Tag der Offenen Tür bei Angie: Kaum jemals zuvor ließ sich der Regierungsstil von Kanzlerin Angela Merkel so unverhüllt besichtigen wie jetzt im Fall der CDU-internen Diskussion um die Homo-Ehe. Der letzte CDU-Bundesparteitag hatte deren steuerliche Gleichstellung mit der Hetero-Ehe noch abgelehnt. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichstellung im Adoptionsrecht scheinen aber nun auch bei den konservativen Wählerinnen und Wählern die Positionen zu wanken: Nach dem letzten Deutschlandtrend sind selbst 55 Prozent aller CDU-Wähler für die steuerliche Gleichstellung, und selbst 52 Prozent der CSU-Anhänger vertreten diese Meinung. Die Kanzlerin könnte sich also an die Spitze einer Bewegung setzen und dem Urteil vieler Wählerinnen und Wähler die Kraft nehmen, dass dieses Land zunehmend nicht durch die Regierung, sondern durch die Gerichte regiert werde. Sie könnte das tun, indem sie sich mit den progressiven Kräften in CDU/CSU und bei Koalitionspartner FDP verbündet und die steuerliche Gleichstellung Gesetz werden lässt, bevor das Verfassungsgericht auch diese (beinahe) letzte Ungleichbehandlung mit seinem nächsten Urteil im Sommer kassieren wird. Sie tut es aber (bisher) nicht. Sie sitzt die Sache aus; darin ist sie noch besser als ihr Lehrmeister Helmut Kohl. Sie regiert nicht, sondern wartet, bis sich das Thema voraussichtlich von selbst erledigt, und man hat kaum eine Ahnung, was sie persönlich eigentlich will, wofür sie als Kanzlerin denn steht. Und zwar tut sie das deswegen nicht, weil sie weiß, dass dieses Thema der Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der heterosexuellen Ehe ein Spaltpilz für die Konservativen ist. Und denen hat sie weiß Gott schon Einiges zugemutet in dieser Legislaturperiode: Wehrpflicht weg, Hauptschule weg, Atomkraft weg – und als nächstes etwa Ehe weg?
Jeder weiß, dass das Unsinn ist. Bisher konnte mir noch niemand stichhaltig erklären, warum die Ehe zwischen Mann und Frau gefährdet sein soll, nur weil Mann und Mann, die keine Beziehungen mit Frauen eingehen können, oder Frau und Frau, die nichts mit Männern anfangen können, ähnliche Bindungsmöglichkeiten erhalten. Die Gründe, warum die Hetero-Ehe heutzutage fragiler erscheint als noch vor beispielsweise 30 Jahren, dürften woanders zu suchen sein – aber das ist ein anderes Thema. Hier geht es nur darum, dass Menschen, die gleichgeschlechtlich lieben, vor dem Gesetz gleichbehandelt werden wollen und müssen wie Menschen, die verschiedengeschlechtlich lieben. Wer liebt, eine Partnerschaft eingeht, diese über Jahre aufrecht erhält und mit dem Rechtsinstitut der eingetragenen Lebenspartnerschaft besiegelt, tut damit kund, dass er Verantwortung für seinen Partner übernimmt. Dies ist ein zutiefst konservativer Wert, der auch aus wohlverstanden christlicher Sicht jede Unterstützung verdiente, ohne Gerichte bemühen zu müssen.
„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, lautet Art. 3,1 des Grundgesetzes. Also müssen sie auch gleichbehandelt werden. Darum wird das Verfassungsgericht demnächst voraussichtlich urteilen, dass das Ehegattensplitting nicht der Hetero-Ehe vorbehalten werden darf.
Woher kommt er eigentlich, dieser inzwischen verzweifelt wirkende Widerstand der Konservativsten? FR-Kolumnistin Mely Kiyak versuchte in ihrer Kolumne vom 9. März eine Antwort: „Die Gegner sehen ihre eigene Lebensmodelle diskreditiert und herabgesetzt, wenn sie sich ihre Privilegien und Freiheit mit Menschen teilen sollen, die sie aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung oder Herkunft oder Religion als nicht gleichwertig betrachten. (…) An Diskussionen wie über die Homo-Ehe bemerkt man, wie sehr unsere Gesetzgebung von Konservativen, Traditionalisten und Religiösen bestimmt wird, die es nicht schaffen, sich von einer von Müttermythos und Mutteranbetung durchtränkten Kultur und Religion zu emanzipieren.“
Zu dieser Kolumne folgende Leserbriefe. Klaus Pansa aus Hamburg meint:
„Liebe Mely Kiyak, ergänzend zu Ihrer Kolumne möchte ich anmerken, dass aus der Bibel nicht unbedingt hervorgeht, dass ein gewisser Jesus von Nazareth viel mit Frauen rumgemacht hat noch der Aufforderung gefolgt ist, fruchtbar zu sein und sich zu mehren. Eher liest man dort jedoch, dass oben genannter Herr jahrelang in einer Kommune gelebt hat, die wohl ausschließlich aus Männern bestand. Das gibt mir doch sehr zu denken. Vielleicht ist dies der entscheidende Hinweis darauf, dass auch die Homo-Ehe den göttlichen Segen haben könnte.“
Dr. Günther Braun aus Koblenz hingegen:
„Im Jahr 1000 n.C. benützte im Kloster St. Gallen der Mönch und Lehrer Notker Labeo das westgermanische Wort Ehe für den vor Gott und der Gemeinde geschlossenen Vertrag zwischen Mann und Frau, gültig bis dass der Tod die Ehe scheidet: in guten und in schlechten Tagen einander beizustehen und für die gemeinsamen Kinder zu sorgen. Das Neue daran war nicht die Ehe selbst, eine naturgegebene Institution, und auch nicht der von der römisch-christlichen Vernunft gegebene Vertrag dafür, sondern dass der Vertrag in deutscher Sprache, nicht mehr in lateinischer abgefasst war.
Sie wollen nun das von Natur Gegebene und die von Menschen, welche in Gemeinschaften leben, seit je gesicherte Institution auf den Müllhaufen Ihres eingeschränkten Geschichtshorizontes werfen. „Ich finde Heiraten extrem oldschool und kapitalistisch“, schreiben Sie. Eine extrem törichte Bemerkung, die suggeriert, Ehe habe es vor dem Kapitalismus nicht gegeben und sie sei aus dessen Interesse entstanden. Und dann machen Sie einen Salto mortale und beschimpfen die Tradition der ehelichen Verbindung als „schwülstig“, „von Religiösem bestimmt“: „… die es nicht schaffen, sich von einer vom Müttermythos und Mutteranbetung durchtränkten Kultur und Religion zu emanzipieren“. Bisher habe ich von Feministinnen immer – zu recht – gehört, dass unsere Wirtschafts-, Kultur- und Religionsgeschichte viel zu männlich geprägt sei und dass der Kampf der Frauen gegen diese Dominanz der Männer sich richte, nicht aber gegen deren Mutteranbetung. Das kann Ihnen doch nicht entgangen sein.
Was immer das Verfassungsgericht in Sachen Homo-Ehe entscheiden wird, es wird in unserem Rechtsstaat durch eine Gesetzgebung Geltung bekommen, auch gegebenenfalls gegen die Erkenntnis der Kinderpsychologie, dass die beste, wenn auch oft leider nicht herstellbare Situation für Kinder die Familie ist, in der Mutter und Vater den Kindern emotionale Festigkeit, Selbst- und Weltvertrauen vermitteln.
Wie auch Sie erwähnen, zeigt die Debatte um die homogene Ehe, dass die Betroffenen die vollständige rechtliche Gleichstellung mit der archaischen heterogenen Ehe verlangen; zu Ihrem Missvergnügen; sehen Sie doch, so scheint es mir, in jeglicher Paarung ohne Ehevertrag und mit Zeugung des Nachwuchses in der Petrischale die wunderbar aufgeklärte Zukunft für Weib, Mann und Kind – was braucht es da „schwülstige Traditionslehre“ und Verträge, die die Menschen doch nur knebeln.“
Christa Ziller aus Neu-Isenburg:
„Sehr geehrte Frau Kiyak, Ihre Kolumne zur Homo-Ehe fand ich sehr gut. Ihrem Schlusssatz möchte ich allerdings widersprechen. Nicht die „heiligen Schriften“ sind Ursache für die „Denkschwierigkeiten“, sondern Dummheit und Naivität bzw. Unaufgeklärtheit ihrer Leser, die nicht verstehen (wollen?), dass auch heilige Schriften Ausdruck des Zeitgeistes ihrer Entstehung sind und dass es darum geht, den wesentlicheren Kern der Aussagen freizulegen. Ich nenne ihn Respekt („Liebe“ empfinde ich als Überforderung) gegenüber den Mitmenschen und ihren unterschiedlichen Lebensentwürfen.“
Wiedereinmal falsch gestellte Fragen und falsche Antworten.
Man kämpft um „Gleichberechtigung“. Hier sollten es schon Fragezeichen regnen.
Staat und solche, die sich für deren Vertreter halten, maßen sich an, bestimmte Lebensführungen zu „berechtigen“ und per Gesetz und fremdem Geld zu begünstigen, andere aber nicht zu „berechtigen“ und zu beungünstigen.
Die Ungleichberechtigung findet von „oben“ statt, um bestimmte Lebensführungen zu erzwingen. Dazu besteht aber kein Recht, nur die Macht dazu.
Der „Standard“ sollte sein, jeden Menschen(jedes Paar)gleich zu behandeln und „Begünstigungen“ dann zu gewähren, wenn ein erhöhter Aufwand nachgewiesen wird, also etwa eine verminderte Erwerbsmöglichkeit eines Partners wegen sozialer Leistungen, die nicht entlohnt werden, also bspw Kindererziehung. Der Staat tritt hier für die reduzierte Verwertbarkeit der Arbeitskraft ein. Dies allein ist eine Perversion, da Löhne im normalen Verständnis hoch genug sein müssten, um eine Familie zu ernähren. („Steuererleichterung“ ist nur ein Unwort für ungerechte Löhne)
Mit dem Geschlecht der Partner oder einem biologischen oder nichtbiologischen Erzeugen von Nachwuchs hat das überhaupt nichts zu tun. Eine Lebenspartnerschaft fußt nicht auf der Bedingung, Nachkommen zu erzeugen. Sie fußt auch nicht auf der Bedingung, soziale Leistungen des Wohlbefindens oder der Versorgung mittels Aufopferung zu erbringen.
Eine Lebenspartnerschaft fußt auf der Bedingung, eine gegenseitige Erfüllung zu finden, die von niemandem anderen, nicht vom Staat und nicht von der Kirche und von niemandem sonst erbracht werden kann.
Ziel des Staates kann deshalb nur sein, optimale Lebensbedingungen für Individuen zu schaffen.
Das weite Feld der Beziehungen geht ihn nichts an.
(Die Kirche lasse ich hier bewußt aussen vor, da sie nur Meinung, nicht Wahrheit vertritt)
„Eine Lebenspartnerschaft fußt nicht auf der Bedingung, Nachkommen zu erzeugen.“
Das vielleicht nicht, aber die Entscheidung des Staates, das Zusammenkommen von Mann und Frau nebst Bildung einer stabilen Fürsorgegemeinschaft finanziell zu unterstützen fußte selbstverständlich auf der Erwartung, daß in dieser Gemeinschaft Nachkommen erzeugt werden… denn nur das kann doch den Staat interessieren… Verhältnisse zu subventionieren, die künftige Steuerzahler produzieren, bzw. die Perpetuierung der Verhältnisse insoweit erlauben, daß nicht alles zusammenbricht, weil irgendwann keine Menschen mehr da sind.
Über die Tatsache, daß es auch Ehen ohne Kinder gibt, die aber trotzdem steuerlich profitieren, sah man lange Zeit gnädig hinweg, weil es solche Fälle ja früher kaum gab… allenfalls vielleicht aus medizinischen Gründen. Mit der Zeit aber hat die Kinderarmut in Ehen statistisch betrachtet stark zugenommen, sodaß die staatliche Förderung der Ehe schon fragwürdig geworden ist, bevor das Thema Homo-Ehe überhaupt auftauchte. Wenn der Staat die Entstehung künftiger Steuerzahler fördern will, kann er das nicht minder wirksam tun, wenn er abwartet, bis diese das Licht der Welt erblicken, und dann mit den Förderungen beginnen… und nicht schon prophylaktisch vorher, und später, ätsch, gibts dann doch keine Kinder, die Förderung geht aber trotzdem weiter.
Zuallererst müsste also die staatliche, steuerliche oder sonstige finanzielle Ungleichbehandlung von Personen in einer Ehe und Personen außerhalb einer Ehe komplett abgeschafft werden. Dann, anschließend allerdings sollte sich verheiraten können, wer will und wer es dann noch braucht.
P.S. Dann könnte es auch Ehen zwischen einer Frau und fünf Männern geben, oder, und dafür plädiere ich auch ganz stark, Ehen zwischen einem Mann und fünf Frauen. Wieso sollte man denn 6 Menschen, die in einer Ehe miteinander leben wollen, diskriminieren, indem man ihnen das verbietet?
“Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich”, lautet Art. 3,1 des Grundgesetzes. Also müssen sie auch gleichbehandelt werden.
schreibt Bronski. Das gilt doch auch für jene, die eine solche Gruppenehe anstreben. Die Festlegung, daß eine Ehe nur zwischen 2 Menschen bestehen kann, ist doch nicht weniger willkürlich (oder nicht willkürlich) wie die Vorstellung, daß eine Ehe zwischen einem Mann und einer Frau bestehen kann. Also sollte auch eine Ehe z.B. zwischen zwei Frauen und zwei Männern möglich sein, wenn sich Menschen anfinden, die solches wünschen.
Die Ehe,“eine naturgegebene Institution“? So wie ich die Natur verstehe, ist nur der Sexualtrieb „natürlich“ und dient in erster Linie der Fortpflanzung, wie bei allen Säugetieren auch.
Alles drumherum ist von Menschen erdacht, um ein erträgliches Zusammenleben in Gesellschaft zu ermöglichen.
Dass es Unterschiede zwischen einer Homo-„Ehe“ und einer Ehe zwischen Frau und Mann gibt, kann nicht bestritten werden. Auch wenn Kinder „künstlich“ erzeugt werden können, ist die natürliche und für die Sicherheit der Kindesentwicklung normale Verbindung die zwischen Frau und Mann. Das heißt aber nicht, dass alle Aspekte von Ehen zwischen gleichgeschlechtlichen und gemischten Partnern unterschiedlich zu sehen sind. Im Gegenteil: Wenn zwei Partner eine Unterhaltsverpflichtung eingehen, wenn sie in der Diktion des Verfassungsgerichts eine „Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft“ bilden, gibt es hinsichtlich dieses Aspekts keinen Unterschied zwischen beiden Vertragsformen. Dann muss das Homo-Paar steuerlich gerecht behandelt werden, das heißt dass es steuerlich nicht höher besteuert werden darf als zwei Ledige (horizontale Gerechtigkeit), und zwar auf der Grundlage des Artikels 3 Grundgesetz, nicht auf der Grundlage des Artikels 6 Grundgesetz (traditionelle Ehe).
Das sogenannte Ehegattensplitting ist also auch auf die Homo-„Ehe“ anzuwenden. Es trägt – historisch begründet – nur einen falschen Namen. Es dient im Falle der traditionellen Ehe nur der steuerlichen Gleichbehandlung mit Ledigen mit gleichem Einkommen.
Sicherlich wäre es korrekt gewesen, hätte man für Homo“ehe“ einen neuen Begriff erdacht. Aber jetzt ist er in aller Munde, jeder weiß, was gemeint ist.
Normalität ist erst dann gegeben, wenn man keine spezifischen Begriffe mehr braucht.
Hier meine Definition von Ehe:
Ehe heißt, sich ein gegenseitiges Versprechen zu geben, von einem Aussenstehenden bezeugen zu lassen und diesen zu berechtigen, für die Erfüllung des Versprechens einzutreten, sowohl gegeneinander, als auch gegenüber Dritten, wenn diese Leidtragende des nicht eingelösten Versprechens werden könnten.
Die biologische Bedeutung der verschiedenen Formen des Zusammenlebens könnte man auch erörtern, aber die tun eigentlich nichts zur Sache,da Ehe mit Fortpflanzung in keinem ursächlichen Zusammenhang steht.
M. E. zeigt die aktuelle Diskussion vor allem, dass der Gesetzgeber sich dringend an die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung anpassen muss. Eine Ehe war für die Fortpflanzung noch nie erforderlich, man wollte aber mit dem Ehegattensplitting dazu motivieren. Seit über 40 Jahren leben wir aber nun mal in einer Welt, in der die Eheschließung allein keineswegs immer oder in der Regel zur Fortpflanzung führt. In gleichgeschlechtlichen Ehen ist das auf natürliche Weise gar nicht möglich. Insofern muss die Entscheidung über die Aufnahme gleichgeschechtlicher Ehen in das Ehegattensplitting (was das BVG fordern wird, da bin ich ganz sicher) in seiner Gesamtheit überdacht werden. Wenn in erster Linie ein Bevölkerungszuwachs durch mehr Geburten angestrebt wird, muss auch dort gefördert werden, wo Kinder sind. Und nicht dort, wo möglicherweise irgendwann einmal welche sein werden. Das Stichwort lautet „Familiensplitting“. Hierbei darf es nicht auf den gesetzlichen Stand der Eltern ankommen. Das bedeutet natürlich, dass auch gleichgeschlechtliche Paare, die – wie auch immer entstandene – Kinder großziehen, genauso unterstützt werden müssen. Die steuerliche Subventionierung allein der Tatsache, verehelicht zu sein, ist obsolet. Es ist zu hoffen, dass der Gesetzgeber dies ungeachtet moralistischer Einwände irgendwann erkennt.
@Ernst Niemeier: Es gibt kein größeres Märchen als das von der „Natürlichkeit“ in Bezug auf die Verhältnisse, in denen Kinder aufwachsen. Sie selbst hinterfragen die „Natürlichkeit“ der Verbindung Frau-Mann in diesem Punkt, in dem Sie plötzlich von der Natur auf Norm umschwenken, da Sie im gleichen Satz von einer normalen Verbindung schreiben. Wie denn nun, Natur oder Norm? Abgesehen davon ist die „natürliche“ Verbindung Frau-Mann gerade einmal für die Zeugung nötig. Männer sind danach redundant, für die Kinderaufzucht sind sie nicht nötig. Das zeigt sich darin, daß sie zwar gemäß patriarchaler Gesellschaftsnorm einen Besitzanspruch auf „ihre“ Kinder erheben, aber bei deren Aufzucht meist durch emotionale und auch körperliche Abwesenheit glänzen.
Richtig verlogen wird es aber dann, wenn Sie zur „Natürllichkeit“ die „Sicherheit der Kindesentwicklung“ ins Spiel bringen. Wenn die gesellschaftlich genormte Mama-Papa-Kinder-Familie tatsächlich ein Garant für die Sicherheit der Kindesentwicklung ist, wieso laufen dann so viele Kaputte durch die Welt, die genau diesen Familien entstammen? Nein, die heile und sichere Kinderwelt in einer Idealfamilie ist und war ein Mythos des patriarchalen Bürgertums, der in der Realität quer durch alle Gesellschaftsschichten nicht existiert. Gerade die abgeschottete Welt der bürgerlichen Familie begünstigt vielmehr unkontrollierte emotionale und körperliche Gewalt gegenüber und Ausbeutung von Kindern. Das kann ich im Gegensatz zu Ihnen nicht als Ideal sicherer Kindesentwicklung sehen.
@ Napez,
da stimme ich Ihnen voll und ganz zu!
Eine Akzeptanz von Ehen zwischen Homosexuellen würde die Abschaffung des Ehegattensplittings auch befördern, denn für viele Gegner besteht doch das Problem lediglich darin: Staatliche Förderung einer Homo-Ehe… wozu das denn?
Im Grunde wird aber auch noch gefördert, keine Lust auf Berufstätigkeit zu haben und sich das vom Staat bezahlen zu lassen (unabhängig von (künftiger) Homo- oder traditioneller Ehe)… und auch da muß die Frage in den Fällen erlaubt sein, in denen es gar keine Kinder in dem Alter gibt, in dem der Erziehungsaufwand eine Berufstätigkeit eines Partners nicht erlaubt… wozu diese Arbeitsunlust staatlich fördern?
Psychologen sind sich einig, dass Kinder vor allem eines brauchen: Stabile Beziehungen zu im Idealfall sozial, kommunikativ und versorgungstechnisch kompetenten Menschen (selten soll es auch mal mit Wölfen geklappt haben). Umso stabilere und kompetentere, je jünger sie sind, wobei zu Beginn die Mutter versorgungstechnische Vorteile bietet. Sonst ist das Geschlecht der Bezugsperson(en) sekundär. Schließlich gibt es Männer, die weiblicher sind als viele Frauen, und umgekehrt. Im Grunde hat jeder mehr oder weniger beides. Wir neigen dazu, den „kleinen Unterschied“ zu überschätzen. Anwesenheit und Kontakt, auch Körperkontakt, und Fürsorge sind für Kinder das Entscheidende, nicht was die Bezugsperson zwischen den Beinen hat.
Was Anwesenheit und Kontakt betrifft, gilt die simple Regel: Je mehr, desto besser. Vor allem wegen des angebotenen Materials an Denk-, Fühl- und Verhaltensweisen, das vorgelebt wird und aus dem das Kind seine Persönlichkeit baut. Weil Kinder – eigentlich eine Binsenweisheit – vor allem durch Abschauen lernen und nicht durch Indoktrination und Dressur. Das macht sie nur krank.
In diesem Sinn hat Katharina Saalfrank Recht, wenn sie sagt, Erziehung sei überflüssig. Das hängt aber davon ab, was man darunter versteht. Grundsätzlich bringen autoritäre Eltern autoritäre Kinder hervor, gewaltsame gewaltsame, desinteressierte desinteressierte und so fort. Auf den Müll also mit dem Glauben, man könne die eigenen Schwächen gegenüber den Kindern hinter Mauern aus Regeln, Ver- und Geboten verbergen (nach dem Motto „Mach’s gefälligst besser als ich“). Kinder sind zu intelligent, um das nicht zu durchschauen. So untergräbt man nur seine Autorität. Echte, natürliche Autorität entsteht aus Kompetenz und wird von den Kindern „verliehen“. Sie macht sie glücklich und gibt ihnen Sicherheit.
Dies bedeutet, dass die Einehe, erst recht wenn auch noch einer durch Abwesenheit glänzt, ein extrem verarmtes Sozialbiotop darstellt, das dem Bedürfnis der Kinder nach Kontakt und Geborgenheit kaum gerecht werden kann, noch weniger dem nach Anregung zu eigener Entwicklung, verglichen etwa mit der traditionellen Großfamilie oder wie es das englische Sprichwort nahelegt: It takes a village to raise a child.
Völliger Aberglaube schließlich ist die Idee, die Einehe, und nur die Einehe, sei natur- oder gottgegeben. Historische Bildung hilft. Vermutlich herrschte während der Steinzeit in vielen Regionen der Erde ein Matriarchat, wie weit verbreitete Funde von „Venusse“ genannten Figuren nahelegen, die wahrscheinlich Göttinnen darstellen, vielleicht Erd- oder Muttergöttinnen. Versprengte Reste matriarchaler Kulturen (Himalaya) zeugen heute noch davon. Sie sind polygam bis promisk, Frauen stellen das Familienoberhaupt und bestimmen die Erbfolge. Im Übrigen zeichnen sie sich durch das Fehlen männlicher Rivalität und besondere Friedfertigkeit aus.
Das afrikanische Volk der Wahabe heiratet mehrmals. Männer wie Frauen haben also mehrere Partner (wobei es auch Scheidungen gibt), und auf natürliche Art bilden sich Großfamilien, die die Kinder gemeinsam erziehen. Welch Luxus nicht nur für die Erwachsenen, sondern für die Kinder, ein Dutzend Eltern zu haben! Noch besser haben es nur Kinder einiger indigener Völker Südamerikas, die noch im Stammesverbund leben und die Kinder gemeinsam erziehen. Zwar kennt jedes Kind seine Eltern und hat eine besondere Beziehung zu ihnen, doch nimmt die Fixierung mit zunehmendem Alter ab zugunsten weiterer Beziehungen, die sich ergeben, da sich für die Kinder alle verantwortlich fühlen.
Man sieht, die Vielfalt traditioneller Familienverbände und Frau-Mann-Beziehungen ist im Menschenreich fast so groß wie im Tierreich. Das Patriarchat samt patriarchaler Ein- oder Vielehe scheint eine Erfindung des Altertums zu sein. Die Doktrin, sie sei der Weisheit letzter Schluss, nur weil man in der Zeit das Buch und die Buchreligion erfand, entbehrt jeder Grundlage.
Ich würde gerne den Anthropologen Stanley Diamond zitieren, weil die Folgen der Kleinfamilie ja noch viel weiter und tiefer reichen: „Das,was wir romantische Liebe nennen, beruht auf dem Gefühl der persönlichen Isoliertheit. In dem Maße, wie die Familie auf eine abgesonderte biologische Gruppe reduziert wird, die aus Eltern und Kindern besteht, wie die Sippenbande abgeschwächt werden, nimmt die affektive Belastung der Familie zu. Genau derselbe soziale Prozeß aber, der den emotionalen Druck auf die Familie intensiviert, macht es ihr in zunehmendem Maße unmöglich, diese Erwartungen zu erfüllen. Nicht nur ist die Familie längst nicht mehr das Zentrum der ökonomischen, politischen und kulturellen Betätigung, sondern typischerweise ist jedes Familienmitglied während des größten Teils seiner Tageszeit in ein anderes Kollektiv integriert – in die Schule, die Fabrik, das Geschäft. Außerdem löst die Verwirrung bei den Geschlechterrollen zusammen mit anderen Faktoren die Identität der jeweiligen Partner und Generationen auf und führt zu einer mechanischen Abhängigkeit von Gruppen Gleichaltriger und Gleichgestellter. Insbesondere kann die zersplitterte Familie die Abhängigkeitsbedürfnisse ihrer Mitglieder nicht befriedigen, weil die soziale Realität dieser Kerneinheit durch ihren Funktionsverlust in Frage gestellt worden ist. Die Familie fördert jedoch diese Abhängigkeitsbedürfnisse und verstärkt in der Folge durch mangelhafte Befriedigung die Frustration, während sie gleichzeitig ein hohes Niveau kindlicher Erwartung aufrechterhält. Da die Lösung von Abhängigkeitsbedürfnissen eine Grundbedingung für eine gegenseitige Liebeserfahrung ist, „verliebt sich“ der romantisch Liebende, wie dies in einem beliebten Schlager beklagt wird, „Falling in love is falling for make believe“ (…). Das romantische Bewußtsein wird von der Liebe als einer Abstraktion und nicht etwa davon beherrscht, daß man eine andere Person als lebendes Wesen in der Welt liebt,und dies verwandelt die ganze Vorstellung des Romantischen, die ein Mitfühlen mit der Innerlichkeit des anderen voraussetzt, in eine sentimentale Sehnsucht mit dem Wunsch, sich den anderen einzuverleiben.
Die Projektionen der „romantischen“ Liebe sind also das Ergebnis des Entzugs von Affekten innerhalb der Kernfamilie, die gelähmt innerhalb einer bürokratischen Gesellschaft verharrt. Für die Person, die sich „verliebt“, ist der andere die Zusammenfassung aller stimulierten, jedoch unerfüllten, vorgestellten, jedoch nicht erfahrenen Beziehungen zur Familie – Vater, Mutter, Schwester, Bruder, Tante, Onkel, Kleinkind.“ (Stanley Diamond, Kritik der Zivilisation, Frankfurt 1976, S. 115/116)
Noch ein Wort zur „Lust auf Berufstätigkeit“: Ich denke, daß es in der gegenwärtigen Gesellschaft absolut verständlich ist, wenn jemand keine Lust auf Berufstätigkeit hat. Wenn jeder einen Beruf ausüben könnte, der ihm ausreichend Unterhalt und vor allem Anerkennung verschafft, dann müßten wir doch wohl unsere Büros alle selbst putzen! Das funktioniert nicht, weil die Gesellschaft eben so arbeitsteilig organisiert ist, daß es derartige Drecksarbeiten gibt. Warum werden Menschen aber qua Arbeitsamt/ Hartz IV da hineingezwungen? Bevor wir die Arbeitswelt nicht so umstrukturiert haben, daß sich niemand mehr gedemütigt fühlen muß, finde ich keine Lust haben in Ordnung. Und noch eins: Sollte das Splitting aufgehoben werden, müssen entweder Freibeträge kommen, oder aber das staatliche Verantwortlichmachen von Lebenspartnern muß gestoppt werden. Freuen wir uns auf das entstehende Arbeitslosenheer!
Die hysterische Erwiderung von EvaK deutet darauf hin, dass meine einfache Feststellung der „Normalität“ der Frau-Mann-Beziehung für eine sichere Kindesentwicklung auf eine ideologische Voreingenommenheit getroffen ist. Der „Normalität“ widerspricht doch nicht die Tatsache, dass es Fehlentwicklungen gibt; dass es „kaputte“ Familien gibt; dass es „Kaputte“ gibt, die vielleicht mehr oder minder kaputten Familien entstammen. Im Übrigen wird die bekannte Erziehungsschwierigkeit von Eltern manchmal in der Formulierung ausgedrückt, dass aus den Kindern trotz der Erziehung der Eltern etwas geworden sei. Aber all diese Ausnahmen ändern nichts daran, dass für die Entwicklung der Kinder normalerweise beide Elternteile wichtig sind. Das bestätigen nicht nur persönliche Erfahrungen im engeren und weiteren Umkreis. Das bestätigen auch nicht nur die Erfahrungen im engeren und weiteren Umkreis im Falle gescheiterter Ehen. Diese Erkenntnisse bieten auch die Entwicklungspsychologen an, die man nicht mit dem absurden Vorwurf abtun kann, dass es sich bei der behaupteten „Normalität“ um einen „Mythos des patriarchalen Bürgertums“ (das es gar nicht mehr gibt) handle: „Trotz der radikalen Veränderungen im Familienleben ist die Familie immer noch der wichtigste Teil im Netz der sozialen Beziehungen des Kindes“. Die Entwicklungspsychologen belegen auch die Bedeutung beider Partner, wenn auch mit unterschiedlichem Gewicht, für die Entwicklung des Kindes. Die durch nichts belegte Behauptung, dass Männer nur bei der Zeugung notwendig seien und bei der „Aufzucht meist durch emotionale und körperliche Abwesenheit glänzen“, ist – auch wenn es solche Fälle gibt – nicht nur ärgerlich, sondern schlicht falsch. Zurückweisen muss ich auf der Grundlage von Erfahrung und entwicklungspsychologischer Erkenntnisse, dass die Betonung der „Natürlichkeit“ der Bedeutung von Müttern und Vätern verlogen sei. Welche eigenen Erfahrungen mögen EvaK zu solch emotionalen und unqualifizierten Aussagen veranlasst haben?
@Ernst Niemeiner: Das ist die übliche aggressive Diffamierungsmethode, wenn ein Mann sich von einer Frau verbal attackiert fühlt und er keine Argumente hat – er wird ausfällig und beschimpft sie als hysterisch. Damit haben Sie sich als ernsthafter Disputpartner dauerhaft disqualifiziert. Meine Darlegungen sind Ihrer Aussage nach durch nichts belegt und schlicht falsch. Na dann, das kann ich Ihnen ohne Abstriche zurück geben. Für meine Aussagen habe ich mehr als genug Literatur, Sie aber wohl nicht anerkennen werden, weil durchgehend feministisch – also aus Ihrer Sicht hysterisch und schlimmeres. Allerdings lese ich, nur anders formuliert, bei Gerhard Rudolf kaum etwas anderes, als ich schreibe. Wollen Sie Gerhard Rudolf jetzt als prostatisch bezeichnen?
@ Ernst Niemeier #13
Das Normale ist das statistisch häufigste, nicht unbedingt das beste. Aber selbst, wenn wir evolutionär argumentieren – angepasst sind wir wahrscheinlich an das „Normale“, müssen wir vorsichtig sein, weil wir oft nicht wissen, an welchen Parametern die Evolution das „Normale“ festmacht: So wurden bestimmte Strudelwürmer früher gerne als Anzeiger für sauberes Wasser mit Trinkwasserqualität benutzt, weil man sie immer nur in klaren Gebirgsbächen gefunden hatte. Bis man sie im stark turbulenten Abwasser einer Brauerei entdeckte und ihre Bedürfnisse genauer untersuchte – sie brauchen nur sehr viel Sauerstoff.
Übersetzt auf die Kindesentwicklung: Ich stimme Gerhard Rudolf (#11) zu, wenn er von einer Überbetonung des biologischen Geschlechtes spricht, wichtiger als ihr Geschlecht ist mit Sicherheit die Zuverlässigkeit der Bezugsperson für die Entwicklung der Kinder, dann dürfte folgen, dass Kinder ein möglichst vielfältiges Rollenangebot vorgelebt bekommen. Die Primitivanforderung von Mann und Frau als optimale Entwicklungsumgebung unterschätzt die Flexibilität des menschlichen Geistes bei Kindern. Das funktionierende klassische Paar ist mit Sicherheit eine Möglichkeit innerhalb des Optimums menschlicher Entwicklungsbedingungen, aber sehr wahrscheinlich nicht die einzige.
Es gibt übrigens inzwischen hinreichend empirische Daten zu diesem Thema, dass wir auf den Hinweis auf das sogenannte Normale oder Natürliche verzichten können. Solange wir die realen Ansprüche des Natürlichen nicht wirklich kennen, unterliegt die Forderung nach dem Natürlichen zu leicht dem naturalistischen Fehlschluss.
@ Ernst Niemeier, EvaK
Da hier mehrfach, vor allem von Ernst Niemeier (#5,13), der Begriff der „Natürlichkeit“ im Sinne einer Absolutsetzung ungleichgeschlechtlicher „Ehe“ bzw. Erziehung gebraucht wird, hier einige Hinweise zur Genese dieses Begriffs. Charakteristisch für diesen Gebrauch ist es, wenn Ernst Niemeier einer EvaK „ideologische Voreingenommenheit“ (#13) unterstellt, ohne sich des eigenen ideologischen Denkens bewusst zu werden.
„Natürlichkeit“ hat zunächst mit „Natur“ so gut wie nichts zu tun. Diese Verbindung entstand erst im Zuge der Naturverherrlichung der Romantik. In der Aufklärung wird „Natürlichkeit“ als Kampfbegriff gegen die als „unnatürlich“ empfundene Moral der feudalen Höfe gebraucht. Er spiegelt zugleich die politische Ohnmacht des ökonomisch erstarkten Bürgertums wider, das dem Feudaladel nicht auf politischer Ebene begegnen konnte.
Rousseaus Begriff der „Natürlichkeit“ in der Erziehung („Emile ou de l‘Education“) hat neben antifeudalem auch antiklerikalen Impetus, indem er der christlichen Erbsündelehre den Begriff des „edlen Wilden“ entgegensetzt und „natürliche“ Erziehung als Abschottung des Zöglings vor verderblichen höfischen Einflüssen predigt. Dementsprechend wurde Rousseaus Menschenbild von dem auf den Adel fixierten Klerus massiv abgelehnt.
Bei Lessing wird die in der Ohnmacht des deutschen Bürgertums begründete Verschiebung des Kampfes gegen den Feudaladel von der politischen auf eine moralische Ebene noch deutlicher. So kann Emilias Vater in „Emilia Galotti“ die „Tugend“ seiner Tochter nur vor den Übergriffen des Prinzen bewahren, indem er sie ermordet. Die Ambivalenz des Begriffs der „Natürlichkeit“ zeigt sich in einem Ausspruch der Gräfin Orsina (als Sprachrohr bürgerlicher „Tugend“): „Eine Frau, die denket, ist so ekel wie ein Mann, der sich schminket.“
Hier ist ein klischeehaftes Frauen- und Männerbild vorgezeichnet, das im 19. Jahrhundert in unsinnigen Oppositionen von „Mann“ und „Frau“ psychologisch gefüllt wurde und das in totalitären Systemen vor allem zur Abwehr von Emanzipationsbewegungen der Frau instrumentalisiert werden konnte, so im Islamismus und im Faschismus („Eine deutsche Frau raucht nicht. Eine deutsche Frau schminkt sich nicht.“)
Wenn Ernst Niemeier von einem „Mythos des patriarchalen Bürgertums (das es gar nicht mehr gibt)“ spricht, so sitzt er in doppelter Weise einer Selbsttäuschung auf:
Erstens hat die der jeweiligen Macht (erst dem Feudaladel, dann dem Bürgertum) sich andienende Amtskirche den erst abgelehnten „Natürlichkeits“begriff längst übernommen und für seine Zwecke instrumentalisiert. Zweitens hat Bürgertum wie auch Amtskirche dabei einen Feudalisierungsprozess durchgemacht (Habermas), erkennbar etwa am Bedürfnis nach Repräsentation, wie er ursprünglich typisch für den Feudaladel war.
Dass heutzutage der „Natürlichkeits“begriff von den reaktionärsten Klerikalen und Ideologen wie etwa Norbert Geis zum Zwecke der Homophobie gebraucht wird, ist Ergebnis dieses Prozesses. Von besonderer Pikanterie ist dabei, dass gerade die sich am meisten über „unnatürliche“ Beziehungen echauffieren, die eine – im biologischen Sinn verstandene (!) – Jungfrauengeburt für ein unumstößliches Dogma halten. Freilich wird man von solchen Ideologen keine Einsicht in ihre eigenen Widersprüche erwarten können.
Sofern man zum Optimismus neigt, könnte man ihnen auch die Lektüre Kleists („Die Marquise von O.“) empfehlen, der derartig „übernatürlich“ anmutende Zustände auf durchaus natürliche – und menschliche – Vorgänge zurückzuführen versteht.
Wenn man die Natur in diesem Falle überhaupt als Argument benutzen will, so wäre dies im Rahmen der zunehmenden Brutpflege zur erfolgreicheren Aufzucht von weniger Individuen gegenüber der erfolgreichen Aufzucht von mehr Individuen bei geringerer Brutpflege.
Dabei ist die Relation von Fortpflanzungsaufwand gegenüber dem Brutpflegeaufwand von Bedeutung.
Ein Pärchen, welches die größte Brutpflege bei geringstem Aufwand der Fortpflanzung betreibt (bspw Adoption), ist deshalb das biologische und natürliche Optimum.
🙂
@Stiller #17
„Ein Pärchen, welches die größte Brutpflege bei geringstem Aufwand der Fortpflanzung betreibt (bspw Adoption), ist deshalb das biologische und natürliche Optimum.“ (Stiller)
Das wird jetzt reichlich off topic, aber ich möchte doch darauf hinweisen, dass es so einfach nicht ist. Die Natur,und der Mensch noch mehr, kennt viele Fortpflanzungsstrategien, die jeweils für ihre Art / Situation optimal sind. Da reichen die Parameter Fortpflanzungsaufwand und Brutpflegeaufwand nicht, um zu optimieren. Wie ist es mit der Wahrscheinlichkeit, die Jugend zu überleben, wie mit der, dann auf einen passenden Partner zu treffen usw.? Nur mal zwei Beispiele für extreme Strategien: Bei einem parasitischen Lebewesen wie dem Pärchenegel sind die Chancen überhaupt im richtigen Alter einen Wirt zu finden relativ klein, der sondert also eine Unmenge von Eiern ab und kümmert sich überhaupt nicht um die Brut. Auf der anderen Seite haben wir Tiere am oberen Ende der Nahrungskette, die sehr viel verbrauchen, gleichzeitig sehr alt werden und keine große Ausdünnung in der Jugend erfahren wie Menschenaffen, Bären, Wale, die sehr viel weniger Junge haben und die auch viel stärker betreuen.
Für unser eigenes Fortpflanzungsverhalten wiederum ist es „natürlich“, dass es – wie überhaupt unser ganzes Verhalten – eher kulturell geprägt ist als „biologisch“. So haben wir nicht überall die Einehe, und wo wir Polygynie haben, ist die Zahl der Frauen ebenso Statussymbol wie die Zahl der Kinder, da gibt es also eine breite Streuung in der Zahl der Kinder, die der Streuung der Macht entspricht. Von Pärchen ist da gar nicht die Rede, dafür haben die Kinder viele „Mütter“, solange alle Frauen in einem Haushalt wohnen. Aber auch in Gebieten mit Einehe ist nicht alles gleich, weil auch da die Besitzverhältnisse und damit die Macht ungleich ist: Wo es darum geht, Familienbesitz, etwa in Form eines Hofes zu erhalten, gibt es weniger Kinder, um den Hoferben nicht so sehr durch die Auszahlung seiner Geschwister zu schwächen, auf den selben Höfen das Gesinde hatte in der Regel eine erheblich höhere Kindersterblichkeit und auch Kinderzahl. Hier höre ich jetzt mal auf, weil bereits deutlich ist, dass die Kategorie der Natürlichkeit bei der Art Mensch nicht passt.
Die Zusammenhänge sind bei der Art Mensch zu komplex, als dass man sich auf etwas anderes als auf Empirie verlassen sollte, um die Qualität der Brutpflege zu beurteilen. Die Strategie der Art Mensch, die Anpassungsfähigkeit dadurch zu erhöhen, dass das Wissen von der Welt, ohne das kein Lebewesen überleben kann, vom Genom in die Kultur übernommen wird, hat in Anpassung daran mit dem menschlichen Gehirn ein Organ geschaffen, das diese gewaltige Anpassungsleistung auf der individuellen Ebene bewältigen kann und muss. Und diese Anpassungleistung und Fähigkeit fängt beim Kind bereits an. Die Bandbreite der Umgebungen, innerhalb derer ein Menschenkind fähig ist, sich gesund („optimal“) zu entwickeln, ist deshalb größer, als es sich durch derart schlichte Überlegungen eingrenzen lässt. Dabei ist es ziemlich egal, ob die Schlichtheit religiöse Ursprünge hat oder aus einem etwas einfachen Verständnis der Soziobiologie rührt.
@Wohlgemuth
Wie ich sehe haben Sie die Überlegungen, die zum obigen Beitrag 17 geführt haben, sehr schön referiert und kommen zu demselben Schluss:
„…weil bereits deutlich ist, dass die Kategorie der Natürlichkeit bei der Art Mensch nicht passt.“
Die gleichgeschlechtliche Ehe oder jede sonstige Verbindung von Menschen zum gegenseitigen Nutzen ist deshalb sowohl das biologische Optimum, als auch eine kulturelle Leistung, die über den blossen biologischen Eigennutz (egoistische Gene etc) hinausgeht.
@Wohlgemuth
Sie sollten in Zukunft davon absehen, meine Gedanken als „schlicht“ zu bezeichnen. Auf solche Äusserungen reagiere ich allegorisch.
@Wohlgemuth #18
„…eher kulturell geprägt ist als biologisch…”
Auch dies ist ein ungeklärte Frage.
Es ist überhaupt noch nicht ausgemacht, ob Kultur nicht ein Funktion des Biologischen ist.
Ohne Biologie gibt es keine Kultur – auch wenn gewisse Leute die Entkörperlichung als höchstes Ideal ansehen.
Sehr geehrte Frau EvaK,
wenn Sie meine Erwiderung auf Ihre Ausführungen als aggressive Diffamierung empfinden, wie werden Sie dann Ihre Aussagen in Ihrer ersten Erwiderung auf meine sachlichen Aussagen über die nicht zu bestreitenden Unterschiede klassifizieren? Sie sprechen dort von Märchen. Sie sprechen dort von Verlogenheit. Ist das sachlich? Oder vielleicht doch aggressiv? Weil Sie keine Argumente hatten? Sie finden in meiner Erwiderung keine Argumente. Vielleicht sollten Sie sich die Mühe machen, die Erwiderung noch einmal zu lesen: Ist die Erkenntnis einer namhaften amerikanischen Entwicklungspsychologin, die ich beispielhaft zitierte, kein Argument? Sind auch vielfältige Erfahrungen nicht nur in der engeren persönlichen Umgebung, sondern auch in einem weiten Umkreis keine Argumente? Sie erwähnen eine umfangreiche Literatur, die belegen soll, dass Männer nur für die Zeugung, nicht aber für die Aufzucht der Kinder notwendig seien, und dass sie meist durch emotionale und körperliche Abwesenheit glänzten (auf diese Aussage hatte ich mich bezogen, als ich von nicht belegten Behauptungen sprach). Ich kenne diese Literatur nicht und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sie mir nennten. Obwohl es solche Fälle gibt, wie ich zugab, sind das nach meiner Erfahrung nicht die Regelfälle. Im Gegenteil, auch Väter haben normalerweise eine sehr enge emotionale Beziehung zu ihren Kindern und umgekehrt hängen Kinder auch sehr an ihren Vätern. Was die Ausführungen des Gerhard Rudolf betrifft, so bestätigt er zum Ende seiner Erwiderung, dass die Eltern für Kinder eine besondere Bedeutung haben. Er erwähnt nämlich, dass selbst dort, wo die Erziehung in Stammesverbänden stattfindet, die Kinder eine besondere Beziehung zu ihren Eltern haben.