Sahra Wagenknecht hat ein Buch geschrieben. Nicht zum ersten Mal, aber es könnte sein, dass sich die Parteiführung der Linken diesem neuen Werk nicht eben entgegen gesehnt hat. Immerhin hat Sahra Wagenknecht in den vergangenen Jahren mehr als einmal gezeigt, dass sie sich nicht verbiegen mag. Dies auch in Zeiten nicht, als die Parteiräson und das Parteiprogramm es eigentlich von ihr gefordert hätte, da sie Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag war. Schon im Juli 2016 haben wir hier im FR-Blog darüber diskutiert, wie Wagenknecht in trüben Gewässern fischte. Sollte sich das nun wiederholen?
Harry Nutt hat sich das Buch „Die Selbstgerechten“ von Sahra Wagenknecht schon mal ansehen können. Er schreibt: „Auf der Jagd nach schnellen Twitter-Triumphen gehen, so Wagenknechts These, die großen sozialen Fragen verloren.“ Er meinte wohl: Das Fragen danach bleibt auf der Strecke. Die Parteiführung der Linken, bestehend aus den Co-Vorsitzenden Susanne hennig-Wellsow und Janie Wissler, haben dazu immerhin schon mal einen Programmentwurf. Sahra Wagenknecht hingegen hat ein Buch.
Man kann natürlich kaum bestreiten, dass sich Politik unter dem Einfluss der Online-Netzwerke gewandelt hat, dass es in diesen Netzwerken vor allem darum geht, Empörung und Entrüstung zu mobilisieren und Likes zu sammeln. Wie nachhaltig das wohl sein mag? So schreibt Wagenknecht: „Auch der einstigen CDU-Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer wurde nichts mehr verübelt als ein misslungener Karnevalsscherz über Unisex-Toiletten.“ Nun war das allerdings ein analoger „Scherz“. Ob der weniger Aufregung verursacht hätte, wenn es heutzutage keine Online-Netzwerke gäbe, sondern nur die Medien als Erregungshemmer oder -heber wie anno dunnemals in den 80er Jahren? Na ja, wie auch immer – es ist für eine Parteivorsitzende immer dumm, Witze auf Kosten von Minderheiten zu machen, die sich kaum wehren können. Auch Wagenknecht hat es nicht so mit Minderheiten.
Sie hat sogar eine neue entdeckt, auf die sie nun einhaut, deren Einfluss allerdings noch recht diffus ist: die „Lifestyle-Linken“. Das liest sich bei Wagenknecht so: „Was den Lifestyle-Linken in den Augen vieler Menschen so unsympathisch macht, ist seine offensichtliche Neigung, seine Privilegien für persönliche Tugenden zu halten und seine Weltsicht und Lebensweise zum Inbegriff von Progressivität und Verantwortung zu verklären.“ Unsympathisch ist auch, dass diese „Lifestyle-Linken“ angeblich die soziale Frage aus den Augen verloren haben: „Der typische Lifestyle-Linke wohnt in einer Großstadt oder zumindest einer schicken Unistadt und selten in Orten wie Bitterfeld und Gelsenkirchen. Er studiert oder hat ein abgeschlossenes Universitätsstudium und gute Fremdsprachenkenntnisse, plädiert für eine Post-Wachstums-Ökonomie und achtet auf biologisch einwandfreie Ernährung.“ Damit sind auch schon die von Wagenknecht angesprochenen „Privilegien“ umrissen: Schablonen und Schubladen, in die der „Lifestyle-Linke“ alles und jede steckt, auch sich selbst. Daraus fließt dann der Nektar der Selbstermächtigung. Nicht zuletzt für Wagenknecht.
Um es kurz zu machen: Nach meinem Eindruck zeigt Wagenknechts Buch auf eine der Schwachstellen der Linken. Hier im FR-Blog ist die Positionierung der Linken gerade ein virulentes Thema, da die aktuelle Führung der Partei auf eine Regierungsbeteiligung im Bund offen scheint, möglicherweise in der Konstellation Grün-Rot-Rot. Aktuell läuft hier im FR-Blog nebenan die Diskussion „Linke Theoretiker führen ein komfortables Leben“. Da gäbe es eine Reihe von Altlasten, die zur Diskussion stehen, etwa die Sicht der Linken auf die Nato. Auch Wagenknecht ist eine klare Nato-Kritikerin. Sie wurde vom Landesverband NRW auf den ersten Listenplatz für die Bundestagswahl gesetzt, wenn auch nicht gerade mit einem überbordenden Ergebnis von 61 Prozent. Wagenknecht dürfte also relativ sicher im nächsten Bundestag sitzen. Als Mitglied einer Bundesregierung kann man sie sich dennoch nur schwer vorstellen.
Ihr Querschuss auf die „Selbstgerechten“ kommt für ihre Partei jedenfalls zur Unzeit. Solche Diskussionen führt man taktisch und strategisch geschickter nach einer Wahl oder in der Mitte einer Legislaturperiode, aber jedenfalls nicht kurz vor einer Wahl. Der Bedarf an solchen Diskussionen ist dennoch zweifellos vorhanden. Die Linke hat diese Debatte verschleppt. Weil sie sie zerreißen könnte? So erhält Wagenknecht die Möglichkeit, ihren Finger in die Wunde zu legen. Dass sie das aber ausgerechnet jetzt tut, kurz vor einer wichtigen Wahl, zeigt möglicherweise recht klar, dass es ihr kaum um die eigentliche Diskussion geht. Sondern vielleicht darum, die Regierungsbeteiligung der Linken zu verhindern? Natürlich profitiert Wagenknecht auch persönlich von einem Bestseller – der Vorab-Wirbel um das Buch ist beste Werbung für sie.
Wagenknecht auf dem Ego-Tripp? Sie sollte nicht vergessen, dass immer dann, wenn man mit dem Zeigefinger auf jemanden weist, mehrere andere Finger auf einen selbst zurückzeigen. Stichwort „Lifestyle-Linke“. Ihre Nebeneinkünfte legt Wagenknecht vorbildlich transparent offen. Aber nehmen wir noch mal die oben genannten Kriterien.
- Wohnort des Lifestyle-Linken: Großstadt oder schicke Uni-Stadt, aber jedenfalls nicht Bitterfeld. Hmm – und was ist mit Wagenknechts Wohnort, dem saarländischen Merzig (30.000 Einwohner)? Was mögen Saarland und das nahe Frankreich zum Lebensstil beitragen? Schön behütet und wohlig, Feinschmecker in Reichweite, guter Wein sowieso …
- Abgeschlossenes Studium: Wagenknecht ist Dr. rer. pol. mit magna cum laude. Zwischen ihrem ersten Studiensemester im Jahr 1990 und der Einreichung ihrer Doktorinnenarbeit im Jahr 2012 liegen 22 Jahre. Da gab es viele Unterbrechungen aus den verschiedensten Gründen. Dass Wagenknecht ein abgeschlossenes Studium für „Lifestyle“ hält, ist jedoch nicht nur deswegen merkwürdig, weil sie selbst eines hat.
- Post-Wachstums-Ökonomie: Was Wagenknecht selbst dazu denkt, wissen wir u.a. aus ihren Beiträgen zur „Gastwirtschaft“ in der FR. Warum sie daraus ein Kriterium für Lifestyle baut, bleibt vorerst ihr Geheimnis. Aber vielleicht wirkt die Lektüre ihres Buches ja noch erleuchtend auf mich. . Jedenfalls müssen wir weg vom Wachstum auf Teufel komm raus. Wenn das Lifestyle ist, dann ist das gut.
- Biologisch einwandfreie Ernährung: Ja, wie schön, wenn man so ein Klischee ins Feld führen kann wie seinerzeit den Veggie-Day gegen die Grünen. Wer ist eigentlich der Gegner im großen Kampf um die soziale Frage?
Wenn das also Privilegien einer Lifestyle-Linken sein sollen, dann ist Wagenknecht selbst eine solche. Wie selbstgerecht! Die Frage, die sich dann anschließt ist: Warum versucht sie, das Engagement von Menschen wie der „Frodays for Future“ mit einem Zeitgeist-Begriff wie „Lifestyle“ zu diffamieren? Gäbe es da nicht viel wichtigere Fragen? Ach, ich vergaß – Aufregung sorgt für Cash!
Update: Weitere Meinungen zu Wagenknecht und ihrem Buch:
FR vom 19. April: Wagenknecht ist auf dem falschen Weg, Gastbeitrag von Kaveh Yazdani
Spiegel online vom 16. April: Ein bisschen größenwahnsinnig
Das hat nichts mit „links“ zu tun, das ist rechts
Frau Wagenknechts Unverständnis der sogenannten „Lifestyle-Linken“ und ihren angeblichen Partikular-Interessen mit Positionen von Wolfgang Thierse zu vergleichen, mag ja noch hingehen. Das würde unter die ewige Diskussion über Haupt-und Nebenwidersprüche fallen, die die Linke seit Ewigkeiten führt. Da sei nur an die Frauenfrage erinnert, die nach Meinung vieler (männlicher) Autoritäten nur vom notwendigen Klassenkampf ablenken würde. Und deren Beispiele gibt es viele.
Nein, viel bedenkenswerter finde ich ihre Parallelen zu Herrn Sarrazin. Als Linke, Menschen die aufgrund ihrer politischen Meinung, ihrer ethnischer Zugehörigkeit, ihres Glaubens oder auch „nur“ aus wirtschaftlichen Gründen aus ihrer Heimat fliehen und anderswo (z.B.bei uns) Zuflucht suchen, die Schuld an Niedriglöhnen zu geben, in ihnen eine (unwillkommene) Konkurrenz zu deutschen Arbeitskräften zu sehen etc., das ist es was mich aufbringt. Das hat mit „links“ nichts zu tun. Das ist in meinen Augen Rechtspopulismus. Internationalismus und Solidarität mit Unterdrückten und Verfolgten in welchen Ländern auch immer, war und ist ein Grundpfeiler linken Denkens und Handels, oder sollte es zumindest sein. Und dazu gehört auch die Solidarität mit Geflüchteten.
Leider bewegt Frau Wagenknecht sich (auch hier) in der Tradition der DDR, wo Internationale Solidarität stets gepredigt wurde, jeglicher Kontakt der Bevölkerung zu ausländischen Arbeitskräften z.B.aus Vietnam etc. aber stets unterbunden wurde. Sicherlich auch ein Grund für die heutige Ausländerfeindlichkeit speziell in den neuen Bundesländern. Auch Oskar Lafontaine hat da eine lange Tradition, bereits in seiner Vergangenheit als SPD-Führer argumentierte er gegen die Freizügigkeit z.B. rumänischer Arbeitskräfte, die er als Lohnkonkurrenten deutscher Arbeiter diffamierte.
Es geht bei Frau Wagenknecht und ihrem Buch um weit mehr als um Gender-Sternchen oder Unverständnis neuer sozialer Bewegungen, es geht um das Grundverständnis linker Politik.
Jochim Maack, Hamburg
Auf dem hohen Ross der Besserwisserei
Am 19.3 2019 schrieb Sahra Wagenknecht auf facebook, dass sie die vielen Schülerinnen und Schüler, die mit Fridays-for-Future in 100 Ländern und vielen deutschen Städten für mehr Klimaschutz demonstrieren in ihrer Kritik an der Regierung unterstützt. “ Diese Schülerinnen und Schüler werden noch viel länger auf diesem Planeten leben als die meisten Poltikerinnen. Gut, dass sie für ihre Zukunft einstehen.“ Zwei Jahre später später ist diese Sympathie nicht nur verpufft, sie ist ins Gegenteil gekippt. Fridays-for-Future wird von Wagenknecht als Lifestyle-Bewegung gesehen, als etwas., was sich die sebstgerechten Besserverdienenden leisten.
In Hamburg haben an den Demos nicht nur Gymnasiasten teilgenommen, sondern in gleichem Ausmass auch Schülerinnen der Stadtteilschulen. Ich vermute, dass das in Bochum und Dortmund ähnlich war, ob es eine Demo in Bitterfeld gab , weiß ich nicht. Es waren sehr viele Eltern mit kleinen Kindern dabei, auch sehr viele alleinerziehende Mütter, von denen ein großer Teil finaziell eher in prekären Verhältnissen lebt. Am Gewerkschaftshaus in Lübeck hängt ein großes Transparent: Auf einem toten Planeten gibt es keine Arbeitsplätze.
Klimaschutz ist eine existentielle Angelegenheit, 10 und 12jährige kapieren das besser als eine 51jährige Politikerin, die offenbar berufsbedingt eine Meisterin im Verdrängen und sich auf dem hohen Ross der Besserwisserei komfortabel eingerichtet hat.
Sahra Wagenknecht hält sich an das Politiker-Motto. Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Glaubwürdigkeit sieht anders aus.
Ein Punkt, den Harry Nutt in seinem Arikel nicht erwähnt, ist Wagenknechts Plädoyer für das Ende der EU und ihren Ersatz durch Nationalstaaten, die sich in ihrer Wirtschaftspolitik eher an den Interessen des jeweiligen Staatsvolkes orientieren können. Auf dem Parteitag der AFD am vergangenen Wochenende setzte sich der Höcke-Flügel mit der Forderung nach einem EU-Austritt durch.
In NRW haben 61 Prozent der Delegierten für Sahra Wagenknecht auf Platz 1 der Landesliste gestimmt. Das heißt, die Anhängerschaft für Wagenknechts Positionen in der Linken ist erheblich. Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow haben eine schwere Aufgabe, ich wünsche ihnen, dass sie glaubwürdig bleiben.
Elke Weyel, Hamburg
Die Linke will unangenehme Fragen umgehen
Die Linke hat nicht nur bei den letzten Landtagswahlen ihre Ziele nicht erreicht, sondern stagniert auch im Bund und hat vor allem in den Ländern an Zustimmung verloren.
Obwohl die Unzufriedenheit bei vielen Bürgern über Pandemie-Politik, Soziale Ungerechtigkeiten, Umweltproblemen usw. zugenommen hat und die SPD als ehemals linke Volkspartei nach wie vor schwächelt, haben die Linken keinen Stimmenzuwachs erzielen können.
Das ist offensichtlich das eigentliche Thema dieses Buches.
Die aktuelle Politik der Linken wird wohl von den Unzufriedenen nicht als der bessere Weg wahr genommen.
Wenn jetzt die üblichen Widersacher aus Anlass des neuen Buches von Sarah Wagenknecht jetzt wieder in die Offensive gehen und offensichtlich ihr eigentliches Ziel, Sarah Wagenknecht aus der Partei zu drängen, wieder entdeckt haben, ist das für mich ein Zeichen, dass man nicht bereit ist, diese unangenehmen Fragen in der Partei zu stellen.
Stattdessen wird, wie schon bei dem Streit um den Fraktionsvorsitz, die alten Argumente wieder hervorgeholt und ein ehemals Aushängeschild der Partei, in die rechte Ecke geschoben.
Diese Vorgehensweise, die nicht nur bei den Linken mittlerweile zum Standardrepertoire gehört, sondern mittlerweile auch in der öffentlichen Diskussion sehr verbreitest ist, sorgt dafür, dass eine wirkliche Diskussion um real existierende Probleme nicht mehr möglich ist.
Diese Vorgehensweise ist auch dem Verfasser der Artikels nicht fremd, was man aus Formulierungen wie „Ex-Fraktionschefin teilt gegen Minderheiten aus“ klar erkennen kann.
Man sollte zuerst abwarten, bis man das ganze Buch gelesen hat, bevor man voreilig damit beginnt aus ein paar Auszügen irgendwelche Schlüsse zu ziehen.
Und man sollte sich die Mühe machen, sich mit den Fragestellungen im Buch in der Sache konkret auseinander zu setzen.
Genau das werde ich ab dem 14.April selbst tun, wenn das Buch offiziell veröffentlich wird.
Jürgen Brunauer, Ladenburg
Die Linke sollte sich auf Gemeinsamkeiten konzentrieren
Vorweg: Eine bessere Werbung für das neue Buch „Die Selbstgerechten“ von Sahra Wagenknecht hätte es für die Autorin und ihren Verlag nicht geben können. Noch vor dem offiziellen Erscheinungstermin entbrennt eine hitzige Debatte, die sich im Kern auf die (nicht mehr neue) Auseinandersetzung zwischen der traditionellen Linken und den vielfältigen linksliberalen, identitären Bewegungen und Strömungen reduzieren lässt. Statt zu polemisieren, zu polarisieren und zu spalten (diabolus: etwas zwischen uns werfen, spalten), sollte sich die demokratische Linke (Linkspartei, SPD, Grüne und soziale Bewegungen) bei allen Unterschieden stärker auf die Gemeinsamkeiten konzentrieren. Streitbarkeit, Toleranz und Kompromissfähigkeit werden innerhalb der politischen Linken erforderlich sein, wenn der dringend notwendige Umbau hin zu einer sozial-ökologischen Gesellschaft sowie die Demokratisierung der Wirtschaft nicht bis zum Nimmerleinstag verschoben werden soll. Packen wir es endlich an!
Klaus Störch, Flörsheim
Gegen die Verursacher von Ungerechtigkeit
Im Klima der, ohne Diskussion, gegenseitigen Zuschreibungen ist die differenzierte Sichtweise des Artikels wohltuend und hilfreich. Wie Thierse ist auch Sarah Wagenknecht klug und vorausschauend in ihrer Kritik an den Linksilliberalen. Ich bin mit einem Hochschullehrer in Frankreich befreundet und kenne daher das von Caroline Fourest in „Generation Beleidigt“ so treffend und bedrückend geschilderte Geschehen in Frankreich aus erster Hand. Verglichen damit und dem was in den USA und Canada geschieht sind die vor allem von studierenden Wohlstandskindern getragenen Aktionen zwar noch relativ harmlos, aber in ihrer Gefahr für die Demokratie nicht zu unterschätzen. Eine Partei wie die LINKE, die die sozioökonomische Realität in unserem Land im Blick hat, sollte sich – nicht zuletzt mit kritischem Blick auf die eigene Vergangenheit – dem Problem schon stellen und eine Politik entwerfen können, die den Armen und Entrechteten dient, ohne die zu verlieren, die aus nachvollziehbaren Gründen sich für Minoritäten einsetzen. Natürlich ist das Hauptproblem das zunehmende Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich und die politische Dominanz der Wirtschaftsinteressen in unserem Land. Aber dass Linke selbstverständlich gegen Rassismus, Homophobie, Klimawandel und die schlimme Verschärfung der Asylgesetzgebung sind, sollte außer Frage stehen. Das ändert aber nichts am „altmodischen“ Hauptwiderspruch von Kapital und Arbeit. Sarah Wagenknecht und ihrer Partei sollte man aber daran erinnern, dass „Teile und Herrsche“ für das Kapital auch heute noch gilt und sich das Etikett „selbstgerecht“ nicht gegenseitig zuschreiben, sondern gemeinsam für Gerechtigkeit streiten, zusammen, aber vor allem gegen die wirklichen Verursacher von Ungerechtigkeit.
Die Linkspartei krankt u.a. daran, dass eine Debattenkultur nicht besteht. Jeder lauert nur darauf dass der parteiinterne Gegner etwas äußert, aus dem man einen Halbsatz herausreissen kann um ihn zu diffamieren und ihm ein Etikett anzuheften. Ruhig zuhören und argumentativ sich einer Lösung zu nähern, dass gibt es dort nicht.
Ich bin wahrlich kein Freund von SW, ich halte sie für emphatielos, wenn es um Menschen geht, für einzelkämpferisch und abgehoben (das ausgerechnet sie über Lifestyle-Linke herzieht hat da fast was lustiges). Allerdings finde ich die Art und Weise wie sie, einen Halbsatz zitierend, gleich in eine rechte Ecke gestellt wird, das sind fast schon stalinistische Methoden.
Nein, diese Partei mit dem anmaßenden Namen trägt nicht nur nichts zur Debattenkultur bei, sondern vertieft auch noch den unsäglichen Hassdebattenstil der sog. sozialen Medien.
Jochim Maack aus Hamburg trifft so ziemlich des Pudels Kern, wenn er zu den in Auszügen bekannt gewordenen Passagen aus dem Buch von Sahra Wagenknecht zusammenfassend feststellt, dass die dort vertretenen Thesen mit linker Politik nichts zu tun haben, sondern ganz im Gegenteil rechtspopulistische Inhalte darstellen. Wer meint, er könne mit nationalen Thesen linke Politik betreiben, der irrt gewaltig und befindet sich auf einem gefährlichen Weg. Als linker Sozialdemokrat halte ich es für eine Grundsatzfrage linker Politik, sozusagen eine conditio sine qua non sowohl den Grundwiderspruch zwischen Arbeit und Kapital aufzuzeigen und eine Politik der Umverteilung voranzutreiben. als auch für Minderheiten, Frauen und Geflüchtete einzutreten und eine gerechte Politik und Gleichbehandlung zu fordern. Leider musste ich schon des Öfteren in Leserbriefen die politischen Grundprinzipien einer linken Politik bei Sahra Wagenknecht infrage stellen. Es hilft nicht, nur große Worte über internationale Solidarität zu predigen. sondern dieses Bekenntnis muss auch gelebt werden und nicht in Form von rechtspopulistischer Sarrazin-Nähe sozusagen mit Füßen getreten werden. Deshalb hat Jochim Maack vollkommen recht, wenn er das Grundverständnis linker Politik als den wunden Punkt bei Sahra Wagenknecht ausmacht. Es ist keine Frage eines höheren sozialen Standards, wenn Studenten, Schüler und Azubis bei Fridays for Future mitmachen. Wer in diese „Aktionseinheit“ einen Keil treiben will, versündigt sich an allen linken, fortschrittlichen Bewegungen und dient damit nur der organisierten Rechten. Sahra Wagenknecht sollte einmal in sich gehen und ihren zum Teil mit der DDR kompatiblen Standpunkt überdenken.
Wenn ich mir die Aussagen aus ihrem Buch aus der Presse so vergegenwärtige, so bleibt für mich ein Dilemma zurück: Wagenknechts Kritik an den „Linksliberalen“ und vor allem an der sog. Identitätspolitik, die sind ja nicht verkehrt. Sie treffen sogar den Nerv.
Aber das Problem der Linken, der Partei, ist auch, dass sie in der Gesellschaft nur schwerlich an Boden gewinnt. Und, da hat Wagenknecht auch recht, vor allem bei dem Teil der Bevölkerung, der wirklich – ganz im Gegensatz zu den schweren Folgen des Neoliberalismus – arm geworden ist und existenziell zu kämpfen hat und der „Arbeiterschaft“.
Das heißt, das ist auch ein Problem der Linken, dort die wichtigen Stimmen zu gewinnen.
Und darauf hin folgt das weitere Problem, dass Sahra Wagenknecht schon den Nerv trifft, aber zwangsläufig auch ein empfindlichen Nerv der Linken. Nicht, weil diese alles falsch macht, sondern weil Wagenknecht selbst leicht falsch zu interpretieren ist, auf der „falschen Seite“ zu stehen. Und das hängt auch mit ihrem Hang zu Einzelgängen zusammen und der ihr eigenen Exklusivität. Das passt einfach nicht so recht zusammen. Sie in die rechte Ecke zu stellen, das ist Unsinn. Aber sie macht’s einem nicht leicht.
In dem Punkt gebe ich Wagenknecht recht, der fehlende Stimmenzuwachs bei den Linken hängst u.a. auch damit zusammen, dass die Themen die wiederum selbst innerhalb der Partei zu Zerwürfnissen führen, einfach nicht relevant sind und die wirklichen Probleme der existenziell bedrohten Bevölkerung (und die „Unzufriedenen“ [Leserbrief Jürgen Brunnauer]) nicht treffen.
Der Kampf für soziale Gerechtigkeit ist ein wichtiges Thema, aber zu viele Modethemen bestimmen die öffentliche Debatten und führen zu weiteren Irritationen.
Und was das Irritieren betrifft, da ist Wagenknecht leider auch mit großem Talent ausgestattet. Das ist ein Teil des Dilemmas.
Auf der Internetseite des Campus Verlags, in dem Sahra Wagenknechts neues Buch „Die Selbstgerechten“ soeben erschienen ist, wird in dessen Nachbarschaft für Titel geworben, die man allenfalls als bewusste Provokationen denn als inhaltliche Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Fragen verstehen kann. So für Oliver Potts „Wissen zu Geld“. Die zentrale Botschaft des Internetunternehmers lautet: »Jeder, wirklich jeder Mensch trägt Wissen in sich, für das andere Geld zu zahlen bereit sind.« Und auch eine weitere Neuerscheinung scheint in ein verlegerisches Konzept zu passen, das Inhalte bewusst vernachlässigt. Beispielsweise die Veröffentlichung der Unternehmerin Susanne Westphal (Geschäftsführerin des „Instituts für Arbeitslust“) mit dem Titel „Überzeugungstäterin. Hart in der Sache, charmant in der Art. So setzen Sie sich durch!“ Die Autorin bekräftigt ihr Anliegen mit der Aussage „Jede Frau muss ihren Weg und ihre Strategie finden, die zu ihr passt.“ Um sich in dieser erlauchten Gesellschaft überflüssiger Ratgeber zu behaupten, bedarf es in der Tat einer gehörigen Portion Selbstgerechtigkeit. Also eines intellektuellen Defizits, das man bei der linken Sahra Wagenknecht zunächst nicht vermuten würde.
Möglicherweise sind das Zufälle. Allerdings fällt es mir bei Politikern schwer, an solche Kausalitäten zu glauben. Eher könnte diese publizistische Begleitmusik ein Indiz dafür sein, dass Sahra Wagenknechts Manuskript so unausgegoren ist, dass Verlage, deren Programme für ernsthaften politischen Diskurs stehen, es nicht haben wollten.
Während meiner langjährigen Verlagstätigkeit habe ich die typischen Zielkonflikte der Programmverantwortlichen regelmäßig selbst durchstehen müssen. Diese kumulierten wiederholt in der Frage: Wie mache ich einem Autor oder einer Autorin klar, dass er bzw. sie die einstmals bewiesene fachliche Kompetenz mit dem neuen Text so sehr infrage stellt, dass ich ablehnen muss. Vielfach konnte ich mich noch nicht einmal zur Empfehlung durchringen, die Arbeit einem Verlag, der andere Schwerpunkte setzte, anzubieten.
Und noch ein anderes Ereignis passt nicht zu den Ansprüchen der einstigen Fraktionsvorsitzenden der LINKEN im Bundestag. Denn die LINKEN in NRW wählten sie erneut zur Spitzenkandidatin für die anstehende Bundestagswahl. Dieser Landesverband steht für vieles, vor allem für Fraktionsbildung, jedoch nicht für den von Wagenknecht postulierten Gemeinsinn und Zusammenhalt. Er macht seit zehn Jahren alles falsch, was man nur falsch machen kann.
Und das in einem Bundesland, das traditionell relativ offen ist für politische Programme links von der SPD. Dort haben FDJ und KPD auch nach den Verbotsurteilen (1954 bzw. 1956) im Hintergrund gewirkt und Einfluss ausgeübt. Vor allem auf die Gewerkschaften, aber auch auf Kampagnen wie „Kampf dem Atomtod“ oder die Ostermarschbewegung. Es gab linke Schriftstellervereinigungen wie die „Dortmunder Gruppe 61“ (Angelika Mechtel, Max von der Grün, Bruno Gluchowski, Wolfgang Körner, Josef Reding, Peter Paul Zahl) oder den „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“. Ebenso den „PLÄNE“-Schallplattenverlag, der einen namhaften Teil der sozialistischen deutschen und internationalen Singer und Songwriter auflegte (Degenhardt, Hanns Dieter Hüsch, Süverkrüp, Hein & Oss Kröher, Hannes Wader, Zupfgeigenhansl). Selbst nach der Gründung der „Sozialistischen deutschen Arbeiter-Jugend SDAJ“ und der „Deutschen Kommunistischen Partei DKP“ 1968 gab es noch genügend Freiräume für Aktivisten, die bewusst auf Distanz zu den „Freunden“ in der DDR achteten. Die kleine Bühne im Keller des Bochumer Schauspielhauses („Theater Unten“ bzw. „Theater unter Tage“) war jahrelang Experimentierraum für linke Theaterkunst. Sozialwissenschaftler wie Arno Klönne oder Christoph Butterwegge haben in kritischer Sympathie für SPD und LINKE den Strukturwandel des Ruhrgebiets als exemplarischen Beleg für ihr Theorien verwendet. Nur bei den NRW-LINKEN ist das alles nicht angekommen.
Stattdessen Gruppenbildungen wie die „Antikapitalistische Linke AKL“ oder die „Sozialistische Linke SL“. Die AKL forderte unlängst die Vergesellschaftung der Kultur, so als sei diese ein kapitalistischer Produktionsbetrieb, in dem „Kulturschaffende“ bei Niedriglöhnen Lobeshymnen auf das System verfassen müssten. Dass ein solches Denken bzw. Nichtdenken nahtlos in die Sprache des Dritten Reiches passt, das „Kulturschaffende“ als „Arbeiter der Stirn“ den „Arbeitern der Faust“ an die Seite stellte, war und ist den Funktionären der NRW-LINKEN anscheinend nicht bewusst. Friedrich Engels‘ These, dass das kapitalistische System u.a. geprägt sei durch die Bewusstlosigkeit der Mehrheit der an ihm Beteiligten, scheint auf diesen linken Landesverband ebenfalls zuzutreffen, wenn auch mit anderen Vorzeichen. Und allem Anschein nach auf dessen alte und neue Galionsfigur Sahra Wagenknecht.
Noch habe ich die Lektüre von „Die Selbstgerechten“ nicht abgeschlossen. Aber bereits auf den ersten 20 Seiten fielen mir logische Brüche in der Argumentation und schlichte Unkenntnis auf. Beides lässt mich befürchten, dass auf den instabilen Trümmern fehlenden Sachverstands ein politisches Programm errichtet werden soll, das sich als ähnlich morbide erweisen wird wie die nicht zu Ende gedachten Prämissen, auf denen es gründet.
So wird im Vorwort ein unzulässiger Vergleich gezogen mit der Situation in den USA während und zum Ende der Trump-Ära und der Kontroverse um Corona in Deutschland. Ging und geht es in Amerika um den Hass reaktionärer und rassistischer Gruppen auf Demokraten im Allgemeinen und im Speziellen auf Liberale und vermeintliche Sozialisten, verläuft der Graben in Deutschland zwischen sich bewusst schlecht Informierenden und völkischen Ideologen auf der einen Seite und verantwortungsvollen und achtsamen Bürgern auf der anderen. Trotzdem schreibt Sahra Wagenknecht: „Wer den Sinn und Nutzen der Schließung von Kitas und Schulen, von Gaststätten, Geschäften und vielen anderen Gewerben auch nur teilweise in Zweifel zog, musste sich den Vorwurf gefallen lassen, dass ihm Menschenleben egal wären. Wer gleichwohl anerkannte, dass Covid-19 ein gefährliches Virus ist, wurde ähnlich aggressiv von denen attackiert, die in allem nur Panikmache sahen. Respekt vor dem Andersdenkenden? Ein sachliches Abwägen von Argumenten? Keine Chance. Statt miteinander zu reden, schrie man sich nieder.“
Einspruch, Frau Wagenknecht. Sie betreiben die Heiligsprechung der Dummheit, die auch als Populismus bekannt ist. Denn Covid-19 bedarf zu seiner Verbreitung eines Wirts, nämlich des Menschen. Also ist die konsequente Kontaktbeschränkung das Mittel der Wahl. Jedenfalls so lange, bis zwei Drittel der Bevölkerung vollständig geimpft sind. Und möglicherweise werden auch dann eine Zeit lang Masken und Abstand in bestimmten Konstellationen nötig sein. Dagegen lässt sich nicht logisch argumentieren. Denn: „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“ (Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus).
Doch das ficht Frau Wagenknecht nicht an. Sie schreibt ohne Belege und bar jeglicher Logik weiter:
„Schon frühere Kontroversen wurden ähnlich ausgetragen. Es wurde moralisiert statt argumentiert. Geballte Emotionen ersetzten Inhalte und Begründungen.“
Erneut verwechselt sie in voller Absicht logische Ebenen. Denn Moral und Argument sind keine Gegensätze. Das Gegenteil von Moral ist Moralin, also die heuchlerische Entrüstung ohne jede ethische Relevanz. Und Inhalte kann man durchaus emotional begründen, also mit innerer Bewegung und Leidenschaft. Begründungen verlieren dadurch nichts von ihrer Kraft, vorausgesetzt, sie lassen sich belegen.
Und dann gelangt sie zu dem Thema, das sie in nicht differenzierender Weise okkupiert hat:
„Die erste Debatte, bei der das offensichtlich wurde, war die über Zuwanderung und Flüchtlingspolitik, ein Thema, das nach der deutschen Grenzöffnung im Herbst 2015 fast drei Jahre lang alle anderen überlagerte. Damals hieß das Regierungsnarrativ nicht Lockdown, sondern Willkommenskultur, und Widerspruch war mindestens so unerwünscht wie zu Corona-Zeiten. Während der politische Mainstream seinerzeit jeden, der Besorgnis äußerte oder auf die Probleme unkontrollierter Zuwanderung hinwies, als Rassisten ächtete, formierte sich auf der Gegenseite des politischen Spektrums eine Bewegung, die den Untergang des Abendlands bevorstehen sah. Tenor und Tonfall waren ähnlich unversöhnlich wie in der Diskussion über eine sinnvolle Corona-Politik.“
Wer so etwas schreibt, darf sich nicht darüber wundern, dass die Partei, der er oder sie (noch) angehört, immer weniger positive Resonanz bei Nachdenklichen und Intellektuellen findet. Der Herbst 2015 war nicht, wie beleglos behauptet, die Stunde eines Regierungsnarrativs namens Willkommenskultur, sondern es stand die Einlösung von Artikel 16a des Grundgesetzes („Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“) an sowie die Umsetzung der „Genfer Flüchtlingskonvention“. Dies wurde in weiten Teilen der Bevölkerung auch so verstanden, was zu einer breiten Willkommenskultur führte. Es fand auch keine unkontrollierte Zuwanderung statt. Die vielerorts entstandenen Flüchtlingsunterkünfte waren das exakte Gegenteil von offenen Eingangstoren für jedermann. Die von vornherein zu erwartenden Probleme mit den Schutzsuchenden ergaben sich aus deren Sozialisation, insbesondere aus ihrem Bildungs-, Familien-, Staats- und Religionsverständnis. Hier haben die verantwortlichen Stellen nicht konsequent reagiert, weder bei der Durchsetzung von Verboten noch beim Angebot von Integrationskursen. Ähnlich hilflos und inkonsequent handeln sie heute beim Umgang mit verfassungsfeindlichen Querulanten der Gattung „Querdenker“.
Doch ich will meine Kritik an Sahra Wagenknechts Politikverständnis noch an einem weiteren typischen Punkt deutlich machen. Sie schreibt in ihrem Buch:
„Nicht viel sachlicher verlief die Klimadebatte, die das Jahr 2019 dominierte. Nun ging es nicht mehr um den Untergang des Abendlandes, sondern gleich um den der ganzen Menschheit. Klimafreunde, die Panik für eine angemessene Reaktion hielten, kämpften gegen echte und vermeintliche Klimaleugner. Wer weiterhin mit seinem Diesel unterwegs war, sein Schnitzel im Discounter kaufte oder sich noch höhere Strom- und Spritpreise nicht leisten konnte, durfte nicht mit Gnade rechnen. Die mittlerweile als größte Oppositionspartei im Bundestag vertretene AfD feuerte im Gegenzug Salven gegen die die »linksgrün-versiffte Meinungsdiktatur«.
Es scheint, dass unsere Gesellschaft verlernt hat, ohne Aggression und mit einem Mindestmaß an Anstand und Respekt über ihre Probleme zu diskutieren. An die Stelle demokratischen Meinungsstreits sind emotionalisierte Empörungsrituale, moralische Diffamierungen und offener Hass getreten. Das ist beängstigend.“
Und erneut muss ich deutlich widersprechen.
Die Klimaveränderung ist – ähnlich wie meisten sozialen Antagonismen – ein Ergebnis der kapitalistischen und neoliberalen Wirtschaftsordnung, welche die Folgen ihres Handelns einerseits negiert und sie andererseits denen aufbürdet, die ohnehin kaum Vorteile daraus ziehen können. Folglich kann es eine Versöhnung mit dem Unversöhnbaren geben, weil das auf die Aufhebung des Gegensatzes von Gut und Böse hinausliefe. Es ist bemerkenswert, dass Sahra Wagenknecht ziemlich offen gegen die kritische Intelligenz zu Felde zieht. Man kann darüber spekulieren, ob das eine zufällige oder bewusste Übereinstimmung mit den Aasgeiern der AfD ist. Mit diesen kann man nicht sprechen, schon gar nicht diskutieren, weil man sonst das Unsägliche als gleichberechtigt akzeptieren müsste.
Mir fällt noch einmal der dümmliche Satz von Oliver Pott ein, Sahra Wagenknechts Nachbarn im Campus-Verlag: „Jeder, wirklich jeder Mensch trägt Wissen in sich, für das andere Geld zu zahlen bereit sind.“ Eine unbewiesene Behauptung. Belegbar ist jedoch, dass es Wissen gibt, das im Wesentlichen aus Nichtwissen besteht. Und dafür ist jeder Cent, den man bezahlt, zu viel.
Sarah Wagenknecht war es mit Sicherheit klar, dass ihr neues Buch selbstverständlich bei denjenigen auf Kritik stößt, die in ihrem Buch nicht so gut wegkommen.
Natürlich sollen auch diese Kritiker zu Wort kommen und deshalb gibt ihnen die FR, wie zu erwarten, auch eine entsprechende Plattform über einen „Gastbeitrag“.
Wenn man jetzt denkt, dass sich hier der Assistenzprofessor einer Universität in der Sache mit den im Buch vorgetragenen Argumenten auseinandersetzt, sieht sich eher mit der üblichen Art konfrontiert, die schon länger die Gegner in der Diskussion um Sarah Wagenknecht benutzen..
Abwechselnd wird die rechte Karte gezogen, dann wird ihr vorgeworfen den „traditionellen“ jahrhundertelangen Rassismus in Deutschland nicht zu erkennen und es wird falsch behauptet sie hatte ausschließlich die Migration für die sinkende Löhne in Deutschland verantwortlich gemacht.
Alles in allem ein Gastbeitrag eines Akademikers, der wohl in seiner Auffassung ziemlich genau dem entspricht, was Frau Wagenknecht in ihrem Buch kritisiert.
Auch der Hinweis auf Ihren Wohlstand und das Zusammenleben mit ihrem Ehemann und „Bruder im Geiste“ und dass darüber hinaus die vermutliche Geldgier, Zweck des Buches war, entlarvt diesen Herren eher als einen, der ausschließlich persönlich angreifen und beleidigen will.
Sarah Wagenknecht hat wohl mit ihrer Kritik voll ins Schwarze getroffen, sonst hätte dieser feine Herr nicht diese Art der politischen Auseinandersetzung gewählt. Sie ist, zumindest was diesen Herrn betrifft, wohl eher auf dem richtigen Weg.
Ich hätte mir gewünscht, dass er vielleicht sachliche Argumente bringt, um die Kernaussage im Buch wirklich zu entkräften, was die Ursache ist, dass die Linke als politische Bewegung immer mehr an Zustimmung bei ihrer ursprünglichen Wählerschaft verliert.
Wenn ich mir die Thesen von Sahra Wagenknecht, die anlässlich ihrer jüngsten Buchveröffentlichung „Die Selbstgerechten“ publik geworden sind, erneut vergegenwärtige, dann komme ich nicht mehr umhin zu fragen: Was will Wagenknecht?
Und Katja Thorwarths Kolumne gibt Hinweise, die auch mein Unbehagen gegenüber Wagenknechts Kritik an den linksliberalen Erzählungen und/oder den „Lifestyle-Linken“ in den folgenden Punkten bestätigen: Wagenknecht spricht von den hippen Weltbürgern, die ihre eigenen schönen linken Lebenskonzepte politisch in Szene setzen und sie verurteilt die Linken, die sich zu wenig um ihr eigentliches Klientel (die Bevölkerung der schlechter Verdienenden und der klassischen Mittelschicht, der Nichtakademiker usw.) kümmern. Dabei entgleitet ihr selbst das Maß der Gerechtigkeit. Um auf die letztere Gruppe zu sprechen, unterläuft ihr der fatale Fehler, die prekär Beschäftigten etwa gegen die Geflüchteten auszuspielen. Das ist ganz und gar das Terrain der Rechten. Links sei das nicht, sagt Thorwarth. Und da hat sie absolut recht.
Dann dieser Vorwurf der Kolumnistin: Selten habe eine „linke“ Politikerin mit so viel Feinbildaufbau gearbeitet, um einen Gegensatz von Identität der Privilegierten zum (deutschen) Prekariat herzustellen.
Mein Unbehagen: Sahra Wagenknecht distanziert sich als Linke und Politikerin von ihren Bundesgenossinnen und Genossen, verfängt sich mit ihrem Titel „Die Selbstgerechten“ selbst in Selbstgerechtigkeit und Exklusivität, mit einer noch größeren öffentlichen Aufmerksamkeit als es die Partei Die Linke überhaupt schaffen kann. Selbst wenn Teile ihrer Kritik nicht ganz zu bestreiten sind, so wie sie aber ihre Thesen in die Öffentlichkeit puscht, arbeitet sie mehr den Rechten in Hände (etwa beim Thema „unkontrollierte Zuwanderung“) und sie macht dadurch viel kaputt. Der Verdruss aus der Partei ist nachvollziehbar.
Nochmal: Was will Wagenknecht?