In diesem FR-Interview antwortet der Potsdamer Psychologe Uwe Schaarschmidt auf Fragen zur psychologischen Situation von Lehrern. FR Leser Ulrich Schmitz aus Hamburg, ein Lehrer, sieht jedoch ganz andere Probleme:
„Es wäre schön, wenn endlich das Märchen von den 13 Wochen ‚Ferien‘ verschwände. Abgesehen davon, dass der Umfang, die Intensität der ‚Ferien‘ von den Fächerkombinationen abhängt, handelt es sich bei Herbst-, Weihnachts- und Osterferien um ‚unterrichtsfreie Zeit‘. Feiertage wie Weihnachten und Ostern sind bereits ‚eingepreist‘. Für Fächer wie Deutsch, Geschichte, Philosophie zum Beispiel mit Oberstufe gelten in etwas folgende Werte:
Herbstferien: bis zu viermal rund 25 Hefte zu korrigieren; in einigen Bundesländern kommt der Entwurf des schriftlichen Abiturs hinzu; Weihnachtsferien: mindestens dreimal 25 Hefte plus, wie in Schleswig-Holstein, Vorbereitung des schriftlichen Abiturs plus Vorbereitung der Notengebung – anschließend bis Ostern durchgehend Unterricht. Osterferien: Korrektur des schriftlichen Abiturs plus normale Korrekturen plus Vorbereitung der mündlichen Abiturprüfungen. Von sechs Wochen ‚großen Ferien‘ darf man getrost zwei Wochen abziehen – Nachbereitung und Vorbereitung.
Statt eines Psychologen brauchen wir: maximal 20 Wochenstunden, maximal 20 Schüler pro Klasse, Entlastung von unsäglichen bürokratischen Horror-Maximen und von sinnlosen ‚Zusatzveranstaltungen mit Außenwirkung‘, Schulpsychologen und ein bis zwei gewiefte Sozialarbeiter sowie ein breiteres Spektrum pädagogischer Einwirkmöglichkeiten, gegen die nicht vor dem Verwaltungsgericht geklagt werden kann.
Außerdem: Es ist nicht einmal Geld vorhanden, Schulen auf einen modernen, menschenwürdigen Standard für alle zu bringen. 150 Schüler und die betreffende Lehrkraft haben, alles zusammen genommen, knapp je 1,1 qm Arbeitsfläche, wenn überhaupt.“
Wie gut, dass ich kein Lehrer bin!
Als Lehrerin im hessischen Schuldienst kann ich Herrn Schmitz nur vollinhlatlich zustimmen. Von den „unterrichtsfreien Zeiten“, genannt Ferien, die in der Tat mit Korrekturen draufgehen – und zwar auch die Feiertage, die in diesen Ferien ja miteingeschlossen sind- sind es auch die Wochenenden, die für Korrekturen herhalten müssen. Man kann Oberstufenarbeiten nicht neben den normalen Unterrichtsvorbereitungn unter der Woche erledigen- d.h. man kalkuliert die Wochenenden zu deren Bewältigung ein. Damit fällt Wochenende nach Wochenende als Erholungspause weg- Erholung ist aber nicht aufschiebbar! Ganz abgesehen von den Auswirkungen, die diese elende Schreibtischarbeit am Samstag und Sonntag auf das Familienleben hat: ich habe noch die Stimme meiner Tochter Ohr, die sich beklagte, dass alle anderen Kinder mit ihren Eltern was am Wochenende unternähmen- nur wir nicht! Und ich konnte ihr nichts anderes sagen, als dass ich diese Arbeit, Klausur, Abiturvorbereitung eben durchziehne müsse, weil der nächste Termin schon anstünde.
Umsomehr hat mich an dem Interview gestört, wie schnell die Rede von den tatsächlichen Belastungen weg zu Bewältigungsstrategien hin ging. Das ist wohlfeil: anstatt endlich das Geld in die Bildung zu stecken, das die Schule zu einem für alle Beteiligten erfreulichen Ort machen würde, zieht man sich (wenn denn überhaupt reagiert wird) mit Hinweisen auf Entlastungs- und Bewältigungsmöglichkeiten aus der Affäre- womit der Ball dann im individuellen Tor liegt und sich alle, die mit den Anforderungen eben nicht klar kommen, auch noch sagen müssen, dass sie ja wohl etwas falsch machen. Diese Herangehensweise an unser Problem kann schon fast als perfide bezeichnet werden, wobei ich diese Strategie Herrn Schaarschmidt in keiner Weise unterstellen möchte. Es ist schon verdienstvoll, endlich bzw. wieder einmal auf die nachweisbare Überlastung der Lehrer/innen hinzuweisen. Neu ist das allerdings nicht, die GEW hat das schon in zahlreichen Studien und Artikeln deutlich gemacht. Aber auch Herrn Schaarschmidts Erkenntnissen wird es wie selbigen gehen- sie werden von der Kultusbürokratie und einem Teil der Elternschaft ignoriert werden, weil es so viel bequemer ist, die „faulen Säcke“ für das international schlechte Abschneiden unserer Schüler verantwortlich zu machen und ( folglich) noch ein paar mehr Erfolgskontrollen und bürokratische Pingeligkeiten einzuführen, als hier endlich einmal die Systemfrage zu stellen. Man fragt sich, warum die Kultusminister unserer Steuergelder für Reisen nach Finnland verpulvert haben……
Im übrigen, schätze ich, werden wir Lehrer/innen bei diesem Thema/Blog wohl unter uns bleiben. Darauf, sich seiner Vorurteile über den Lehrerberuf zu begeben, werden sich nicht viele einlassen wollen.
Überlastete Lehrkräfte, die keine Zeit für ihre Schüler haben.
Miserable Ausstattung von Schulen aller Art (es gab in den letzten Jahren nur Kürzungen der Etats).
Keine Mittel für Kinder- und Jugendhäuser.
Und dann, in 5 bis 10 Jahren, wird wieder nach Ursachen des Anstiegs von Jugendkriminalität gesucht. Dann wundert man sich wieder, weshalb Aggressionen zunehmen. Ja und dann gibt man das 100fache jenes Geldes für Prozesse, Knast und Resozialisierung aus, das man zuvor so sinnvoll hätte anlegen können.
Warum ? Politiker haben lediglich eine 4-Jahres-Perspektive. Was über die nächste Wahl hinausgeht, passt nicht ins Hirn.
@2 Walthor,
„Politiker haben lediglich eine 4-Jahres-Perspektive ..“
Bitte vergessen Sie dabei aber auch nicht das schwache Gedächtnis des „Stimmviehs“, welches sich ein jedes Mal vor den Wahlen durch Geschenke, Versprechungen u.dgl. andere „Einlull-Methoden“ beeindrucken lässt.
Übrigens: das Ganze verschlimmert sich noch, wenn eine 5-Jahres-Legislaturperiode in Kraft getreten wird!
@ 1
Friederike schreibt, man solle endlich wagen „einmal die Systemfrage zu stellen“. Da bin ich ganz ihrer Meinung – jedoch nicht begrenzt auf die Lehrerschaft, die sich selbst nur dadurch auszeichnet, dass sie sich von Politikern viel zu viel bieten und alle Last der Versäumnisse, zumindest verbal, sich aufhalsen lässt. Kaum ein Tag vergeht, bei dem nicht irgendein Exponent aus irgendeinem gesellschaftlichen Bereich von sich gibt, das oder jenes Problem müsse jetzt in der Schule behandelt werden. (Das fängt bei der Fettleibigkeit an, geht über den Drogenkonsum bis hin zur Regulierung der Ballerspiele am Computer.) Dazu kommt das scheinbare Mitredenkönnen aller Beteiligten, da sie alle mal die Schule besucht haben und die Selbstüberzeugung hegen, Experten auf dem Gebiet der Pädagogik und Wissensvermittlung zu sein.
Systemfrage heißt auch, die Seite der Beschulten zu betrachten. Die Ausbildung kostet mehr und mehr Geld. Es beginnt bei den Gebühren für Kindergärten, setzt sich fort bei den Kosten für Lehr- und Lernmittel, die zunehmend privat getragen werden müssen, und endet längst nicht bei den Studiengebühren.
Die Schulen werden verstärkt gedrängt, sich ins Sponsoring zu begeben. Ein Stichwort dafür heißt „Schulen ans Netz“, gefördert von der Telekom. Wir sind auf dem Weg in die Privatisierung des Bildungssystems (neue Marktsegmente), und da kommt es auf die Befindlichkeiten der Lehrerinnen und Lehrer nicht an. Die Privatschulen haben einen riesigen Boom zu verzeichnen – niemand aus der Elite Deutschlands schickt sein Kind in öffentliche Schulen.
Hier, denke ich, wären die Lehrerinnen und Lehrer gefordert, die Funktion des Bildungssystems im globalen Kapitalismus zu betrachten. Dann würden sie wahrscheinlich merken, welche Rolle ihnen zugewiesen ist.
Ich habe gerade 3 Tage unterrichtsfreie Ziet(Sommerferien) und arbeite jetzt die Dokumentation des Arbeits- und Sozialverhaltens und Würdigung außerunterrichtlichen und außerschulischen Engagements von Frau Barbara Sommer durch.
Die Weihnachtsferien gehen für die Abiturvorschläge drauf und wenn eine redaktionelle Überarbeitung erforderlich ist, sind die Osterferien auch hin.
Ich pflichte Herrn Bakunin = bakunix voll und ganz zu.
@ fast alle
Warum immer so übertreiben? Die Realität ist doch schon erschreckend genug.
Meine These lautet: Lehrkräfte benötigen 12 Wochen Urlaub im Jahr (manch andere Berufsgruppen auch, aber das ist hier nicht Thema), weil sie eine besonders anstrengende Arbeit verrichten und weil sie bis auf Ausnahmen eine wöchentliche Arbeitszeit weit über 40 Stunden haben.
Meiner Schätzung nach (alle Schulformen zusammen betrachtet) haben ca. 40 % der Lehrkräfte diese 12 Wochen Urlaub tatsächlich. Weitere 40 % kommen auf ca. 6 Wochen wie alle anderen Lohnabhängigen auch und ca. 20 % sind froh, wenn sie auf 3 Wochen Jahresurlaub kommen.
In unserem Schulssystem krankt es ganz offensichtlich in sämtlichen Bereichen, d.h., in jeder Hinsicht und mit Kontinuität geforderte und/oder überforderte Lehrkörper sind nur ein Symptom der Gesamterkrankung mit vielerlei Symptomen.
Allerorten gibt es fast ausschließlich jammervolle Kritik: Auf Seiten der Lehrerschaft, auf Seiten der Elternschaft und auf Seiten der Schülergemeinschaft. Allerorten ist von Stress, von Aggression, von Überforderung und/oder Unterforderung die Rede: Kinder kapitulieren nach der Grundschulzeit, Lehrer kurz vor der Berentung stehen angesichts des aktuellen Zeitgeistes voll auf dem Schlauch, Eltern blicken angesichts der vielzähligen Ab- und Umänderungen im Schulsystem überhaupt nicht mehr durch und verlieren als Stütze ihrer oftmals haltlosen Kinder selbst jegliche Unterstützung und somit die Fähigkeit, „richtig“ zu handeln und helfend bzw. hilfreich einzugreifend.
Das vorzeitige Abi z.B. brachte ungeahnte Probleme in die Schulen und in die Elternhäuser.
Keiner weiß so recht Rat und Abhilfe, einjeder wurschelt sich so durch.
Kinder wachen mit Bauchschmerzen auf und fürchten den anstehenden Schulttag, Lehrer hetzen gereizt gen Unterrichtsstätte und sind schon vor Schulanfang nervlich am Ende, Eltern fürchten blaue Briefe und Gespräche in der Schule, die zwar Unmengen an Problemen offenbaren, aber keinerlei Lösungsmöglichkeiten für die Betroffenen benennen und anbieten, Schulleiter agieren gegen ihr Kollegium (und umgekehrt) und so weiter, und so weiter.
Fakt ist doch, dass es in der Betrachtung und Diskussion eigentlich nicht um gerechtfertigte oder ungerechtfertigte Urlaubs- und Ferienzeiten von Lehrern gehen sollte, sondern um den maroden Zustand der gesamten Institution Schule, der sich rundherum zunehmend katastrophal gestaltet und entwickelt und alle im öffentlichen Schulsystem Eingebundenen mit voller Härte und Wucht trifft.
So kann es doch nicht weitergehen!
@ 2. Walthor
„Politiker haben lediglich eine 4-Jahres-Perspektive. Was über die nächste Wahl hinausgeht, passt nicht ins Hirn.“
Da irrt Walthor, sie denken auf jeden Fall an ihre Pension – mit 55 oder 57. Sie haben also schon einen gewissen Weitblick. Leider nicht für die Probleme in der Schule, und das schon seit Jahrzehnten.
Übrigens: Lehrer sitzten überproportional in den Parlamenten. Aber Schuldiskussionen werden dort meist so geführt, als spräche man von den glücklichen Zuständen auf dem Mars.
@ Nr. 8 Bruno
Politiker müssen doch nicht an ihre Pension denken. 8 Jahre Arbeit in irgendeinem Parlament und sie haben auf dem Niveau eines Angestellten ausgesorgt. Danach müssen sie nur noch die Gelder für die diversen Aufsichtsratsposten kassieren.
Nix für ungut, aber ich glaube, du hast da was verwechselt……
@ 9. Walthor
Tschuldchung, war zu naiv. Bin jetzt ein wenig klüger.
Aber das mit der „Arbeit“, ist auch etwas blauäugig. War selbst drei Perioden im Parlament.
Übrigens: wenn die Lehrer so überarbeitet sind, warum gehen sie dann noch zusätzlich so eifrig ins Parlament?
@ 10 Bruno
Zusätzlich ? Aber nicht doch. Sie werden natürlich freigestellt und dürften später auch wieder zurück in den Schuldienst, was nur selten vorkommt. Einige werden dann auch Minister (Wolff, Schavan). Es wird oft gemunkelt, dass Lehrer, die mit der Schule und den Schülern nicht zurechtkommen, dann in die Politik abwandern.
Zumindest wäre dann die mangelhafte parlamentarische Arbeit dieser “Ehemaligen“ bezüglich schulischer Themen zu verstehen, sie hatten ja bereits zuvor Null Ahnung…..
@ 11 Walthor
freigestellte Minister, gut (oder auch nicht: Sonderschul-Lehrerin Ulla Schmidt), ich dachte mehr an meine Kollegen im Lokalparlament. Das waren schon „ordentliche“ Lehrer und Rektoren. War zudem förderlich für die berufliche Karriere. Die hätten schon vor Jahren mal den Mund aufmachen können, zu ihrer Firma, sonst reden sie überdurchschnittlich viel, nach meinen Beobachtungen – und nicht nur im Parlament.
Hätte aber dem Fortkommen geschadet. Also alle Probleme schön runterspielen und jetzt nach den Wachmännern vor der Schule rufen.