Kann es sein, dass sich etwas ändert in diesem Land? Und sei es zunächst mal nur atmosphärisch. Die kleine Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer zeigt der großen Deutsche Bahn AG die Zähne. Die GDL hat ca. 34.000 Mitglieder – ein Zwerg nur, verglichen etwa mit der riesigen Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die Ende 2005 ca. 2,4 Millionen Mitglieder hatte. Doch da knapp 80 Prozent der der bei der Deutschen Bahn beschäftigten Triebfahrzeugführer in der GDL organisiert sind, scheint es der nach eigener Darstellung ältesten deutschen Gewerkschaft (gegründet 1867) zu gelingen, der mächtigen Bahn die Zähne zu zeigen. Das hat es in Deutschland lange nicht mehr gegeben.
Für FR-Autor Peter Michalzik ein Grund, über eine „Strategie für das 21. Jahrhundert“ nachzudenken. Sein Text ist ein streitbares Plädoyer für ein selbstbewussteres Auftreten der Arbeitnehmer, etwa wenn er schreibt:
„Sollen doch die deutschen Drehbuchschreiber die Filmproduktion boykottieren, und sollen doch ein paar TV-Techniker das Fernsehen lahmlegen, sollen die Bauern Milch und Korn eine Zeit für sich behalten, sollen die Arbeiter am Band den Schraubenschlüssel zur Seite und den Betrieb lahm legen. Sollen Heizungsmonteure zu Hause bleiben, wenn der Boiler streikt, sollen die Dachdecker nach dem nächsten Sturm sagen, nein, ich komme lieber nicht, sollen die Kassiererinnen bei Aldi und die Kassierer in den Tankstellen das Tippen verweigern. Was da alles lahmgelegt werden kann! Und was wird dann passieren? Es wird sich herausstellen, dass viel mehr Leute viel wichtiger sind, als sie gedacht haben.
Die einzige Gruppierung, die neben Lokführern und Klinikärzten (nicht umsonst unterstützt Frank Montgomery vom Marburger Bund die GDL) ihre Macht bisher begriffen hat, sind die Manager. Sie haben es in den vergangenen Jahren in bewundernswerter Weise hinbekommen, ihre Partikularinteressen als das Gemeinwohl zu verkaufen. Wenn nun aber die Züge nicht mehr fahren, wird man sehen, dass es noch anderes gibt, das dem Gemeinwohl nutzt, als die Steigerung des Bruttosozialprodukts in Deutschland.
Damit bricht die GDL die Fixierung auf ein Gemeinwohl auf, das in den letzten Jahren allzu oft mit Geldakkumulation gleichgesetzt wurde. Warum sollte die Taktik der GDL so, sollte sie Schule machen und den großen Gewerkschaften die Augen für ihre Handlungsmöglichkeiten öffnen, nicht dazu beitragen, die allseits beklagte Schere zwischen Arm und Reich ein wenig zu schließen?“
Dieser Artikel zog eine Welle von – überwiegend begeisterten – Leserbriefen nach sich. Jutta Mieke aus Sinntal schreibt mir etwa:
„Kompliment, endlich ein Artikel der die Wahrheit offen ausspricht. Viel zu lange haben sich die Macher in Deutschland von der Industrie sagen lassen, was gut für das Volk ist. Unterstützt wurden sie dabei auch von den Meinungsmachern in den Medien.“
Ähnlich auch André Bauer aus dem spanischen Casares:
„Wunderbar. Besser hätte man es nicht ausdrücken können. Mit dieser Stellungnahme knüpft die FR an ihre alte Tradition an.!
Ausführlicher Angela Zapf aus Nürnberg:
„Als jahrzehntelange Pendlerin und Nicht-Auto-Besitzerin (aus Umweltgründen) bin ich täglich zwischen Erlangen und Nürnberg unterwegs. Der Streik betrifft mich deshalb, die Alternative Bus ist nicht befriedigend. Nichtsdestotrotz bin ich eine Befürworterin des Streiks. Ihre Argumente muss ich hier nicht wiederholen, da ich diese mit Herzblut selbst vertrete. Die Zusammenlegung vieler kleiner Gewerkschaften in den letzten Jahren hat dazu beigetragen, dass die Interessen der Arbeitnehmer nicht mehr vertreten werden.
Ich erinnere mich noch gut an ein zweiwöchigen Streit im gesamten Nahverkehr unserer Region Anfang der 90er Jahre. Da bewegte sich nichts mehr. Wir haben leider vergessen, was Streiks sind. Wir sind ein Volk der Stillhalter und Duckmäuser geworden. Es wird Zeit, dass sich Widerstand formiert.“
Thorsten Hallmann aus Münster übt scharfe Kritik an den anderen Gewerkschaften:
„Wenn man Transnet-Chef Hansen so anschaut, wie er in Sachen GDL-Streik den diskursiven Hilfs-Mehdorn gibt, kann man sich lebhaft vorstellen, dass diese Gewerkschaft lange nicht das herausholt, was drin wäre. Leider ist der Mann typisch für den Gewerkschaftsfunktionär der Gegenwart. Wo Gewerkschaften eigentlich Arbeitermacht bündeln sollen, scheinen ihre Chefs wesentlich damit beschäftigt zu sein, diese zu zähmen, bis sie zur eigenen Rhetorik und Verhandlungsstrategie passt. Das Ergebnis sind vergurkte Streiks wie bei der Telekom oder den Metallern in Ostdeutschland und neoliberale Argumentationsmuster im Gewerkschaftsjargon. Um so wichtiger der GDL-Streik. Vor allem muss sich nun vieles in der Gewerkschaftslandschaft ändern: Von der spaltenden Standortrhetorik zurück zum einigenden Klassenstandpunkt!“
Claudia Hannemann aus Borken hingegen hat Kritik:
„Nach den Gruppen der Manager, der Krankenhausärzte und der Piloten nun die Lokführer: Nach Meinung von Peter Michalzik soll jede kleine Gruppe versuchen, das Maximale für sich herauszuholen. Mit solchen Kleinigkeiten wie der, dass bei einem BIP-Zuwachs plus Preisanstieg von insgesamt ca. 4% ein Einkommenszuwachs von 15 – 30% nur auf Kosten anderer zu erzielen ist, gibt er sich gar nicht erst ab. Immerhin sieht er ja u.a. im GDL-Verhalten „die wichtigste bewusstseinsbildende Kraft in Deutschland“. Schiebt man die gewaltige rosa Sprachwolke zur Seite, ergibt sich allerdings dies: Arbeitslose können leider keine Erzwingungsstreiks durchführen, Hausfrauen und –männer auch nicht. Ebenso wenig viele andere in einfachen Berufen. Was Michalzik begrüßt, ist der brutalstmögliche Sozialdarwinismus: Die mit Machtmöglichkeiten nehmen sich alles – die ohne bleiben auf der Strecke. Solidarität war gestern, Gruppenegoismus ist heute.“
In Deutschland ist die „Streik-Schwelle“ viel zu niedrig! Die Franzosen machen es uns vor, wie es geht: Herr Sarkozy kündigt Rentenreformen an = das halbe Land steht auf der Straße. Es werden Uni-Privatisierungen angekündigt = die Studenten sind nicht mehr zu halten. Der deutsche Staatsbürger reduziert sich überwiegend selbst zum Befehlsempfänger. Es fehlt uns an Streikkultur und einer Kultur, in der sich viele Gruppen letztlich zum Wohle aller solidarisieren.
Wenn man durch Wahlen nichts ändern kann, dann könnten Streiks in Zukunft als (letztes) Mittel angewandt werden, mit dem sich eine hilflose Bevölkerung Gehör verschaffen kann. Regierungen, die sich auf die Seite der Wirtschaft schlagen und Volkes Willen konsequent ignorieren, dürften sich darüber dann nicht wundern!
Liebe LokführerInnen,
was ich schon immer mal sagen wollte:
Seit etlichen Jahren habt Ihr unter schlechten Arbeitsbedingungen und geringem Gehalt zu leiden. Schön, dass Ihr dies jetzt endlich bemerkt habt und aus Eurem Tiefschlaf aufgewacht seid, sonst wärd Ihr doch schon vor X Jahren auf die Barrikaden gegangen. Euch hat sicher einfach nur eine Führungspersönlichkeit gefehlt wie Herr Schell, dem Ihr nun ganz nebenbei helft, sein Profil zu schärfen.
Geht man noch weiter in Eurer Lebensgeschichte zurück, dann wird man feststellen, dass Euch bei Eurer Berufswahl sicher wichtige Informationen über Gehalt und Arbeitsbedingungen eines Lokführers vorenthalten wurden. Hättet Ihr nur all das gewusst, über das Ihr heute klagt, hättet Ihr sicher einen anderen Beruf gewählt. Dabei gibt es doch so tolle Alternativen zum Beruf des Lokführers. Man denke nur an Busfahrer, Krankenschwestern und -Pfleger, usw. Die haben ein viel weniger Verantwortung, werden leistungsgerecht bezahlt und haben obendrein noch Arbeitszeiten, nach denen sich jeder sehnt.