Das deutsche Wahlrecht soll neu geregelt werden, denn das Parlament, der Bundestag, wuchert. 598 Abgeordnete soll er haben, derzeit sind es 736. Maßgeblich dafür verantwortlich: die Überhangs- und Ausgleichmandate. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate durch Erststimmen erringt, als ihr gemäß dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Mittels Ausgleichmandaten, die in der Regel den kleineren Parteien zugutekommen, wird dann das Zweitstimmenergebnis angesteuert. Die Ampelkoalition hat jetzt einen Vorschlag gemacht, der den überwiegend Nutznießenden der Überhangmandate, nämlich CDU/CSU, sauer aufstößt: Einfach weg mit den Überhangmandaten. Und auch mit dem einen oder anderen Direktmandat. FR-Leitartikler Pitt von Bebenburg hält nicht viel davon, weil das dazu führen könnte, dass manche Wahlkreise nicht mehr mit Abgeordneten in Berlin vertreten wären.
Mit weniger als 30 Prozent der Erststimmen
Die Argumentation von Pitt von Bebenburg und auch der CDU/CSU ist absurd. Häufig werden heute Wahlkreise mit weniger als 30 Prozent der Erststimmen gewonnen. Wie sollen sich also die 70 <Prozent der Wählerinnen und Wähler fühlen, die nun von einem/einer Abgeordneten vertreten werden, den die Mehrheit gar nicht wollte? Das ist doch das eigentliche Desaster für die Demokratie. Eine zwingende Legitimation ergibt sich doch nur bei mit zumindest annähernd mit absoluter Mehrheit errungenden Mandaten. Einzige Lösung laut der Kritiker sei eine Verringerung der Wahlkreise. Was daran Demokratie fördernd sein soll verstehe ich nicht, wenn in manchen ländlichen Gegenden ein Gebiet fast von der Größe des Saarlandes abgedeckt wird.
Dieter Schulz, Koblenz
Streicht die Überhangs- und Ausgleichsmandate
Die Bundesrepublik ist zur Zeit in 299 Wahlkreise eingeteilt. Für jeden werden zwei Abgeord-nete nach je verschiedenen Verfahren gewählt. Im Bundeswahlgesetz heißt es in §1-(2) : „Von den Abgeordneten werden 299 nach Kreiswahlvorschlägen in den Wahlkreisen und die übrigen nach Landeswahlvorschlägen (Landeslisten) gewählt“, d.h. die erste Gruppe wird „direkt“ gewählt, die zweite indirekt über Plätze auf den Listen, aufgeteilt im Verhält-nis der landesweit abgegeben Stimmen für die Listen. Dann folgen in §6 Regeln, die die Gesamtzahl der Abgeordneten durch Überhang- und Ausgleichsmandate u erhöhen.
Der Ampel-Vorschlag, diese Erhöhung zu vermeiden, könnte, so Kritiker, dazu führen, dass direkt gewählte Kandidaten nicht in den Bundestag kommen.
Mein Vorschlag: Es bleibt bei der Regel nach BWG §1-(2), aber die Regeln nach §6 werden gestrichen. Es gibt dann keine A+Ü-Mandate mehr. Jeder direkt gewählte Abgeordnete kommt ins Parlament. – Dann kann es vorkommen, das über die Direktwahl jemand, der lokal beliebt ist, direkt gewählt wird, selbst wenn er keiner oder einer sehr kleinen Partei angehört, oder umgekehrt, dass fast nur Kandidaten einer großen Partei direkt gewählt werden. In jedem Fall ist dann aber die Zahl der Listenkandidaten einer Partei unabhängig vom Ausgang der Direktwahl. Es bleibt bei genau zwei Abgeordneten je Wahlkreis. (Steht ein direkt gewählter Abgeordneter auch auf einer Liste, wird er daraus gestrichen).
Robert Seckelmann, Schwelm
Alle Stimmen sollten das gleiche Gewicht haben
Durch die Fünf-Prozent-Klausel ist das gleiche Gewicht aller Zweitstimmen nicht garantiert, und nicht nur die sie Wählenden ärgern sich mitunter, wenn ihre Partei bei 4,9 % scheitert, sondern etwa auch diejenigen, die bei der vorletzten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen keine Lust auf Schwarz-Gelb hatten, diese Konstellation aber durch das knappe Scheitern der Linkspartei bekamen. Das bisherige Wahlrecht garantierte im Übrigen auch nicht wirklich das gleiche Gewicht aller Erststimmen, sondern war insbesondere in der alten Bundesrepublik mit CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen für den taktischen Wähler von Vorteil, der die Gestaltungsmöglichkeit nutzen konnte, mit der Erststimme den Direktkandidaten des erwarteten größeren Koalitionspartners und mit der Zweitstimme die kleinere koalierende Partei zu unterstützen. Das bisherige Wahlrecht verträgt sich aber nicht mehr mit der neuen Sechs-Bundestagsfraktionen-Konstellation. Es ist sogar ärgerlich, dass ein Direktkandidat mit einem je nach Verteilung der Stimmen geradezu lächerlich geringen Stimmenanteil in den Bundestag einzieht. Die Streichung der Überhangmandate mit der Folge, dass „Wahlkreisgewinner“ mit den niedrigsten Prozentzahlen ausgebremst werden, ist der einzig sinnvolle Weg, die längst überfällige Reform des Wahlrechts zu realisieren; denn der aufgeblähte Bundestag hat ja keinen parlamentarischen Mehrwert. Dass das Vertrauen in die Demokratie durch das Ampel-Modell ausgehöhlt werden kann, bezweifle ich. Erstens ist das dann neue Wahlrecht den Parteien, den kandidieren Wollenden und den Wahlberechtigten vorher bekannt, so dass sich alle darauf einstellen können. Und zweitens kann man auch mit diesem Modell taktisch wählen. Beispielsweise kann man bei Erwartung eines schwachen Ergebnisses für die erste Präferenz, die dann eher nicht in den Bundestag einziehen könnte, den an zweiter Stelle präferierten Direktkandidaten wählen, der sein gewonnenes Mandat auf jeden Fall wahrnehmen kann. Die Franzosen sind in der Lage, mit einem recht komplizierten System mit zwei Wahlgängen geschickt umzugehen und ihr Parlament zu wählen. Ich glaube nicht, dass die Deutschen dümmer sind.
Siegfried Kowallek, Neuwied
Kein Direktmandat bei niedrigem Ergebnis
Die einfachste und am ehesten mit dem aktuellen Wahlrecht kompatible Lösung ist es, Direktmandate nur zu vergeben an Bewerberinnen/Bewerber, die/der die Mehrheit der abgegebenen Stimmen im jeweiligen Wahlkreis erringen. Gelingt das keiner/keinem der Bewerberinnen/Bewerber, wird für die jeweiligen Wahlkreise kein Direktmandat vergeben. Das entspräche dann den politischen Verhältnissen in den Wahlkreisen. Aktuell ist es möglich, dass bei einem Stimmenanteil von deutlich unter 25 % der abgegebenen Stimmen ein Direktmandat errungen wird. Das entspricht keinesfalls dem Anspruch, über das Direktmandat den Wahlkreis im Bundestag zu vertreten
Bei der letzten Bundestagswahl erreichte lediglich ein Bewerber in seinem Wahlkreis mehr als 50 Prozent der Erststimmen. Insofern hätte Hans Möllers Vorschlag eine drastische Verkleinerung des Bundestages zur Folge. Das niedrigste Ergebnis, das für ein Direktmandat reichte, waren 18,6 Prozent, was eigentlich schon als skandalös bezeichnet werden kann. Dieter Schulz spricht somit zu Recht vom eigentlichen Desaster für die Demokratie. Was die Agitation insbesondere der CSU gegen den Vorschlag der Ampel betrifft, sei darauf hingewiesen, dass in Bayern Wahlkreissieger tatsächlich nur dann in den Landtag einziehen dürfen, wenn ihre Partei nicht an der Fünf-Prozent-Klausel scheitert. Und sogar das Kappungsmodell, das jetzt die Ampel vorschlägt, gab es im bayerischen Landtagswahlrecht in der Vergangenheit acht Jahre lang. Einer Verfassungsklage der Union kann man demzufolge wahrscheinlich mit Gelassenheit entgegensehen. Ich denke da an den ersten Impuls der Union zurück, die lange vergessene Grundmandatsklausel für verfassungswidrig erklären zu lassen, um der PDS bzw. den Linken diese Möglichkeit zu nehmen. Vielleicht ist den Unionisten doch noch eingefallen, dass der Urheber dieser Regelung der CDU-Bundeskanzler Konrad Adenauer war, den sie damit im Falle eines wenig wahrscheinlichen Erfolges posthum zu einem Verfassungsfeind gemacht hätten.
War das bislang praktizierte Verfahren in den Anfangsjahren der BRD bis in die 1970er Jahre noch einigermaßen nachvollziehbar (damals 2 große Gruppierungen CDU/CSU und SPD mit jewils um die 40% und mehr- und die Mehrheitsbeschafferpartei (FDP) ,so hat sich die Parteienlandschaft in den letzten Jahrzehnten doch deutlich verändert.
Konnten damals noch Wahlkreise mit 50% und deutlich mehr direkt gewonnen werden, dann ist man heute schon froh, wenn man 25% und etwas mehr erreicht.
Um künftig die überflüssigen und kostenträchtigen Mandate einzuschränken ,sollte künftig gelten:
Direktmandat nur, wenn mindestens 50% der abgegeben Wählers timmen erreicht wurden – besser noch, wenn 50% aller Wahlberechtigen (also auch die große Zahl der Nichtwähler) erzielt wurden.
Die Lösung ist in meinen Augen ganz einfach: Weg mit der Erststimme, Konzentration auf eine reine Verhältniswahl. Ich brauche keinen Wahlkreiskandidaten.