Ängste nie realisierten und mit der Zeit verschwanden- heute habe ich zB keine Hemmungen mehr, mich vor anderen zB in der Sauna nackt zu zeigen, so ist aber doch das Gefühl der Verletztheit geblieben. Das Thema beschäftigt mich nach wie vor, und allein die Tatsache, dass ich hier wieder schreibe, zeigt ja, dass es mich nicht loslässt. Schon viele Jahre vor der Beschneidungsdebatte habe ich oft abendelang Internetforen durchforstet, um Meinungen, Kommentare von Betroffenen, Frauen etc zu dem Thema zu ergründen, möglicherweise auf der Suche nach Bestätigung, oder überhaupt auf der Suche, dass ich nicht allein bin mit meinen Empfindungen. Natürlich kam ich dabei auch mit Leuten in Berührung, die Beschneidung ausschließlich als positiv empfanden, doch so sehr ich mich auch bemühte, schaffte ich es nie, diese positive Haltung zur Beschneidung für mich zu adaptieren. Letzlich kann ich, ohne Psychologe zu sein, diese manchmal fast schon obsessive Fixierung auf meine Beschneidung nur als tiefsitzendes Trauma begreifen, dass mich wohl ein Leben lang begleiten wird.

    Von den physischen und sexuellen Langzeitfolgen ganz zu schweigen. Die Eichel ist mit den Jahren völlig verhort, desensibilisiert, abgestumpft und trocken; ich kann das insoweit beurteilen, da meine Eichel bis zur Pubertät noch zum größten Teil mit Resthaut bedeckt war, erst seitdem liegt sie -infolge des Wachstums und der veränderten Proportionen – ständig vollkommen frei. Und daher weiß ich noch, wie extrem sensibel sie vorher war, davon ist nichts geblieben. Masturbation ist schmerzfrei nur mit Hilfsmitteln wie zB Babyöl möglich und Vaginalverkehr ist infolge mangelnder Sensibilität und Feuchtigkeit mehr Arbeit als Vergnügen. Sex mit Kondom ist nahezu unmöglich , da ich kaum was spüre und deshalb auch die Erektion dann nicht lange halten kann. Sicher spielen hier auch psychische Faktoren mit rein, aber die sind eben ursächlich im Verlust meiner Vorhaut begründet.

    Insoweit empfand ich die Beschneidungsdebatte infolge des Kölner Urteils als Befreiung. Endlich konnte ich offen darüber reden, ohne mit dummen Sprüchen, Belustigung oder Unverständnis rechnen zu müssen, wenn man das Thema ansprach. Und so möchte ich mich bei allen, die bereit waren zuzuhören und mich und andere ermutigt haben , zu sprechen, auch an dieser Stelle nochmal ausdrücklich bedanken, auch bei Ihnen Bronski.

    Was mich teilweise erschreckt hat, war die Vehemenz und die Unversöhnlichkeit der Debatte, auf allen Seiten.

    Da waren jüdische und muslimische Vertreter, die sofort die häßliche Fratze des Antisemitismus , des Rassismus und der Islamophobie beschworen. Ja, ich verstehe die Reaktion insbesondere der jüdischen Gemeinde und kann sie angesichts der furchtbaren und grausamen Verfolgungsgeschichte gut nachvollziehen, auch dass sich hier im Laufe der Zeit eine gewisse Wagenburgmentalität gebildet hat. Hierfür fehlte es bei manchen Beschneidungskritikern an Sensibilität , den richtigen Ton zu treffen, um ins Gespräch zu kommen. Aber die generelle Abwehrhaltung und Diskussionsverweigerung fand ich schon enttäuschend.
    Auf der anderen Seite gab es sie natürlich auch, die Religionskritiker, für die das Ganze nur ein Aufhänger war, um einen neuen “ Stellvertreterkrieg“ gegen die Religionen zu eröffen. Und auch die echten Antisemiten und Islamhasser kamen als Trittbrettfahrer dazu, wenn auch meiner Beobachtung zufolge, eher vereinzelt.

    Besonders enttäuschend, und da muss ich mich meinen Vorredern anschließen, war allerdings das Verhalten eines Großteils der Medien. Aus dem – angesichts unserr Vergangenheit nur zu verständlichen – Wunsch, unbedingt weltoffen und tolerant zu sein, wurden hier unter seltsamster Verrenkung grundlegender Werte unserer Gesellschaft, die argumente von Kritikern der Beschneidung abgetan, ignoriert oder totgeschwiegen,man wurde mehr oder weniger pauschal in die antisemitische,islamophobe oder rassistische Ecke geschoben oder als fanatischer Religionshasser diffamiert. Selbst von Leuten, die sonst in keinster Weise verlegen sind, religionskritische Äußerungen zu tätigen und auch kein Problem mit Einschränkungen bei der Religionsfreiheit zB in der “ Kopftuchfrage“ haben, sangen nun das Hohelied der Toleranz, und diffamierten Kritiker auf übelste Weise.

    Ich kann in diesem Verhalten nur ein völliges moralisches Versagen unserer intelektuellen Eliten sehen, die – aus sicherlich nachvollziehbaren historischen und politischen Motiven- unbedingt tolerant und weltoffen sein wollen, und dabei auch bereit sind, ansonsten hochgehaltene Werte unseres Zusammenlebens zu relativieren.

  74. @ Holger

    „In der Schulzeit war es noch die Angst, in der Umkleide ” geoutet” zu werden, die Angst vor Spott,Häme und blöden Sprüchen der anderen Jungen war groß.“

    Ich möchte dieser Aussage etwas hinzufügen, was auch öfters untergeht in der Diskussion.

    Hier beschreibt Holger, dass er Diskriminierung wegen seines unnatürlich erscheinenden, weil beschnittenen Penis befürchtete. Die umgekehrte Einstellung ist bei Kulturen zu beobachten, die seit vielen Generationen beschneiden. So ist in amerikanischen Schulbüchern der beschnittene Penis als „normal“ abgebildet, weil jahrzehntelang Knaben routinemäßig beschnitten wurden, ohne kulturellen Hintergrund im engeren Sinn.

    Und in Kulturen, die Beschneidung nicht nur als normal wahrnehmen, sondern als religiöse Pflicht definieren, hat sich mittlerweile eine regelrechte „Präputiophobie“ entwickelt. Schon Luther beklagte, dass Christen von Juden als „stinkend“ wegen ihrer Vorhäute beschimpft würden. Und ein unbeschnittener Moslem wird sicher Schwierigkeiten haben, eine Frau aus seinem Kulturkreis zu finden. Ich habe schon Musliminnen mit vor Ekel verzogenem Gesicht von „christlichen“ Penissen reden hören. Dort wird die Vorhaut derart verteufelt, als sei sie eine Ausgeburt der Hölle und nicht der Normalzustand.

    Jetzt gibt es dieses Phänomen auch bei der härtesten Form der FGM (weibliche Genitalverstümmelung) in Afrika. Dort haben Frauen, die nicht beschnitten und zugenäht sind, praktisch keine Chance, einen Mann zu finden. Doch dort scheint dieser Brauch dank unermüdlicher Aufklärungsarbeit vor Ort langsam zu verschwinden. Das Natürliche hat wieder eine Chance, als normal wahrgenommen zu werden.

    Aber haben wir im aufgeklärten Westen nicht ähnliche Phänomene, wenn auch ohne gravierende Folgen, wie bei der FGM oder MGM? Ich meine die Intimrasur. Können sich junge Männer heute noch eine Frau mit voller Schambehaarung vorstellen? Ist dies dort inzwischen nicht auch „eklig“, wenn sie ihren ganzen Busch hat?

    Was ich sagen will: Es gibt Traditionen oder Moden, die irgendwann zur Norm werden (die Tellerlippen in Afrika sollten ursprünglich Frauen für Sklavenjäger hässlich machen. Inzwischen sind sie erotisches Signal) und dann fällt es schwer, wieder zur natürlichen Normalität zurückzukehren. Vor allem im Intimbereich geht dies oft mit Ekel einher.

    Das erschwert zusätzlich die Überzeugung beschneidender Kulturen, von dem Ritus Abstand zu nehmen. Die Männer wären zwar objektiv besser dran, aber sie hätten sicher zunächst Schwierigkeiten, eine Partnerin aus ihrem Kulturkreis zu finden, die ihn intakt akzeptiert. Auch hier müsste eine Aufklärung einsetzen, die die Vorhaut entdämonisiert.

  75. Danke an Frau Dr. Papst für ihren Einsatz in Sachen Emla-Problematik! (die in der Ausstellung anscheinend völlig ignoriert wurde)

    Man kann nach „betäubung site:jmberlin.de“ googlen, man wird nur zum Thema Schlachten von Tieren etwas finden. In Sachen Vorhaut-Amputation bei Babys – nichts. Das Thema ist wohl zu heikel.
    Und wenn man einfach nach „haut ab! jüdisches museum betäubung“ googelt – in den etablierten Medien, die ja mannigfaltig über die Ausstellung berichtet haben – nichts. Nur in den Leserkommentaren.

    Hinzufügen möchte ich, dass bei Anwendung von Emla bei der Zirkumzision von Neugeborenen stets die Gefahr einer potentiell tödlichen Methämoglobinämie besteht. Emla hat überhaupt keine Zulassung für die Anwendung bei der Zirkumzision von Kleinkindern.
    Von daher findet die vom Gesetz vorgeschriebene „angemessene Betäubung“ bei der neonatalen Zirkumzision in der Regel gar nicht statt!
    Man kann nicht von einer „angemessenen Betäubung“ reden, wenn es in Wahrheit keinen ernstzunehmenden Nachweis für eine ausreichende Wirkung gibt. Wenn die Substanz dafür nicht einmal eine Zulassung hat.
    Wenn die EMA „inaktzeptabel“ sagt.

    Ebenso: Metzitzah b’peh – die Variante, bei der der Mohel das Blut mit dem Mund absaugt. Die ein Teil der Gläubigen als verbindlich, als religiös vorgeschrieben betrachtet.
    Die das Baby dem Risiko einer hochgefährlichen Herpes-Infektion aussetzen.
    Hinter das sich einer der beiden israelischen Oberrabbiner im Vorjahr noch ausdrücklich gestellt hat.
    Anscheinend kein Wort davon – ist wohl keine gute Werbung für das Ritual.

    Offenbar wurde in der Ausstellung, die doch eigentlich „Tiefe“ bringen sollte viele Probleme einfach unter den Teppich gekehrt – kein Wunder – erklärtes Ziel war es ja, die Akzeptanz dieses Übergriffes gegen wehrlose Kinder zu erhöhen.
    Nicht das Ritual soll als problematisch erscheinen, sondern die Debatte darüber, die Kritik daran.

  76. Was mich immer zusätzlich tief erschüttert, ist, das Politiker, Presse und nun auch Universitäten (https://www.hu-berlin.de/pr/pressemitteilungen/pm1412/pm_141203_01) meinen Kritiker der männlichen Knabenbeschneidung mit Rassismus, Antisemitismus, Religionsfeindlichkeit und dergleichen Gleich zu setzten. Ich kenne eigentlich niemanden der in die Schublade passt. Doch damit dieser Brauch weiter existieren kann wird von Politik und Presse jedes Register gezogen. Es mag da zwar Stimmen geben die da rein passen, doch den Kinderschutz in die Rechte Ecke zu drücken und zu versuchen Bürger so zu verunsichern, das sich keiner mehr traut was gegen dieses Ritual zu sagen aus lauter Angst in die falsche Schublade gesteckt zu werden, kann doch nicht richtig sein. Auf der einen Seite wird gefordert man solle hinsehen, aber hier, soll immer schön brav weggesehen werden. Selbstverständlich sollen Eltern ihre Kinder in ihrer Religion erziehen dürfen. Aber Erziehung sollte Gewaltfrei erfolgen, für mich bedeutet das, das Muslime und alle anderen Religonen ihren Kindern sagen was sie tun sollen und was nicht. Elementare Dinge erklären und dann kann das Kind später entscheiden ob es diesen Bund eingehen möchte oder nicht. Das das geht, leben einige ja schon wie man anhand der Brit Shalom beispielsweise sehen kann. Der Weg der im Moment eingeschlagen wurde, fördert in meinen Augen nicht das miteinander, es entzweit was eigentlich zusammen gehört. Das ist sehr schade.

  77. Ganz oben im Eingangstext zum Blog ist ein grausiger und zutiefst zynischer Artikel von Nikolaus Bernau verlinkt (man muss auf das Wort „rezensiert“ klicken), in dem dieser betont, dass man darüber lachen kann, wenn einem Baby oder einem Kind ein Teil von seinem Penis amputiert wird. Nikolaus Bernau scheint sich zudem mit den Grundprinzipien eines demokratischen Rechtsstaates ausgesprochen schwer zu tun. Gerichte haben das Gesetz anzuwenden ungeachtet der Person, über die sie richten. Richter haben sich nicht zu fragen, ob ein Urteil sozial- oder kulturpolitische Sensibilitäten berücksichtigt oder nicht; täten sie dies, so wären sie befangen. In dieser Beziehung mag man Herrn Bernau vielleicht einfach Unkenntnis darüber vorwerfen, was ein Rechtsstaat ist, was das bedeutet und wie das funktioniert. Bedauerlich ist allerdings, dass er die Einseitigkeit der Ausstellung uneingeschränkt teilt und unterstützt. Die Kritik am Ritus habe Ängste ausgelöst – also, was ist die Konsequenz? Keine Kritik mehr?

    Die Hetze gegen Beschneidungskritiker in den deutschen Medien nimmt auch aktuell wieder richtig Fahrt auf. So schreibt beispielsweise die „Welt“:

    „Auch bei konkreten Problemlagen zeigen sich die nicht-muslimischen Deutschen durchaus intolerant. So befürworteten zwar 69 Prozent einen islamischen Religionsunterricht an Schulen. 60 Prozent wollen allerdings die Beschneidung von Jungen verbieten, 48 Prozent das Tragen von Kopftüchern bei Lehrerinnen, und 42 Prozent den Moscheebau einschränken.“

    http://www.welt.de/politik/deutschland/article134995523/Was-die-Deutschen-von-Muslimen-wirklich-erwarten.html

    ICH BIN NICHT INTOLERANT! MEINE ANGESTELLTE IST MUSLIMIN (und zwar mit Kopftuch), MEINE KUNDEN SIND AUCH OFT MUSLIME.

    Was ist denn so schwer daran, zu verstehen, dass es viele Menschen in Deutschland nicht gut finden, wenn kleinen Kindern ohne medizinischen Grund ein Teil von ihrem Körper abgeschnitten wird? Was wäre, wenn man ihnen einen Teil vom Ohr abschneiden würde? Wenn man sie tätowieren würde? Wenn der kleine Finger der linken Hand dran glauben müsste? Wir reden von einem Teil der Sexualorgane, vom Intimsten eines Menschen, das einen Teil seiner Würde als Mensch ausmacht.

    Gestern wurde ein Teil der oben aufgeführten Rezension von Victor Schiering in der Printausgabe der FR abgedruckt. Danke. Es war ein winziger Hauch gegen die allgemeine Polemik und die Ressentiments, die bewußt gegen alle Kritiker der Praxis der Vorhautamputation geschürt werden sollen. Aber ein Hauch, ein Schimmer.

  78. ..ich möchte mich kurz korrigieren in Bezug auf Herrn Kollegen Nikolaus Bernau: ganz am Schluss des Artikels schlägt er zumindest leicht kritische Töne an.

    „Doch warum wollen die Kuratorinnen nun unbedingt noch den Bogen schlagen von diesen Bildern hin zu direkt daneben gezeigten NS-„Stürmer“-Hetzdarstellungen angeblicher Ritualmorde an kleinen Jungen? Hier wird der Bogen einfach überspannt, um nur ja nicht die historische Legitimation der Beschneidung aufzugeben.

    All die vielen Fragen aber, die in der heftigen Debatte der vergangenen Jahre gestellt wurden, die finden sich nur wieder in den Filmen im letzten Saal. Da geht es um Sex, Empfinden, Verlustgefühle, Psychologie, kulturelle Normen, soziale Ausgrenzungsängste: Wie erklärt man etwa der künftigen, sehr amerikanisch-naiven Gattin, dass es tatsächlich Männer gibt, die nicht beschnitten sind?“

    Die Aussage, dass er die Einseitigkeit der Ausstellung uneingeschränkt geteilt habe, nehme ich daher zurück. Nein, nicht uneingeschränkt, aber überwiegend. Wenn der Herr Kollege meint, die Amputation sei etwas, worüber man auch lachen kann, dann lege ich ihm nahe, sich den Vorgang mal auf Video anzuschauen. Es gibt viele Videos von Baby- und Jungenbeschneidungen im Internet. Ich empfehle medizinische Lehrvideos aus den USA. Sie sind glaubwürdig und dabei ungeschönt.

    Gestern habe ich auf meiner Facebook-Seite die folgende Aussage einer Mutter aus den USA geteilt:

    »Du hast meinen Sohn gerettet, Brother K! Mein Mann ist beschnitten, und er wollte, dass das bei meinem Sohn auch gemacht wird. Ich war im Krankenhaus. Mein Baby war einen Tag alt. (…) Der Arzt kam rein, und ich fragte ihn, ob mein Sohn Schmerzen haben würde, und er antwortete: „ja, das wird er.“ Der Arzt war aufrichtig zu mir, und er sagte: „ganz ehrlich, es gibt mehr Risiken als Vorteile.“ Ich hatte mein Mobiltelefon dabei und recherchierte Informationen. Es war Intact America. (…) Ich begann zu lesen, und ich schaute mir sogar ein Video an, und ich erbrach mich fast, mir wurde schlecht dabei. Ich war außer mir vor Wut, und ich sagte meinem Mann, dass ich keinen Arzt an meinen Sohn dranlassen würde! Ich muss ihm Angst gemacht haben, denn er sagte: „Schatz, wir müssen das nicht tun.“ Es war so knapp, Brother K!«

  79. Ich finde, daß dieser Kommentarthread sehr anschaulich macht, wie tief dieses Thema geht und wie viele unterschiedliche Aspekte zu Tage treten, wenn man den Teilbereich der religiösen Bedeutung einmal ausblendet. Umso mehr wird deutlich, wie eingeengt die Darstellung der Ausstellung „Haut ab!“ wirklich ist.
    Wenn man sich nun vorstellt, wie eine Ausstellung aussehen könnte, die unter ähnlichen Gesichtspunkten erarbeitet würde wie sie in der zweiten Hälfte dieses Threads aufkamen, kann man das Ausmaß erkennen, in dem „Haut ab!“ in der Praxis am Thema vorbeigeht, und wie wenig sie bei Licht betrachtet mit dem Thema „Beschneidung“ zu tun hat.

    An dieser Stelle noch meinen Dank an Bronski für die Entscheidung zu moderieren und den Fokus auf die persönliche Ebene zu lenken. Dies ist mutig und dieser Tage auch keinesfalls mehr selbstverständlich. Das nötigt mir Respekt ab – Sie haben dadurch ein kleines Refugium in der undifferenzierten Presselandschaft für diejenigen geschaffen, die sonst regelmäßig unter die Räder ideologischer Marschrichtungen gelangen.
    Der – wie ich finde – hohe informative und emotionale Wert der Kommentare gibt Ihnen Recht.

  80. @ all

    Hier sind in der Zwischenzeit ein paar Kommentare aufgelaufen, die ich nicht veröffentlichen werde. Ich hatte darum gebeten, den Fokus auf die persönliche Ebene zu richten. Das hat bereits zu einigen Kommentaren geführt, die ich interessant finde. Ich möchte auf dieser Ebene bleiben bzw. wieder dahin zurückkehren. Rechtsstaatliche und andere Aspekte dieses Themas können später oder bei anderer Gelegenheit erörtert werden, sofern dies nicht schon in den zum Teil sehr langen Kommentaren zu Anfang dieses Threads geschehen ist.

    Wenn Sie also über Beschneidung reden wollen, dann bitte auf der persönlichen Ebene. Sprechen Sie bitte über Ihre Motive, sich gegen Beschneidung bzw. für das Recht auf körperliche Unversehrtheit zu engagieren. Es gibt ja zum Beispiel auch Menschen, die von Beschneidung nicht selbst bzw. nur indirekt betroffen sind wie Bela2012 und Melanie G., und deren Motive interessieren mich genauso wie die der direkt Betroffenen.

    Update:

    Da offenbar das Bedürfnis besteht, jene Aspekte des Themas, die ich hier ausgeklammert sehen möchte, dennoch zu besprechen, habe ich dafür einen eigenen Thread eröffnet, den Sie bitte dafür nutzen. Dorthin habe ich einige Kommentare verschoben. Hier jedoch – wie gesagt – bitte nur die persönliche Ebene.

  81. Ich möchte als nicht unmittelbar Betroffener Bronskis Aufforderung in # 44 und 80 nachkommen. Zunächst einmal mein Dank dafür, dass Du es geschafft hast, so beeindruckende Zeugnisse hervorzulocken. Mein Dank natürlich auch all denen, die den Mut dazu aufbrachten.
    Obwohl ich mich schon seit zwei Jahren an der Diskussion beteiligt habe, ist mir die Tragweite und Tiefe der Problematik in sexueller wie psychologischer Hinsicht erst dadurch richtig klar geworden.

    Nun habe ich selbst eine äußerst schmerzhafte Prostata-Operation hinter mir. Was hier an dauerhaften Beeinträchtigungen geschildert wurde, blieb mir zum Glück aber erspart.
    Immerhin genug an eigener Erfahrung, damit die geschilderten leidvollen Erfahrungen eigene Betroffenheit auslösen können. Genug auch, um vieles bestätigen zu können. So auch die von Dr. Birgit Pabst in #68 dargestellte Unsensibilität mancher Ärzte.

    Sehr glaubwürdig auch ihre These von den „Verdrängungsstrategien“ als „festem Bestandteil des Rituals“ und den damit verbundenen Verlusten an Empathie.
    M.E. sollte auf solche – sicherlich überwiegend unbewusste – „Strategien“ zur Bewältigung eigener leidvoller Erfahrungen noch näher eingegangen werden.
    So hat sich z.B. bei der Problematik der Mädchenbeschneidung in afrikanischen Ländern gezeigt, dass nicht etwa patriarchalische Familienväter die hartnäckigsten Verfechter derartiger massiver Verletzung von Kindesrechten sind, sondern Großmütter, die solche Erniedrigung selbst über sich ergehen lassen mussten. Offenbar gehört es zu den fatalen Gesetzmäßigkeiten solcher Verdrängungsmechanismen, sich von eigenen Leiderfahrungen „befreien“ zu müssen, indem man das eigene Leid an hilflose Menschen weitergibt und es so perpetuiert.
    Die Verfestigung solcher Mechanismen in religiösen Ritualen tut da natürlich noch ein Übriges zur Verewigung menschenunwürdiger „Traditionen“.

    Noch etwas ausführlicher sollte m.E. auch auf die langfristigen psychologischen Auswirkungen eingegangen werden.
    Hierzu ein (auf den ersten Blick vielleicht etwas trivial erscheinendes) Beispiel:
    Mein (inzwischen verstorbener) älterer Bruder „ärgerte“ meine Mutter (wir sind als 8köpfige Flüchtlingsfamilie ohne Vater aufgewachsen) in seiner Kindheit durch „unordentliches“ struppiges Haar. Meine Mutter meinte, diesem „Übel“ mit einer Radikalkur begegnen zu können. Sie ließ meinen (damals etwa 8jährigen) Bruder kurzerhand kahl rasieren. Sie löste damit bei ihm nicht nur kurzfristig unerträgliche Schamgefühle aus(er traute sich nicht mehr in die Schule, ließ sich nur noch mit Mütze blicken). Sein ganzes Leben war durch Schamgefühle bestimmt und dadurch, dass er, statt dem offensiv entgegen zu treten, alles in sich hineinfraß.
    Ich selbst entging solchen aggressiven Strategien offensichtlich nur durch – im Vergleich zu meinem Bruder – unvergleichlich stärkerer „Verbocktheit“ und durch „Trotz“.
    Fazit:
    Wenn schon eine solche, vergleichsweise harmlos erscheinende Verletzung der persönlichen Integrität derartig fatale langfristige Wirkungen hervorrufen kann, wie viel mehr dann ein radikaler Eingriff in die intimste menschliche Sphäre.
    Es wäre sicher verdienstvoll, wenn von Betroffenen auch auf diese Problematik ausführlicher eingegangen würde.

  82. @ Werner Engelmann:
    Danke für diese Anregung, die ich gerne aufgreifen will. Anfang 2015 wird mein Buch erscheinen, an dem ich nun seit 2 Jahren arbeite. In diesem Buch lasse ich Menschen zu Wort kommen, die von Genitalverstümmelung von Jungen und Männern betroffen sind. Sprich: In erster Linie sind das direkt betroffene Männer, aber auch deren Sexualpartnerinnen und -partner sowie Eltern und andere indirekt Betroffene.
    Gerade die mitunter gravierenden Auswirkungen auf die Psyche der „beschnittenen“ Männer ist es, die mich noch immer sprachlos machen, obwohl ich diese Folgen aus eigenem Erleben nur zu gut kenne.

    Im Folgenden nur drei Zitate von Männern, bei denen dieser ach so harmlose Eingriff tiefe Spuren auf der Seele hinterlassen hat. Sie machen deutlich, wie irrig doch die Annahme ist, sobald die Operationswunden verheilt sind, wäre alles wieder in Butter. Im Gegenteil, die Operation am intimsten Körperteil eines Jungen kann durchaus zu ausgewachsenen psychischen Störungen führen.
    Z.B. Ronald J.:
    „Mit meinen Gefühlen allein gelassen, dachte ich viele Jahre, ich sei der einzige Beschnittene dieses Erdballs und habe mich fast zu Tode geschämt, wenn es gelegentlich, z. B. beim Schulschwimmen, ans Ausziehen ging. Und selbst zu Hause habe ich aus Schamgefühl die Badezimmertür hinter mir gern abgeschlossen. In der Schule traute ich mich nicht mehr, mit meinen Klassenkameraden gemeinsam pinkeln zu gehen, aus Angst, es könnte einer meine blanke Eichel entdecken, mein Beschnittensein bemerken und sich über mich lustig machen. Auch habe ich nie einen anderen beschnittenen Jungen gesehen, mit dem ich darüber hätte sprechen können. In der Folge stellte sich eine Paruresis ein, also ein psychisch krankhafter Zustand, der sich in der Unmöglichkeit zeigt, pinkeln zu können, wenn andere mit im Raum sind. Ich begann, jedes Vorhaben genau zu planen. Ich trank wenig, um nicht so oft zur Toilette zu müssen und nutzte Momente, wo ich glaubte, allein zu sein. Autofahrten mit Kolle-gen wurden zur Qual, wenn an einer Raststätte angehalten wurde, um etwas zu trinken und die Toilette aufzusuchen. Die schwierigste Zeit war dabei für mich die Schul- und Studienzeit, weil das kollektive Zusammenleben die Privatsphäre stark einschränkt. Ich habe später mehr oder weniger erfolgreich dagegen mit autogenem Training angekämpft und versucht, mich mit meiner Beschneidung zu arrangieren.
    All das führte im Endeffekt dazu, dass ich ein regelrechtes Doppelleben führte. Man wird erfinderisch und gibt nach außen den coolen Mann, doch wie’s da drinnen aussieht, geht niemanden was an. Ja, ich hatte immer den Wunsch, nicht beschnitten zu sein, wobei dieser Wunsch die – mir erst später bekannt gewordenen körperlichen Einschränkungen durch Sensibilitätsverlust – zunächst völlig unberücksichtigt ließ.
    Oft wird – besonders von weiblichen oder unbeschnittenen männlichen ‚Sachverständigen‘ – die Beschneidungsprozedur auf den Operationsschmerz und die Schmerzen danach beschränkt, die ja ohnehin ‚bald vergessen sind‘. Doch der psychische Teil einer solchen Manipulation an den männlichen Geschlechtsorganen wiegt schwerer!
    Aus heutiger Sicht – ich bin inzwischen 69 Jahre alt – muss ich resümieren, dass die an mir vorgenommene medizinische Beschneidung mein gesamtes Leben nachhaltig verändert und nachteilig beeinflusst hat. “

    Doch es geht nicht nur um psychische Störungen, sondern auch um noch weitaus schlimmere Folgen. Z.B. können sich die erlittenen Verletzungen der Seele in Selbstverletzungen münden, um das erlittene Trauma zu kompensieren, wie z.B. bei
    Lukas M.:
    „Ich hatte seit der Beschneidung, aber besonders nach Anbruch der Pubertät, ein völlig gestörtes Verhältnis zu meinem Penis und meinem Körper als Ganzes. Bevor ich das Thema therapeutisch durcharbeiten konnte, waren unaussprechliche Wut und Trauer mit der ganzen Sache verbunden, gepaart mit dem Unvermögen, zu verstehen, wie mir das jemand antun konnte und es schaffte, diesen Wahnsinn als ‚medizinische Notwen-digkeit‘ zu verkaufen. Lange Jahre brachte mich das bloße Lesen, Hören oder Denken von Wörtern wie ‚Beschneidung‘, ‚beschneiden‘, ‚schneiden‘, ‚schnippeln‘ etc., zusammen mit anderen Triggern dazu, in Fötusstel-lung zu gehen, vor- und zurückzuwiegen oder auch völlig zu dissoziieren, also den Kontakt mit dem Jetzt, mir und der Wirklichkeit zu verlieren. Unter Umständen musste ich auch im Inneren die Beschneidung selbst immer wieder durchmachen, ich war teilweise stundenlang in Flash-Back-Schleifen nach Art von taktilen Halluzinationen gefangen, bei denen ich ganz lebendig fühlte, wie mir an der Eichel herumgeschnitten wird. Auf-grund dessen fing ich auch an, mich selbst zu schneiden und zu verbrennen, mein linker Unterarm ist eine einzige Narbenstraße, und auch an meinen Beinen sind die Spuren von mehreren hundert langen Schnitten.“

    Murat Ö.schließlich zeigt, dass die psychischen Belastungen so groß werden können, dass sie schließlich in Suizidversuchen endn können:
    „Als ich in die Pubertät kam waren für mich Selbstmordgedanken an der Tagesordnung. Ich konnte den Anblick meines Penis nicht ertragen.
    Ich verspürte eine unglaubliche Traurigkeit und Wut, die ich bis heute verspüre. Da war der Gedanke, dass ich nie Sex haben werde; zumindest nicht wirklich, nicht vollständig. Und was Masturbation angeht, da sah und sieht es ja noch schlimmer aus. Irgendwie ging es ein paar Jahre weiter, doch dann brach es über mich herein. Ich wurde apathisch, hatte Angst vor Menschen. Alles brach zusammen. Es kam die Angst vor Mädchen dazu. Was würde ein hübsches, deutsches Mädchen zu diesem hässlichen Halbpenis sagen? Ich wollte einfach nur so sein, wie es die Natur für mich erdacht hatte. Ich hasste mich, meinen Körper, meine Identität, mein Aussehen, meinen Namen… alles, was mich ausmachte.
    Ich fiel in eine tiefe Depression und schluckte so ziemlich alles, was ich an Tabletten und Pillen bei uns zu Hause finden konnte. Doch dies war kein Hilfeschrei oder dergleichen, denn nachdem ich das Zeug genommen hatte, ging ich aus dem Haus, um eben nicht gefunden zu werden.“

    Es sind diese und andere Berichte von genitalverstümmelten Männern, die mich seit Jahren nicht mehr zur Ruhe kommen lassen. Sie und meine eigene Verstümmelung sind der Grund dafür, warum ich mich dafür einsetze, dass Kinder endlich ein Recht auf ihren eigenen Körper bekommen und selbst entscheiden können, auf welche Körperteile sie verzichten wollen. Und auf welche nicht.

  83. Ich habe von dieser Ausstellung durch den Kulturteil der Kieler Nachrichten erfahren, die halbseitig groß aufgemacht über die Ausstellung berichteten (offensichtlich ein Text, der vom Veranstalter an die Bundespresse weitergeleitet wurde).
    Der Beitrag wurde von Seiten der örtlichen Zeitung nicht kommentiert.
    Mein umgehend verfaßter Leserbrief dazu wurde kommentarlos nicht abgedruckt.
    Mir ist es wichtig, ihn in diese Diskussion einzubringen, weil einige der von mir aufgegriffenen Aspekte bisher hier nicht erwähnt wurden:

    Haut ab – diesen frechen, zweideutigen Titel der Ausstellung im jüdischen Museum in Berlin über religiöse Beschneidungen verstehe ich als einen Aufruf:
    Laßt uns weiter diesen Eingriff an kleinen Jungen vornehmen, stört uns dabei nicht und kritisiert uns nicht!
    Mir als frischgebackener Großmutter schnürt es die Kehle zu bei der Vorstellung, mein kleiner Enkel müßte wegen religiöser Verblendung einen solchen Eingriff über sich ergehen lassen!
    Wenn ein junger Mann meint, er müsse sich bei Eintritt der Religionsmündigkeit (so mit 16?) die Vorhaut entfernen lassen, kann er das tun. Auch Tätowieren und Piercen bei Erwachsenen ist ja in diesem Land zulässig.
    Bei einem Jungen im Säuglingsalter bleibt dieser Eingriff aber eine eindeutige vorsätzliche Körperverletzung, denn er kann nicht einwilligen und es liegt keine medizinische Indikation vor.
    Auch der Beschluss des Bundestages vom 12.12.2012 , religiöse Beschneidungen an Kindern nicht zu bestrafen, ändert an dieser Tatsache nichts (haben wir doch die Beugung von Recht in dieser Republik leider schon früher erlebt….)
    Nein, wir „hauen nicht ab“! Das Gegenteil ist der Fall. Seht her, ihr Politiker: Hier geschieht schlimmes Unrecht an kleinen Kindern unter dem Deckmantel der Religiösität
    Jedes Kind sollte das Recht haben, körperlich und psychisch unversehrt aufzuwachsen.
    Ich frage mich nur noch, wie die Kieler Nachrichten diese Werbekampagne für religiöse Beschneidungen unkommentiert abdrucken konnte?

  84. Ich möchte nun auch endlich von mir selbst erzählen, nachdem die Frage von Herrn Engelmann von jemandem beantwortet wurde. Dazwischen wollte ich nicht ablenken.

    Ich bin Rechtsanwältin und habe mich vor 2012 nie mit dem Thema Vorhautamputation beschäftigt. Als das aufkam, interessierte es mich sofort. Dass das Urteil korrekt war, konnte ich mit meinem eigenen Wissen und Verständnis sofort nachvollziehen. Dass Muslime, aber vor allem die jüdische Gemeinschaft darüber aufgebracht waren, war mir aber auch klar. Mir war das Thema Holocaust und Judentum immer wichtig. Ich verstand, dass sich viele Menschen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft bedrängt fühlten. Dass man Kindern nichts vom Körper abschneiden darf, war mir andererseits aber auch völlig selbstverständlich. So begann ich, darüber zu lesen und mich in Diskussionen einzubringen. Was mich entsetzte, war die Reaktion von weiten Teilen der Medien. Die Demagogie erinnerte mich oftmals – ich muss es leider so sagen – an vordemokratische Zeiten. Ich bin bis heute zu großen Teilen darüber entsetzt. Ich glaube, der arme Bronski musste das schon spüren, obwohl er gar nicht gemeint ist. Ich schätze aufrichtige Journalisten, die ihren Beruf ernst nehmen. Sehr sogar.

    Die Verlogenheit, die Einseitigkeit, die Manipulation, mit der Politik und Medien das Thema aufgriffen, waren unfassbar. Ich könnte lange Geschichten darüber erzählen. Der Gesetzesentwurf und die Regierungsbegründung zu § 1631d BGB waren ein einziger Skandal. Die Manipulation hätte nicht gravierender sein können.

    Was mich aber wirklich, endgültig, zu einer Aktivistin gemacht hat, das waren die Betroffenen. Im August 2012 ging das „Beschneidungsforum“ online, um den negativ Betroffenen eine Stimme und eine Plattform zu geben. Ich glaube, es geht vielen so, die nicht direkt oder indirekt von Beschneidung betroffen sind, wie es mir ging, als ich zum ersten Mal von den persönlichen Schicksalen dieser Menschen las. Ich war wie vom Blitz getroffen. Wenn es auch nur einem Menschen so geht wie diesem, so dachte ich, nur einem unter Hunterten, unter Tausenden, dann darf das niemals erlaubt werden.

    Ich habe seitdem unzählige ähnliche Berichte gelesen wie diejenigen, die auch in diesem Blog gepostet wurden. Und zu vielen Betroffenen habe ich persönlichen Kontakt, wofür ich sehr dankbar bin. Ich habe viel von ihnen gelernt, nicht nur von ihrem Schmerz, sondern – vor allem – von ihrer Kraft und ihrem Mut. Diejenigen, die offen über ihre Situation sprechen, leisten oft Unglaubliches.

    „Ich fordere Empathie“ war einer der markantesten Sätze, die sich je bei mir eingebrannt haben. Die Aussage stammte von Victor Schiering.

  85. Ich engagiere mich für das Recht auf körperliche Unversehrtheit und in der Folge gegen die Zwangsbeschneidung, weil es mein Weg ist, mich diesem Trauma zu stellen. Auch ich hatte meine Phasen, in denen ich versucht habe, die „Vorteile“ zu sehen oder diesen Zustand einfach als gegeben hinzunehmen: Es gibt halt beschnittene und „unbeschnittene“ (ich verwende eigentlich mittlerweile nur noch das Wort „intakt“) Männer, und ich bin eben einer der ersteren, so ist das halt. Ebenso gibt es große und kleine Männer, mit braunen oder blauen Augen, mit großen oder kleinen Füßen.. Meine sexuellen Probleme habe ich nicht mit der Tatsache in Zusammenhang gebracht, dass meinem Penis die Vorhaut fehlt.

    Aber erst seitdem ich mich der Wahrheit voll und ganz gestellt habe, komme ich mit meinem Leben klar, habe besseren Zugriff auf dieses Leben, das ich mir so nicht gewünscht habe, auch wenn meine sexuellen Probleme dadurch nicht verschwinden.

    Ich möchte Vorbild sein für alle negativ betroffenen Männer, diesen beschwerlichen Weg zu gehen und sich offen dazu zu bekennen, traumatisiert und beschädigt worden zu sein. Ich fordere Empathie für mich und andere ein. Und ich möchte aufklären, um andere Jungen und Männer vor diesem Eingriff und den Folgen zu bewahren.

  86. Seit 2009 beschäftige ich mich mit dieser Thematik. In jenem Jahr entstand beschneidung-von-jungen.de, mit dem Ziel die verfügbare angelsächsische Literatur darüber zu übersetzen und zu publizieren, um das Thema einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

    Selbst nicht betroffen, ist mir – rein emotional – unvorstellbar, einem Kind Körpergewebe zu entfernen, außer aus dem Motiv einer ernsthaften und eindeutigen medizinischen Indikation. Ekel und Empörung setzten mich damals in Bewegung. Die damaligen Vergleiche mit dem Haare und Nägel schneiden verstärkten diese Empörung. Fürwahr waren das die „schrillen Töne der Debatte“.

    Mit dem Gesetz aus 2012 ist die Beschneidung zur „Wahlleistung“ für Jedermann geworden, nur weil man kulturelle und religiöse Riten weiter ermöglichen wollte. Heute können Eltern ihren Sohn beschneiden, aus ästhetischen (er soll aussehen wie Pappa), hygienischen (Jungen ist das Waschen im Intimbereich nicht beizubringen, Mädchen aber schon), angeblichen prophylaktischen Gründen (dazu werden Krankheiten mit unbedeutender Inzidenz genannt), oder auch etwa um ihm die Masturbation zu erschweren. Mit einem gefälligen Arzt und dem Argument es doch zu tun: „Hauptsache es passiert unter optimalen Bedingungen“, sogar auf Kosten der Allgemeinheit. Auf dem Altar von Religion und Kultur werden damit direkt und indirekt ca. 50.000 Vorhäute jährlich geopfert. Das sind 10%, wo andere Länder in unserer nahen Umgebung Beschneidungsquoten von unter 2% aufweisen (Spanien, z.Bsp.), oder gar nahe Null (Finnland). Diese Diskrepanz möge die deutsche Ärzteschaft begründen.

    Folgt man der Untersuchung von Morten Frisch, induziert die Beschneidung 10% mehr sexuell unzufriedener Männer (38%, statt 28% bei den Intakten). Mithin sind die teilweise schweren Folgen weder quantitativ noch qualitativ eine Randerscheinung.
    Das von Maria Werner erwähnte Beschneidungsforum gründete ich im Sommer 2012, als die unverschämte Leugnung allen Leids und die sexistische Empathieverweigerung, die viele Beschnittenen trifft, uns um die Ohren wehten. Ich kannte aus den Vorjahren genügend solcher Männer, um zu wissen, dass sie in großer Zahl existieren, und es diesem Forum an derartigen Zeugnissen gerade auf Dauer nicht ermangeln würde. Wer sich nicht mehr so allein fühlt, spricht leichter über sein Los.

  87. Ich möchte denjenigen Rezensionen der Ausstellung, die darüber berichten, wie „vorzüglich“, wie gelungen und wie schön die Exponate dort gezeigt worden sind, etwas gegenüberstellen. Es ist der Bericht einer Mutter aus den USA, die bereut, ihre Söhne beschnitten zu haben. Im März 2013 ging sie mit ihrem 5-jährigen Sohn „C“ auf eine Veranstaltung gegen die Routinebeschneidung von männlichen Babys. Dort kam der Junge ebenfalls mit Exponaten in Berührung.

    Der ganze Bericht ist hier in englischer Sprache nachzulesen: http://www.savingsons.org/2013/09/marching-forward-telling-my-son-about.html
    Ich zitiere nur einen kleinen Ausschnitt, den ich übersetzt habe.

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    An unserem zweiten Tag dort war ich am DrMomma-Tisch, auf dem Info-Kärtchen und Bücher lagen. Dort lagen auch ein circumstraint (Anm.: ein circumstraint ist ein Plastikbrett, auf dem die Babys mit auseinandergezogenen Ärmchen und Beinchen festgeschnallt werden) und Beschneidungswerkzeuge. Ich sah, wie sich C dem Tisch näherte und direkt auf die Werkzeuge zuging. Er faßte jedes an. Er hielt ein Skalpell hoch und schaute zu mir auf.

    „Was sind das für Sachen, Mama?“

    Das hatte ich auch nicht erwartet. Ich nahm einen tiefen Atemzug, „Das ist ein Skalpell.“

    Er nahm das Klettverschluss-Band des circumstraints in die Hand. „Was ist das für ein Ding?“

    Meine Erinnerung sprang zurück zu dem Tag, an dem er geboren wurde. Ich sah seinen kleinen 10 lb-Körper, der auf diesem Brett festgeschnallt war. Ich erinnerte sein tiefes Baby-Schreien. Seine bebende Brust. Nie zuvor in meinem Leben war ich so voller Reue.

    „Das ist das Brett, wo sie das Baby drauftun, um es zu beschneiden.“

    „Der Doktor hat mich auf eines von denen draufgelegt?“ Er war so direkt.

    „Ja.“ Wenn wir nicht von hunderten von Leuten umringt gewesen wären, hätte ich angefangen, zu weinen. Ich konnte kaum atmen. Ich denke, zu sagen, dass das getan wurde und den circumstraint zu sehen, waren zwei verschiedene Dinge. Dieses Klettband in seiner Hand zu sehen, war erdrückend.

    Er nahm die Gomco-Klemme. „Was davon hat der Doktor benutzt, um meine Vorhaut abzuschneiden?“

    „Ich weiß nicht genau, Schatz, sie haben es mir nicht gesagt.“ Ich will das nicht wissen.
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    Bevor man prachtvoll ausstaffierte Prinzenkostüme und Ähnliches bewundert, sollte man, wie ich schon einmal bemerkt hatte, den Vorgang SEHEN. Nicht den Klunker um die Amputation herum, sondern die Amputation selbst.

    Ich empfehle daher diese Seite: http://www.savingsons.org/2011/01/neonatal-circumcision-video-for.html

    Ganz oben sieht man eine Gomco-Klemme und ihre korrekte Anwendung. Dann folgen Bilder der Geschlechtsorgane eines Babys namens „Ben“ vor und nach der Amputation. Schließlich folgen zwei medizinische Lehrvideos. WICHTIG: die Videos sind vollständig anzuschauen, und zwar mit Ton.

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