Der Bundestag arbeitet an einem Gesetz zur Präimplantationsdiagnostik, und es sieht so aus, als ob die PID-Befürworter gute Chancen haben, sich durchzusetzen. Die Debatte spaltet nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Parteien; es gibt Zustimmung und Ablehnung quer durch die Fraktionen. Die FR-Leserinnen und -Leser dagegen scheinen das Thema eher kritisch zu sehen. Jedenfalls habe ich bisher noch keinen Leserbrief bekommen, in dem die PID begrüßt würde. Die Leserbriefe äußern sich zu den FR-Interviews mit dem EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider und dem Ärztepräsidenten Jörg-Dietrich Hoppe.
So meint die Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Christinnen und Christen bei Bündnis 90/Die Grünen, Sybille Mattfeldt-Kloth aus Helmstedt:
„Der Konflikt bei der PID wird künstlich erzeugt, weil auf Grund von Unfruchtbarkeit und/oder vermuteter genetischer Schädigung des Embryos eine Schwangerschaft künstlich und auf Probe herbeigeführt wird. Es gibt indes weder juristisch noch moralisch einen Anspruch auf ein gesundes Kind, weil Unfruchtbarkeit keine Krankheit ist und weil dies zur Eugenik und zum Ausschluss behinderter Menschen aus der Gesellschaft führt. Nimmt man die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle als Zeitpunkt des Lebensbeginns, so führt die Option für die PID zu gestufter Menschenwürde und gestuftem Schutz. Erklärt man den Embryo im Zustand vor der Nidation zum Zellhaufen, dann kann er in dieser etwa 14 Tage währenden Phase genetisch getestet, verworfen sowie zu Forschungs- und Therapiezwecken weiterverwendet werden. Der bei uns bisher geltende Lebensschutz würde durch solche Stufungen, die durch Eigenschaften festgestellt werden, teilweise aufgehoben werden.
Wenn rechtlich für die PID ein gestufter Lebensschutz von der Abtreibungserlaubnis her konstruiert wird, werden zwei verschiedene Situationen analogisiert. Bei der PID geschieht die Auswahl vor der Schwangerschaft, bei einer Abtreibung geht es um einen Konflikt während der Schwangerschaft.
Es ist verständlich, wenn der Ratsvorsitzende der EKD in seine ethischen Überlegungen die Eltern einbeziehen will. Unserer Meinung nach führt die Einführung einer wenngleich begrenzten PID jedoch gerade zu einem Konflikt für die Familien. Der gesellschaftliche Druck auf werdende Eltern durch die „Pflicht“ zum genetisch makellosen, gesunden Kind wüchse stark und schlösse behinderte Menschen aus.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Christinnen und Christen bei Bündnis 90/Die Grünen hat sich daher schon in einer 2004 verfassten Stellungnahme klar gegen die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik gewandt.“
Michael G. Hoffmann aus Flörsheim:
„Die PID-Diskussion ist meiner Meinung nach zu sehr auf die rechtlichen Aspekte verengt. Die Ethik beschäftigt sich viel weitreichender als das Rechtswesen mit den fundamentalen Aspekten menschlichen Handelns in der Gemeinschaft nach allgemeingültigen Werten und Normen, wobei auch Gedanken über das „höchste Gut“ im Menschsein eine zentrale Rolle spielen. Die Zunahme wissenschaftlicher Erkenntnisse und des damit einhergehenden Fortschritts führen oftmals zu radikalen Veränderungen im menschlichen Leben und können die Ethiker vor die herausfordernde Frage stellen, ob Grundprinzipien eines allgemein anerkannten ethischen Konsenses einer neuen Rechts- und Gesetzeslage, die erstmals aufgrund eines entsprechenden technischen Fortschritts entstanden sind, geopfert werden sollen. Die PID ist ein ideales Fallbeispiel für solch eine Konstellation und zeigt uns, dass nicht alles, was rechtmäßig erlaubt ist bzw. wird, auch ethisch gesehen einwandfrei sein muss. Eines der Hauptargumente der PID-Befürworter leitet sich aus dem bereits existierenden Gesetz, welches die Pränataldiagnostik (PND) erlaubt, ab. So argumentiert Hoppe, dass ein PID-Verbot im Vergleich zur gesetzlich erlaubten PND unlogisch wäre. Dies Sichtweise beruht nun ihrerseits auf zwei logischen Fehlschlüssen. Denn zum einen setzt sie stillschweigend voraus, dass die PND ethisch unproblematisch sei, und zum anderen werden die beiden unterschiedlichen Kontexte, die der PID und PND zugrunde liegen, gleich gesetzt. So zielt aber die PID von vorneherein auf die Selektion ab, und des Weiteren besteht bei der PID im Gegensatz zur PND kein Schwangerschaftskonflikt, da die körperliche Integrität der Frau unberührt bleibt. Ein weiteres Hauptargument der PID-Befürworter besteht nun darin, dass die PID menschliches Leid verhindert. Aus Sicht der betroffenen Eltern, die einen Kinderwunsch hegen, ist die Anwendung der PID ein verständliches und moralisch gesehen auch einwandfreies Vorgehen. Trotz dieser positiven Aspekte der PID bleibt ein Unbehagen bestehen, wenn man sie im Kontext einer Ethik betrachtet, die höher zu bewerten ist als eine „Ethik des Verhinderns von Leid“. Diese höher zu bewertende Ethik ist meiner Meinung nach das uneingeschränkte Recht auf Leben. In diesem Zusammenhang ist die Auffassung, dass menschliches Leben ab dem Zeitpunkt der Kernverschmelzung bzw. Befruchtung beginnt und unter dem absoluten Schutz der Menschenwürde steht, am eindeutigsten. Diese an sich religionsneutrale ethische Ansicht entspricht auch der katholischen Lehrmeinung. Wer sich als betroffene Eltern einer solch „höheren Ethik“ verpflichtet fühlt und gleichzeitig Leid verhindern will, muss konsequenterweise eigene Kinderwünsche zurückstellen, damit „Leid“ erst gar nicht existent wird. So wie jetzt die PID-Befürworter die PND als Argument für die eingeschränkte PID ins Feld führen, wird man später dieses eingeschränkte PID-Gesetz als Schlüssel zu dann offensichtlich unethischen Erweiterungen benutzen können. Der von vielen befürchtete „Dammbruch“ ist daher bei einer Zulassung zur eingeschränkten PID vorprogrammiert.“
Prof. Christoph von Ritter von Ruhpolding:
„Die Bezeichnung Präimplantations-„Diagnostik“ (PID) ist irreführend: Würde diese Vorstellung von Diagnostik auf die gesamte Medizin übertragen werden, würde nicht mehr die Krankheit sondern der Kranke eliminiert. Tatsächlich aber stellt die Diagnostik in der Medizin die notwendige Voraussetzung für eine spezifische, auf die Bedürfnisse des Patienten ausgerichtete Therapie dar. Aus diesem Grund sollte zukünftig nur noch der Ausdruck „Präimplantations-Selektion (PIS)“ zur Anwendung kommen. Natürlich kann ein solches Verfahren von keinem Mediziner, der sich ausschließlich dem Wohl seiner Patienten verpflichtet fühlt, angewandt werden. Die Äußerungen des Ärztepräsidenten Dr. Hoppe sind vor diesem Hintergrund unverständlich.“
„Wehret den Anfängen“ – dies ist offensichtlich ein wesentliches Motiv für die Ablehnung der PID neben dem Argument des unbedingten Schutzes menschlichen Lebens. Etwas irritierend ist dabei, dass der Aspekt des Lebensschutzes bereits intensiv im Zusammenhang mit den gesetzlichen Regelungen zu Schwangerschaftsabbrüchen und Stammzellenforschung in Öffentlichkeit und Parlament diskutiert wurde, und man sich in einem lange währenden Verfahren der Güter- und Interessenabwägung auf eine Lösung verständigt hat. Soll dies nun wieder neu aufgerollt werden? Wer „den Anfängen“ wehren will, blendet dabei zunächst aus, dass die Verfügbarkeit der reproduktionsmedizinischen Methoden den eigentlichen Anfang darstellt, zu der es ebenfalls bereits Antworten aus einer intensiven gesellschaftliche Diskussion gibt. Weiterhin beziehen sich viele Befürchtungen auf ein Szenario („Designerbabies“), das einerseits heute als Möglichkeit nicht existiert (und möglicherweise nie realisierbar sein wird) und andererseits ja gerade durch ein gut gemachtes Gesetz reguliert werden kann.
Zu kurz kommt meiner Ansicht nach eine Analyse des Ist-Zustandes. Wen betrifft ein PID-Gesetz, welche Interessen und Motive haben diese Menschen, was für Optionen gibt es, welche Folgen haben sie?
Erst kürzlich wurde in der FR ein Interview publiziert, in dem ein Gynäkologe kurz einige Fakten zu den heutigen Möglichkeiten und Grenzen der PID darlegen konnte (http://www.fr-online.de/politik/-kein-aufschluss-ueber-blaue-augen-und-blonde-haare-/-/1472596/5034832/-/index.html). Die aus meiner Sicht wesentlichen Aussagen sind darin, dass man mit der PID (heute) eben nicht global feststellen kann, ob ein Embryo zu einem „gesunden“ oder „kranken“ Kind heranwachsen wird, sondern lediglich auschließen kann, dass eine bestimmte monogenetische Erkrankung (z.B. Mukoviszidose) vorliegt. Schon die Erkennung von Krankheiten, die in mehreren Genen angelegt sind, sei nicht möglich und noch viel weniger eine Selektion nach allgemeinen körperlichen Merkmalen. Es ist schon etwas merkwürdig. Gerade auch Kritiker gentechnischer Verfahren betonen (völlig zu Recht), dass ein Lebewesen nicht allein durch seine genetische Ausstattung determiniert wird, sondern durch das komplexe Zusammenwirken der Gene untereinander und mit den Umweltbedingungen. In der Frage der Gendiagnostik wird hingegen oft wieder ein mechanistisches Verständnis des Genoms unterstellt, nach dem es nur eine Frage der Zeit sei, bis man alle Eigenschaften eines Menschen auf seine genetische Ausstattung zurückführen könne.
Insofern ist es möglicherweise zielführender, die Situation näher zu betrachten, in der eine PID prinzipiell möglich wäre. Ein Paar, das seinen Kinderwunsch mittels reproduktionsmedizinischer Methoden realisieren möchte, nimmt neben hohen Kosten auch erhebliche Belastungen auf sich – die betrifft insbesondere die Stimulation der Eizellenbildung bei der Frau. Es können nur wenige Eizellen gewonnen werden, von denen nur ein Teil befruchtet werden kann und zu einem Embryo heranwächst. Nicht selten schlagen ein oder mehrere Versuche auch fehl. Zu unterstellen, dass ein Paar in dieser Situation, mit einem lange unerfüllten Kinderwunsch anfangen würde, ein „Designerbaby“ zu planen, erscheint mir etwas frivol. Selbst die theoretische Möglichkeit dafür bestünde auch nur dann, wenn man versäumt zu regulieren, was bei einer PID untersucht und ausgewertet werden darf und was nicht.
Zu den bereits publizierten LeserInnenbriefen: Dass aus der Option der PID ein „gesellschaftlicher Druck auf werdende Eltern durch die ‚Pflicht‘ zum genetisch makellosen, gesunden Kind“ entsteht, halte ich vor dem Hintergrund des real Möglichen für eine spekulative Extrapolation. Die Bereitschaft einer Gesellschaft, Abweichungen von der Norm zu akzeptieren, wird nicht größer, wenn es ein paar mehr oder weniger „Abweichungen“ gibt. Sie ist nach meiner Auffassung viel mehr bestimmt vom algemeinen gesellschaftlichen Klima. Mehr sichtbare Armut auf den Straßen führt ja auch nicht dazu, dass die gesellschaftliche Bereitschaft steigt, sich der Armen anzunehmen. Im Gegenteil – sie führt heute dazu, dass den Armen mit größerer Aggressivität begegnet wird.
Eine Differenzierung zwischen PID und PND, die darauf abzielt, dass beide Verfahren ethisch problematisch seien, es sich im letzteren Fall aber zusätzlich um einen Schwangerschaftskonflikt handele und in ersterem nicht, hat, ob gewollt oder nicht, einen unguten zynischen Beiklang: „Wir wollen eigentlich nicht, dass du diese Untersuchungen machst. Wenn du es aber trotzdem willst und dich sogar entscheidest, ein voraussichtlich krankes Kind nicht bekommen zu wollen, stellen wir zumindest sicher, dass die Entscheidung mit der Erfahrung einer Abtreibung verbunden ist.“
Dass die Entscheidung für eine „ethisch gerade noch tragbare“ PID tatsächlich ein „Dammbruch“ für eine ethisch nicht mehr zu verantwortende „eugenische“ PID darstellt, ist für mich nicht vorprogrammiert. Die Minderheit der Eltern, die (typischerweise nach Jahren mit unerfülltem Kinderwunsch) Kosten und Belastungen einer reproduktionsmedizinische Behandlung auf sich nimmt, wünscht sich „überhaupt“ ein Kind und nicht primär ein „perfektes Kind“. Wenn man etwaige Versuchungen in Richtung „Designerbabies“ durch ein sorgfältiges Gesetz ausschließt, sehe ich keinen zwingenden Grund, warum ein solcher Damm zwingend bersten sollte.
Eine „höhere Ethik“, die auf den Wunsch, Leid zu verhindern, nur die Antwort bietet, „eigene Kinderwünsche zurückzustellen, damit ‚Leid‘ erst gar nicht existent wird“, ist zwar im Hinblick auf den Schutz ungeborenen (potenziellen) Lebens konsequent und widerspruchsfrei, erscheint mir aber ansonsten kalt und wenig human im Hinblick auf Psyche und Gefühle der Lebenden.
Die beiden Begriffe „Präimplantations-Diagnostik“ und „Präimplantations-Selektion“ sind natürlich nicht deckungsgleich. Ersterer beschreibt das Verfahren, letzterer die aus den Ergebnissen abgeleitete Entscheidung. Es ist sicherlich sinnvoll sich bewusst zu machen, dass nicht das diagnostische Verfahren die Entscheidung bestimmt, sondern dass die (potenziellen) Eltern die Entscheidung in ihrer eigenen Verantwortung treffen müssen. Eine solche Entscheidung, ob ein Embryo implantiert wird oder nicht, ist aber nicht gleichzusetzen mit Entscheidungen zur Behandlung bereits geborener Kranker. Da es keinen rechtlichen oder ethischen Zwang gibt, jeden aus künstlicher Befruchtung entstandenen Embryo einzupflanzen, kann man auch nicht postulieren, die Entscheidung einen bestimmten Embryo nicht einzupflanzen sei äquivalent dazu, „nicht mehr die Krankheit sondern den Kranken zu eliminieren“.
Am Schluss dieses sehr langen und dennoch die angesprochenen Aspekte leider nur kurz anreißenden Beitrags möchte ich zu bedenken geben, dass sich die Humanität einer Gesellschaft meiner Ansicht nach nicht daran entscheidet, was in den reproduktionsmedizinischen Laboren stattfindet, sondern im alltäglichen Umgang der Menschen miteinander. Das Schwinden einer Ethik der gesellschaftlichen Solidarität in diesen sarrazynischen Zeiten würde durch ein ethisch begründetes PID-Verbot wohl kaum kompensiert.
@ dreas
Ihr Beitrag scheint mir sehr schlüssig und gut, auch wenn ich mich mit dem Thema nicht intensiv auseinandergesetzt habe.
# 1 – dreas: Sehr gut ausgeführt und sachlich ausgewogen formuliert. Da kann ich nur zustimmen.
Was mich immer wieder aufregt, ist die Heuchelei rund um die Vergleiche, hie die Erlaubnis, ein fast ausgewachsenes Kind noch kurz vor dem Geburtsmonat bei festgestellter Schädigung abzutreiben, und da das Gewese um einen kleinen Zellklumpen, den man bereits MENSCH nennen will. Ist unsere angeblich so von christlichen oder humanistischen Werten beherrschte Gesellschaft wirklich so „human“, daß sie Kranken, Behinderten, Mißgebildeten usw. die gleiche Sorgfalt beim Aufwachsen und angepaßter Bildung einräumt wie „Gesunden“? Wird nicht, mehr oder weniger offen, gemeckert, über die Kosten, welche Menschen mit Behinderung den Sozialsystemen aufladen? Und warum rückt man die Bedenken von Eltern, welche bereits ein behindertes Kind haben oder aufgrund familiärer Krankheitsvorkommen wissen wollen, ob das (nächste) Kind möglicherweise mit schwerer Behinderung auf die Welt käme, gleich in die Nähe von Eugenik? Da ist die Unterstellung eines geplanten „Designer-Babys“ der gleiche Stuß.
Wer an einer chronischen, über Siechtum zum Tode führenden Krankheit leidet, wäre froh, wenn in Labors intensiver an „Zellhaufen“ geforscht würde – Tierschützer sowieso. Ich bin kein Genetiker, aber PID scheint mir auch eine Art Stammzell-Forschung zu sein.
Seltsamerweise sind unter den Gegnern der PID mehr Männer als Frauen. Da trifft dann mal wieder die alte Weisheit zu: Würden Männer Kinder bekommen, wäre vieles anders geregelt.
I. Werner, Wolfgang Fladung – Danke für die positive Resonanz. Ich habe ganz bewusst versucht, meine Einschätzung auf dem heutigen Kenntnisstand aufzubauen. Es mag durchaus sein, dass man in vielleicht 10 oder 20 Jahren, je nach dem dann erreichten Stand von Wissenschaft und Technik und nach den gesellschaftlichen Verhältnissen, zu einem anderen Urteil kommen würde. Weiterhin habe ich mich daran orientiert, worüber meine Frau und ich uns jeweils Gedanken gemacht hatten, als sie mit unseren beiden Kindern schwanger war. Das war ganz wesentlich die Hoffnung, die Kinder mögen so gesund geboren werden, dass sie als lebensfrohe Menschen zu selbstständigen Persönlichkeiten heranwachsen können. Ein wenig haben wir noch über die Standardfrage „Junge oder Mädchen“ spekuliert. Ob die Kinder meine Veranlagung zu Kurzsichtigkeit und Linkshändigkeit, die roten Haare meiner Schwiegermutter oder irgendwelche anderen familiären Merkmale haben würden, war uns herzlich egal. Ganz ähnliche Einstellungen habe ich auch bei anderen werdenden Eltern in unserem Umfeld wahrgenommen.
Wenn man dies als Ausgangspunkt nimmt, sehe ich derzeit als reales „Missbrauchspotenzial“ bei der PID nur die Selektion nach Geschlecht. Dies müsste in der Tat klar geregelt werden.
Ich möchte noch einen Gedanken zum Argument anführen, durch Methoden wie PID und PND in Verbindung mit der Erlaubnis, eine „Präimplantations-Selektion“ oder einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, sänke in der Gesellschaft die Akzeptanz von Behinderungen oder generell „Abweichungen“ von der Norm. Liefe das nicht im Umkehrschluss auf eine Funktionalisierung von Kindern mit schweren Behinderungen und ihren Eltern hinaus? Dass diese Kinder auch deswegen geboren werden müssen, damit die Gesellschaft lernt, Behinderungen (die ja auch diverse andere als genetische Ursachen haben können) überhaupt zu akzeptieren? Ich gehe zwar davon aus, dass niemand, der dieses Argument anführt, eine solche Funktionalisierung im Sinn hat. So lange man aus der Distanz argumentiert, bleibt der Umkehrschluss ja auch abstrakt. Schaut man sich jedoch den Einzelfall an, wird er auf einmal sehr real. Schließlich tragen in unserer Gesellschaft die Konsequenzen einer vorgegebenen Entscheidung nicht diejenigen, die sie vorgegeben haben, sondern diejenigen, die direkt betroffen sind.
Vielleicht sollte einmal ein ganz anderer Aspekt beleuchtet werden:
mit Hilfe der PID würde sich die Anzahl der Eltern, die auf natürlichem Wege keine Chance auf Nachwuchs haben, ziemlich erhöhen.
Wenn sowieso zur künstlichen Befruchtung gegriffen werden muss, macht meiner Meinung die PID auch nichts mehr aus.
Es ist ja gerade so, dass Embyonen mit genetischen Abweichungen von der Norm häufig AUCH (natürlich vorgesehen) im Rahmen einer künstlichen Befruchtung abgestoßen werden.
@ dreas
Sie haben überzeugend dargelegt, dass es bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der PID um den Konflikt miteinander konkurrierender ethischer Werte handelt. Diesen Konflikt können wir nicht dadurch lösen, dass wir die Positionen der Befürworter oder Gegner für „falsch“ oder „richtig“ erklären. Aus ihrer religiösen Sicht argumentiert Sybille Mattfeldt-Kloth konsequent. Doch auch die Argumentation derjenigen, die aus ihrer jüdischen, christlichen oder humanistischer Perspektive zu einem anderen Ergebnis kommen, ist nicht minder konsequent. Sicherlich kann man über diese divergierenden Positionen einen „theologischen“ oder philosophischen Disput führen, bei dem gerade die jüdische Tradition der Abwägung von Grenzen des „göttlich Gebotenen“ viele Argumente liefert. Für die Lösung des Konflikts kommen wir dadurch aber nicht weiter.
Die Abgeordneten im Bundestag, die über die PID-Anträge zu entscheiden haben, stecken im doppelten Gewissenskonflikt: Zu einem müssen sie aus ihrer eigener ethischen Überzeugung zu einer Bewertung der Risiken und der Vorteile der PID entscheiden. Zum anderen müssen sie aber auch darüber entscheiden, ob in einem säkularen, pluralistischen Staat die ethischen Maßstäbe der eigenen Weltanschauung für diejenigen verbindlich gemacht werden können, die anderen ethischen Anschauungen verantwortungsvoll vertreten. Zu diesem zweiten Aspekt sagt Mattfeldt-Kloth leider nichts.
@Abraham
Sie sprechen einen wichtigen Aspekt an: Der demokratische Rechtsstaat ist keine Institution, die eine verbindliche eigene Ethik verordnen kann. Darum ist die Entscheidung über die PID-Anträge keine Entscheidung über die Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, sondern es müssen umgekehrt die Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens ausgelotet werden, um eine „gute“ Entscheidung treffen zu können. Darum mein Plädoyer für eine „bodenständige“ Perspektive. Es muss ja nicht der Anspruch sein, ein Gesetz für die Ewigkeit zu schaffen.
Ich habe in meiner Praxis viele Frauen kennengelernt, die selbst künstlich herbei geführte Schwangerschaftsunterbrechungen (und Fehlgeburten) nie wirklich überwunden haben. Schon deshalb will ich mir nicht die späteren Gefühle einer Frau vorstellen müssen, die eine späte Unterbrechung (lat.: inteRRuptio) vornehmen ließ!
Drei Anmerkungen zu der sachlichen und lesenswerten Erwiderung von @dreas (Kommentar Nr.1) auf die drei obigen Leserbriefe:
1. Der Vergleich von Armen mit Behinderten im Kontext einer gesellschaftlichen Akzeptanzproblematik ist ein sehr schöner Beleg für die Argumentation der PID-Gegner, wenn man tiefer gehend und übergreifender nach dem Warum fragt. In unserer Gesellschaft schwindet in der Tat zunehmend die Akzeptanz für die Armen, unter anderem auch deshalb, weil immer mehr Menschen der Meinung sind, dass diese Armut selbst verschuldet ist. Unverschuldeter Armut hingegen wird größtenteils mit Anteilnahme und daraus resultierender Hilfe begegnet, was wir immer wieder an den vielen Spendenaktionen sehen können. Bei einer gesetzlich erlaubten PID sind die betroffenen Paare bei ihrem Kinderwunsch nun technisch gesehen in der Lage zu entscheiden und somit auch dafür verantwortlich, ob ein gesundes oder krankes Kind zur Welt kommt. Entschließen sich nun die Eltern gegen die PID und für die Geburt eines potentiell kranken Kindes, wird die Mehrheit der Menschen im Falle der Geburt eines kranken Kindes diesen Eltern Verantwortungslosigkeit unterstellen. Angesichts des Leids eine verständliche Unterstellung, da sie einem natürlich gefühlten Mitleid geschuldet sein dürfte. Genau dieser Sachverhalt begründet aber die Furcht der PID-Gegner vor einem gesellschaftlichen Druck und der damit einhergehenden Abnahme der Akzeptanz von Behinderten und deren Eltern.
2. Der Stand der Technik und die Menschen, die sich für eine PID entscheiden würden, werden ganz sicher nicht den befürchteten und potentiellen Dammbruch herbeiführen wollen oder können. Aber er beginnt schon da, wo Menschen, die von der PID keine Ahnung haben, Forschungen mit embryonalen “Zellhaufen” zum Wohle der Menschheit gut heißen, nimmt dann seinen Lauf in einer zukünftigen Medizinindustrie, die mit den Forschungsergebnissen Milliarden verdienen möchte und endet dort, wo die natürliche Integrität des Menschseins nur noch eine untergeordnete Rolle spielen wird.
3. Die Kritik und der Einwand, dass es “kalt und wenig human” sei, eine Ethik des Leidverhinderns der Ethik des absoluten Lebensschutzes unterzuordnen und deshalb gegebenenfalls auch auf eine Geburt zu verzichten, zeigt doch andererseits, dass die Unantastbarkeit der Menschenwürde und der damit verbundene absolute Lebensschutz einen ethisch höheren Rang besitzt als eben das Verhindern von Leid. Denn je höher ein Standart gesetzt wird, desto härter ist es doch, ihn einzuhalten, was naturgemäß zwangsläufig und subjektiv “wenig human” erscheint, weil dadurch ja die persönlichen Egoismen nicht an erster Stelle bedient werden, wie wir Menschen es immer gerne hätten. Bei den letzten Dingen des Menschseins und insbesondere zu Beginn der Menschwerdung sollten wir also auf eine wachsweiche Ethik verzichten, die gerade durch eine falsch verstandene menschliche Wärme weiter aufgeweicht werden könnte.
@Michael G. Hoffmann
Danke für Ihre Antwort. Leider habe ich nach dem Jahreswechsel jetzt nicht mehr so viel Zeit zum Schreiben. Ich will dennoch versuchen, angemessen auf Ihre Einwände einzugehen. Eines vorweg – aus meiner Sicht betrifft diese Diskussion auch die grundsätzliche Frage, wie der demokratische Rechtsstaat, der ja selbst keine Ethik setzende Instanz ist (siehe #7) seine gesetzlichen Restriktionen rechtfertigt.
Da man die Gesellschaft nicht als Ganzes direkt fragen kann, wie sie zu Fragen der Armut, der Behinderung etc. steht, muss man sich an Beobachtungen und Indizien halten, was den Raum für Interpretationen erweitert. Sie haben Recht, dass im Zusammenhang mit Armut oft eine „eigene Schuld der Armen“ vorgebracht wird. Ich meine jedoch, dass dies sehr oft nur ein vorgeschobenes Argument ist, eine Scheinrationalisierung, um nicht eingestehen zu müssen, dass man die Armen dafür verachtet, dass sie arm sind, und weil man in ihrer Armut eine Bedrohung des eigenen Status sieht. Darum sind Leute, die so „argumentieren“, meist auch völlig resistent gegenüber dem Einwand, dass Armut in der Mehrzahl der Fälle eben nicht „selbst verschuldet“ ist. Auch die von Ihnen angeführte Spendenbereitschaft bei Aktionen gegen offensichtlich unverschuldete Armut und Ungerechtigkeit kann durchaus mit der Haltung einhergehen, dass ansonsten die Lage der Armen im Allgemeinen als „gerecht, da selbst verschuldet“ angesehen wird.
Sie verweisen im Fall einer erlaubten PID auf eine Wahlfreiheit der Eltern zwischen einem „gesunden“ und einem „kranken“ Kind, so dass eine Nützlichkeitserwägungen folgende Gesellschaft die Geburt eines „kranken“ Kindes den Eltern als Verantwortungslosigkeit anlasten würde. Meiner Ansicht nach ist dies ein abstraktes Szenario. Nach dem heutigen Stand und den heutigen Möglichkeiten erlaubt eine PID „lediglich“, bestimmte schwere Erkrankungen auszuschließen, garantiert somit kein „gesundes“ Kind. Die Erkrankungen, um die es geht, sind allerdings so schwerwiegend, dass sie eine individuell sehr hohe Belastung für die betroffenen Eltern darstellen würden – so hoch, dass Eltern, die dieses Risiko fürchten, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine PND und gegebenenfalls einen (dann legalen) Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen würden. Daher habe ich auch „lediglich“ in Anführungszeichen gesetzt.
Insofern habe ich in der Tat Schwierigkeiten mit der „gesellschaftspolitischen“ Begründung eines PID-Verbots. Die jetzige Diskussion um dieses Thema schlägt wahrscheinlich mehr Wellen als es eine reale Praxis jemals tun wird. Auf der anderen Seite sehe ich jedoch das Problem, dass individuelle Schicksale funktionalisiert werden, um eine gesellschaftspolitische Standortbestimmung vornehmen zu können (wie bereits in Beitrag #4 angesprochen).
Die in Ihrem Beitrag unter 2. genannten Argumente beziehen sich eigentlich nicht auf die PID, sondern auf die Stammzellforschung. Hier trifft allerdings fast noch mehr als für die PID zu, was Abraham in Beitrag #6 festgestellt hat. Es gibt hier einen Konflikt miteinander konkurrierender ethischer Werte, der nicht dadurch gelöst wird, dass man die Positionen der Befürworter oder Gegner für „falsch“ oder „richtig“ erklärt. Das „Profitinteresse der Medizinindustrie“ ist meiner Ansicht nach für die ethische Bewertung einer Methode wenig hilfreich. Gewinnstreben ist ja nicht per se schlecht. Es ist Aufgabe der Politik (und damit auch unsere), ein solches Gewinnstreben einzuhegen und, ja, dabei auch dafür zu sorgen, dass im Konsens gefundene ethische Schranken nicht überschritten werden. Die Konsensfindung jedoch sollte weder positiv noch negativ durch wirtschaftliche Gewinninteressen bestimmt werden. Allerdings möchte ich das Thema der Forschung mit embryonalen Stammzellen hier nicht weiter vertiefen, da es zwar mit der PID technisch im Zusammenhang steht, aber politisch und ethisch meiner Ansicht nach anders zu diskutieren ist.
Auch zu den von Ihnen unter 3. angeführten Argumenten möchte ich zunächst prinzipiell auf die Aussage von Abraham in seinem Beitrag #6 verweisen. Ich halte es für problematisch, einen Ethikansatz allein deshalb als „höherwertig“ zu betrachten, weil er in bestimmten Aspekten „unbedingter“ oder „fordernder“ ist als andere Ansätze. Für mich ist es zum Einen nicht zwingend, dass man einem frühen Embryonalstadium mit noch nicht ausdifferenzierten Zellen, dieselbe Menschenwürde zusprechen muss wie einem Fötus oder einem bereits geborenen Menschen. Ein ethisches Problem ergäbe sich erst dann, wenn daraus ein würde- und schutzloser Zustand abgeleitet würde. Das ist jedoch bei differenzierenden Ethikansätzen eindeutig nicht der Fall. Zum Anderen ist es in meinen Augen ein fundamentales Defizit „dogmatischer“ Wertesysteme, dass ihnen das Prinzip der Empathie ganz oder weitgehend fremd ist. Gerade aber Empathie ist es, die den sozialen Menschen ausmacht und damit eines der Fundamente des gesellschaftlichen Zusammenlebens darstellt. Darum glaube ich nicht, dass es zielführend ist, die Sorgen von Eltern hinsichtlich der Gesundheit ihres Kindes als „Egoismus“ einzustufen.
Es ist ziemlich offensichtlich, dass in der Diskussion um die PID teilweise auch die Diskussionen um die Reproduktionsmedizin als solche und um die Zulässigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen wieder aufleben. Das ist einerseits grundsätzlich legitim, da die entsprechenden Gesetze in einem demokratischen Rechtsstaat keine Ewigkeitsgarantie haben können, sondern unter anderen gesellschaftlichen Umständen ggf. einer Neufassung bedürfen. Andererseits sollte ein gefundener Konsens erst dann in Frage gestellt werden, wenn es tatsächlich Erkenntnisse oder eine Situation gibt, die eine Neubewertung notwendig machen. Insofern hielte ich es derzeit nicht für angemessen, die gefundene gesellschaftliche Übereinkunft zu Pränataldiagnostik und Schwangerschaftsabbrüchen in Frage zu stellen. Hier gibt es seitens der PID-Kritiker die Position, dass die Situation des Schwangerschaftskonflikts Maßnahmen rechtfertige, die bei einer Befruchtung in-vitro nicht hinnehmbar seien. Letztlich wird damit, wie ich bereits in meinem Beitrag #1 angesprochen habe, Paaren, die eine PID oder eine PND durchführen möchten, ein grundsätzlich leichtfertiger Umgang mit Leben unterstellt, indem man die Entscheidung gegen das Austragen eines Kindes nur akzeptiert, wenn sie mit der sehr belastenden Erfahrung einer Abtreibung verknüpft ist. Was allerdings in diesem Kontext noch nicht erwähnt wurde, ist ein anderer wesentlicher Unterschied: Ein Schwangerschaftsabbruch beendet in jedem Fall ein (potenzielles) Leben. Eine PID kann zwar auch (unter der Prämisse, dass man den nicht ausdifferenzierten Embryo und den herangewachsenen Fötus gleichsetzt) zu einem analogen Ergebnis führen, kann aber auch, indem sie zweifelnden potenziellen Eltern Zuversicht gibt, bewirken, dass ein (potenzielles) Leben angenommen und realisiert wird. Für mich ein weiterer Grund, die PID für sich selbst genommen zu diskutieren und nicht als Stellvertreter für andere Fragen.
Zu Beginn hatte ich angesprochen, dass sich für mich bei der Diskussion um die PID letztlich die grundsätzliche Frage stellt, ob die mit dieser Methode verbundenen Risiken ein globales Verbot rechtfertigen. Ich bin weiterhin der Meinung, dass dies nicht der Fall ist, ohne damit jedoch einer völligen Freigabe aller praktischen oder theoretisch denkbaren Optionen der Methode das Wort zu reden.
An dreas:
Herzlichen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar Nr. 10.
Mein Unbehagen bei der PID resultiert auch aus einer Art Verantwortungsgefühl, das mich als -in der industriellen Forschung tätiger- Naturwissenschaftler hin und wieder beschäftigt. Unter 2. (Kommentar Nr. 9) habe ich nicht nur – wie Sie mir richtigerweise unterstellt haben- an die Stammzellenforschung sondern auch an die Chemie, Molekularbiologie, Medizintechnik und Molekulargenetik gedacht. Der PID liegt letztendlich nur eine Analysenmethode zugrunde, die aus dem diversen Wechselspiel vieler naturwissenschaftlicher Teilbereiche entstanden ist. Es ist ein Fakt, dass dort die Forschungen unvermindert weitergehen, und wer die Originalliteratur aus diesen Gebieten verfolgt, kann jetzt schon vorhersehen, wie die nächsten Erweiterungen in der PID aussehen werden. Ein Beispiel für diese These ist doch eindeutig die Anwendung der PID (kürzlich in England vollzogen) zur Selektion eines brustkrebsgenfreien Embryos. Erst die Forschungen außerhalb der PID ermöglichten diesen Schritt. Die PID wird parallel zu den neuesten Entwicklungen aus den oben genannten Bereichen erweitert werden. Bemerkenswert an dieser PID-Methode in England ist auch, dass eine Abstufung bzw. Wertigkeit zwischen einem potentiell gesundheitlich gefährdetem und einem vermeintlich gesünderem Embryo durchgeführt wurden. Das ist ein Fakt und kein geistiges Konstrukt von mir und schon gar keine Extrapolation. Obwohl beide Embryonen im gleichen Embryonalstadium waren, hat man abgestuft bzw. gewertet. Kann dies wiederum nicht die “Logiker” auf den Plan rufen, die da argumentieren könnten, dass es nun zwangsläufig unlogisch sei, zwischen Menschen, die sich auf der gleichen biologischen “Entwicklungsstufe” befinden, keine Wertigkeiten zu berücksichtigen? Ich denke gerade an Herrn Mißfelder und seine empathische Überlegung, ob es denn überhaupt angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage unserer Krankenkassen wert sei, alten Menschen künstliche Hüften zu geben. Dieser Gedanke führt mich nun zu einer Ihrer Kernthesen, die darin besteht, dass Ihrer Meinung nach die “höhere Ethik” viel zu “dogmatisch” sei, und es viel besser wäre, eine “empathiegetriebene” Ethik anzustreben. Ich weiß jetzt natürlich nicht, was Sie unter Empathie verstehen, erlaube mir aber, Ihnen zu unterstellen, dass Empathie auch für Sie ein subjektives im Menschen biologisch hervorgerufenes Gefühl ist. Wenn ja, dann stimmen Sie mir doch auch zu, dass Mensch A andere empathische Gefühle besitzt als Mensch B. Wie wollen Sie dann aus Millionen subjektiver Empathien eine objektive und allgemein akzeptierte Ethik entwickeln? Glauben Sie, dass zum Beispiel Herr Sarrazin und Herr Friedmann gemeinsam aufgrund Ihrer intrinsischen Empathie eine für alle erstrebenswerte Ethik aufstellen könnten? Wer bestimmt denn Ihrer Meinung nach, was eine ethisch gesehen erstrebenswerte Empathie ist? Wer Mitleid mit den “stigmatisierten” Reichen und den ach so geächteten Eliten hat? Ihre These bestärkt mich letztendlich in meiner Meinung, dass wir in den letzten Dingen des Menschseins mit der “dogmatischen” Unantastbarkeit der Menschenwürde und des absoluten Menschenschutzes besser fahren als mit einer “empathiegetriebenen” Ethik, die garantiert in erster Line die Empathie der Reichen und Mächtigen bedienen würde.
Zum Schluss noch zwei Fragen: Erstens: Welche gravierenden Gefahren sehen Sie denn für die Menschheit bei der “dogmatischen” Forderung nach der Unantastbarkeit der Menschenwürde und dem absoluten Menschenschutz? Zweitens: Inwieweit verhindern ein abgestufter Menschenschutz und die PID diese Gefahren zum Wohle der Menschheit?
P.S.: Trotz unterschiedlicher Meinungen sehe ich auch in Ihrer Einstellung zur PID und Ethik eine menschenfreundliche Gesinnung!
Als Versuch einer realistischen Sicht: leben wir nicht bereits in einer nützlichkeitsorientierten Gesellschaft, s. Herr Mißfelder und viele Gleichgesinnte? Sind nicht viele öffentliche „Informationen“ und Diskussionen dem Zweck gewidmet, die Existenz einer zunächst unbeliebten Realität so lange wie möglich zu vernebeln? Je später die Bürger das merken, desto erfolgreicher die Initiatoren? Z. B. erschwert und zerstört die aktuelle Integratinsdebatte künftige wie bereits stattgefundene Integration. Auch kann es mit dem absoluten Schutz des menschlichen Lebens nicht so weit her sein, wenn z. B. in Afghanistan seit Jahren tausende Menschen als „Kollateralschäden“ getötet werden, auch von der Bundeswehr!
Bezüglich PID habe ich mit beiden Vorbloggern in weiten Bereichen ähnliche Ansichten. Juristische Festlegung bei so vielschichtigen Problemstellungen sind immer äußerst schwierig. Aber ohne gesetzliche Vorgaben sind gerade auf diesem Gebiet zuviele Schweinereien möglich – obwohl die wahrscheinlich von Gesetzen völlig unbeeindruckt doch passieren.
@ Michael G. Hoffmann
Sie halten dreas vor: „Wie wollen Sie dann aus Millionen subjektiver Empathien eine objektive und allgemein akzeptierte Ethik entwickeln?“ Doch die Fragestellung suggeriert, dass es eine solche „objektive und allgemein akzeptierte Ethik“ geben kann. Das ist meiner Meinung nach (siehe # 6) nicht der Fall, weil es unterschiedliche Wege gibt, ethische Überzeugungen abzuleiten und zu begründen. Daher gibt es auch auf abschließende Frage („Welche gravierenden Gefahren sehen Sie denn für die Menschheit bei der ‚dogmatischen‘ Forderung nach der Unantastbarkeit der Menschenwürde und dem absoluten Menschenschutz?“) keine einfache Antwort, weil es keine eindeutige Festlegung gibt, wann das Menschsein beginnt und was die Menschenwürde (eventuell auch den berechtigten Wunsch, Kinder zu bekommen?) umfasst. Ich habe große Zweifel, dass „dogmatische“ Festlegungen bei der Lösung konkreter ethischer Konflikte helfen.
@Michael G. Hoffmann
Das PID-Beispiel aus England, das Sie anführen, lohnt in der Tat eine nähere Betrachtung. Bei einer bestehenden Schwangerschaft wäre eine Genmutation, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer Frau in relativ jungen Jahren Brust- oder Eierstockkrebs auslöst, ganz sicher keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch. Es sind weder Leben und Gesundheit der Schwangeren noch des Kindes unmittelbar beeinträchtigt, da die Genmutation ihre Wirkung erst bei Erwachsenenen entfaltet. Bestünde bei einer in-vitro-Fertilisation hingegen die Option, einen Embryo mit oder einen Embryo ohne diese Genmutation zu implantieren, würde wohl niemand sich bewusst für die Implantation des Embryos mit Mutation entscheiden. Dass dies Eugenik ist, darüber braucht man nicht zu diskutieren. Nur – wer dies aus prinzipiellen Erwägungen ablehnt, sollte dennoch versuchen nachzuempfinden, wie es sich anfühlt, wenn in einer Familie über mehrere Generationen hinweg Frauen jung an Krebs sterben und man gleichzeitig weiss, wodurch dies bedingt ist. Welchen Konflikt es bedeuten kann, wenn Frauen aus solchen Familien sich Kinder wünschen. Auf welchen medizinischen Fortschritt sollen sie dann eher bauen? Dass eine sichere Therapie gegen diese Krebsleiden gefunden wird? Dass man die Genmutation einmal neutralisieren kann? Oder dass man die Weitergabe der Mutation ausschließen kann? Oder sollen sie das Wissen ignorieren und ihr Schicksal sowie das Schicksal ihrer möglichen Kinder als vorbestimmt akzeptieren? Die derzeit einzig zuverlässige Prävention gegen diese Krebsvariante ist die Entfernung von Brustgewebe und Eierstöcken. Ein solcher Eingriff zwangsweise vorgenommen wäre ein krasser Angriff auch auf die Menschenwürde. Jedes ethische System, das erklärtermaßen die Menschenwürde herausstellt, muss also auch in solchen Konflikten und auf solche Fragen menschenfreundliche Antworten ermöglichen.
Ich denke, dass hiermit auch klarer ist, was ich mit dem Prinzip der Empathie gemeint habe. Empathie ist ja zunächst einmal die Fähigkeit, sich in Andere einzufühlen, mit ihnen mitzufühlen. Insofern ergibt der Ausdruck „Empathie der Reichen und Mächtigen“ für mich keinen Sinn. Ohne die die Fähigkeit zur Empathie lässt sich meines Erachtens ein Schutz der Menschenwürde nicht realisieren, da der Bezugspunkt fehlt, um die verschiedenen Möglichkeiten der theoretischen Definition auf ihre Gültigkeit im Realen zu überprüfen. Die Würde des Menschen ist aber immer die Würde eines jeden Menschen.
Noch einmal zurück zum Beispiel. Nach meinem Verständnis liegt der Konflikt nicht primär darin begründet, dass eine Selektion nach einem bestimmten Kriterium durchgeführt wird, sondern dass überhaupt eine Selektion erfolgt. Im Rahmen eines ethischen Systems, das Menschenwürde und Lebensschutz bereits auf das noch nicht ausdifferenzierte Embryonalstadium bezieht, kann in dieser Hinsicht eine Selektion nach dem Zufallsprinzip nicht als ethisch höherwertig angesehen werden als eine Selektion nach benannten Kriterien. Das ist dann aber keine Diskussion mehr um die PID, sondern eine Diskussion um die Reproduktionsmedizin in Gänze.
Sie haben gefragt, welche „gravierenden Gefahren“ ich für die Menschheit sähe „bei der ‚dogmatischen‘ Forderung nach der Unantastbarkeit der Menschenwürde und dem absoluten Menschenschutz“. Ich denke nicht, dass es notwendig ist, in diesem Diskussionskontext gleich auf die Ebene gravierender Gefährdungen der Menschheit als Ganzes zu springen. Da Menschenwürde, wie schon gesagt, die Würde eines jeden Menschen ist, muss eine Ethik auch auf der individuellen Ebene zufriedenstellende Antworten geben können. Hier sehe ich das Problem „dogmatischer“ Ansätze darin, dass sie Widerspruchsfreiheit auch dort vorgeben müssen wo es Konflikte gibt und somit diese Konflikte nicht lösen, sondern lediglich verlagern oder unterdrücken können.
Sie haben weiterhin gefragt, inwiefern „ein abgestufter Menschenschutz und die PID diese Gefahren zum Wohle der Menschheit“ vermindern könnten. Wie in meinem Antwortversuch zur ersten Frage ausgeführt, anerkenne ich die Konflikte, die es bei den diskutierten Fragen zu Reproduktionsmedizin und PID gibt und erwarte von einer differenzierenden Ethik zunächst einmal „nur“, dass sie einen konstruktiven Umgang mit diesen Konflikten ermöglicht. Unabhängig davon ist mir hier allerdings wichtig, dass in unserer Gesellschaft und unserem Rechtssystem nicht die Erlaubnis, sondern die Restriktion zu begründen ist. Der Gesetzgeber hat also nicht zu entscheiden, ob etwaige positive Aspekte der PID ihre Erlaubnis rechtfertigen, sondern ob etwaige negative Aspekte dieser Methode ihr Verbot erfordern.
Vielen Dank für das P.S. – es ist ja gerade in der Blogosphäre keine Selbstverständlichkeit, dass neben der Kontroverse auch die Gemeinsamkeit hervorgehoben wird. Die Verpflichtung auf Menschenfreundlichkeit ist natürlich gerade dann wichtig, wenn man verhindern will, dass Ansätze einer differenzierenden Ethik zur Legitimation z.B. der Todesstrafe missbraucht werden.
An dreas:
Vielen Dank für Ihre schöne und in sich stringente Erwiderung auf meinen Kommentar Nr. 11. Da Bronski diese Diskussionen mit drei Beiträgen von PID-Gegnern bzw. Skeptikern in Gang gesetzt hat, betrachte ich (selbstverständlich nur für mich) Ihren Kommentar Nr. 14 auch als Schlussbeitrag auf meinen obigen Leserbrief und verabschiede mich hiermit aus der Diskussion.
P.S. Ihr PS betreffend: Wenn ich mit Anderen über ein Thema, das eindeutig außerhalb einer experimentellen Überprüfbarkeit liegt, kontrovers diskutiere, versuche ich immer folgende zwei Regeln einzuhalten bzw. zu beachten:
Regel 1:”Der Andere könnte recht haben.” (Gadamer)
Regel 2: Wenn zwei Personen zwei verschiedene Meinungen kontrovers diskutieren, sollten Sie sich stetig bewusst sein, dass es drei unterschiedliche Standpunkte gibt: Die beiden Standpunkte der zwei Personen und den Standpunkt der “Wahrheit”.
@Michael G. Hoffmann (sofern Sie diese Zeilen auch nach dem Ausstieg aus der aktiven Diskussion noch lesen)
Ergänzend zu meinem Beitrag #14 möchte ich noch anmerken, dass ich ein Unbehagen auf jeden Fall dort gut nachvollziehen kann, wo eine PID einen Weg zu eugenischen Maßnahmen eröffnet, deren Anwendung auf werdendes Leben im Mutterleib unakzeptabel wäre. Dennoch halte ich es auch und gerade in solchen Fällen für angezeigt, sich gleichermaßen intensiv mit ethischen Aspekten des Tuns wie des Unterlassens zu befassen.
Wenn ich ansonsten meine Beiträge in dieser Diskussion auf eine einzige Schlussaussage reduzieren sollte, dann wäre das die in Beitrag #1 formulierte These, dass sich die Humanität einer Gesellschaft nicht daran entscheidet, was in den reproduktionsmedizinischen Laboren stattfindet, sondern im alltäglichen Umgang der Menschen miteinander.
@dreas
ich finde Ihren Eingangskommentar zur PID hervorragend!
Einen Aspekt möchte ich erwähnen, der bisher noch nicht angesprochen wurde.
Da PID in einigen europäischen Ländern erlaubt ist, würde eine Ablehnung in Deutschland die Folge haben, dass diejenigen, die finanziell gut gestellt sind, ins Ausland reisen würden, um sich behandeln zu lassen. Welches Paar mit genetischem Defekt im Erbgut, das ausreichend Geld besitzt, möchte sich neben der Tortur der künstlichen Befruchtung auch noch das erhöhte Risiko einer Fehlgeburt oder gar eine Spätabtreibung zumuten?
Ärmere Menschen wären schon allein mit den normalen Kosten für eine Befruchtung außerhalb des Körpers dermaßen belastet, dass sie sich die Behandlung im Ausland nicht leisten könnten. Im Grunde genommen würde ein Verbot der PID in Deutschland auf Kosten der finanziell schlechter gestellten Menschen gehen.