Sie sind überall, und trotzdem wissen viele kaum etwas über sie: Leiharbeiter sind von konventionellen Angestellten nicht zu unterscheiden. Und trotzdem sind sie Arbeitskräfte zweiten Ranges. Sie bringen vollen Einsatz zum Niedriglohn, doch wenn Leiharbeiter erzählen, staunen Festangestellte (pdf-Dokument). – In den vergangenen Tagen erreichten mich mehrere Mails Betroffener, die ich hier dokumentieren möchte.
Karl Arvid Schultheis aus Bad Kreuznach schreibt:
„Bei Berichten über Zeitarbeit wird oft vergessen, dass es Leiharbeiter nicht nur in Fabriken und Lagerhallen gibt, sondern beispielsweise auch in der Gastronomie. Diese Leiharbeiter arbeiten für Cateringdienste und kommen in Hotels, auf Messen, Konferenzen, Fußballspielen und Hochzeiten zum Einsatz. Selbstverständlich ist ihr Gehalt weitaus niedriger als das des festangestellten Personals, denn mehr als die Hälfte des Geldes, dass ein Auftraggeber für eine Leihkraft bezahlt, bleibt bei der Leihfirma. Hinzu kommt, dass sie in der Hierachie ganz unten stehen. Wenn ein Hotelgast Trinkgeld gibt, dann bekommen die Leihkräfte häufig nichts davon.
Wer sich über ungerechte Behandlung oder Arbeitsverteilung beschweren will, dem wird klar gemacht, dass sich dies negativ auf seinem Bewertungsbogen auswirken wird, der bei jedem Arbeitseinsatz durch die Verantwortlichen des Hotels bzw. die Auftraggeber ausgefüllt und an die Leihfirma zurückgeschickt wird. Eine schlechte Bewertung hat zur Folge, dass man weniger Arbeitseinsätze bekommt und folglich einen Verdienstausfall hat. Diese neue Art moderner Sklaverei sollte dringend beseitigt werden, bevor sie sich noch weiter etablieren kann.“
Bernd Liebscher aus Wiesbaden war …
“ … überrascht über den Abdruck des kritischen Leserbriefs zur Praxis der Leiharbeit in unserem geliebten Ländle. Über die Praktiken anderer Länder zu berichten ist ja auch viel einfacher.
Ich arbeite im privaten Sicherheitsgewerbe, wo es genügend Verwerfungen gibt. Es ist nicht nur das Lohngefüge, was bedrückend ist! Aber es ist wohl in einer Geldwelt nicht sehr verwunderlich, dass es auch noch soziale, moralische, ethische Auswirkungen sind, die die betroffenen Menschen und ihr direktes und indirektes Umfeld arg bedrücken. Depressive, also nervliche und andere gesundheitliche Erkrankungen sind nur einige der zusätzlichen Schattenseiten zwischen Nordsee und Zugspitze. Aber erstaunlicherweise berichten die Medien wenig über diese Dinge und lediglich über die noch Jahre dauernde Diskussion über den Mindestlohn.
In unserem Dienstleistungssektor werden gerade im BL Hessen große Anstrengungen unternommen, um die niedrigen sozialen Standards in Windeseile noch weiter abzusenken (z.B. Lohnzuschläge, Urlaubsansprüche).“
Inzwischen gründen immer mehr Unternehmen eigene Leiharbeitsfirmen, entlassen ihre Angestellten und stellen sie als Leiharbeiter mit weniger Lohn und Rechten wieder ein. Ja, das ist, so absurd es auch klingen mag, legal. Diesem Gesetz hat auch die SPD zugestimmt.
Insofern ist der Sklavereivorwurf nicht aus der Luft gegriffen, zumal man sich vorstellen kann, dass der bisher noch illegale “Arbeiterstrich“, an dem man sich seine “Stunden- und Tagelöhner“ aussucht, durchaus Realität werden kann, und in gewissen Bereichen zum Teil schon ist.
Arbeitssuchende finden sich bald alle täglich in einem großen Saal ein (da kann man alte Fabrikhallen anmieten) und die Vermittlerfirma wartet auf die Anrufe von Firmen, die kurzzeitig Fachkräfte benötigen. Ein Horrorszenario ? Nicht nach neoliberalem Standpunkt…..
Keine Frage – mit dieser ausbeuterischen Willkür muß der Staat Schluß machen. Wer denn wohl sonst?!
Da wir in absehbarer zeit keine Vollbeschäftigung mehr haben werden, geht es nicht ohne die strenge Hand des Staates. Dieser muß das Ganze im Augen haben.
Hier ist nicht der starke Staat gefragt, sondern die Verantwortung der Unternehmer.
Ich habe letztens erst einen Bericht verfolgt, in dem es um genau dieses Thema ging. Der veranwortliche Arbeitgeber erklaerte mit verabscheuungswuerdigem Zynismus, dass er Leiharbeiter brauchte um Kosten zu sparen und sie „entlassen“ zu koennen, wenn es einmal weniger Auftraege gibt. Er kann sie ja jederzeit wieder holen. Insofern koennen wir froh sein, das man uns ueberhaupt noch Arbeit gibt.
Solange wir nicht chinesische oder osteuropaeische Loehne verdienen wollen, muessen wir uns staendig das Druckmittel der Abwanderung gefallen lassen, dazu gehoert eben auch das anstellen billiger Leiharbeiter.
Woher nun die Verantwortung der Unternehmer kommen soll? Tja, als Verbraucher hat man ein Druckmittel: das Verbrauchen. Solange hier die „Geiz ist Geil“-Mentalitaet grassiert; wir Qualitaet nach westlichem Standard zu chinesischen Preisen wollen, solange erzeugen wir selbst Druck, unsere eigenen Loehne zu senken. Wenn die Unternehmen aber ihre (angeblich) bessere Qualitaet auch zu einem angemessen Preis verkaufen wollen, muessen sie eben auch entsprechend bezahlen, dass sich das jemand leisten kann, und sowas koennen Verbraucher natuerlich honorieren.
Im uebrigen werden aber auch unsere Unternehmer sehr bald merken, dass allein Gewinnabschoepfung in Zeiten der Globalisierung laengst nicht ausreicht. Nur durch Forschung und Entwicklung behaelt man auf dem Weltmarkt einen vorderen Platz und kann entsprechend weiter mit seiner Qualitaet entsprechend punkten. Shareholder-Value Profilmaxinierung (zu der uebrigens auch der Kleinanleger beitraegt, er will ja schliesslich auch was vom Kuchen abhaben, wenn auch laengst nicht soviel, wie die Grosskupferten) ist einfach kurzfristiges Denken. Es ist sinnloses Vernichten von Technologie und Wissen aufgrund kurzem Reichtums. Dies aber bricht dem System, das es zulaesst, ueber kurz oder lang selbst das Genick.
MfG Jan
Hier ist weder der starke Staat gefragt noch das Verantwortungsbewusstsein der Unternehmer. Es ist politisch naiv, den starken Staat aufzufordern, Leiharbeit zu verbieten, hat doch gerade dieser starke Staat den gesetzlichen Rahmen dafür geschaffen. Es ist gleichfalls naiv, an die Unternehmer zwecks Abschaffung der Leiharbeit zu appellieren, sind doch gerade sie es, die durch Leiharbeiter zusätzlich profitieren.
Auch die Hoffnung auf die Macht des Verbrauchers ist illusorisch. Offensichtlich sind Unternehmensgewinne in Deutschland nicht trotz, sondern wegen der Lohndrückerei möglich. Außerdem scheint der Verkauf verschiedenster Waren und Dienstleistungen auf unterschiedlichen Qualitäts- und Preisniveaus bisher durch Niedriglöhne in Deutschland keinesfalls zu stocken.
Sklaverei, Horrorszenario, ausbeuterische Willkür, verabscheuungswürdiger Zynismus … usw. Harsche Worte prägen die Klage im FR-Blog, aber zu begreifen, dass es um nichts anderes geht als um den Normalvollzug im „Gefängnis der kapitalistischen Wertverwertung“, das ist offensichtlich den meisten Kritikern nicht möglich. Sie sind von der Religion des Kapitalismus und seiner aktuellen neoliberalen Variante zu stark beeinflusst, als dass sie glauben könnten, die kritisierten Lohnverhältnisse seien keine behebbaren Missstände, sondern systembedingte Umstände und Leiharbeit sei kein Missbrauch, sondern der ganz normale Gebrauch von Arbeitskraft im Kapitalismus.
Beschäftigt die FR nicht auch Leiharbeiter?
Vielleicht könnte man beim Thema „Leiharbeit“ bei anderen (europäischen) Ländern schauen, um zu sehen, ob sie es vielleicht anders, bzw. besser machen.
Ich selbst habe einmal für kurze Zeit nach dem Abitur als Leiharbeiter gearbeitet, das war 2003. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass man weniger Geld verdient, als die Festangestellten und außerdem bevorzugt für unangenehme Tätigkeiten herangezogen wird. Man kommt sich wirklich wie ein Mensch zweiter Klasse vor, wobei zu sagen ist, dass man in manchen Firmen auch besser behandelt wird.
Die Konsequenz bei mir und auch bei anderen Leiharbeitern war, dass man natürlich weniger Motivation hat, was letztlich die Arbeitsleistung verringert.
Damit nimmt auch die Qualität des hergestellten Produkts ab.
In manchen Firmen werden auch Fachkräfte durch Leiharbeiter ersetzt, die erstmal eingearbeitet werden müssen und sowieso nicht die gleiche Motivation haben, wie die besserverdienenden Festangestellten. Das diesen Arbeitern häufiger mal Fehler passieren und die Qualität ihrer Arbeit meist auch nicht so gut ist, führt natürlich auch zu einer Qualitätsminderung des hergestellten Produktes.
Interessant ist auch, dass bei Firmenversammlungen, zu denen auch die gerade anwesenden Leiharbeiter gerufen werden, auch über den Erfolg dieser Firma gesprochen wird. Die Bosse loben einzelne Abteilungen, die Festangestellten bekommen Prämien versprochen und die Leiharbeiter bekommen nichts, nicht mal einen Lob für ihre Arbeit.
Dabei wird das erfolgreichste Produkt dieser Firma gerade von Leiharbeitern montiert.
Eine Frage an Georg N.: Wie sollte man denn diesen Mißstand, über den wir hier reden, beseitigen?
Ich wollte früher immer eine Partei gründen. Vielleicht mache ich das auch mal, allerdings habe ich das Gefühl, dass die „kleinen Leute“ keine Chance haben gegen „die da oben“.
@5. Aeryn
Die FR prangert in ihren Berichten gerne den Einsatz von Leiharbeitern an, siehe oben. Auch zu Minijobs, prekärer Beschäftigung etc. gibt es kritische Berichte.
Das ist wenig glaubwürdig, wenn man sich derselben Methoden bedient. Und das dem so ist, darf wohl kaum bestreitbar sein. Nicht nur bei den Zeitungszustellern gibt es fragwürdige Praktiken. Wenn ich mich recht erinnere, hat die FR doch kürzlich angekündigt, Beschäftigte im Servicebereich (Telefon, Empfang etc.) auszulagern. Warum wohl? Weil sie dort weniger Geld bekommen.
Und selbst bei der Redaktion gab es doch vor kurzer Zeit ähnliche Berichte über FR-Pläne in Konkurrenzmedien. Wurde dort nicht auch ausgelagert in irgendweine GmbH? Oder in die Scheinselbstständigkeit entlassen?
Bronski, Sie sind doch hoffentlich noch ein nach Tarif bezahlter Redakteur und kein Leiharbeiter?
@7 mario
Bronski? wer ist Bronski?
ach ja, das ist doch dieser Schattenriss auf der gleichnamigen Seite der FR!
Vielleicht ist es aber auch ein „Schreibroboter“, und da er sich schon lange nicht mehr gemeldet hat, liegt der Verdacht nahe, dass er sich zu „Wartungsarbeiten“ (bekommt vielleicht gerade einen dual-core-Prozessor implantiert) in der ausgelagerten IT-Abteilung der FR befindet ;-)!
Aber mal im Ernst: so lange „die Verantwortlichen“ in den Unternehmen ihr Heil darin sehen, durch Entlassungen oder Auslagerungen Geld einzusparen (und „die Aktionäre sich vergnügt die Hände reiben), so lange wird sich an der Situation nichts ändern.
@ Kommentare 5 und 7
Wollen wir mal bitte die Kirche im Dorf lassen. Welche fragwürdigen Praktiken sehen Sie denn bei der Zustellung der FR? Unsere Zusteller haben mit den Vertriebsgesellschaften, bei denen sie angestellt sind, feste Arbeitsverträge mit geregeltem Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie mit Kündigungsschutz. Dass wir uns im Servicebereich, so etwa auch bei der Gebäudereinigung, einiger Dienstleister bedienen, ist etwas völlig Normales und mit Leiharbeit nicht zu verwechseln.
Scheinselbstständigkeit ist in der Medienlandschaft ein weit verbreitetes Problem. Dem haben wir mit der Gründung einer eigenständigen Redaktions-GmbH abgeholfen. Die Alternative wäre gewesen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit der FR verbunden sind und die wir gern halten wollten, in die Arbeitslosigkeit zu entlassen – denn wie Sie sicher wissen, schrieb (und schreibt) die FR noch keine schwarzen Zahlen. Und der freie Arbeitsmarkt ist für freie Journalisten ein hartes Pflaster.
Diese Kolleginnen und Kollegen sind bei der externen GmbH auf der Basis eines Ver.di-Tarifvertrags fest angestellt, beziehen Urlaubs- und Weihnachtsgeld, genießen Kündigungsschutz und stehen damit besser da als die meisten freischaffenden Journalisten – und verdienen auch besser als diese, wenn auch weniger als FR-Redakteure. Beurteilungen wie die im Eingangstext beschriebenen und ähnliche Schikanen gibt es nicht; wir kannten diese Kolleginnen und Kollegen ja vorher schon und wussten um die Qualität ihrer Arbeit. Wenn sie auch an die FR ausgeliehen werden, ist dies mit den oben beschriebenen Härten der Zeitarbeitsbranche nicht zu vergleichen.
Feste Arbeitsverhältnisse als abhängig Beschäftigte sind heutzutage nicht mehr die Regel, Berufsbiografien sind heutzutage häufig gebrochen. In der Redaktions-GmbH hat die FR einen Weg gefunden, die Gefahr der Scheinselbstständigkeit für die Kolleginnen und Kollegen abzuwenden, ihrem Sicherheitsbedürfnis – sie sind ja auch sozialversichert – Rechnung zu tragen und uns ihre Arbeitskraft und Kreativität zu erhalten, auf die die FR angewiesen ist.
Leiharbeit wurde für die Firmen mit der Absicht geschaffen, unvorhergesehene Aufträge ohne Festeinstellungen abwickeln zu können. Doch damit z.B. Frau Susanne Klatten (BMW, Altana) für 2006 die Rekordsumme von 2,5 Milliarden € Dividende einstreichen kann, beschäftigt BMW in seinen Werken ca. 50% Leiharbeiter. Lt. Aussagen solcher Leiharbeiter (Frontal 21, ZDF) sind Anstellungen von 7 und 11 Jahren ohne Unterbrechung keine Seltenheit. Der Verdienst dieser Arbeiter liegt dann bei 700,00 € Brutto. Diese Hungerlöhne werden über Leistungen der Sozialkassen (Hartz IV) ausgeglichen. Und so subventioniert der Steuerzahler die Dividentenzahlungen an Frau Klatten. Sehen denn die Menschen diese Zusammenhänge nicht? Wo bleibt der Aufschrei?