Leben und Arbeiten in Zeiten der Pandemie
Zum Abschluss dieses ereignisreichen Arbeitstages möchte ich mal wieder Tagebuch schreiben. Eben gerade habe ich noch eine Antwortmail an einen Leser abgesetzt, der den Eindruck hatte, die FR versuche verstärkt, ihren Leserinnen und Lesern Angst zu machen, indem sie Einzelfälle von schweren Covid-19-Verläufen herausstelle. Gemeint war der Text „Der unwahrscheinliche Patient“ über den Fall des 34-jährigen Florian Janssen. Ich frage natürlich zurück: Wer bei der FR sollte ein Interesse daran haben, den Leserinnen und Lesern Angst zu machen? Wenn es Neuigkeiten gibt, berichten wir selbstverständlich darüber. Unser Bild vom Virus Sars-CoV-2 wandelt sich ständig. Jetzt wird offensichtlich, dass das Virus auch jüngeren Menschen gefährlich werden kann. Unser Wissen über das Virus wächst – und wenn ich die Fachpresse so verfolge, habe ich manchmal den Eindruck, dass damit auch die Ratlosigkeit der Experten wächst.
Bronskis Homeoffice-Tagebuch – Tag 137
Montag, 27. Juli 2020
Ich bin Abonnent von „Spektrum der Wissenschaft“, in dessen aktueller Ausgabe (8.20) sich ein vorzüglicher, den Kenntnisstand zusammenfassender Artikel über Sars-CoV-2 befindet. Wie es für solche Publikationen typisch ist, geht es darin viel um Biochemie und molekulare Mechanismen auf Zellebene, mit denen ich Sie hier nicht langweilen will. Also darum: Wie gelangt das Virus in die Zelle, die es infizieren „will“? Was macht es da? Warum kriegt das Immunsystem es nicht in den Griff? Und so weiter. Da ist dann viel von Furin, ACE2, Zytokin und anderem mehr die Rede. Über manche Mechanismen wissen die Experten inzwischen gut Bescheid, andere bleiben (noch) rätselhaft. Spannend ist vor diesem Hintergrund vor allem die Frage nach dem Impfstoff. Nein, nach den Impfstoffen. Denn es könnte sein, dass es so bald keinen Impfstoff gibt, der mit mehr als 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit schützt – also so gut wie vollständig. Und auch keinen, der anhaltend schützt, so wie der Polio- oder Hepatitis-Impfstoff (A, B), der über Jahrzehnte wirkt. Gegen Sars-CoV-2 werden wir wohl regelmäßig impfen müssen, so wie bei der Grippe.
Mir bereitet noch etwas anderes Sorgen: Die zweite Welle rollt schon. Bei uns in Deutschland zum Glück noch nicht, und auch nicht in Frankreich, wohin ich in wenigen Wochen verreisen möchte, aber die globalen Zahlen lassen keinen anderen Schluss zu. Ich gebe hier außer der Reihe (er ist auch unten wieder zu finden) den Link zum Worldometer. Dort finden Sie oberhalb der Länderliste zwei Graphen: „Daily New Cases“, also tägliche Neuinfektionen, und „Daily Deaths“, tägliche Opfer. Wenn Sie sich das genauer ansehen wollen, beachten Sie bitte, dass die Graphen unterschiedlich skaliert sind: „Daily New Cases“ zählt in Hunderttausenden, „Daily Deaths“ in 2500er-Schritten. Trotzdem sieht man, dass der Anstieg in der linken Grafik um Ende Mai herum einen Peak hat, der sich auch in der Zahl der Todesfälle (rechts) wiederspiegelt. Danach flacht die Kurve ab – vermutlich als Ergebnis der vielen Sicherheitsmaßnahmen weltweit. Doch dann beginnt sie wieder zu steigen. Sie vermittelt zum rechten Rand hin den Eindruck eines exponenziellen Wachstums, d.h. es geht rasant nach oben. Das ist die zweite Welle. Die Kurve rechts, die der Opfer, hinkt hinterher, aber wenn es ähnlich läuft wie bei der ersten Welle, wird diese Kurve bald steigende Opferzahlen anzeigen. Und das, obwohl wir jetzt – Stand heute – bereits rund 654.000 Tote zu beklagen haben, die an und mit Sars-CoV-2 gestorben sind. Damit übersteigt Sars-CoV-2 schon jetzt jede Grippewelle, mit der die Sars-CoV-2-Pandemie ja idiotischerweise immer wieder verglichen wird. Und das, obwohl die zweite Welle erst begonnen hat. Das ist keine gute Nachricht.
Es ist also viel zu früh, um Entwarnung zu geben. Wir sollten aber dennoch nicht den Kopf verlieren, weil wir den nämlich noch brauchen. Darum versuchen mein Mann und ich, möglichst rational an unsere Urlaubsplanung heranzugehen.
Ich wär so gern am Meer …
Foto: Lutz „Bronski“ Büge
Erstens: Wir informieren uns über die „hot spots“ in Frankreich, denn die wollen wir meiden. Sehr aufschlussreich ist dafür eine Karte, die auf linternaute.com veröffentlicht wird (bisschen nach unten scrollen) und die die Virus-Aktivität pro Departement abbildet. Zweitens: Ja, tatsächlich – wir vervollständigen unseren Notvorrat zu Hause, und zwar für den Fall, dass wir nach unserer Rückkehr in Quarantäne müssen. Das scheint zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich, ist aber nicht ausgeschlossen. Daher wollen wir vorbereitet sein. Aus folgendem Grund: Mittlerweile scheint das Virus in der Fläche weit verbreitet zu sein. Es ist in der Lage, völlig unerwartet einen „hot spot“ in Dingolfingen oder im Departement Mayenne zu verursachen. Solche Ereignisse könnten sich künftig häufen. Wenn sie überhandnehmen, kommen die Gesundheitsämter irgendwann möglicherweise nicht mehr hinterher mit der Verfolgung der Infektionsketten. Dann gerät die Sache außer Kontrolle, und auch unser Nachbar Frankreich oder einige seiner Regionen könnten ruckzuck Risikogebiete werden. So wie neulich beinahe der Kreis Gütersloh.
Grundsätzlich gehen wir aber optimistisch an diese Reise heran, zu der wir am 21. August aufbrechen wollen. Dann müssen wir eben mit unserem Campingbus ein bisschen Wellenreiten. Man kann ja über Campen bzw. Wohnmobile sagen, was man will, aber beim Campen ist man viel an der Luft – und auf Abstand zum Nachbarn. Wir meiden Ballungsräume, suchen ländliche Gebiete auf. Und da, wo die Menschendichte dann doch ein bisschen größer ist (wir wollen natürlich auch wieder nach Marseillan-Plage ans Mittelmeer), da wissen wir, wie wir uns zu verhalten haben. Nämlich nicht viel anders als zu Hause. Abstand halten, Hände waschen, in geschlossenen Räumen Maske tragen. Das kennen wir inzwischen alle. Mal sehen, welchen Abdruck diese Praktiken mittelfristig in unserer Zivilisation und Kultur hinterlassen.
In diesem Sinne verkünde ich an dieser Stelle schon jetzt: Ihr Bronski hat Urlaub beantragt. Das FR-Blog schließt vom 21. August bis zum 22. September. Aber bis wir aufbrechen, kann noch viel diskutiert werden.
Naoned!
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Lieber Bronski,
Wie geht es nach Sterbli weiter?
Viele Grüße, Anna Hartl
Sorry, Frau Hartl,
das war ein fehlerhafter Text meinerseits.