Die Weltgesundheitsorganisation fordert es fast seit Beginn der Corona-Pandemie, rund 160 Länder weltweit haben sich dieser Forderung angeschlossen, zahlreiche Nichtregierungsorganisationen wollen es ebenfalls, und kürzlich sprang dieser Forderung gar US-Präsident Joe Biden zur Seite: Der Patentschutz für die Corona-Impfstoffe sollte aufgehoben werden, um weltweit die Produktion der begehrten Präparate hochfahren und die Weltbevölkerung schneller impfen zu können. Die Branche, man kann es sich denken, ist alles andere als begeistert, und auch die deutsche Bundesregierung reagierte skeptisch. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte: „Das Hauptthema ist nicht die Frage von Patenten“, sondern die Frage der Produktionskapazitäten. „Gerade mRNA-Impfstoffe zu produzieren, ist nichts, was man mal eben per Lizenz dann irgendwo in irgendeiner Fabrik irgendwie machen kann.“ Es gehe um Technologietransfer, der besser in Kooperation laufe.
Die NGOs und die WHO führen ein prominentes Vorbild für ihre Forderung an: Der Immunologge Jonas E. Salk, Entwickler eines bahnbrechenden Impfstoffs gegen das Polio-Virus (Kinderlähmung) hatte 1955 in einem Interview auf die Frage, wem das Patent auf den Impfstoff gehöre, geantwortet: „Ich würde sagen, den Menschen. Es gibt kein Patent. Könnte man die Sonne patentieren?“ Eine schöne Geschichte, nicht wahr? Die Wissenschaft soll den Menschen dienen. Doch es waren andere Zeiten. Salk forschte damals an der Universität von Pittsburgh, nicht etwa in einem Unternehmen der Wirtschaft. Und obwohl es bereits jahrzehntelange Erfahrung mit Impfstoffen gab, betrieb Salk im Jahr 1955 noch Grundlagenforschung in dieser Disziplin, als er seinen Totimpfstoff gegen Polio entwickelte. Heutzutage sind die Verhältnisse in rechtlicher, politischer und natürlich wirtschaftlicher Hinsicht viel komplizierter. Immerhin, was viele nicht wissen: Der Impfstoffhersteller Astrazeneca bot sein Produkt zum Selbstkostenpreis an. Auf Verlangen des Kooperationspartners, der Oxford University, ist der Impfstoff ein Non-Profit-Ding für das Unternehmen. Da wollte wohl jemand ganz schnell die Welt retten. Schade, dass der Impfstoff dann ungerechtfertigterweise in Verruf kam.
Die Aufhebung des Patentschutzes, die nun für andere Unternehmen diskutiert wird, ist eine Form der Enteignung. Kein Wunder, dass die Idee im linken Spektrum mit Begeisterung aufgenommen wird. Konservative und Liberale lehnen sie hingegen ab. Hier kommen ihre Argumente kontra Aufhebung des Patentschutzes:
- Wenn sich Innovationen und Investitionen nicht mehr auszuzahlen drohen, weil jederzeit enteignet werden könnte, wird niemand mehr forschen und investieren.
- Ideen sind geistiges Eigentum und damit einer der wenigen „Rohstoffe“ der Bundesrepublik/des Westens. Daher muss geistiges Eigentum unbedingt urheberrechtlich geschützt werden.
- Entwicklerfirmen wie Biontech machen jetzt erstmals in ihrer Unternehmensgeschichte Gewinne mit ihren Impfstoffen. Dieses zarte Pflänzchen an Erfolg darf nicht einfach abgewürgt werden.
- Solche Erfolge – vor allem in der Geschwindigkeit, wie sie in der Corona-Pandemie zu beobachten waren – sind auch eine Folge internationaler Verflechtungen, vulgo Globalisierung. Möglicherweise würden daher Handelsverträge gebrochen, wenn enteignet wird.
- mRNA-Impfstoffe sind komplexe Angelegenheiten, die aus vielen Zutaten und Rohstoffen bestehen und bei der Herstellung der Expertise bedürfen. Dieses Fachwissen lässt sich nicht binnen kurzem in unterentwickelte Länder verlagern, in denen zudem kaum die Kapazitäten zur Herstellung existieren. Durch Pfusch am Impfstoff geraten möglicherweise Menschen in Lebensgefahr.
Jene hingegegen, die pro Aufhebung des Patentschutzes plädieren, führen an:
- Die Rechteinhaber würden natürlich angemessen entschädigt werden. Es muss sich weiterhin lohnen, in Innovationen zu investieren.
- Wissenschaftlicher Fortschritt, der sich in Entwicklungen niederschlägt, ist heutzutage meist eine Kollektivleistung. Das Grundlagenwissen, das die mRNA-Impfstoffe erst möglich macht, wurde an Universitäten und öffentlichen Forschungsinstituten unter Beteiligung des Geldes der Steuerzahlenden erarbeitet. Das gibt der Öffentlichkeit mindestens ein Recht auf Mitsprache, wenn nicht ein (moralisches) Anrecht auf einen Teil des Urheberrechts.
- Das Wohl und der Profit einzelner Unternehmen kann in Zeiten der Pandemie mit Fug und Recht einer globalen Gesundheitspolitik untergeordnet werden.
- Gerade die globale Lebensweise der Menschheit hat die Pandemie erst ermöglicht. Ihre Bewältigung ist daher eine Aufgabe aller und nicht einzelner Staaten und/oder Unternehmen. Auch wenn Handelsverträge gebrochen würden, wären andere Rechtsgüter – etwa das Recht auf Leben und/oder körperliche Unversehrtheit – höher zu bewerten. Rechtliche Basis dafür wären Völkerrecht und die UN-Menschenrechtscharta.
- Technische Probleme sind zweifellos zu erwarten. Daher gilt: Je früher der Aufbau globaler Produktion nach der Enteignung in Angriff genommen würde, desto besser für alle, denn: Wir sollten nicht zögern.
- Je länger es dauert, die Weltbevölkerung durchzuimpfen, desto größer wird die Gefahr, dass neue Virus-Varianten entstehen, die imstande sind, den bisher bestehenden Impfschutz zu unterlaufen. Experten sprechen von „Escape-Varianten“. Diese veränderten Sars-CoV-2-Viren würden die Entwicklung weiterer, neuer Impfstoffe erfordern. Die ganze Pandemie-Spirale begänne von vorn. Allerdings besteht in dieser Frage bisher noch große Unklarheit: Der Evolutionsdruck auf das Virus, „Escape-Varianten“ zu entwickeln, kann durch massives Impfen erst recht gefördert werden.
Sie haben es sicher gemerkt: Das letzte Pro-Argument ist zugleich ein Kontra-Argument. Es entsteht aus Ratlosigkeit. Tatsächlich sind wir alle derzeit Teil eines riesigen, globalen Experiments, ob wir wollen oder nicht:
- Noch nie hat sich ein Krankheitserreger so schnell um die Welt verbreitet wie Sars-CoV-2
- Noch nie ist ein Krankheitserreger auf eine solche Masse von leicht infizierbaren Opfern gestoßen
- Noch nie wurde es einem Krankheitserreger so einfach gemacht, in großem Maßstab zu mutieren und sich weiterzuentwickeln
- Noch nie war die Menschheit vor die Aufgabe gestellt, mit einem solchen Erreger fertig zu werden
- Noch nie war es möglich, so wie heute innerhalb weniger Monate Impfstoffe zu entwickeln, die es möglich erscheinen lassen, eine ganze Weltbevölkerung bis in den hintersten Winkel zu impfen – innerhalb eines Zeitraums von wenigen Jahren
Der wissenschaftliche und technologische Fortschritt kann und sollte der ganzen Menschheit zugute kommen. Daher ist dies ein Plädoyer für die Aufhebung des Patentschutzes – jedoch mit Augenmaß, denn keinesfalls dürfen Erfindungs- und Einfallsreichtum abgewürgt werden. Unser Augenmerk sollte sich dann aber schnell auf Fragen richten, die seit Beginn der Pandemie anhängig sind:
- Wenn Viren sich derart flugs um den Globus verbreiten können, ist ihre Bekämpfung eine globale Angelegenheit. Wenn sich in Südafrika eine neue, gefährliche Variante entwickelt, dann ist diese keine innere Angelegenheit Südafrikas, da sie mit den modernen Verkehrsströmen jederzeit auch zu uns gelangen kann. Dasselbe gilt für Varianten aus anderen Ländern.
- Wir brauchen also globale Strukturen, um wirksam gegen solche Phänomene vorgehen zu können. Der Kern solcher Strukturen kann in der bereits existierenden Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegen.
- Wir brauchen ein Nachdenken über globales Allgemeinwohl. Nicht „nur“ wegen der Pandemie. Auch der drohende Klimawandel verlangt uns in dieser Hinsicht einiges ab.
Und damit mache ich für heute – nicht nur in dieser Hinsicht – einen Punkt und übergebe die Diskussion an Sie:
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Es geht nicht ums Geschäft, sondern um Menschenleben
US-Präsident will Lizenzen für Covid-19-Vakzine freigeben. Nicht nur Merkel widerspricht. Wie erbärmlich, wie menschenverachtend, wie … –ich weiß nicht wie ich es nennen soll. Wie dumm ist das denn? Es geht doch darum, dass alle, A L L E Menschen geschützt werden und andere schützen sollen, gerade weil alle Menschen überall hinkommen.
Die Alternative von der Kommissionspräsidentin von der Leyen lautet: „Unsere Priorität ist es, die Produktion hochzufahren, um weltweit Impfungen zu ermöglichen“ Natürlich gegen Geld oder Naturalien wie ich vermute. Ein Kommentar von Merkel zu diesem Thema: “…so funktioniert das Geschäft“. Es geht hier doch nicht um ein Geschäft, verdammt nochmal!!! Es geht um Menschenleben. Für die Elitären geht es anscheinend nur noch um’s Geld.
Auch die F.R.-Headline signalisiert schon die befürchtete Gefahr, dass die Geldmächtigen und Aktionäre weniger Gewinnmargen einfahren. Und die regierenden Politiker haben Angst die Unterstützung der Mächtigen in der Wirtschaft zu verlieren. Sie haben schon seit Jahren dafür gesorgt, dass die Wirtschaftsbosse die Politik bestimmen. Das Allgemeingut bezahlen die kleinen Steuerzahler wie sie auch die Unterstützung der Biontech-Impfproduktion in Millionenhöhe bezahlt haben. Aber mitbestimmen dürfen sie nicht, wer daran partizipieren darf.
Es ist zum Kotzen …
Malies Ortmeyer, Frankfurt
Neue Mutationen können uns erreichen
Seit über einem Jahr fordert die WHO, die UN, die Mehrzahl der Länder dieser Welt und etliche Hilfsorganisationen, den Patenschutz für die Dauer der Corona-Pandemie auszusetzen. Damit auch Menschen im Globalen Süden eine realistische Perspektive zur Impfung erhalten, müssen erheblich mehr Pharma-Unternehmen in mehr Ländern in die Lage versetzt werden, Impfstoffe für diese Menschen herzustellen. Allerdings ist es dazu auch notwendig, das Wissen über Zusammensetzung und Herstellung der Wirkstoffe an zertifizierte Unternehmen offenzulegen. Angesichts der Skandale um Lieferengpässe, etlicher nationaler Alleingänge und dem „Wegkaufen“ vor allem zwischen den USA, Großbritanien, Bahrein, Katar, Israel und der EU halte ich es für menschenverachtend und naiv, weiterhin an der Ideologie eines „freien Wettbewerbes“ der Pharma-Konzerne festzuhalten. (Zumal alle 4 Konzerne ihre Entwicklungen mit Hilfe erheblicher Subventionen und staatlicher Grundlagenforschung aufgebaut haben.) Sollten die Menschen in den meisten Ländern auch zukünftig nicht einmal eine mittelfristige Hoffnung auf Impfungen erhalten, besteht die Gefahr, dass immer neue Mutationen entstehen, die früher oder später auch uns wieder erreichen.
Ich habe bisher noch nichts gelesen wie schnell man viel Impfstoff haben wird wenn man die Patente frei gibt. Dann müssen auch erst von neuen Firmen Fabriken gebaut werden. Das man in ca 6- 12 Monaten Milliarden von Impfdosen haben wird wenn man die Patente nicht freigibt ist schon fast als Fakt an sehe bar. Damit ist nach meiner Meinung die Frage beantwortet außer es gäbe endlich von irgendjemand eine belastbare Aussage was eine Patentfreigabe an Zeitgewinn bringen würde.
Ich habe mir gerade die Sendung von Markus Lanz zu diesem Thema angesehen. Sorry könnte sich in diesem Land mal ein Journalist finden der sich die Arbeit macht zusammenzuschreiben wieviel Impfstoffproduktionskapazität so ab Oktober 2021 in D. zur Verfügung steht nach den derzeitigen Planungen der Firmen. Ich würde mindestens von 3-4 Milliarden Dosen im Jahr ausgehen vielleicht sogar noch mehr. Damit könnte man das Diskussionsthema Produktion sofort beenden und sich der Frage zuwenden wie bekommt man das dann auch verimpft in dem Tempo. Diese Frage ist derzeit viel wichtiger als irgendein Patent.