Es ist schon viel gesagt worden über Friedrich Merz und sein Stadtbild. Ich frage mich, ob einer wie Merz überhaupt noch ein unverstelltes Stadtbild haben kann oder ob er nicht eher unter einer deformation professionelle leidet?
Das dürfte der Kanzler bestreiten, doch bekommt man nicht fast zwangsläufig eine spezielle Sicht auf die Welt der Normalsterblichen, wenn man jahrelang vor allem in Managerkreisen und über den Köpfen der Menschen unterwegs gewesen ist? Wann hat er sich in diesen Jahren überhaupt mal unverstellt ein Stadtbild angesehen? Darf er wirklich glauben, er wisse, was den Menschen bei diesem Anblick durch die Köpfe geht? Denn das unterstellt er mit seinen Worten: dass er dies weiß.
„Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem“, hat er gesagt, „und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“ Bei einem Termin in Brandenburg am Dienstag, dem 14. Oktober, da hat Merz das gesagt, zur Freude der Rechten und zum Missgefallen nicht nur Derjenigen, die da scheinbar gemeint sind, „dieses Problem“.
Formulierungen wie diese sind „das schleichende Gift der Gewöhnung„, das die Friedrich-Ebert-Stiftung in ihrer neuen Mitte-Studie immer tiefer in die Gesellschaft einsickern sieht: Der gesellschaftliche Diskurs rückt immer weiter nach rechts, und unser aller Bundeskanzler hilft dabei. Am Ende, so die Mutmaßung einer Leserin und möglicherweise noch vieler anderer Menschen im Land, könnte eine Koalition mit der AfD stehen. Friedrich Merz hat schon oft rechts geblinkt und damit angedeutet, wohin die Reise gehen könnte. Es wäre nicht das erste Mal in Deutschland, dass die Konservativen den Rechten zur Macht verholfen haben. Was also treibt den Kanzler an? Ist er wirklich unser aller Kanzler? Kann er überhaupt Kanzler?
Ein Skandal erster Güte
Selbst wenn man mit der Vokabel „Skandal“ vielleicht nicht inflationär umgehen sollte, so ist doch die jüngste Äusserung von Bundeskanzler Friedrich Merz über die angeblich zu hohe Zahl arabisch aussehender Menschen in unseren Stadtbildern wohl nur als Skandal erster Güte zu bezeichnen, und Merz bedient sich spätestens seit seinem Amtsantritt immer wieder einer Wortwahl, die rechtsreaktionäre und rassistische Denkstrukturen offenbart. Die Forderung nach einer Entschuldigung ist daher das Mindeste, was man von ihm verlangen kann. Ja, Merz vergiftet mit seinen Äusserungen das kulturelle und politische Klima hierzulande, was ihn als rechtskonservativ bis rechtsradikal, faschistoid entlarvt. Ein Kanzler, der mit Worten wie „kleine Paschas“ oder jetzt mit einem belastenden Stadtbild durch fremdländisch aussehende Mitmenschen eine gefährliche Stimmung in der Bevölkerung anheizt, muss sich den Vorwurf, den inneren Frieden zu gefährden, jedenfalls gefallen lassen. Merz vergiftet wie gesagt das politische Klima und stärkt mit seinen Äusserungen die äusserste Rechte wie etwa die AfD. So wird es nichts mit einem produktiven Streit mit der AfD. Merz heizt Emotionen an und verstösst damit gegen seinen Amtseid. Denn Schaden vom Volk zu wenden erreicht man nicht dadurch, dass man Hass und Hetze der Rechten verantwortungslos nachplappert. Es wäre spätestens jetzt auch an der Zeit, dass man auch vom roten Koalitionspartner hierzu eine sozialdemokratische Stellungnahme hören würde.
Manfred Kirsch, Neuwied
Gerade die Vielfalt ist unsere Stärke
So ähnlich fing es in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ebenfalls an, als gegen Jüdinnen und Juden gehetzt wurde, die ja angeblich irgendwie „anders“ aussahen, sich „anders“ verhielten und nicht in unsere Städte passten. Jetzt sind es „irreguläre Immigranten“ oder gar alle Menschen, die anders aussehen als weiße „Biodeutsche“ und aufgrund ihrer Anzahl angeblich sogar das Straßenbild prägen.
Was denken sich die Herren Söder und Merz bei solchen Äußerungen, von denen Herr Dobrindt meint, das müsse „man doch mal sagen dürfen“? Ist die künftige Koalition mit der AfD schon in Sicht?
Uns machen solche Äußerungen Angst. Der Schoß ist fruchtbar noch … Wehret den Anfängen. Die Vielfalt ist unsere Stärke!
Susanne Weßler-Hoth und Jens-Peter Hoth, Frankfurt
Bier im Vierergespann und Männer im Hut
Was sieht er eigentlich mit eingeschränktem Blickfeld ? Also: ER sieht viele Menschen in teurem Gewand , die gerade die Banktürme verlassen und in naheliegende Gaststätten eilen. Darunter Kneipen in denen man früher als Handwerker im „Blaumann“ erschöpft von des Tages Mühen einen kleinen Imbiss („Äppelwoi mit Handkäs“ )zu sich genommen hat.
Oder sein Blick geht auf die Fahrbahn und er sieht dort Fahrzeuge , die dort nicht hingehören , aber zum Einsatz auf einer Rennstrecke tauglich zu sein scheinen und wiederum andere. die würde man sie mit dem grün-blauen Lack (Pantone 320C) der VGF anpinseln, schon dann wegen ihrer Größe ohne weiteres Aufgaben im ÖPNV übernehmen könnten. Nebenan sieht er aber auch gebeugte Gestalten im armseligen Gewändern, die Flaschen sammeln oder Vorbeikommende um einen kleinen Geldbetrag angehen.
Nur im einzelnen gibt es diese Ausblicke nicht in der Mitte der Stadt , schon gar nicht auf Wunsch, aber es gibt noch viel, viel mehr dazu zu sehen. Quasi im Preis inbegriffen.
Doch es gibt Abhilfe; in vielen Städten kann man virtuelle Welten gegen einen geringen Eintritt erleben : Stadtbilder vor mehr als 120 Jahren, Man sieht Biertransporter mit 4.er Gespann und Männer mit Hut und in Uniform.
Friedrichs Töchter tragen Reifröcke.
Rolfrüdiger Traub, Frankfurt
Ich fühlte mich nicht bedroht
Seit mehr als 50 Jahren fahre ich mit dem Fahrrad durch Frankfurt, auch durch das Bahnhofsviertel, auch abends nach Dunkelheit. In diesen Jahren bin ich noch nie attackiert, ausgeraubt, überfallen oder auch nur belästigt worden. Zugegeben: Es ist nicht angenehm die oft in Lumpen gekleideten, abgemagerten und verwahrlost aussehenden Menschen zu sehen, die sich in den Nebenstraßen des Bahnhofsviertels und vor dem Bahnhof aufhalten, dort auf dem Boden kauern und in den Ritzen der Pflastersteine kratzen, um irgendeinen Dope dort zu finden. Auch von den Gruppen junger, dunkelhäutiger Männer, die am Main entlang spazieren, fühle ich mich nicht bedroht. Allerdings habe ich dezidiert nicht den Anspruch, dass die Politik mich vor diesem Anblick zu schützen hat und mir nur glattgeleckte, reingewaschene Straßen zuzumuten sind, bevölkert von durchgängig weißen, wohlgenährten Mittelschichtsbürgern. Besonders drogenkranke Menschen können als ein Symptom unserer Wohlstandsgesellschaft gelesen werden, sie drücken aus, dass sich der Neoliberalismus als die neue Religion auch in den Köpfen festgesetzt hat, dass eine erneute Militarisierung und auch die Polarisierung der Gesellschaft nicht mehr in Frage gestellt wird und dass all jene, die wir nicht als zugehörig betrachten, auszuschließen oder abzuschieben sind. Wir alle sind direkt und indirekt beteiligt an diesem gesellschaftlichen Zustand und auch die Töchter von Block-Rock Angestellten besitzen nicht das Privileg, von dem Anblick der an und in dieser Gesellschaft erkrankten und verzweifelten Menschen verschont zu bleiben. Wo aber blieb der Aufschrei, der Ekel und der Abscheu gegenüber Benko und Berger und Olearius (Cum-Ex-Skandal) angesichts ihres verbrecherischen Treibens zum Schaden der Gesellschaft und zum Schaden von uns Steuerzahlern?
Elisabeth Rohr, Frankfurt
Sorgen um die deutsche Armee
Während alle Welt über Merzens Aussage zum Stadtbild diskutiert mache ich mir Gedanken über das zukünftige Erscheinungsbild der Bundeswehr. Damit wir in Zukunft eine wirklich deutsche! Armee haben sollte bei er Musterung darauf geachtet werden, dass nur blonde und blauäugige Männer eingezogen werden.

Mein Stadtbild war und ist die schöne Landeshauptstadt Kiel. Dort flanierte ich schon mit 14 (1964) die Holstenstraße rauf und runter, immer dabei mein schwarzer Cockerspaniel Blacky. Der war wichtig, denn mit Hund war man immer ein gerne angesprochener Gesprächspartner. Aber klar, 1964 waren wir noch fast unter uns. Allerdings waren da seit 1961 schon ab und zu so gut aussehende Jungs mit dunklen Haaren und braunen Augen, die kamen aus der Türkei und halfen uns, das Wirtschaftswunder am Laufen zu halten. 1969 wurde dann Ismail Bahadir für wenige Tage eine Berühmtheit: Er wurde am Münchner Hauptbahnhof als „Millionster Gastarbeiter aus Südosteuropa“ begrüßt. Aber auch da fanden wir das Stadtbild nicht gestört, im Gegenteil: Wir freuten uns über die vielen neuen Mitbürger, die mal nicht blond und blauäugig waren.
Und so kamen im Laufe der Jahre viele Menschen zu uns. Sie halfen nicht nur der Wirtschaft, sie halfen der Medizin, der Pflege, der Lehre, der Industrie, dem Einzelhandel, der Landwirtschaft…Bis heute sind wir dankbar dafür, denn ohne diese Menschen würde alles das nicht funktionieren. Und wenn ich heute in der Holstenstraße flaniere, ohne Hund? Dann sehe ich viele Menschen aus Norddeutschland, aber auch viele Menschen, die man auf den ersten Blick als Nicht-Norddeutsche erkennt. Stören sie mein Stadtbild? Nein, auf keinen Fall. denn ich sehe sie nicht als eine Anzahl, nicht als Bedrohung, sondern als Menschen, die zu uns gekommen sind, weil es sich hier gut leben lässt. Und die hier auch gerne bleiben wollen, weil sie hier menschenwürdig und vor allem in Sicherheit und Frieden leben können. Und vor allem sehe ich, wie glücklich sie darüber sind.
Noch einmal zum Stadtbild. Ich habe mich sehr gefreut, dass so viele Menschen gegen die
Stadtbild Bemerkungen unseres Bundeskanzlers demonstriert haben. Seit ich durch ein
Hüftleiden nicht mehr so mobil bin habe ich viel Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft in der
Stadt Wiesbaden und in den Wiesbadener Bussen erfahren. Selektive Wahrnehmung bestätigen
Vorurteile. Wenn sich diese menschliche Schwäche bei der Beobachtung physikalischer
Experimente zeigt, ist der Schaden eher gering. Wenn aber Menschen davon betroffen sind, wird
ein Problem daraus. Schlimmer noch aber als die Bemerkung des Bundeskanzlers fand ich die
Bagatellisierung und Relativierung von Politiker. innen und Journalist.innen im Nachgang. In
Wiesbaden funktioniert die städtische Infrastruktur dank der Arbeit sehr vieler Menschen richtig
gut, auch wenn es selbstverständlich noch Verbesserungsbedarf gibt. Vor kurzem habe ich eine
fröhliche Gruppe von Grundschulkindern im Bus getroffen. Eine Schülerin erzählte mir, dass sie
zu einer Besichtigung im Klärwerk fahren. Weiter so, außerschulische Lernorte sind eine gute
Idee. Haltende und parkende Autos auf Bürgersteigen jedoch sind respektlos und behindern
Fußgänger. innen und gefährden besonders Kinder. Sie zerstören das Stadtbild.
Es ist also wichtig, dass wir uns um das Gesamtbild bemühen. Und dass wir lernen, den eigenen
Erfahrungen zu trauen und nicht denen unseres Bundeskanzlers. Bei den Bewertungen hängt es
auch immer von der Perspektive ab. Aus der Perspektive eine Fahrradfahrerin würde das Urteil
vielleicht etwas anders ausfallen.
Ich habe mir Gedanken zum Stadtbild gemacht.
Stadtbild
Manchmal trifft man in der Stadt
jemand der ganz andere Sorgen hat
Vielleicht hat er keine Arbeit und kein Geld
Vielleicht fühlt er sich alleine auf der Welt
Vielleicht ist er Flüchtling oder Migrant
Vielleicht ist der Partner weggerannt
Vielleicht hat er Schmerzen und ist krank
Vielleicht hat er Schulden bei der Bank
Vielleicht traf ihn heute das große Glück
Vielleicht muss er nachher ins Gefängnis zurück
Vielleicht sollte ich einfach fragen
und ihm etwas nettes sagen
Vielleicht auch nicht
Vielleicht erst morgen
ich habe schließlich eigene Sorgen
Vielleicht sollte ich was tun
aber ich kenne ihn ja nicht
So gehn alle aneinander vorbei
und jeder ist jedem einerlei
Ich sah heute viele Menschen,
aber geredet?
geredet habe ich mit keinem
Vielleicht habe ich morgen Zeit
Vielleicht ist mir morgen der Weg zu weit
Vielleicht können andere auch was tun
statt sich immer auszuruhn
Vielleicht Vielleicht