Zum FR-Gastbeitrag „Ein Stopp wäre ein großer Fehler“ der Vermessungsingenieurin und Umweltwissenschaftlerin Martina Klärle erreicht mich ein Leserbrief von Dr. Folckert Lüken-Isberner, Stadt- und Regionalplaner, aus Kassel. Wegen seiner Länge veröffentliche ich ihn hier im FR-Blog als Gastbeitrag.
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Es ist Frau Klärle sofort abzunehmen, dass der Planungsprozess zu so einem großen komplexen Projekt sehr geeignet ist, um ihren Studenten der Geoinformation daran beispielhaft solch aufwendige Verfahren zu illustrieren. Auch für theatralische Rollenspiele ist es sicher vorzüglich geeignet. Doch die aufgeführten drei Gründe, die für die absolute Notwendigkeit dieses Mammutprojektes sprechen sollen, sind zu widerlegen.
1. Innerstädtische Entwicklung.
Wenn durch Verkehrsbauten innerstädtische Entwicklungen positiv gestützt werden können, so ist dies ideal. In der Gründerzeit der Bahn als neuem Verkehrsmittel war es geradezu umgekehrt: es haben sich ganze Stadtviertel neu um die Bahnhöfe Kopf- oder Durchgangs-Bhf:) entwickelt. Diese Ära ist vorbei. Heute sind Bahnknoten vorrangig zu optimieren, müssen Bahnhöfe ihre Renaissance erfahren nicht nur als Orte für den Verkehr, sondern überhaupt als Orte in der Stadt. Dazu sind sie in einen funktional modernisierten und attraktiven Zustand zu bringen, um eine hohe Akzeptanz zu erhalten und gern aufgesucht zu werden – davon sind sehr, sehr viele Zentralbahnhöfe in Deutschlands Grosstädten weit entfernt. Positivbeispiele neuerer Umbauten sind der Durchgangsbahnhof Hannover Hbf., ohne Tieferlegung, aber mit barrierefreiem Umbau und hohem Ladenbesatz; Kopfbahnhof Leipzig Hbf., mit neuer Tiefgeschossgalerie unter dem Querbahnsteig für Einkaufen und Sich-Treffen. Hier ist die grundsätzliche Architektur der Bahnhöfe beibehalten worden. Freiflächen, die für städtische Nutzungen neu verfügbar wurden, entstanden aber dennoch für Kaufhäuser, Parkhäuser, Büros, Wohnen etc., denn die ehemaligen Aufstellflächen für Lokomotiven, deren Beschickung mit Brennstoffen etc. in den Einfahrbereichen der Bahnhöfe sind längst nicht mehr nötig. Das ist in Stuttgart prinzipiell nicht anders als in Frankfurt – wenn auch wegen der Englage nicht so opulent wie dort – wo ein neues Europaviertel stadtzentral auf einem ehemaligen Güterbahnhof direkt dem Kopfbahnhof vorgelagert entsteht (dem verworfenen Frankfurt 21 trauert keiner mehr nach).
Der vor 20 Jahren auf vorhandener Trasse neu eröffnete Fernbahnhof Kassel-Wilhelmshöhe (auf ehemaligem Haltepunkt) ist im Gegensatz zu Frau Klärles Einschätzung ein sehr gutes Beispiel für angemessene maßvolle Optimierung der Erreichbarkeit der Stadt per Bahn. Durch den Ausbau ist eine sehr effektive Arbeitsteilung zwischen dem alten Hbf. und dem neuen Bahnhof entstanden: der eine bündelt die Regionalverkehre für die Region, der andere fungiert als Ost-West-Nord-Süd-Fernknoten für die Republik und ist zugleich bestens per Schiene (oft umsteigefrei) mit dem Regionalknoten verlinkt. Für die Stadtentwicklung war und ist der neu ausgebaute Bahnhof ein Motor – es entstand ein lebendiges Geschäfts- und Wohnquartier als zweites neues Zentrum der Stadt. Dabei kann die Stadt auch mit einem abstrusen Mammutprojekt für einen neuen Durchgangsbahnhof aufweisen: direkt in Anbindung an die Altstadt gedachte die Deutsche Reichsbahn ihn nach den Kriegszerstörungen 1943/44 entstehen zu lassen – allerdings durch die vorherige weiträumige Verlegung des Flussbettes der Fulda!
2. Freiwerdende Flächen auf den überflüssigen Bahngleisen
Erst kommt die Optimierung der Verkehrsfunktion, dann der Umgang mit den frei werdenden Flächen. Dass die Optimierung heute bei dem rollenden Material, das richtungsneutral ein- und ausfährt, und der Steuerungstechnik, die keine Wartezeiten mehr nötig macht bei der Einfahrt (falls genügend Gleise da), funktioniert, zeigen die bereits modernisierten Kopfbahnhöfe in den Metropolen. In Stuttgart ist der Deal des Flächenverkaufs Bahn an Stadt für dieses Renommierprojekt längst erfolgt. Aber hunderte andere Städte mit für die Bahn überflüssig gewordenen innerstädtischen Flächen hätten diese auch gern für ihre Entwicklung. Sie haben aber mit der DB AG einen sperrigen Partner, der als Monopolist auf seinen Flächen sitzt und der die Erwerbsbedingungen diktiert. Alle kennen als Folge dessen die zerfallene Bausubstanz und die wild überwucherten Gleise vor den Einfahrbereichen zu den Bahnhöfen aus dem gesamten Einzugsgebiet der DB zur Genüge. Als Stadtplaner kennt man zudem die vielen resignierten Stadtkämmerer und Bürgermeister, die über diese Flächen gern verfügen würden. Angesichts der massenhaft anderen Situation allüberall schreit das für Stuttgart bemühte ökologische Argument für die Tieflegung ziemlich laut gen Himmel. Die DB blockiert geradezu die wünschenswerte ökologische Innenentwicklung republikweit.
3. Mehr Menschen für die Bahn begeistern
Die Verzögerungszeiten eines Kopfbahnhofs gegenüber einem Durchgangsbahnhof sind angesichts der heutigen Technik (Fahrzeuge, Steuerung) sind nicht mehr signifikant. Wichtig ist die leistungsfähige Durchschnittsgeschwindigkeit bei der Bahn – dafür sind die Strecken zwischen den Haltepunkten zuständig: hier ist zu optimieren durch Ausbau, Begradigungen, Tunnels und Brücken. Hierfür sind die Bahn-Planungen des Bundes ihrer Halbherzigkeit zu entreißen, die Finanzierungen langfristig zu sichern. Aber daran hapert es. Und es wäre dabei auch aus Fehlern zu lernen. Wenn man mehr Menschen für die Bahn begeistern will, dann muss man auch da fahren, wo die Menschen sind. Die milliardenschwere Neu-/Ausbau-Strecke München – Berlin über Erfurt durch dünn besiedelte Regionen mit zu wenig Systemhalten fährt förmlich an den Menschen vorbei – die für diese Relation eingeforderte Alternative war, die Trasse über die fränkisch-sächsische Städtekette Hof-Plauen-Zwickau-Chemnitz-Dresden zu führen. Die Menschen begeistern sich dann für die Bahn, wenn sie flächendeckend ihre Systemvorteile gegenüber anderen Verkehrsmitteln wahrnehmen können. Das sind Verbindungen in attraktivem Takt, in starker Durchschnittsgeschwindigkeit, mit ausreichend Systemhalten, in flächiger Verknotung, in höherer Anschlusssicherheit bei Umstiegen. Die Bahnnutzer benötigen keinen Börsengang, keine Logistik der DB in arktischen Regionen, keine Fernbuslinien der DB (!) neben den eigenen Schienen. Es geht schlicht um eine „Schweizerisierung“ der Bahn, das heißt, das Sich-Kümmern um’s Kerngeschäft.
In dem Zusammenhang sage ich nur: für ein Stuttgart 21 light, ein K 21.
Für die vorgelegte Planung läßt sich durchaus noch ergänzen das es nicht aureicht -geografentypisch- nur die Erde oberflächlich zu betrachten, sondern die Oberfläche der Erde hinreichend genau zu erkunden!
Gerade im stuttgarter Becken eine ing.- und hydrogeologisch sehr anspruchsvolle Aufgabe. Denn bautechnisch lassen sich sicher Subrosion und Gipskeuper beherrschen, nur sind die Kosten eigentlich kaum abschätzbar!
MfG Karl Müller