Kürzlich habe ich in Offenbach aus meinem Krimi „Die kalte Erika“ vorgelesen. Eine schöne Veranstaltung im Bücherturm der Stadtbibliothek, voll besetzt, großes Interesse, mit lebhafter Unterhaltung im Anschluss. Da kam die Frage einer Zuhörerin, sie kenne ein Wort nicht, das ich im Roman verwendet habe: Smombie! Was das wohl sei?
Kurz gesagt: Das ist ein Phänomen, dem Du dauernd begegnest, nicht nur in Offenbach. Menschen, die mit dem Smartphone in der Hand durch die Fußgängerzone wandeln, als befänden sie sich auf einer anderen Welt oder – in Anlehnung an TV-Serien wie „The Walking Dead“ oder Hollywood-Schocker wie „Worldwar Z“ – als wären sie Zombies. Völlig versunken und absorbiert stolpern sie vor sich hin, zuweilen mit einem Kinderwagen an der Hand, den sie vor sich herschieben, oder mit kleinen Kindern, die sie mit sich durch eine Welt ziehen, die sie kaum noch wahrnehmen. Smartphone-Zombies, kurz: Smombies.
Smombies sind ein Phänomen unserer Zeit. Eine der Vorstufen der Digitalisierung des Menschen. Du siehst sie überall. Sie gehen bei Rot über die Ampel, ohne sich um den Verkehr zu scheren; weit wichtiger ist Ihnen der Umstand, dass sie das Smartphone in ihrer Hand, das ihre Aufmerksamkeit einfordert, befriedigen müssen.
Smombie
Offenbacher Innenstadt, 21.3.2020
Foto: Lutz „Bronski“ Büge
Sie bleiben plötzlich direkt vor Dir auf dem Trottoir stehen, weil ihr Smartphone schlagartig irgendwas von ihnen will, und wenn Du nicht aufpasst, läufst Du auf und fängst Dir fast noch eine Ohrfeige. Denn diese Leute sind häufig aggressiv, da sie sich gestört fühlen. Ist mir passiert! Waldstraße in Offenbach, Fußgängerüberweg am Marktplatz. Junge Frau mit einem Jungen an der Hand, nicht älter als acht, schätzungsweise. Den zog sie mit sich über die Straße, auf das Handy in ihrer Hand konzentriert, und kam dabei genau auf mich zu. Ich wich aus, sie machte eine Bewegung in die gleiche Ausfallrichtung, ohne es zu merken, weil sie mit Wischen beschäftigt war. Wir wären fast miteinander kollidiert. „Passen Sie mal auf!“, sage ich zu ihr. Darauf nennt sie mich „Spießer!“, die Hand schon zum Schlag erhoben. „Wäre schön“, sage ich, „wenn Sie Ihrem Jungen dieselbe Aufmerksamkeit zuteil werden lassen würden wie Ihrem Handy.“ Woraufhin sie mich anbrüllte und dabei Worte verwendete, die ich hier nicht wiedergeben möchte, die aber viele Passant:innen dazu veranlassten, sich staunend nach mir umzusehen. Der Junge stand wenig staunend daneben. Ich hatte den Eindruck, dass dies nicht das erste Erlebnis dieser Art war, dessen Zeuge er notgedrungen wurde.
Fast möchte man im Sinne dieser Menschen wünschen, dass die Digitalisierung schneller voranschreiten möge! Wann kommen endlich die Chips-Schnittstellen auf den Markt, die als Neuro-Implantate zur Direktverbindung unmittelbar ins Gehirn eingesetzt werden? Dann braucht niemand mehr in Fußgängerzonen durch Wischen auffällig zu werden. Man wählt Verbindungen durch Blinzeln mit den Augen und schreibt keine SMS mehr, sondern MMs – kurz für Mental Messaging -, und ist blitzschnell mit allen Datenkraken dieser Welt verlinkt. Alle Geheimnisse sind dann Allgemeingut bzw. Masse für die Unternehmen zum Ausschlachten. Dass Menschen scheinbar unmotiviert vor sich hinreden, das kennt man ja schon und das wird man auch weiterhin erleben. Die uralte Kulturtechnik des Selbstgesprächs feiert fröhliche Urständ überall auf unseren Straßen. Zumindest dem Anschein nach. Aber das ist es, was heutzutage zählt, oder nicht? Der Anschein! Wer mit dem Handy in der Hand unterwegs ist, der/die ist wichtig, sieht zumindest so aus und fühlt sich so. Wenn das Smartphone ruft, wird alles andere nebensächlich. Der Bimmelling in der Hosen- oder welcher Tasche auch immer wird zum Dominator des Lebens.
Der nächste evolutionäre Schritt ist schon mehr als angedacht. Künstliche Intelligenz wird in Bälde all die Unzulänglichkeiten und Ungenauigkeiten von kohlenstoffbasierter Humanintelligenz ersetzen. Dann brauchen wir kein Gehirn mehr. Menschsein klingt nicht von ungefähr schon so ähnlich wie Unsinn. Die Entwicklung findet ihren Weg. Fragt sich nur, wer sie vorantreibt und warum sich so viele Menschen so bereitwillig von ihr degradieren lassen. Freier Wille? Schönen Gruß an alle Smombies da draußen auf unseren Straßen, die mich morgen wieder umzurennen versuchen, als gäbe es was zu gewinnen.