Heute erreichte mich eine Mail von FR-Leser Wolfgang Fladung, der kürzlich die schöne Frage an mich richtete: „Können Sie sich vorstellen, dass etwas so Wunderbares wie unser Grundgesetz von heutigen PolitikerInnen geschaffen werden könnte?“ Nun entpuppt sich Herr Fladung als Leser der NachDenkSeiten, auf denen viel über Neoliberalismus, Manipulation und Mittelmäßigkeit nachgedacht wird. Wolfgang Fladung schreibt in dieser Mail:

„Für mich wäre es nicht nur interessant, sondern wichtig, einmal von den Thesen von Albrecht Müller ausgehend zu beleuchten, inwiefern wir alle in den letzten Jahren eigentlich manipulierbarer geworden sind. Mein Eindruck ist, daß die meisten Menschen das neoliberale Gesülze, daß sich als allein-seligmachende Wahrheit anbietet und verkauft, so verschlingen wie Fast Food. Das neoliberale Thesen- und Themen-Angebot gleicht ja durchaus Fast Food. Hamburger & Pommes, einfache Wahrheiten, einfache Lösungen.

Gibt es eine Sucht nach neoliberalen Statements, so wie alle, anscheinend besinnungslos, mitklatschen bei der Zombie-Hitparade mit Silbereisen oder Hinterseer am Samstag Abend? Haben wir inzwischen verlernt, Meldungen von Meinungen zu unterscheiden, so wie sie uns von BILD präsentiert werden? Wir hatten doch einmal kritische Medien – warum sind die so schleichend den Bach runter gegangen? Werden wir alle blöder, dümmer etc., oder ist das arrogant bzw. aus dem Elfenbeintum „gepostet“? Wenn wir irgendetwas ändern wollen, bräuchte es dazu aktive Mitmenschen, die sich Gedanken machen, einmischen, und mitgestalten. Aber diejenigen scheinen immer weniger zu werden, oder werden verbraten für Reparaturarbeiten, z.B. am – nicht mehr zu lösenden -Desaster an Berliner Hauptschulen.“

Der NachDenkSeiten-Initiator und Buchautor Albrecht Müller ist nicht unumstritten, aber als ehemaliger Redenschreiber von Karl Schiller auch kein Leichtgewicht. Von 1973 bis 1982 war er Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt bei Willy Brandt und Helmut Schmidt, von 1987 bis 1994 Bundestagsabgeordneter. Aus seinem Mund ist Mittelmäßigkeit ein Schimpfwort. Vor allem die Mittelmäßigkeit der Eliten, die Deutschland führen und für die er kein gutes Wort übrig hat, etwa wenn er fragt, ob die Gründe für die Misere vielleicht darin liegen, „dass wir besonders schlechte Eliten haben, dass sich bei uns das Mittelmaß durchgesetzt hat, sich gegenseitig stützt und zur Erhaltung der gewonnenen Macht auf den Gleichklang der Analysen und Therapien drängt? Der Fisch stinkt vom Kopf her.“ (Aus der Einführung zu seinem Buch „Der Machtwahn“)

Gern greife ich Wolfgang Fladungs Ansatz auf, beflügelt durch einen lesenswerten Aufsatz von Albrecht Müller über die Strategie der SPD, ehemalige Positionen aufzugeben. Denn wir müssen uns angesprochen fühlen. „Wer sind diese Eliten?“, fragt Müller. „Ich verstehe darunter jene, die in unserem Land die öffentliche Meinung und die Entscheidungen bestimmen. Und unterhalb dieser Ebene gehören noch jene hinzu, die sich als Multiplikatoren, als Meinungsführer und als Funktionäre in politischen Körperschaften empfinden.“ Also – wir Medien sitzen mit im Boot. Allerdings bin ich der Überzeugung, dass wir von der FR stets gegen den Neoliberalismus angestunken haben, auch wenn das wenig erfolgversprechend schien (ja, auch hier im Blog).

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14 Kommentare zu “Fast Food zum Nachdenken

  1. @Eliten; ein Problem der heutigen Zeit könnte sein, dass diese Eliten, egal ob in Politik, Staat, sprich Verwaltung, aber auch Parlamenten, Regierungen und Wirtschaft; zwar Teamwork propagieren, aber am liebsten „stromlinienförmig“ denkende und vor allem redende Untergebene, sorry Mitarbeiter mögen! Hier liegt das Problem; in den 70er, also der Wirkungszeit Albrecht Müllers wurde z.B., zwischen Amtsleiter und den „untergebenen“ Hirarchien auch mal diskutiert; fachlich aber auch allgemein. Aber in meinen letzten Dienstjahren stellte ich immer mehr fest, dass dies nicht erwünscht war. Kann sein, dass die Mitarbeiter hierzu keine Traude mehr hatten, kann aber auch sein, dass die Chefs dies als Eingeständnis von Schwäche empfanden und deshalb hierzu keine Bereitschaft zeigten! Auch stellen wir ja alle fest, dass Regierungen auf allen Ebenen sich lieber Lösungen in Form von Gutachten zukaufen, als selber Lösungen zu finden. Ich erinnere dabei an „Berater Berger“, egal ob Regierung oder Industrie überall berät Berger! Kein Wunder, dass deshalb alle dasselbe Lied singen, sogar die Melodien klingen gleich! Boshaft habe ich immer gesagt, als Reserveoffiziere und Längergediente in die Verwaltungen und Chefetagen einzogen, kamen Leute in die Teams, die erzogen waren nach dem Prinzip: „Befehl ist Befehl“ und deshalb immer auf die Weisheit von oben warten; nur ganz oben ist kein Befehlender, bzw. Allwissender mehr und deshalb müssen Gutachten her!

  2. Wenn die heutige Politikergeneration einen Krieg in den Knochen hätte, könnte vermutlich auch sie „so etwas Wunderbares wie das Grundgesetz“ schaffen. Die Politiker waren charakterlich damals auch nicht besser. Eher im Gegenteil – siehe Globke usw. Dieses Wehleidige ist für mich eher die übliche Weltklage jeder Generation, deren Depressivität mit dem Alterungsprozess Hand in Hand zu wachsen pflegt. Sie hätten mal die Opas meiner Jugend über mediokre Figuren wie den Brandt oder den Barzel herziehen hören sollen!

    Wobei mir der „Mythos Grundgesetz“ hierzulande etwas zu hoch gehängt wird: Oder wissen Sie auf Anhieb haargenau, ob nicht das finnische oder irländische Grundgesetz viel perfekter ist? Vergleichende Verfassungskunde habe ich jedenfalls noch nicht betrieben. Dass einige Demokratien sich reibungsloser und sozial verträglicher modernisiert haben als wir Deutschen im Rahmen unseres Grundgesetzes, das scheint mir offensichtlich.

    MfG

  3. Denk-Fastfoot-Schlemmen ist wohl ein Ergebnis von erfolgreichen „Strategien der Verdummung“, die zu einer „Infantilisierung der Fun-Gesellschaft“ geführt haben , wie Jürgen Wertheimer, Peter V. Zima u.a. in dem gleichnamigen Sammelband facettenreich darlegen (Wertheimer / Zima: Strategien der Verdummung, München 2. 2001)
    Es mag Zufall sein, aber just in der Mitte der Ära Kohl, der ja angetreten war, eine geistik(!) – moralische Wende einzuleiten, endete mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten jener kritische öffentliche Diskurs, der Jahrzehnte zuvor die bundesrepublikanische Öffentlichkeit geprägt hatte. Und genau ab da – wo doch schon einige das ‚Ende der Geschichte‘ gekommen sahen- begannen die Strategien der Verdummung zu greifen, vorangetrieben von jenen, die die Macht und das Geld hatten, immer wieder ihre interessengebundenen Parolen, drapiert als unumgängliche Reformen, in die Öffentlichkeit zu posaunen. Und die Öffentlichkeit, verwundert, gelähmt , geschockt, erschrocken und resigniert deshalb, weil die Geschichte unerwartete Brüche zu produzieren in der Lage ist, hat’s geschehen lassen.
    Aber : Auch Bronski hat keinen Grund, sich auf die Schulter zu klopfen. Auch die FR konnte nicht umhin, z.B. den Verdummungs-Strategen vom „Bürgerkonvent“ ganzseitige Anzeigenseiten einzuräumen, während sie im redaktionellen Teil- das ist wohl wahr-partiell gegen den Neoliberalismus anzuschreiben versuchte.
    Und jüngstes Beispiel: Die FR vermeldet stolz, dass ihr Karikaturist Plassmann einen Preis für seine politischen Karikaturen bekommen hat – ausgelobt von der „Initiative Neue Marktwirtschaft“INMW(!!!), jener Propaganda Truppe, die angetreten war, die rot grüne Regierung abzulösen – unter anderem mit der gebetsmühlenartig wiederholten Parole: „Sozial ist, was Arbeit schafft!“ Frau Merkel hatte im Wahlkampf diese Parole ständig im Munde geführt! Die Wähler haben offenbar den Junk-Food -Geschmack bemerkt. – Aber auch die FR?

  4. Lieber Bronski,

    danke für Ihren Beitrag und die wirklich lesens- und bedenkenswerten Links!

    Die Frage des Herrn Fladung nach der Aktualität des Grundgesetzes hat aber nur am Rande mit dem eigentlichen Thema zu tun, auch wenn in einem der Texte von der Ramponierung des Grundgesetzes die Rede ist. Es ist jedoch daran zu erinnern, dass die Ramponierung des Grundgesetzes nicht erst gestern begann, sondern spätestens 1968 mit der Verabschiedung der Notstandsgesetze, die nicht gegen die, sondern mit den Stimmen der von Albrecht Müller vielleicht etwas idealisierten damaligen SPD-„Eliten“ erfolgt ist.

    Seiner Analyse des Vordringens rechter neoliberaler Ideologeme sowie deren Inhaltsleere ist dagegen durchaus zuzustimmen, auch wenn, oder gerade weil, er nicht unumstritten ist. Wäre er dies, wäre er auch nicht lesenswert. Es ist ja gerade die Malaise, dass eben die von ihm aufs Korn genommenen neoliberalen „Reform“-Schwätzer so weitgehend unumstritten sind.

    Neben seinen interessanten eigenen Erfahrungen zur politischen Selbst- und Fremd-Entmündigung der untergeordneten Chargen des Beamtenapparats gibt uns Herr Schulz einen wichtigen Hinweis auf die aktuelle Tendenz der Unterhöhlung des Grundgesetzes. Das Engagement von Beratern und zumal „Experten“-Kommissionen, wie die von Rürup und Hartz geleiteten, für die Ausarbeitung abstimmungsreifer Gesetzesvorlagen, wie sie Schröder praktiziert hat, kommt nicht weniger als einem Putsch des Regierungschef gegen die gewählten Volksvertreter gleich, deren Vorrecht und Aufgabe dies eigentlich wäre.

    Das GG formuliert im wesentlichen die allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte und regelt die Organisation des Staates. Gegenüber der Wirtschafts- und Sozialstruktur verhält es sich weitestgehend neutral. Wo die wenigen allgemeinen Bestimmungen in dieser Hinsicht – Sozialbindung des Eigentums, sozialer Rechtstaat – ein Hemmnis für „Reformen“ darstellen, würde ich für deren Sozialverträglichkeit keinen Pfifferling geben.

    Heinrich Ebbers

  5. @Jochen Maus

    Ein schöner Beitrag, danke dafür!

    Auf der Bürgerkonvents-Anzeige würde ich nicht herumreiten. Die aufgeklärte Öffentlichkeit täte sich wohl keinen Gefallen damit, wenn sie gegen die strikte Trennung von Anzeigen- und redaktionellem Teil optieren würde. Daran basteln andere (vgl. Privatfernsehen!) zu unserem Leidwesen schon genug.

    Der Karikaturen-Preis der INMW für den Karikaturisten Plassmann ist allerdings eine pikante Angelegenheit und passt zu den von Albrecht Müller analysierten Vereinnahmungs-Strategien der Rechten.
    Ich denke, die FR und Plassmann hätten gut daran getan, den Preis abzulehnen.

    Heinrich Ebbers

  6. Kurze Richtigstellung, damit hier nichts Falsches weiter tradiert wird: Das Grundgesetz betimmt neben der „Würde des Menschen“, der Eigentumsverpflichtung, der Sozialisierungseinschränkung, dem Rechtsweg und dem Geltungsbereich noch so allerlei, was in einigen Fällen tief in die Wirtschafts- und Sozialstruktur eingreift. Damit meine ich nicht nur den föderalistischen Staatsaufbau, der dazu führt, dass sich Bund und Länder geradezu in Lust und Permanenz blockieren, was übrigens heute nicht nur die bösen Neocons als eines der wesentlichen Entwicklungshemmnisse Deutschlands ansehen, selbst die Privatisierung von Post und Bahn ist bspw. grundgesetzlich geregelt. Natürlich aber hat das alles mit Wirtschaft gar nichts zu tun.

    MfG

  7. @Chat Atkins
    Danke für die Richtigstellung meiner zugegeben unvollständigen Zusammenfassung!
    Der Föderalismus gehört m.E, bei aller Reformbedürftigleit, zum Besten, was wir zentralistischen Staaten, wie Frankreich, voraus haben, wo ganze Landstriche fern der begünstigten Hauptstadt veröden.
    Die Gründungsväter (und zwei Mütter) wollten halt die unbestrittenen Modernisierungstendenzen des SS-Staates revidieren, zu denen jedenfalls die Abschaffung der Länder und der Gewerkschaften gehörte.

    Heinrich Ebbers

  8. @ Jochen Maus:

    Na ja, auf die Schulter klopfen wir uns eigentlich nur ganz selten. Dazu gibt’s nur selten Grund, denn oft genug müssen wir über Missstände berichten. Aber ich kann Ihnen versichern, dass die neoliberalen Positionen bei uns nicht zum festen Gedankengut geworden sind. Ein Indiz dafür ist dieser Thread, denn hätten wir ihn sonst wohl eröffnet?

  9. Der Neoliberalismus sollte nicht überschätzt werden. Der Vergleich mit Fastfood passt nur insofern, als dass unsere Gesellschaft analog zur US-amerikanischen Bevölkerung sehr oberflächlich geworden ist und Informationen gerne nur noch Häppchenweise konsumiert. Auf der anderen Seite passt das Bild vom Hamburger und den „Freedom Fries“ nicht. Denn die neoliberalen Thesen sind für ein auf sozialen Werten basierendes Gemeinwesen nicht wohlbekömmlich, sondern schlicht Gift. Ich würde deshalb die Vertreter der Zunft, wie etwa die von der Agentur Scholz & Friends promotete „Initiative Neue (Keine) Soziale Marktwirtschaft“ mit Quacksalbern aus dem Wilden Westen vergleichen. Denn das einzige, was passiert, wenn man ihren Ratschlägen folgt, ist, dass man draufzahlt!

  10. @Diskutanten; richtig erfreut bin ich beim lesen dieser Argumente; richtig ernsthaft werden Gründe formuliert und auch mal ein Stein umgedreht, ob etwas tiefer ein Zusatzgedanke erkennbar wird. Aber was können wir tun, um auch wieder in die „herrschenden Kreise“ Vernunft für das Große Ganze und nicht nur für eigenen Profit zu bringen. Sicher, wünschenwert für uns alle, auch dass die FR mit Bedacht etwas bewirken könnte; nur wir dürfen nicht verkennen, der alte Grundsatz gilt immer noch: „Wer das Geld hat, der schafft an“; wie man in Bayern sagt!

  11. Betr.: Fladung – neoliberales Fastfood – Schauen Sie auch einmal nach, was auf zeit.de und im ZEIT-Forum zum Thema (Rütli- und Haupt-) Schule zu lesen ist: Die redaktionellen Beiträge scheinen gegeneinander ‚ausgewogen‘ zu sein, die Kommentare der Forumsteilnehmer aber (zum Thema Abrechnung mit ‚Multikulti‘ und ‚Gutmenschen‘) sind zu 75% jedoch gar nicht mehr lustig. Was ist das für eine Klientel? Und warum gibt es so wenig Widerspruch? Stephan Fröhder (Frö.,14.4.2006) (Der Gipfel des Geschmacks: Ulf Poschardt, zeit.de 12.4….)

  12. Ich möchte gerne noch einmal auf diejenigen zurück kommen, die uns das neoliberale „Fast Food“ zubereiten und verabreichen. Genausowenig, wie wir bei Fast Food überlegen, ob uns dieses auch wirklich bekommt, oder anstatt satt nur fett und damit krank macht, nehmen wir die Glaubensthesen der Verkünder hin. Glauben statt Wissen, hat dies nicht Ähnlichkeit mit allen dogmatisch-Religiösen, ja, fast schon Fundamentalisten? Auch diese sind ja Argumenten gegenüber nicht zugänglich. Wir befinden uns für mich in einer schizophrenen Situation. Wir regen uns über fanatische Muslime auf, die sich ihrerseits über die Mohammed-Karikaturen aufregen. Wir lächeln über die religiösen Fundis in Abend- und Morgenland. „Wir“ sind ja alle so auf- und abgeklärt, geben uns als Agnostiker oder Atheisten, oder zumindest laizistisch eingestellte Gläubige. Was ist aber mit den neoliberalen Streitern für den Abbau sozialer, humaner und ökologischer Standards? Warum hinterfragen wir ihre Thesen nicht, sondern übernehmen sie, einfach so, als ob es sich um fundiertes Wissen und nicht auch um Glaubenssätze handelt? Wenn ich promovieren oder habilitieren will, muß ich meine Arbeit, je nach Gebiet, zumindest theoretisch-mathematisch untermauern. Wer wissenschaftlich forscht, muß die Ergebnisse nachprüfbar veröffentlichen. Bringen Pharmafirmen ein neues Medikament auf den Markt, muß dieses vor der Zulassung lange Testreihen durchlaufen. Das Medikament „neue (un-)soziale Marktwirtschaft“ wird jedoch von jedem geschluckt, weil es als Universal-Heilmittel Linderung aller Leiden verspricht, und falls die Wirkung ausbleibt, liegt es an der Dosis und nicht am fehlenden Wirkstoff. Wieso konnten Raffelhüschen, Miegel, Sinn, Hundt, Rogowski, Mezger und Merz, aber auch Schröder, Clement und Müntefering zu unseren Hausärzten werden, für die wir auch noch – soweit verbeamtet- die Honorare zahlen?

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