Nordrhein-Westfalen hat gewählt und dabei – Paukenschlag! – gezeigt, dass Politikerinnen gewinnen können, wenn sie vor allem über eines verfügen: Glaubwürdigkeit. Na wer hätte das erwartet! Und jetzt gehen natürlich alle daran, gleich mal einen Trend Richtung Bundestagswahl 2013 zu konstruieren. Im Bund verfügt allerdings nur eine über Glaubwürdigkeit: Kanzlerin Angela Merkel. Der Grund: Sie hält sich aus allem Streit und Gezänk heraus. Sie ist einfach abwesend. Das Volk darf froh sein, wenn sich ihm seine Kanzlerin überhaupt alle paar Wochen mal zeigt. Entrückt schwebt sie über allem. Und wenn sie ihre Meinung ändert – siehe Atomausstieg -, dann schadet das ihrer Glaubwürdigkeit nicht, obwohl es als Prinzipienlosigkeit gedeutet werden müsste. Es wird schwer werden, diese Kanzlerin zu entthronen, sehr schwer. Ob Rot-Grün den Kraft-Schwung, den sie in der gestrigen NRW-Landtagswahl bekommen hat, Richtung Kanzleramt beibehalten kann? Man darf skeptisch sein, denn im Bund hat die SPD keine glaubwürdigen Sympathieträger wie Hannelore Kraft in NRW – und die will nicht ins Kanzleramt, sagt sie jetzt (noch?), sondern sie will das größte deutsche Bundesland regieren.
Man glaubt es ja beinahe nicht, dass die SPD in einem Bundesland auch mal wieder fast 40 Prozent der Wählerstimmen einfahren kann – beziehungsweise der Stimmen jener Wähler, die zur Wahl gegangen sind. Wollen wir korrekt sein. Hatte der CDU-Kandidat vielleicht doch ein bisschen recht und wurde in NRW eben doch auch über Angela Merkels vermeintlich alternativlose Politik abgestimmt? Die NRW-SPD der Hannelore Kraft steht nicht für eine Politik des bedingungslosen Sparens (auch und vor allem in anderen EU-Ländern), sondern für eine Präventionspolitik, die eine gewisse Verschuldung in Kauf nimmt – nicht um damit Schwimmbäder zu finanzieren, sondern um in die Jugend und die Bildung zu investieren. Eine solche Verschuldungspolitik kann, so der Ansatz, künftig Ausgaben reduzieren. FR-Chefredakteur Uwe Vorkötter nannte Hannelore Kraft „die rote Merkel„. Ist sie nicht eher eine Anti-Merkel? Wann taucht Merkel denn jemals wie Hannelore Kraft ins Volk ein und erarbeitet sich einen Ruf? Könnte man sich Angela Merkel als Führerin einer Minderheitsregierung vorstellen? Was für ein demokratisches Experiment in NRW – ein Experiment, das dazu geführt hat, dass Hannelore Kraft jetzt Ministerpräsidentin wird.
Der Sieg der SPD, der in NRW wieder eine rot-grüne Koalitionsregierung ermöglicht, ist vor allem das Verdienst dieser Hannelore Kraft, die früher in der Bundes-SPD belächelt wurde: Hannelore Kraft, die Landesmutter. Jetzt lächelt diese Bundes-SPD aus anderen Gründen: Sie kann gewinnen. Mit den Grünen. Die haben in NRW ein bisschen unter ihrem Ergebnis von 2010 abgeschnitten; ihr Höhenflug nach dem Fukushima-GAU ist also beendet. Für Rot-Grün in NRW hat es trotzdem gereicht – und zwar obwohl die ach so schwer einschätzbare Piratenpartei überall Stimmen abzwackte, auch bei den Grünen. Sylvia Löhrmann, die Spitzenkandidatin der Grünen, stellte sich sozusagen bedingungslos an Krafts Seite; teilweise waren die beiden Parteien gar nicht mehr auseinanderzuhalten. Das kann für die Zukunft der Grünen wohl kaum das Mittel der Wahl sein.
Norbert Röttgen tut mir fast leid. Der CDU-Spitzenkandidat, so intelligent er auch ist, hat im Wahlkampf so gut wie alles falsch gemacht. Das begann bei der Frage, ob er denn auch als Oppositionsführer nach Düsseldorf gehe und endet … ich höre lieber auf. Der Mann hatte immerhin den Schneid, am Wahlsonntag schon wenige Minuten nach der Prognose seinen Rücktritt vom CDU-Landesvorsitz zu erklären. Das nimmt Kritikern ein bisschen den Wind aus den Segeln, die bemängeln, gerade CDU-Kontrahenten hätten sich gelegentlich darüber belustigt, wie man sich mit 26 Prozent bei Landtagswahlen als SPD noch Volkspartei nennen könne.
Interessant wird es bei den drei kleinen Parteien, von denen eine, obwohl totgesagt, wieder in den Landtag einzog, eine andere sich selbst totgesagt hat und eine dritte gerade erst auferstanden ist. Beginnen wir mit der FDP. Mit dem Spitzenkandidaten Christian Lindner, der die Bundes-FDP erst vor wenigen Monaten im Regen stehen gelassen hatte – „Auf Wiedersehen!“ -, hat sie ihr Ergebnis von 2010 sogar steigern können. Auch in Leserbriefen an die FR war die FDP schon totgesagt worden; Kommentatoren der FR stehen dem in nichts nach, und wer weiß, vielleicht haben sie ja trotz des NRW-Ergebnisses für die Bundes-FDP recht. Christian Lindner hat die bisherige FDP-Politik als deren Bundes-Generalsekretär zwar mitzuverantworten, aber er scheint doch – es gibt da noch eine gewisse programmatische Unschärfe – für eine andere FDP zu stehen als die, für die deren derzeitiger Bundesvorsitzender Philipp Rösler steht. Von Lindner stammt das Schlagwort vom „mitfühlenden Liberalismus“. Was das genau bedeutet … Er muss es uns noch erklären. Vielleicht verhilft dieser mitfühlende Liberalismus Rot-Grün im Bund 2013 zur Macht?
Die Linke … Westausdehnung gescheitert, sagen jetzt alle. Vermutlich haben die Kommentatoren recht. Die Linke hat ein riesiges Problem, und das heißt Wirredenjetztallemaldurcheinanderundsagenwozuwirgeradelusthabenkubamauerfallkommunismusundanderesmehr. Die Partei hat das Problem, dass sie es in einer Zeit, in der der Kapitalismus in einer Krise ist wie kaum je zuvor, nicht geschafft hat, ihre Themen, also ihre Kapitalismuskritik, nach vorn in die Aufmerksamkeit der Wählerinnen und Wähler zu bringen. Dabei hat sie die entsprechenden Positionen. Stattdessen hat sie sich mit Personalfragen beschäftigt. Und die Linke hat noch ein Problem: Oskar Lafontaine. Der Über-Linke hat vor der Wahl nicht erklären wollen, ob er wieder nach dem Parteivorsitz der Linken greifen will. Er wollte wohl nicht namentlich mit einer Niederlage assoziiert werden. Jetzt, nach der Niederlage, stellt er seine Rückkehr an die Parteispitze in Aussicht – zu seinen Bedingungen: „Das hat etwas Anmaßendes, Erpresserisches“, schreibt FR-Autor Jörg Schindler.
Und die Piraten? Sie bleiben ein Phänomen. Sie sind in NRW die kleinste der im Landesparlament vertretenen Parteien – aber sind sie wirklich nur eine Protest-Partei? Jedenfalls kommen sie sympathischer rüber als die seinerzeit mit geringerem Erfolg als Protestpartei gehandelte Schill-Partei. Über die Grenzen von „liquid democracy“ – ein von den Piraten aus Transparenzgründen hoch gehaltenes Demokratiekonzept – haben Sylvia Löhrmann und Winfried Kretschmann, Regierungschef in Baden-Württemberg, kürzlich im FR-Interview gesprochen. Der Piraten Einzug konnte Rot-Grün in NRW nicht verhindern.
Das NRW-Ergebnis in Prozenten: SPD 39,1 %, CDU 26,3, Grüne 11,3, FDP 8,6, Piraten 7,8, Linke 2,5. Andere: ProNRW 1,5, Tierschutzpartei 0,7, NPD 0,5 Prozent.
Meine These: Rot-Grün kann es im Bund 2013 schaffen, wenn sie den/die richtige/-n Spitzenkandidaten/-in anbieten. Keiner aus der SPD-Troika kann das sein. Alle drei, Steinbrück wie Steinmeier und Gabriel haben Wahlen verloren. Steinbrück ist insofern immerhin persönlich glaubwürdig, als er die Reform der Sozialhilfe-Gesetzgebung – u.a. Hartz IV – bis heute offensiv vertritt – und es wird wohl kaum jemand bestreiten, dass diese Reform Deutschland in wirtschaftspolitischer Hinsicht enorm wettbewerbsfähig gemacht hat. Rückseite der Medaille: Diese Gesetzgebung war für das Land in sozial- und gesellschaftspolitischer Hinsicht ein GAU, verantwortet von der SPD (wobei ich nicht verschweigen will, dass die CDU damals im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat ein erhebliches Wörtchen mitgeredet hat). Steinmeier ist blass, Gabriel sprunghaft. Landesmutter kann keiner von denen – das wage ich mal zu behaupten.
Auch ich wage mal was zu behaupten: Bundespolitik ist gar nicht so wichtig.
Sie hat nur das aufzunehmen und demokratisch zu verwirklichen, was die Länder beschliessen, sie ist nur ausführendes und überwachendes Organ, nicht ein gestaltendes.
Gleiches gilt für Länder- und Kreisparlamente.
Regierungen haben den Willen der Wähler durchzusetzen, nichts sonst. Den Willen der Wähler zu erkennen und gegenüber extremen Bestrebungen zu korrigieren ist Sache der Parteien und Teil derer Mitwirkung an der politischen Willensbildung.
Die Parteien sollen an der politischen Willensbildung mitwirken, nicht die Regierungen.
Hannelore Kraft lässt sicherlich nach langer, langer Zeit, mal wieder echte sozialdemokratische Gefühle aufkommen. In der Tat, sie erinnert an die gute, alte Tante SPD von Johannes Rau oder gar Willy Brandt. Wie regelrecht brutal ernüchternd war dagegen der Moment, als, wie heute geschehen, die so genannte SPD-Troika ins Bild kommt. Ein Unterschied wie Tag und Nacht, nur noch erheblich düsterer. Da posieren drei der größten Wahlverlierer aller Zeiten, aus denen in einigen Monaten der Kanzlerkandidat hervorgehen soll. Zur „Auswahl“ stehen Frank-Walter Steinmeier, Spitzenkandidat bei der letzten Bundestagswahl, mit desaströsen 23 Prozent, was ihn nicht daran hinderte, sich trotzdem noch am selben Tage selbst zum Fraktionsvorsitzenden zu ernennen, als ob es das Selbstverständlichste der Welt wäre. Oder der Alles- und Besserwisser, Peer Steinbrück, ebenfalls ein verheerender Wahlverlierer, der nach vier Jahrzehnten SPD-Herrschaft in NRW, sang- und klanglos gegen einen gewissen Herrn Rüttgers verlor. Und als Letzter der aktuelle SPD-Vorsitzende, Sigmar Gabriel, eher schon Egal- als Sozialdemokrat, der auch noch keine Wahl gewonnen hat, und dessen größte Stärke die Dampfplauderei ist. Dagegen Frau Kraft, bescheiden, offen, ehrlich, das echt sozialdemokratische „Eingemachte“ betonend, so wie es einmal völlig normal war für die SPD … vor Schröder, aber zwischenzeitlich fast schon völlig vergessen schien. Und dennoch wird es 2013 keine Kanzlerkandidatin Kraft geben, ganz egal was auch passieren mag. Frau Kraft bleibt in NRW, die gesamte Legislaturperiode. So hat sie es mehrfach klar und deutlich gesagt, und deshalb gibt es daran nichts zu rütteln, wer auch immer da rütteln mag. Denn Frau Kraft hat auch das, was Politikern, und das aus sehr guten Gründen, überhaupt nicht mehr zugestanden wird: Glaubwürdigkeit. Ergo, die so genannte SPD wird weiter wursteln, unter dieser so genannten Troika. Einer daraus wird es dann werden, der Juniorpartner von Frau Merkel. Ob nun einer der „Stones“ oder Gabriel, spielt dabei keine Rolle, zumal alle drei mit der guten, alten Tante ohnehin nichts mehr am Hut haben.
Nun, Frau Kraft ist eine sympathische Person, der ich den Wahlsieg gönne. Glaubwürdig ist sie auch- keine Frage. Mir persönlich ist aber der Drang der SPD Geld, das man nicht hat, mit vollen Händen auszugeben, nicht ganz geheuer. Es mag schon richtig sein, dass es in einigen Fällen sinnvoll ist sich zu verschulden um dadurch die später anfallenden Sanierungskosten einzusparen. Auch ist klar, dass an der Bildung nicht als Erstes gespart werden darf. Bedauerlicherweise halte ich leider von der SPD-Bildungspolitik inzwischen rein gar nichts mehr. Es wird viel umstrukturiert und versprochen, viel Geld ausgegeben –in meinen Augen oft an der falschen Stelle, was zu mäßigen Erfolgen führt. Leider erfahre ich gerade am eigenen Leib wie in Baden-Württemberg ein einigermaßen gut funktionierendes Schulsystem von einer SPD- Ministerin ruiniert wird. Es gibt viele edle Ziele, für die man Geld ausgeben kann und die eine hübsche Außenwirkung haben, aber man muss sich hin und wieder auch fragen, ob das Ganze zielführend ist. Und in diesem Punkt traue ich leider Frau Kraft auch nicht viel zu.
Wenn es in D. nicht gelingt, das gilt auch für Europa, die Leute zur Verantwortung zu ziehen die an der Finazkrise schuld sind (maat: können eigentlich alle nur SPD Mitglieder sein) wird leider auch Frau Kraft scheitern. Sie hat einfach kein Geld mehr zum ausgeben. Die Geschichte mit der Vorbeugung ist zwar net aber leider sind dafür 5 Jahre kein Zeitraum. Das dauert länger selbst wenn es funktioniert. Um die Kosten der Finanzkrise in den Griff zu bekommen stehen eher so Themen wie Finaztransaktionssteuer, Erbschafts und Vermögenssteuer an. Das sind aber bundespolitische Themen auf die ein Bundesland wenig Einfluß hat. Bei einer schwarz/ gelben Regierung sollte man da auch nicht so optimistisch sein.
Wann kommt man endlich von diesem blödsinnigen, feudalistischen “ Landesvater, Landesmutter, Landeskinder“ – Geschwätz herunter?
Es geht um Staatsbürger.
Sie säugen nicht, sie zeugen nicht und sie lassen sich auch nicht erziehen, sie wohnen in keinem Vaterland und sprechen keine Muttersprache und sie sind auch nicht dem Landesschoß entsprungen. Sie sorgen auch nicht mütterlich oder väterlich für uns, sie gehorchen auch nicht und lassen sich nicht züchtigen.
Die Redakteure der FR, insbesondere ihre Chefredaktion, sollten sich über die Bilder klarwerden , die sie transportieren. Ihre Landespostille könnte sonst zur Stillschule, Zeugungsberatung und zum Exempelbilderbuch verkommen.