Der baden-württembergische Landtagspräsident Willi Stächele (CDU) ist über den EnBW-Deal der früheren schwarz-gelben Landesregierung gestürzt und gab sein Amt auf. Beim Rückkauf der EnBW-Anteile für 4,7 Milliarden Euro durch das Land habe er die Mitwirkungsrechte des Landtags umgangen hatte, schrieb die FR, und: „Die Richter hatten ihm einen Verfassungsbruch bescheinigt“. Dazu ein Gastbeitrag von Dr. Jürgen Gehb aus Kassel. Dr. Gehb war von 1998 bis 2009 für die CDU Mitglied des Bundestages, davon ab 2005 rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Verfassungsbruch – was ist das?
Im Zusammenhang mit dem Rückkauf der EnBW-Anteile reden und/oder schreiben zahlreiche selbsternannte Verfassungsjuristen von „Verfassungsbruch“. Die Richter des Staatsgerichtshofs für das Land Baden-Württemberg tun das nicht, nicht an einer einzigen Stelle in ihrem Urteil vom 6. Oktober 2011. Zu Recht!
Dort haben sie lediglich festgestellt, dass u.a. die Zustimmung des ehemaligen baden-württembergischen Finanzministers und späteren – inzwischen unter diesem Druck zurückgetretenen – Landtagspräsidenten Willi Stächele zu diesem Rückkauf gegen die Landesverfassung von Baden-Württemberg verstoßen habe. Das hat mit „Verfassungsbruch“ nichts zu tun. Vielmehr handelt es bei diesem Ausspruch um eine typische Tenorierung aller Verfassungsgerichte der Länder sowie auch des Bundesverfassungsgerichts in Fällen, in denen Gesetze, Rechtsakte der Verwaltung sowie Gerichtsurteile eine verfassungsgerichtliche Überprüfung nicht bestehen.
Dass die am Zustandekommen eines Gesetzes beteiligten Abgeordneten, die unterzeichnende Bundeskanzlerin und der jeweilige federführende Fachminister sowie schließlich der ausfertigende Bundespräsident als „Verfassungsbrecher“ bezeichnet werden, wenn – wie nicht selten – Gesetze vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt und aufgehoben werden, habe ich bisher noch nicht einmal aus dem Munde der jetzigen Kritiker gehört.
Erst recht käme wohl niemand auf die Idee, die Richter des Bundesgerichtshofs, des Bundeverwaltungsgerichts, des Bundesarbeitsgerichts, des Bundessozialgerichts und des Bundesfinanzhofs des „Verfassungsbruchs“ zu bezichtigen und deren Rücktritt zu verlangen, wenn ihre Urteile – wie ebenfalls gelegentlich – wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz aufgehoben werden.
Abgesehen davon, dass das in einigen Landesverfassungen (z.B. Art. 147 Abs. 2 Hessische Verfassung) vorgesehene „Anklageerzwingungsverfahren wegen Verfassungsbruchs“ längst durch Bundesrecht verdrängt worden ist und sich seit 1950 ausschließlich nach der Strafprozessordnung richtet (zuständig sind die Straf- nicht die Verfassungsgerichte), hatte dieses Verfahren eine gänzlich andere, nämlich strafverfolgungsrechtliche Komponente.
Mit der ebenso simplen wie perfiden sprachlichen Umdeutung eines für mit der baden-württembergischen Verfassung unvereinbar erklärten Aktes der öffentlichen Gewalt – übrigens nach eingehender juristischer Prüfung durch anwaltliche Expertise – sollte in Willi Stächele ein verdienter, beliebter und unbescholtener Landespolitiker mit dem Stigma des Ver(fassungs-)brechers belegt werden. Schlimm, dass diejenigen, die nicht einmal die Begriffe beherrschen, offenbar dennoch die öffentliche Diskussion beherrschen; schlimmer noch, dass die Partei(freunde) von Willi Stächele sich dagegen nicht nur nicht intellektuell, sondern auch politisch nicht (genügend) zur Wehr gesetzt haben.
Ihr Gastbeitrag, Herr Dr. Jürgen Gehb, erinnert mich an Ihre Auftritte im so genannten Hohen Haus, als Sie diesem noch angehörten. Nach meiner Wahrnehmung wirkten Sie dabei allwissend, belehrend, selbstverliebt, an den eigenen Worten sich berauschend. Insbesondere Herr Neskovic von der LINKEN, immerhin früher mal BGH-Richter, wurde von Ihnen spöttisch und arrogant abgekanzelt.
In Ihrem Gastbeitrag sind es nunmehr die selbsternannten Verfassungsjuristen, denen der juristische Oberlehrer der Nation, Dr. Gehb, bescheinigt, keine Ahnung zu haben, weil die Selbsternannten, darunter die FR, sich erlauben, einem CDU-Politiker Verfassungsbruch zu unterstellen. Dagegen sind Sie der Auffassung, sofern ich Sie richtig verstehe, dass der ehemalige baden-württembergische Finanzminister und spätere Landtagspräsident, Willi Stächele, zwar gegen die Landesverfassung von Baden-Württemberg verstoßen, aber damit keineswegs einen Verfassungsbruch begangen habe. Somit wäre Herr Stächele also lediglich ein Verfassungsverstoßer und kein Verfassungsbrecher. Dazu hätte ich dann zunächst die Frage, ob diese Definition, wie Sie von Ihnen vorgenommen wird, nur auf CDU-Politiker anzuwenden oder ganz allgemein gültig ist. Außerdem wäre interessant von Ihnen zu erfahren, welche Unterschiede zwischen dem Rechtsbrecher und dem Rechtsverstoßer bestehen. Ich hatte bisher immer geglaubt, dass ein Mensch, der gegen geltendes Recht bzw. gegen Gesetze (einschließlich Grundgesetz) verstößt, ein Rechts- bzw. Gesetzesbrecher ist. Nach Ihrer Definition wäre dieser Mensch aber lediglich ein Rechts- bzw. Gesetzesverstoßer. Oder habe ich Sie falsch verstanden?
Weiterhin beklagen und empören Sie sich über die „simple wie perfide sprachliche Umdeutung“, wegen der ein „verdienter, beliebter und unbescholtener Landespolitiker mit dem Stigma des Ver(fassungs-)brechers belegt“, freiwillig sein Amt aufgibt, ohne sich „dagegen weder intellektuell noch politisch (genügend) zur Wehr gesetzt zu haben“. Glauben Sie wirklich, Herr Dr. Gehb, der Herr Stächele tritt einfach so aus Spaß zurück, oder könnte es nicht sein, dass Ihre Sprach- bzw. Begriffs(um)deutung nicht nur auf mich, sondern auch auf Herrn Stächele und die CDU etwas befremdlich wirkt? Schließlich sollten wir auch nicht vergessen, dass es in der Sache um die Kleinigkeit von 4,7 Milliarden Euro geht. Für Ihre Mühe, ggf. meine Fragen zu beantworten, möchte ich mich bereits jetzt bedanken.
mfg
Jutta Rydzewski
Zunächst einmal stimme ich Ihnen, Frau Rydzewski, voll und ganz zu.
Betrachtet man den Rundumschlag des Herrn Dr. Gehb im Schlussabschnitt, erhält auch Ihre Einschätzung über dessen Arroganz durchaus Glaubwürdigkeit. Fragt sich nur, ob dies lediglich den Umgang mit anderen betrifft.
Mir fällt da ein Minister ein, der, in ähnlicher Weise ertappt, argumentierte, man könne ja nicht immer mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen. Auf die Idee, dass man nicht unter dem Arm mit sich herumschleppen muss, was man im eigenen Kopfe hat, kam der Herr damals nicht.
Anders ausgedrückt: Wie viel Gesetzeskenntnis kann man von einem Minister bzw. einer Landesregierung erwarten? Und wenn der Herr Dr. Gehb sich so darüber erregt, wenn die Dinge beim Namen genannt werden, dann ist auch die Frage angebracht, wie er es denn mit dem Gesetz in der Praxis hält.
Wie unter http://www.fr-online.de vom 6.10. erkennbar („EnBW-Kauf war verfassungswidrig“), berief sich die damalige Landesregierung bei der Umgehung des Parlaments auf ein „Notbewilligungsrecht“, das nur „im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses“ geltend gemacht werden darf, was „aber weder vorgetragen worden noch vom Staatsgerichtshof habe festgestellt werden können“.
Folgt man der Argumentation des Herrn Dr. Gheb, so gehört das Jonglieren mit Notverordnungen offenbar zum alltäglichen politischen Geschäft, um parlamentarische Kontrolle auszuschalten und hinter dem Rücken des Parlaments und der Öffentlichkeit Fakten zu schaffen, die auch vom zuständigen Staatsgerichtshof bestenfalls als rechtswidrig angeprangert werden, aber nicht mehr aus der Welt geschafft werden können. Und es drängt sich die Frage auf, worin denn tatsächlich die „Eile“ dieses rechtswidrigen Verfahrens bestanden habe: Etwa die, der – absehbaren – neuen Landesregierung anderer Couleur schnell noch ein Kuckucksei ins Nest zu legen?
Bei der Art und Weise des Herrn Dr. Gheb, Verfassungsbruch lediglich als kleineren Betriebsunfall darzustellen sowie Parlament und Jurisdiktion gegeneinander auszuspielen, erhebt sich m.E. auch die Frage nach dessen Demokratieverständnis.
Ich begrüße es daher, wenn, wie die FR am 7.10. berichtete, die SPD Mappus wegen EnBW zur Verantwortung ziehen will. M.E. kann – nicht anders als beim Verzocken öffentlichen Vermögens an der Börse – das eigenwillige Jonglieren mit Gesetzesinterpretionen nicht hingenommen werden, ohne dass die jeweiligen Verantwortlichen auch persönlich zur Rechenschaft gezogen werden können. – Oder soll die selbstverständliche Grundregel, dass Unwissen nicht vor Schaden schützt, auch nur für den kleinen Gesetzesbrecher gelten?
Im Übrigen, liebe Frau Rydzewski, wäre es von Interesse zu erfahren, ob Ihr Beitrag von Herrn Dr. Gheb, der sich offenbar nicht für einen eigenen Gastbeitrag im FR-Blog zu schade ist, einer Antwort für würdig befunden wurde.
Mit freundlichen Grüßen
Werner Engelmann