Die FR bringt seit Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine in ihrer Serie „Friedensfragen“ kritische Stimmen, die Wege aufzuzeigen versuchen, um die kriegerische Auseinandersetzung zu beenden. Stichwort „Friedenslogik“.
So auch im Text „Wann endlich steigen wir in die Friedenslogik ein?“ von Jürgen Grässlin, der Aktivist und Sprecher der „Aktion Aufschrei“ ist. Im Folgenden veröffentliche ich Zuschriften von Lesern, die mich daraufhin erreichten, sowie Reaktionen auf diese Zuschriften.
Wir warten auf die Antwort aus Moskau
Der Friedenslogiker Jürgen Grässlin hat sein ausgefeiltes „Friedenskonzept“ sicher dem russischen Kriegslogiker Putin geschickt; in der FR konnte der es ja wegen Pressezensur nicht lesen. Wir FR-Leser sehen Putins Antwort erwartungsvoll entgegen.
Ebenso muss Jürgen Grässlin sein ausgefeiltes Friedenslogik-Konzept den im Abwehrkrieg gegen den russischen Angriff sich mühsam verteidigenden ukrainischen Kämpfern zukommen lassen, damit sie ihm (und uns) mitteilen können, was sie vom „Civil Resistance Work“-Konzept jetzt halten.
Dieter Hartwig , Kiel
Olaf Scholz hat sich endlich mal durchgesetzt
Der FR ist es nur eine kleine Meldung wert, dass der Bundestag mit überwältigender Mehrheit (485 zu 178, drei Enthaltungen) den Antrag der Union auf Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine abgelehnt hat. Mit Jürgen Grässlin, Sprecher von „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ bin ich der Meinung, dass Militär nicht die Lösung, sondern das Problem ist.
Außerdem freue ich mich, dass der oft gescholtene „zögerliche“ Bundeskanzler Scholz sich mal durchgesetzt hat.
Gregor Böckermann, Neu-Isenburg
Keine reelle Antwort
Schön wär es. Wir alle wollen Frieden. Nein, nicht ganz. Es gab und es gibt immer Menschen, die mit Gewalt von uns Dinge wollen, z.B. Land, Bodenschätze etc. Wenn Herr Grässlin meint, „die Friedenspolitik erhebt das internationale Recht als Grundlage ihrer Aktivitäten“ und „das Völkerrecht muss von den Regierungen aller Länder geachtet werden“, so ist dies Fakt. Leider halten sich aber nicht alle daran.
Herr Putin würde sich freuen, wenn Herr Grässlin und seine Mitstreiter ihre Ideen verwirklicht hätten. Nicht nur das Militär müsste abgeschafft werden, auch die Polizei. Wir haben Gesetze, die alle befolgen müssen. Leider ist die „Friedenslogik“ nicht die Antwort für das reale Leben. Im Gegenteil, sie ist brandgefährlich. So stimme ich mit Herrn Pistorius überein: Wir müssen „kriegstüchtig“ werden, wenn wir selbst über unser Schicksal bestimmen wollen.
Klaus Kohler, Wilhelmshaven
Wie soll die Ukraine diese Strategie umsetzen
„Friedenslogik setzt auf gewaltfreien Widerstand und Soziale Verteidigung, von der Verweigerung jeglicher Unterstützung über Blockaden und Streiks bis hin zu Generalstreiks“, schreibt Jürgen Grässlin in seinem Beitrag. Wenn ich solche tollen Vorschläge unserer Friedensbewegten lese, dann kann ich nur ausrufen: Auf geht’s, Herr Grässlin, fahren Sie in die von Russland annektierten ukrainischen Gebiete und helfen Sie den Menschen dort, ihre Friedenslogik umzusetzen. Demonstrieren Sie nicht hier im sicheren Deutschland für eine Beendigung dieses unsäglichen Krieges, sondern in Moskau, auf dem Roten Platz oder in anderen russischen Städten. „Friedenslogik schafft und überwacht neutrale Zonen“ – tun Sie das und reden Sie nicht bloß davon!
Erwin Beck, Remshalden
Aufschlussreiche Wortwahl
Mit den Begriffen „Kriegslogik“ und „Friedenslogik“ lassen sich Erkenntnisse erschließen. Demgegenüber taugen die scheinbar neuen Begriffe von Herrn Pistorius „kriegstüchtig“ und „kriegsfähig“ dazu nicht. Die beiden letztgenannten Wörter machen es unmöglich, nicht an Adolf Hitler und Joseph Goebbels zu denken. Joseph Goebbels liebte den Begriff „kriegstüchtig“, z.B. in seinem Leitartikel in der Wochenzeitung „Das Reich“ vom 9. Juli 1944, Seite 1. Adolf Hitler liebte den Begriff „kriegsfähig“, z.B. in seinem Voraus-Kommentar zur Reichsverordnung eines Vierjahresplanes vom 18. Oktober 1936.
Jens Bukowski, Kassel
Der Krieg ist kein Naturgesetz
Jürgen Grässlin hat sehr klar herausgearbeitet, worum es wirklich geht. Nämlich um nichts weniger als das Überleben der Menschheit. Es ist die Frage nach der Welt, in der wir leben wollen oder vielleicht künftig nicht mehr leben können. Alles muss auf den Prüfstand. Unsere technischen Errungenschaften mit dem Geist der Neandertaler – mit dem Schwingen der großen Keule – einzusetzen löscht die Menschheit aus. Auf einem Planeten auf dem jeder Ort in kurzer Zeit erreichbar ist, bedarf es grundlegend anderer Organisationsformen.
Krieg ist doch kein Naturgesetz. Zweifellos wird es immer Konflikte geben. Wie wir diese lösen obliegt der ‚Intelligenz der Menschen dieser Erde‘. Die Forderung kann doch nur sein, die Kriegsherren, die auch nur Menschen sind, zu entmachten, und ihren Befehlen nicht zu folgen, zu entmilitarisieren und als Zivilbevölkerung sich auf humanitärer Basis zu begegnen. Die derzeitige Rüstungspolitik steuert in die entgegengesetzte Richtung, indem Machthabern immer skrupelloser Waffensysteme (zuletzt nach Saudi-Arabien) verkauft werden. Gleichzeitig wird die Akzeptanz dafür innerhalb der Bevölkerung dadurch zu steigern versucht, dass darauf verwiesen wird, dies sichere ja schließlich Arbeitsplätze und damit unseren Wohlstand. Wieder einmal zu kurz gedacht.
Klaus Wirtgen, Zweibrücken
Worüber die Mehrheit nicht gern spricht
Als ich einige Leserbriefe zu dem Artikel von Jürgen Grässlin las, dachte ich, wieder in den 60er-Jahren gelandet zu sein, als ich anfing, Zeitung zu lesen – und das war bei uns zu Hause die WELT.
Ja, was J. Grässlin vertritt, sind die Grundgedanken, die Menschen dazu veranlassen, Kriegsdienstverweigerer zu werden. Das stört natürlich die Mehrheit der Bürger, die nach meiner Erfahrung noch immer meint, dass ein Verteidigungskrieg auch heute nötig sein kann.
Darüber kann man streiten. Doch ich verstehe nicht, weshalb diese Mehrheit immer noch meint, dass zu den militärischen Mitteln auch die Drohung mit Atomwaffen gehören muss. Diese (schweigende) Mehrheit hat anscheinend auch nichts einzuwenden gegen die Waffenexporte aus Deutschland, obwohl ja, insbesondere durch die jahrzehntelange Arbeit von Jürgen Grässlin, allen bekannt sein müsste, dass die tödlichsten Waffen die sogenannten Kleinwaffen, sprich: Gewehre sind.
Aber darüber wird bei der Mehrheit nicht gesprochen.Und wenn jemand wie Jürgen Grässlin deutlich dazu spricht, wird er als naiv gescholten – weil die Welt ja so schlecht sein soll und internationale Organisationen wie die UNO keine Macht haben, also auch nicht Kriege verhindern könnten.
Warum bekommen diese nichtmilitärischen Organisation keine Macht? Von uns? Und von unseren Verbündeten?
Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Ein altes Sprichwort dem man eigentlich nichts mehr hinzufügen müsste. Mir ist es eingefallen als ich das Gespräch mit Frau Käßmann heute in der FR gelesen habe. Sie hat einen ganze Seite gebraucht um zu beschreiben das es weniger Tote geben würde wenn die Ukraine kapituliert. Anschließend könnte man ja mit friedlichem Wiederstand gegen Putin vorgehen. Das setzt voraus das Putin sich mit der Ukraine zufrieden geben würde. Dafür spricht genau nichts. Wenn man weiß das Putin im Frühjahr 2021 angefangen hat seine Gasspeicher in D. leerzufahren würde ich es eigentlich als erwiesen ansehen das dem nicht der Fall ist. Wenn ein Land nach dem anderen kapituliert bremst Putin der Atlantik bei Lissabon .Ich kann nicht sagen das ich mich darüber freue aber das ändert genau nichts. Wir müssen Putin zwingen mit dem Krieg aufzuhören.
Eine Steigerung von „grotesk“, das wäre der Schleichweg eines Ringtauschs, über England die deutschen Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine zu liefern. Ich halte allerdings nicht wie Herr Schwarzkopf den direkten Weg dieser Waffenlieferungen für den besseren, sondern appelliere an unseren Bundeskanzler, endlich mit einem eindeutigen Nein als Antwort auf diese ukrainischen Anforderungen zu reagieren. Ein Weg wird nicht der richtige, indem man einen ominösen Umweg einschlägt, um dasselbe Ziel zu erreichen. Der angedachte Umweg zeigt vielmehr, dass der Weg der falsche ist, sei er direkt oder hintenherum.
Bekannt ist, dass diese Marschflugkörper bis auf russisches Gebiet reichen und mit ihrem Einsatz eine westliche Kriegserweiterung erfolgt. Wie viel Naivität braucht es anzunehmen, in diesem Sinne würden die Taurus nicht eingesetzt? Genau dafür werden sie erbeten. Technische, geschweige denn moralische Einsatzbeschränkungen wären absurd in einem Krieg, der wie alle Kriege im Wortsinn über Leichen geht. Dass außerdem keiner Kriegspartei zu trauen ist und die uns erreichenden Informationen nicht überprüfbar sind, lesen wir täglich. Statt diesen sich endlos dahinziehenden Krieg, in dem es mittlerweile nicht mehr nur um Verteidigung, sondern um Siegen und Vergeltung geht, mit westlichen Waffensystemen anzuheizen und am Laufen zu halten, sollten wir uns endlich auf eine Unterstützung der Ukraine konzentrieren, die Menschenleben erhält, anstatt zu zerstören. Die ohne Vorbedingungen für Friedensgespräche bereit ist. Lasst uns die „grotesken“, todbringenden Wege endlich verlassen, nicht nach irreführenden Schleichwegen suchen und uns eindeutig positionieren für Leben und Überleben der Menschen in der Ukraine, für Gespräche, für Aufbau statt Zerstörung.
Politiker:innen wie Frau Strack-Zimmermann und Herr Hofreiter sollten dabei nicht unbedingt den Ton angeben. Sonst wird’s irgendwann noch grotesker.
Ich bin zutiefst entsetzt und fassungslos, dass Herr Decker im o.g. Artikel einstimmt in die seit dem völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine vorherrschende Kriegshysterie, wenn er die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern fordert. Die Weltuntergangsuhr steht auf 90 Sekunden vor zwölf; russische Politiker haben wiederholt vor dem Einsatz von Nuklearwaffen gewarnt, wenn das Kernland angegriffen wird. Bis auf „New Start“ (ausgesetzt) sind alle Atomwaffen-Verträge gekündigt worden. Wer in dieser Situation nach Waffen ruft, die Moskau erreichen können, handelt und schreibt in meinen Augen verantwortungslos.
Auch wenn ich den Bundeskanzler kritisch beobachte, bin ich froh über das, was die „Bild“-Zeitung als „Zögern“ oder „Blamage“ bewertet: Er scheint einer der Wenigen zu sein, die sich der Gefahr der nuklearen Eskalation bewusst sind. Interessant scheint mir der Vergleich mit dem ersten Weltkrieg, als die Fronten im Stellungskrieg verhärteten. Das Senfgas wurde sowohl nach Westen als auch nach Osten verweht. Auch damals gab es nur Ablehnung und Hohn für die Idee, Verhandlungen zumindest über einen Waffenstillstand zu führen, der das Töten beendet.
Dass so ein Artikel in „meiner“ FR steht, deren immer wieder kritischen Journalismus ich schätze, ärgert mich.
Dass sich Herr Scholz bei der Haushaltsdebatte entgegen seiner sonstigen Art mal so richtig aufgeplustert und Richtung Opposition gewettert hat, sollte vermutlich nur vom eigenen Versagen seiner Ampelregierung und seinen fehlenden Führungsqualitäten ablenken. Natürlich ist der marode Zustand der Infrastruktur, vieler Schulen, Unis und Krankenhäuser, der enorme Fehlbestand an bezahlbaren Wohnungen (Sozialer Wohnungsbau), der scheinbar unaufhaltsame Abstieg des Bildungsniveaus, das weitere Auseinanderdriften von Arm und Reich und das Versäumnis eines konsequenten Umbaus hin zu einer klimagerechten, öko-sozialen Wirtschaft in erster Linie der unionsgeführten Vorgängerregierung zuzuschreiben. Aber auch daran war die SPD und zuletzt Herr Scholz als Finanzminister genauso beteiligt, wie an der seinerzeitigen Verankerung der unseligen Schuldenbremse. Und es ist heute Herr Scholz als Bundeskanzler, der den Blockademinister Lindner regelmäßig gewähren lässt, wenn es gilt, die Bereitstellung notwendiger Mittel zur Zukunftssicherung dieses Landes zu verhindern bzw. die Steuersubventionen für die Wohlhabenden zu streichen oder gar leistungsloses Vermögen zu besteuern. Insofern sollte Herr Scholz vorsichtig sein, „ökonmomischen Sachverstand“ abzusprechen oder ihn für sich zu reklamieren. Denn die eigene Verstrickung in den Cum-Ex-Skandal inkl. des peinlichen Gedächtnisverlustes, in den Wirecard-Skandal oder seine Bescheinigung als Hamburger OB, wonach Benkos Signa-Konzern ein „hervorragendes Immobilienunternehmen“ sei, sprechen nicht gerade für den Wert seiner permanenten Selbstbelobigungen. Auch der insolvente Elbtower wurde von Herr Scholz mitgeplant und seine damalige Ansage, dass er „als Bürgermeister möchte, dass die Hamburger sagen, das hat Scholz gut gemacht…wenn das fertig ist“, unterstreicht nur meinen Eindruck, dass das Amt des Bundeskanzlers momentan fehlbesetzt ist.
Als Reaktion auf Russlands Überfall kündigt der Bundeskanzler 100 Milliarden Rüstungsgelder an – und erntet stehende Ovationen (!) im Bundestag – als gäbe es da was zu feiern. Die EU-Kommissionsvorsitzende verkündet gleich nach Kriegsbeginn, die Ukriane gehöre „zu uns“ (EU) und betont, die wirtschaftlichen Sanktionen gegenüber Russland seien auf Dauer angelegt. Der NATO-Generalsekretär stellt im weiteren Verlauf mit sichtlicher Befriedigung (!) fest, dass sich – entgegen Russlands Vorhaben, die Expansion der NATO nach Osten zu stoppen – die NATO-Grenze mit Russland seit dem Überfall mehr als verdoppelt hat. Der US-Verteidigungsminister gibt anfangs als Ziel aus, Russland müsse generell die Fähigkeit einbüßen, Krieg führen zu können. Der deutsche Verteidigungsminister stellt kürzlich klar, Deutschland dagegen müsse nun kriegstüchtig werden – die Bundeswehr und die Gesellschaft (!). Die deutsche Außenministerin fordert, die EU müsse souveräner werden. Sie buchstabiert Souveränität dabei einzig und allein als militärische Stärke (FR-Interview). Führende CDU Politiker marschieren wie meist vorneweg und befürworten, ukrainische Angriffe auf russische Logistik im russischen Hinterland zu verstärken. Auch die atomare Bewaffnung Deutschlands ist mittlerweile Thema.
Seit Kriegsbeginn wird rundum fortwährend behauptet, nur forcierte Aufrüstung und eine anhaltende massive Bewaffnung der Ukraine für deren Sieg könnten verhindern, dass Russland sich den Rest Europas vornimmt. Das gleiche Russland, das nicht einmal in der Lage war, Kiew zu erobern und die dann eroberten Gebiete in Gänze zu halten. Das erinnert fatal an die westdeutsche Nachkriegspropaganda über die rote Gefahr durch die expansive Sowjetunion. Die kolportierte Verzerrung des Kräfteverhältnises wird ergänzt durch ein lupenreines Gut-Böse-Schema. Angesichts der permanenten lancierten Bedrohungs-Botschaft in Politik und Medien ist es eher erstaunlich, dass es trotzdem noch fast ein Drittel der Bürger sind, die die Aufrüstung kritisch sehen.
Die Stimmung in der Bevölkerung war lange Zeit uninteressant. Jetzt, wo diese anscheinend gekippt ist, ist sie willkommen als demokratisch anmutendes Feigenblatt für die Aufrüstungspläne der Regierung. Der Wille zur Eskalation ist AUCH auf „unserer“ Seite ungebändigt.
„Wie weit gehen wir?“, war die Frage der FR auf dem Titelblatt. Das „Wir“ finde ich äußerst befremdlich. Wer ist gemeint? Die politischen EntscheiderInnen und die Meinungsmächtigen im Land – oder auch die nur von den Folgen Betroffenen? Wenn ich mich massiv bedroht fühle, dann von dieser ungebändigten Eskalationsspirale. Direkt, weil die Kriegsgefahr für ganz Europa wächst, indirekt, weil als Folge die soziale Spaltung der Gesellschaft noch mehr zunimmt und die AFD hochspült.
Eine Ergänzung, um obligatorischen falschen Vorwürfen vorzubeugen: Wer AUCH die Rolle von USA, NATO und die deutscher Politiker in diesem Konflikt sieht, ist dadurch mitnichten ein Leugner des skrupellosen Kriegswillens der russischen Führung.