Philipp Rösler ist der Reformminister, und darum steigen die Krankenkassenbeiträge. Und zwar von 14,9 auf 15,6 Prozent in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ab kommendem Jahr. Außerdem erhalten die Kassen die Erlaubnis, bei Finanzengpässen unbegrenzt Zusatzbeiträge zu erheben, die allein von den Versicherten beglichen werden müssen. Redner der Oppositionsfraktionen lehnten die Neuregelung in der Bundestagsdebatte kategorisch ab. „Wir erleben heute den ersten Schritt in die Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“, sagte die SPD-Abgeordnete Andrea Nahles. Rösler wies die Vorwürfe zurück. Mit der Reform werde die Solidarität „auf eine breitere Basis“ gestellt. Außer den Patienten würden alle anderen Beteiligten in die Verantwortung für eine nachhaltige und sozial ausgeglichene Finanzierung des Gesundheitssystems genommen. Der Sozialausgleich für Geringverdiener werde aus Steuermitteln beglichen. „Das ist nicht weniger, sondern mehr Solidarität“, sagte der Minister.
Rösler ist vielleicht als Tiger gesprungen, gelandet aber ist er als Bettvorleger. Ursprünglich wollte er nämlich den Systemwechsel, den Einstieg in die Kopfpauschale. Aber die hätte hohe Zuschüsse an Geringverdiener verlangt, Gelder aus Steuermitteln. Und wo die Haushalte derzeit doch so belastet sind … und die FDP Steuererhöhungen ablehnt … So kommt jetzt also ein bisschen Kopfpauschale: Während die Beiträge für die Versicherten nämlich steigen dürfen, werden die Arbeitgeberanteile eingefroren.
„Alle anderen Beteiligten“ werden also nach des Ministers Lesart mit in die Verantwortung genommen. Damit meint er auch die Pharmaindustrie. Er hat durchgesetzt, dass der Zwangsrabatt auf Medikamente von sechs auf 16 Prozent heraufgesetzt wird. An anderer Stelle hat er Zugeständnisse gemacht: Die Nutzenbewertung der Medikamente wird verwässert.
Klaus Philipp Mertens aus Frankfurt meint dazu:
„51,4 Millionen Menschen sind Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung, zusätzlich sind ihre 18,6 Millionen Familienangehörigen mitversichert. Das Schicksal dieser Bevölkerungsgruppe wird von Parteien (CDU, CSU und FDP) bestimmt, die etwa 21 Millionen Wähler repräsentieren (Ergebnis der Bundestagswahl 2009). Angesichts dieser Unverhältnismäßigkeit kommt mir Bismarcks Devise „Macht ist Recht“ in den Sinn, vielleicht sollte man sogar von zufälliger Macht reden, aber man assoziiert dieses Verhältnis keineswegs mit demokratischen Grundsätzen. Deswegen ist die sogenannte Gesundheitsreform à la Rösler faktisch ein Staatsstreich. Usurpatoren, finanziert durch Pharmaindustrie und Standesorganisationen, spekulieren mit Gesundheit und Leben des größten Teils der Bevölkerung.
Die Verteilungskämpfe in der auf extremen Profit bedachten und global ausgerichteten Industriegesellschaft weisen zunehmend den Charakter von Kriegen auf. Vom ursprünglichen Sinn menschlichen Wirtschaftens (Verteilung knapper Güter unter Berücksichtigung marktwirtschaftlicher Regeln bei einem Interessensausgleich zwischen Kapital und Arbeit) hat sich die Minderheit der Machtinhaber unendlich weit entfernt. Das schwarz-gelbe Kartell wird nur zurückweichen, wenn die Mehrheit aus 42 Millionen Wahlberechtigten, die sich von der Troika aus CDU, CSU und FDP nicht repräsentiert fühlt, ihre Ansprüche geltend macht.“
Dr. Manfred Kester aus Einhausen:
„Ja, ich bin in gewissem Sinne befangen (Oberarzt in einem Kreiskrankenhaus), nein, ich bin kein Freund von Herrn Rösler (auch kein Parteifreund), aber der Deutschen Krankenhausgesellschaft das zweifelhafte Prädikat anzuhängen, „ihr Lobbyismus sei schlimmer als der der Pharmaindustrie“, schlägt dem Fass den Boden aus.
Jahrelang ging die Krankenhausgesellschaft den Weg des geringsten Widerstands, nämlich vor der Politik mit ihren ständigen Kürzungsauflagen für die Krankenhäuser einzuknicken und stattdessen Personalabbau und Niedriglohntarifverträge zu propagieren, sich also an den Mitarbeitern im Krankenhaus schadlos zu halten. Seit Jahren gilt der Grundsatz, die Krankenhauspreise der Entwicklung der Grundlohnsumme anzupassen. Das ist schon eine Zumutung, die die Krankenhäuser in ständige Geldnot und Investitionsmagersucht treibt, auch Anorexia ulleri bzw. neuerdings philippi genannt, auf längere Sicht meist zum Tode bzw. zur Privatisierung führend. Die mageren Tarifabschlüsse in Deutschland führten dazu, dass seit Jahren die Krankenhauserlöse unterhalb der Inflationsrate angepasst wurden. Für 2011 wurde den Krankenhäusern ein „Solidarbeitrag“ für die Krankenkassen zugedacht, die Erlöse sollten nur um 0,25 Prozent erhöht werden. Und wenn das jetzt auf eine immer noch schändliche Rate von 0,9 Prozent angehoben wurde, nennen Sie das „Klinikpreise pushen“! Wenn man jemanden erst fast verhungern lässt, um ihm dann in letzter Not doch einige Brosamen hinzuwerfen, ist es noch immer keine altruistische Tat!“
Stefan Otto aus Rodgau:
„Ich empfehle dem Arzt Rösler, einmal den Arzt zu wechseln. Die sogenannte Gesundheitsreform ist eine einziger Verschiebebahnhof. Unter „Reform“ ist etwas ganz anderes zu verstehen. Und wenn dieser Minister noch von „ausgewogener“ Belastung spricht, dann hat er irgendwo noch ein Programm aus dem „Schwarzen Kanal“ in Erinnerung. Dem Bürger bleibt nur noch die Hoffnung, dass bei der nächsten Bundestagswahl die Kräfteverhältnisse sich verschieben und dieser Mist von Herrn Rösler wieder beseitigt wird. Dann haben wir wenigstens die Reform der Reform.“
Ich bin davon überzeugt, dass viele Bürger in unserer Republik keine Ahnung haben, wass hinter den Kulissen des Gesundheitswesen läuft.
Darum aus der Sicht eines Betroffenen einige Details:
Im Zuge des Märchens von der Kostenexplosion im Gesundheitswesen wurden massiv Stellen vernichtet. Konkret: Unter Ulla Schmidt, SPD über 80.000 Pflegestellen. Auf der anderen Seite haben wir es mit immer älteren Menschen zu tun, weil heute Krankheiten behandelbar sind, die vor 20 Jahren nicht behandelt werden konnten. Dass dies einen erhöhten Pflegebedarf erfordert, weis wohl jeder Mensch mit gesundem Verstand; folglich FDP-Politiger nicht. Die Leistungsverdichtung ist enorm, ein Ende jedoch nicht absehbar. Im Gegenteil. Komplikationen, aufgrund mangelhafter Pflege nehmen zu, nicht weil die Kollegen unfähig sind, sondern weil sie einfach nicht mehr dazu kommen.
Als ich vor über 30 Jahren meine Krankenpflege-Ausbildung begonnen hatte, gab es damals schon viel zu kritisieren. Doch nach dem Ende meiner Ausbildung wurde ich auf einer Intensivstation von erfahrenen Kollegen mehrere Wochen lang eingearbeitet. Gleiches passierte mir als Anfänger in der Anästhesie.
Und heute: Seit 25 Jahren arbeite ich in der Anästhesie; während eines Jahres auch in zwei grossen Frankfurter Kliniken. Es war die Hölle! Einarbeitung etwa 1 Tag, danach wurde ich mir selbst überlassen. Begründung: Du bist ja Fachpfleger, du hast ja Erfahrung. Patienten, die so pflegebedürftig waren, dass Mensch schon mit einem reichlich zu tun hatte. Zu versorgen waren Minimum 2 – 3 Patienten.
Und die Konsequenz: nachdem ich bereits über 20 Jahre in der Schweiz gearbeitet hatte, bin ich bereits wieder seit fast 2 Jahren dort. Hier wird die Arbeit anerkannt, der Lohn ist -auch am Schweizer Preisniveau – sehr gut, ich habe Zeit mich um meine Patienten zu kümmern.
Und ich kann prophezeien; ich werde nicht der letzte gewesen sein, der die Flucht ergreift und der Nachwuchs wird auch immer rarer werden. Es sei denn, der Wähler macht endlich soviel Druck, dass sich grundlegend etwas ändert.
Und dass heisst für mich: Mehr Geld für mehr Personal und bessere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen. Endlich Schluss mit Phantasiepreisen für Medikamente und medizinisches Gerät.
Wie berichtete die Rundschau vor einiger Zeit: Der Pharmakonzern Merck steigerte seine Umsätze um 18 %.
Da ist das Potential, wo gespart werden kann. Es ist kein Naturgesetz, dass unsere Pharmakonzerne Milliarden-Profite machen.
Anzumerken ist, daß Umsatzsteigerungen erstmal nicht das geringste mit Gewinnsteigerungen zu tun haben müssen, genauso wie „Umsatz“ nichts mit „Gewinn“ zu tun hat, außer daß ganz ohne Umsatz kein Gewinn möglich ist. „Umsatzsteigerungen“ können, rein auf einen nationalen Markt bezogen, durch Ausweitung der Marktanteile zustande kommen, etwa weil man neue, bessere Medikamente anbietet, oder sie können bei einem internationalen Konzern (wie Merck es ist) auf das Erschließen neuer ausländischer Märkte zurückzuführen sein. Zitat aus einer Presseerklärung zu der Umsatzsteigerung für das umsatzstärkste Medikament der Tochter Merck Serono:
„Das starke Umsatzwachstum war hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass Großhändler in den USA im März einen zusätzlichen 20-Tage-Vorrat an Rebif und weiteren Produkten erhielten, da EMD Serono, die US-Tochter von Merck, im April auf ein neues Computersystem umstellt und Lieferungen während dieser Zeit nicht möglich sind.“
Wollen Sie ein solches Umsatzwachstum wirklich kritisieren, und wenn ja, wieso?
In diesem speziellen Fall ist noch darauf hinzuweisen, daß Merck ein Konzern mit den Sparten „Chemie“ und „Pharma“ ist. Haben Sie geprüft, welche Sparte welchen Beitrag zur Umsatzsteigerung des Gesamtkonzerns hatte, oder ist für Sie eine Umsatzsteigerung von Chemieunternehmen gleichermaßen von Übel? Wenn ja, wieso?
Auch über alle Firmen hinweg betrachtet gibt es in Deutschland jährlich einen Umsatzanstieg bei Pharmazeutika (letztes Jahr ca. 1,5 Mrd). Dieser ist zum Großteil auf den Mehrverbrauch der alternden Gesellschaft zurückzuführen (ca. 1,1 Mrd.). Zu einem kleineren Teil gibt es aber hier eine wachsende Tendenz zu neuartigen, extrem teuren Spezialmedikamenten, z.B. in der Krebstherapie. Der Preis kommt sicher zum Teil über hohe Produktionskosten zustande, zum anderen aber vermutlich auch darüber, daß die Hersteller aufgrund der extrem aufwändigen Herstellung mit modernsten Methoden der Gentechnik hier teilweise (noch) ein Monopol haben. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis diese Monopole fallen.
Die Pharmakonzerne sind natürlich sofort ganz böse Buben, die nur nach Gewinnmaximierung streben, sobald die Ausgaben der Krankenversicherungen für Arzneimittel wie zuletzt um 5,5% steigen. 2008 stiegen die Ausgaben der GKV für Heilmittel um 5,8%, d.h. für Krankengymnastik, Massage, Ergotherapie und Sprachtherapie. Die Schlußfolgerung aus den 5,8%, daß es sich bei den Anbietern solcher Dienste wohl auch um ganz üble, freche Profitmaximierer handelt, müsste dann ja wohl auf ähnliche Weise zu ziehen sein, oder nicht?
Ich denke, das Angstwort ist hier „Konzern“. Einem „Konzern“ traut der deutsche Michel nun mal nichts anderes zu als Ausbeutung und Profitgier auf Kosten der Kunden.
Reinhold Hinzmann berichtet aus dem Krankenhaus. Die Ausgaben der GKV für Krankenhäuser stiegen von 1.Q 2009 auf 1.Q 2010 um 5,1%. Wirklich SCHLIMM, wie die KrankenhausKONZERNE uns (und ihre Angestellten) ihrer eigenen Profite wegen ausbeuten.
Nur mal ein paar Infos zu den Ausgaben der GKV, um ein Gefühl für die Größenordnungen zu bekommen:
Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen 2008:
151,5 Mrd. Euro
Ausgaben der GKV für Krankenhausbehandlung (ohne ambulante Behandlung und ohne Dialysekosten) 2008:
52,6 Mrd. Euro
Ausgaben der GKV für Arzneimittel 2008:
29,2 Mrd. Euro
Ausgaben der GKV für Verwaltung 2008:
8,4 Mrd. Euro
Max Wedell, können Sie als Kenner und Verteidiger der Pharmaindustrie erklären, warum die gleichen Medikamente in unseren Nachbarländern (einschließlich der Schweiz) deutlich billiger sind als bei uns, warum es in Deutschland deutlich mehr Medikamente als im Ausland gibt (von denen viele keinen Zusatznutzen haben) und warum die Ärzte in Deutschland wesentlich mehr Medikamente verschreiben als ihre Kollegen in anderen europäischen Ländern?
„ Mit der CSU wird es keine Kopfpauschale geben, darauf können sie sich verlassen!“ So tönten lauthals in den Medien bis vor wenigen Wochen die CSU-Größen Seehofer und Söder.
Nun haben wir mit Hilfe der CSU die asoziale Kopfpauschale und eine neue Umfallerpartei.
In Stuttgart schreien Jung und Alt: „Lügenpack!“ Wie recht sie haben.
Die bisherige Finanzierung unseres Gesundheitssystems ist ungerecht, weil
– Krankenkassenbeiträge Menschen mit so geringen Einkommen, dass diese nicht oder nur gering besteuert werden, überproportional belasten, während die Beiträge derer, die hohe Einkommen haben, durch die Beitragsbemessungsgrenze gekappt wird;
– die hälftige Finanzierung der Krankenkassenbeiträge durch Arbeitgeber die Unternehmen belastet, die anständige Löhne zahlen und nicht durch Abbau von Arbeitsplätzen ihr Gewinn maximieren, während sie Unternehmen begünstigt, die schlecht zahlen, Leiharbeiter, Scheinselbständige oder ausländische Subunternehmen beschäftigen;
– Privatversicherte aus der Solidargemeinschaft entlassen werden;
– durch unzureichende Staatszuschüsse den Beitragszahlern die Mitfinanzierung der „versicherungsfremden“ Leistungen aufgebürdet wird.
Röslers „Reform“ behebt keines dieser Fehler. Durch den Kassen-Zusatzbeitrag werden Arbeitnehmer alleine belastet, ohne dass dadurch die „beschäftigungsfreundlichen“ Arbeitgeber signifikant entlastet werden. Der steuerfinanzierte Sozialausgleich der Zusatzbeiträge für Geringverdienende kann die Zusatzbelastung nur ungenügend ausgleichen und wird mit einem enormen zusätzlichen Bürokratieaufwand verbunden sein.
Die von der SPD präferierte Bürgerversicherung würde die Ungerechtigkeit des Beitragssystems mindern, sie aber nicht vollständig beseitigen. Ich plädiere daher für eine vollständige Finanzierung des Gesundheitssystems aus den Einkommen- und Unternehmenertragssteuern, die dazu angehoben (und ebenfalls reformiert) werden müssten. Die Leistungen des bisherigen „gesetzlichen“ Gesundheitssystems müssten dann allen Bürgern zustehen, die Krankenkassen könnten zusätzliche Leistungen gegen entsprechende Versicherungsbeiträge anbieten. Eine solche Lösung wäre sozial- und leistungsgerecht, sie würde auch erhebliche Einsparungen der Verwaltungskosten der bisher von der Steuererhebung getrennten Beitragserhebung (und des Röslerischen „Sozialausgleichs“) ermöglichen.
Die Finanzierung des Gesundheitssystems und der Leistungskatalog müssten in einem Leistungsgesetz festgeschrieben werden, so dass sie nicht von den jährlichen Haushaltsberatungen tangiert wären. Damit wäre die Gefahr der „Gesundheit nach Kassenlage“ nicht größer, als bei dem jetzigen System, bei dem die Beitragssätze ebenfalls von der Politik festgelegt werden.
@Abraham,
daß ich „Kenner und Verteidiger der Pharmaindustrie“ bin, ist eine Fehleinschätzung von Ihnen. Ich habe mich nur dagegen gewandt, die Pharmaindustrie nur deswegen schon als quasi kriminelle Vereinigung darzustellen, weil ihre Umsätze steigen, wie Hinzmann das andeutete, sowie darauf hingewiesen, daß die Umsätze auch anderer Anbieter von Leistungen am Gesundheitsmarkt in ähnlichem Umfang stiegen.
Sollten anderswo Medikamente nicht nur in Einzelfällen, sondern tendenziell generell deutlich preiswerter sein, so wird man die Gründe dafür nicht vernünftig ermitteln können, wenn man nicht die jeweiligen Gesundheitssysteme insgesamt betrachtet. Sie erwähnten die Schweiz, dort sind Arzt- und Medikamentenkosten erstmal grundsätzlich vom Patienten zu bezahlen, und werden dann später von den Kassen in Teilen erstattet. Das macht die Kosten der Medikamente in ganz anderem Maße transparent als in unserem System, und der Versicherte hat auch ein Interesse, sich nach preiswerteren Medikamenten umzusehen. Das ergibt dann überhaupt erst einen Markt, in dem die Preise unter Druck stehen können… während in unserem System doch eher undurchsichtig bleibt, wie die Kassen überhaupt festlegen, welche Preise (Festpreise) sie zu zahlen bereit sind, ja der dringende Verdacht besteht, daß hier einfach die Preise übernommen werden, die die Hersteller fordern. Ihr letzter Post enthält zwar viele Ideen zur Finanzierung (Einnahmen) der Kassen, aber keine, die die Ausgaben in dieser Hinsicht besser regeln könnten.
Auch ganz einfache Erklärungen kann es auf die von Ihnen gestellten Fragen geben. Z.B. ist unser System so, daß es für einen Arzt sich zwar lohnt, einen Termin mit einem Patienten zu haben, aber es lohnt sich ebenso für ihn, den Termin möglichst kurz zu halten. Dem Arzt ist dann jedes Mittel recht, welches ihm hilft, beim Patienten den Eindruck zu erwecken, eine Behandlung hätte stattgefunden. Die Verschreibung eines Medikaments ist hierbei das ideale Mittel. Es besteht auch, das sagen Ärzte auch immer wieder, eine sehr hohe Erwartungshaltung beim Patienten, d.h. überspitzt formuliert: gab es kein Medikament, taugt der Arzt nichts. Rezeptpflichtige Medikamente bringen den Patienten auch zur Erneuerung der Rezepte immer wieder zurück zum Arzt, mit entsprechenden Einnahmen (Kleinvieh macht auch Mist).
Der Deutsche ist Weltmeister bei der Anzahl der Arztbesuche. Ist es da so verwunderlich, daß er auch Weltmeister beim Medikamentenkonsum ist, wo man doch eigentlich nicht abstreiten kann, daß Arztbesuch und Medikamentenverschreibung in einem gewissen Zusammenhang stehen?
@ Max Wedell
Zu Medikamentenpreisen: Auch in Deutschland bezahlen die Privatversicherten ihre Medikamente selber, ohne dass sich das preisämpfend auswirkt. Offensichtlich gibt es in der Schweiz andere Mechanismen der Preisfestsetzung.
Es ist richtig, dass ich mich nur zu einem Teil der notwendigen Reform des deutschen Gesundheitssystems, nämlich der Finanzierung, geäußet habe. Das heißt nicht, dass ich die Notwendigkeit von Änderungen auf der Ausgabenseite nicht sehen würde. Nur dazu kann ich keine eigene Vorschläge machen, weil mir dazu das Wissen fehlt.
Was mir auffällt: Hausärzte machen oft viele Untersuchungen (weil sie viele Geräte haben?), bevor sie dann den Patienten doch zum Facharzt oder ins Krankenhaus überweisen. Dort geht es mit den Untersuchungen wieder von vorne los. Vielleicht würde eine Konsultationspflicht des Hausarztes mit einem Spezialisten (geht heute auch online) helfen, unnötige Untersuchungen zu vermeiden.
Die extrem unterschiedlichen Arzneimittelpreise, selbst innerhalb der EU, sind ein Fakt. Begründen lässt sich das in der Tat wohl nur mit unserem kostenvernebelnden System. Also muss zum einen das System geändert werden (z. B. jeder zahlt seine Medikamente zunächst selbst und rechnet mit seiner Kasse ab), zum anderen benötigt man in der EU eine Meistbegünstigtenklausel, die vorgibt, um wieviel ein Medikament im jeweiligen Land teurer sein darf als im jeweils günstigsten EU-Land.
Klein-Philipp ist ohnehin nur eine Marionette der Pharmaindustrie und noch viel zu unerfahren, um so etwas durchzusetzen.
Auch die hohe Zahl der jährlichen Arztbesuche gibt zu denken. Ist denn der Arzt in D eine Art Sozialbetreuung für einsame Menschen?
„Das Gesundheitswesen ist ein wenig aus den Schlagzeilen geraten. Aber wenn die bekannten Gesichter wieder die Bildschirme bevölkern, braucht man als Zuschauer eine Orientierungshilfe, ein Lügenbrevier. Das unseres Autoren hat sieben Punkte.[1]
Der Medizin-Kolumnist der FR, Dr. med. Bernd Hontschik, schreibt in seiner Kolumne Lügenbrevier[1] vom 27.08.2010 u.a.:
„1. Lüge: Kostenexplosion. Das ist der Klassiker. Trotz des immer gleichen Anteils der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt von etwa zehn Prozent ist diese Lüge unverzichtbar zwecks weiteren Sozialabbaus.
4. Lüge: Zu hohe Verwaltungsausgaben der Kassen. Diese sind aber konstant um sechs Prozent, explodiert sind sie nur bei den privaten Krankenkassen (über 14 Prozent).
5. Lüge: Ärzte-Abzocke. Ja, kommt vor; dennoch: Der Anteil der Kosten für die ambulante ärztliche Behandlung war mal weit über 20 Prozent, ist seit langem konstant unter 18 Prozent.“
[1] http://www.fr-online.de/wissenschaft/luegenbrevier/-/1472788/4593860/-/index.html
Dann möge Herr Dr. Hontschik doch auch erklären, wieso die Kassenbeiträge in den letzten dreißig Jahren um fast 50% gestiegen sind. ich habe als Berufsanfänger seinerzeit weniger als 5,5% Beitrag gezahlt. Ab 2011 sind es 8,2%. Bereichern sich hier die Kassen?