Der Umgang mit autoritären Denkmustern könnte ganz einfach sein: Man setze ihnen Werte wie Respekt, Freiheit, Gleichheit entgegen. Oder Grundgesetz Artikel 1.: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Doch das scheint für die deutschen politischen Parteien nicht einfach zu sein.

Demokratie und Extremismus: „Was die Autoritären kapern wollen“, FR-Feuilleton vom 7. Dezember


Warum neigen so viele Menschen zu autoritärem Denken?

Pitt von Bebenburg vielen Dank für seine nachdenklichen Zeilen. In seinem Bericht über die Bielefelder Tagung zur Resilienz demokratischer Institutionen geht es auch um die zutreffende Einschätzung der AfD als historischem Wiedergänger deutscher Rechtsparteien bis hin zur NSDAP.
Kluge Menschen, die sich mit der Geschichte der Menschen und der Menschheit befasst und sie erforscht haben, sagen, dass sich Geschichte nicht wiederholt. Ja, sie wiederholt sich nicht genau so, wie es damals geschehen ist, aber vieles, was wir heute beobachten, hat Parallelen, viele Ähnlichkeiten mit dem, was die Menschen im Deutschland der Jahre 1933 bis 1945 getan haben und erleben mussten. Auch heute gibt es wieder eine rechte Partei, die alles unternimmt, um die Demokratie, in der wir leben, zu zerstören. Die Frage ist, warum so viele Menschen sie wählen, zuletzt bei der Europawahl und besonders in den ostdeutschen Bundesländern bei den Landtagswahlen.
Menschen, die Angst haben um ihren Lebensstandard, ihren Wohlstand, wählen sie. Menschen, denen es zu anstrengend ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, Nachrichten, Informationen und Berichte aus vertrauenswürdigen Medien zur Kenntnis zu nehmen, und die lieber an Verschwörungserzählungen und das Geraune aus dem Internet glauben, wählen sie. Menschen, die es nicht aushalten wollen, dass in der Politik um die richtigen Entscheidungen mit Argumenten gerungen und gestritten wird, um zu einem Kompromiss zu kommen, mit dem alle leben können, wählen sie. Menschen, deren Selbstbewusstsein nicht allzu sehr ausgeprägt ist, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen und die sich aus all diesen Gründen eine starke Autorität an der Spitze des Staates wünschen, wählen sie. Menschen, die es nicht ertragen können, dass Menschen in unserer Gesellschaft sich ihr Leben anders vorstellen und es frei gestalten wollen in bunter Vielfalt, wählen sie. Menschen, die Angst haben vor dem Fremden und Unbekannten, vor fremden Sprachen und Kulturen, und die nicht bereit sind, sich einzulassen auf das, was unsere ganze Welt an Möglichkeiten bietet, wählen sie.
Wissen diese Menschen, dass sie damit dem Faschismus den Boden bereiten, der unser Land schon einmal in die Katastrophe geführt hat? Wissen diese Menschen, dass die Partei, die sie da wählen, unsere freiheitliche Ordnung abschaffen will? Wissen diese Menschen, dass diese Partei hetzt gegen alle, die anders sind und dass nicht wenige ihrer wichtigen Vertreterinnen und Vertreter zusammen mit noch rechteren, noch extremeren, noch radikaleren Organisationen eine Gesellschaft der Ausgrenzung, der Diskriminierung, des Rassismus und der Menschenfeindlichkeit anstreben? Ich erinnere nur an den Plan der so genannten „Remigration“, der Abschiebung von Menschen ausländischer Herkunft, die bei uns leben, sogar derer, die inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft haben.
Dass diese Partei eine Plattform in unseren Medien hat, als sei sie eine ganz normale Partei des demokratischen Spektrums, ist skandalös. Dass noch immer diskutiert wird, ob sie verboten werden soll, ist unbegreiflich. Dass andere demokratische Parteien ihr Gedankengut und ihre Sprechweise aufgreifen, ist zutiefst beschämend.
Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf!

Stephan Steinhoff, Bonn

Die AfD holt alte Hüte heraus – oder sind es Bärte?

Sicher sind solche Veranstaltungen verdienstvoll. Bezüglich des Outcomes bin ich aber eher skeptisch. Warum? Ich fange bei den (soweit im Artikel genannt) Berufsgruppen an: Soziologen, Juristen, Kriminologen und Journalisten. Kann man mit den Instrumentarien dieser Berufsgruppen das Phänomen AfD erfassen? Da habe ich meine Zweifel. Warum? Da wird von „Menschenfeindlichkeit“ gesprochen. Warum wird jemand zum Menschenfeind? Das ist doch die entscheidende Frage. Man müsse Institutionen vor Aushöhlung schützen. Einverstanden. Haben wir es mit dem Abstraktum Institution zu tun oder mit Menschen, die eine solche ausmachen? Wenn es eine Opferrhetorik gibt, wer sind die Täter?
Mit dem Ermächtigungsgesetz hätten die Nazis formell die Demokratie und den Rechtsstaat ausgehebelt. Das Ermächtigungsgesetz bestand aus fünf Artikeln. In jeder Reichstagsfraktion dürfte es Juristen gegeben haben, die den Parlamentariern hätten erklären können, was das inhaltlich bedeutet. Nein, Menschen haben verabschiedet und die Nazis wurden ermächtigt. Ross und Reiter. Stichwort politische Beamte. Lösungsvorschlag Abschaffung, aber …
Erstaunlich. Immer wieder habe ich mich gefragt, warum Oberstaatsanwälte oder Polizeichefs etc. nicht vom Volk gewählt werden. In jedem zweiten (gefühlt) US-Spielfilm (und durch die wurde ich aufmerksam) geht es darum. Warum ist das bei uns nicht so? Da ist die Rede vom Ver-ächtlichmachen. Ver-achten, keine Achtung, keine Würde, das alte deutsche Problem…
Wurde dies gesehen, oder wurde nur der Begriff benutzt, ohne sich klar zu machen, was er bedeutet? Übermäßige Politisierung vs. Neutralität. Auch das ein altes deutsches Problem, diesmal mit der Politik (schmutziges Geschäft), der neutrale Beamte (ein Ideal) etc., der nur dem Staat verantwortlich ist.
Da werden also von der AfD alte Hüte, oder sind es Bärte, herausgeholt. Der Mensch ist doch ein Zoon politikum. War die Politisierung nicht die Konsequenz der „Neutralität“ (auch so ein Abstraktum), die mit zum Verderben damals beitrug? Das Abstrahieren, Intellektualisieren, das Akademisieren, so nötig das ist, ist gleichwohl eine typisch deutsche Umgangsform mit Problemen, und die geht gerne am eigentlichen Problem vorbei.

Rüdiger Erdmann, Pattensen

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