Wie sieht der richtige Weg aus, auf dem man wieder zu einem normalen Schul- und Lernbetrieb kommt? Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) will die Schulen des Landes noch vor den Sommerferien testweise für den Regelbetrieb öffnen. Er erntet massive Kritik für diese Überlegungen. Schulen seien kein „Experimentierlabor“, wird ihm entgegengehalten. Viele Lehrkräfte fürchten um ihre Gesundheit. Auf der anderen Seite steht die Überlegung, dass die jungen Menschen Nachteile und Bildungsmängel erleiden könnten, sollte man die Schulen nicht schnell genug wieder öffnen. Dieser Gedanke treibt auch FR-Kommentator Peter Hanack um, der dazu aufruft, mehr Unterricht zu wagen. Doch sind Schulen wirklich „Oasen der minimalen Infektionsgefahr“? So wie die GEW-Funktionärin Ilka Hoffmann im FR-Gastbeitrag schreibt? So würden „einige Virologen“ offenbar die Gefahren einstufen, die an Schulen durch Sars-CoV-2 entstehen können.
Es scheint, als gingen bei Manchen nun doch die Nerven durch, jetzt, nachdem viele der Einschränkungen, die uns im Zuge der Pandemie auferlegt wurden, endlich wieder gelockert wurden. Geht’s zu schnell? Der Druck auf die Politik ist groß, komplette „Normalität“ herzustellen. Zugleich besteht weiterhin die Gefahr einer zweiten Infektionswelle. Die Gefahr für Kinder und Jugendliche, schwer an Covid-19 zu erkranken oder gar dran zu sterben, mag gering sein, aber wie sieht es mit der Gefahr für die Lehrkräfte aus? Wird die realistisch eingeschätzt, oder fällt diese realistische Einschätzung dem Druck zum Opfer? Zudem – das haben wir alle im Lauf der Pandemie gelernt – geht es nicht nur um das eigene Leben, sondern auch um die Gefahr für das Leben anderer Menschen, die eine Infektion mit Sars- CoV-2 vielleicht nicht so locker wegstecken. Soll man die Gefahr in Kauf nehmen, Corona-Hotspots an Schulen entstehen zu lassen, wo Kinder auf engem Raum Kontakt zueinander haben und wo sich Hygieneregeln kaum durchsetzen lassen? Das berichtet nicht nur Ilka Hoffmann; ich erinnere auch an den Leserinbrief der Pädagogin Heidrun Anders aus Frankfurt, den ich am 25. Mai veröffentlicht habe.
Es bleibt wohl nur der Schluss, dass es keine klare Antwort auf die Frage gibt, wann die Schulen wieder geöffnet werden sollten. Es ist – wie alles im Zusammenhang mit Sars-CoV-2 – eine Frage der Abwägung. Damit geht die Politik ein Risiko ein. Es wäre ihr nicht zu verdenken, würde sie vor diesem Risiko zurückscheuen, denn die Zahl der Neuinfizierten steigt derzeit an, wenn auch auf niedrigem Niveau, und Vorfälle wie die in der Fleischfabrik Tönnies, die zu einem Hotspot wurde, zeigen klar, dass die Gefahr nicht vorbei ist. Ehrlich gesagt: Ich möchte nicht in der Haut von Politikern stecken, die so was derzeit zu entscheiden haben.
Nicht alle Kinder haben Lehrer als Eltern
Die Interessen der Eltern, des Schulpersonals und der Öffentlichkeit gehen oft weit auseinander, schreibt Ilka Hoffmann, Vorstandsmitglied der GEW, in Ihrem Gastbeitrag vom 13./14. Juni. Recht hat sie. Die Interessen der Mitglieder der Gewerkschaft gehen anders als die der Eltern offenbar dahin, den regulären Schulbetrieb möglichst lange zu vermeiden. Denn weil die Schulen keine „Oasen der minimalen Infektionsgefahr“ seien, müsse es noch „einige Zeit“ bei einer Kombination aus Präsenz- und Distanzlernen bleiben. Denn anders als manche Virologen meinten, seien die Schulen keine „Oasen minimaler Infektionsgefahr“.
Auch die Läden sind keine solchen Oasen. Aber trotzdem muten wir dem Verkaufspersonal zu, dort zu arbeiten. Dasselbe gilt für Gaststätten, Büros und gewerbliche Arbeitsplätze. Alle dort Beschäftigten sind einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Das gilt im Übrigen auch für die so genannten Risikopersonen, während über 60jährige Lehrkräfte ohne Gehaltseinbußen in den Schulen nicht eingesetzt werden.
Aber mir geht es nicht um Lehrerschelte. Denn natürlich ist es das Recht und die Pflicht einer Gewerkschaft, für die Interessen der Mitglieder zu kämpfen. Nachdenklich wurde ich jedoch bei dem Resümee von Frau Hoffman, „Wir brauchen Mut und Kreativität und kein Festhalten an dem verstaubten Bild der Schule als Aufbewahr- und Lernanstalt“.
Die Arbeiterbewegung kämpfte lange darum, dass jedenfalls die Grundschule eine Lernanstalt für alle wurde. Denn bis Anfang der Weimarer Republik hatten die Kinder „aus besserem Hause“ Hauslehrer oder besuchten Privatschulen – wobei der heutige „Run“ auf Privatschulen ein Rückschritt im Zeichen des Neoliberalismus ist. Die gesellschaftliche Notwendigkeit der Schulen als „Lernanstalt“ besteht zum einen deshalb, weil nur so die unterschiedliche Bildungsförderung in den Familien wenigstens einigermaßen ausgeglichen werden kann. Der Unterricht per Computer verstärkt dagegen die Bildungsunterschiede zwischen den Familien. Zum anderen ist das gemeinsame Lernen in der Schule notwendig, und nicht zuhause am Computer, denn soziales Verhalten kann nur in Gemeinschaft gelernt und eingeübt werden.
Dass die Schule keine „Aufbewahrungsanstalt“ sein dürfe, war der Kampfruf der Gegner von Ganztagsschulen. Gerade die Gewerkschaften (auch die GEW?) forderten Ganztagsschulen. Nicht zuletzt auch im Interesse der Berufstätigen und vor allem der berufstätigen Frauen. Wenn die Schulen nach Ansicht von Frau Hoffmann keine „Aufbewahranstalten“ mehr sein sollen, wo sollen die Kinder sich sonst aufhalten, während die Eltern arbeiten? Oder um es polemisch zu sagen: Nicht alle Kinder haben Lehrer als Eltern, die nachmittags zuhause sind.
Walter Unger, Maintal
Die Politik verliert an Vertrauen
Ist es dem Staat, der so viel investiert wie nie, das Geld nicht wert, Schulen, Kitas und sonstige Einrichtungen mit dem auszustatten, was für eine sichere, fürsorgliche Öffnung nötig ist?
Bislang konnte sich die Politik darauf zurückziehen, dass die erste Welle zu überraschend kam, um in kurzer Zeit Millionen Schutzpakete zu schnüren. Nach sechs Corona-Monaten zieht das Argument nicht mehr. Alles, was jetzt (nicht) passiert, ist schlechte Organisation oder wohl eher fehlender Wille.
Und es geht um den Vertrauensverlust in die Politik, wenn eine schlecht organisierte, überstürzte Schulöffnung rückgängig gemacht werden muss, weil die Situation außer Kontrolle gerät – so wie in Israel, so wie in Göttingen, so wie im schwedischen Skellefteå..
Peter Dressler, Frankfurt
Die Konzepte liegen seit Jahren in den Schubladen
Vergleiche ich die im Artikel beschriebene Normalität von Schule mit meiner Kenntnis schulischer Praxis im Unterrichtsalltag der Grundschule seit 1990, vermisse ich die Vielfalt der seitherigen Reformansätze. Hilfesuchend wird in der Corona Zeit jetzt nach Konzepten Ausschau gehalten, ohne dass Überzeugendes dabei in den Blick geriete? Dabei liegen doch dreißig Jahre Schulentwicklung hinter uns.
Im Artikel gewinne ich den Eindruck, Schule gälte immer noch als normal, wenn ein Mensch der alles weiß und ständig spricht, Inhalte in kleine Päckchen verpackt, die von kleinen zuhörenden Menschen, die selten zu Wort kommen, geschluckt werden können. Plötzlich werden aber zur Vermeidung der Risiken einer Ansteckung sogar elementare pädagogische Grundprinzipien leichtfertig zur Disposition gestellt, sodass die Schulzeit von 1990 wie ein verlorenes Paradies erscheinen mag. Wenn es im Kontext der Begeisterung für die Technik des Homeschooling nötig ist zu betonen, dass Mimik und Gestik des Lehrers für den Lernenden von Bedeutung ist, scheinen die Ergebnisse jahrzehntelanger pädagogischer Forschung plötzlich vergessen. Dass aber Lernen nur über Beziehung funktioniert und das Gehirn der Kinder Inhalte nur im Zusammenhang mit positiven Gefühle speichern kann, wissen unsere Lehrkräfte aus ihrer Ausbildung sehr genau.
Es macht keinen Sinn den verpassten Chancen aus dreißig Jahren Schulentwicklung nachzutrauern. Aber, wie auch in einigen anderen Bereichen, bringt der durch die Pandemie erzwungene Stillstand vorhandene Schwachstellen wie in einer Lupe zur Vergrößerung.
Mag man sich doch einen Moment lang vorstellen, dass die Individualisierung des Lernens und die konsequente Differenzierung von Unterricht über drei Jahrzehnte ernsthaft vorangebracht worden wären, dann verfügte die Schule heute vielleicht über die räumliche und personelle Ausstattung verfügen, die leicht einen unter Hygieneauflagen sicheren Lehrbetrieb ermöglichen würde.
Man mag sich vorstellen, jede/r SchülerIn verfügte über einen eigenen Arbeitsplatz von 5qm. Da wären in einem Schulraum mit der Standardgröße von 60 qm bei 12 SchülerInnen der nötige hygienesichere Abstand leicht zu gewährleisten. Gäbe es ein integriertes Personalkonzept von Lehrkräften und pädagogischem Fachpersonal, das sich an den Lernbedürfnissen auch lernschwacher Kinder orientiert und eine Lernorganisation, die sich an den Interessen und dem Lerntempo der Kinder ausrichtete, würden alle Kinder die Kombination von selbständigen Lernphasen und angeleitetem Lernen völlig selbstverständlich beherrschen und die Lehrkräfte sowohl die mediale als auch didaktische Kompetenz dazu längst erworben haben.
Was der Schule jetzt helfen kann, ist eine Vision. Diese Vision wäre eine Abkehr vom Mythos der Homogenität in der klassen- und jahrgangsorientierten Schule und der endlich konsequent umgesetzten Orientierung an der faktische Heterogenität der Schülerschaft. Warum stellt eigentlich niemand genau jetzt die Frage nach dem Sinn der Benotung in der Grundschule. Das sozial erzeugte Gefälle der altershomogene Gruppen wird doch gerade so augenfällig. Kinder brauchen beim Lernen Nähe und das Gefühl persönlich gemeint zu sein. Nur so entwickeln alle Kinder unabhängig von der Herkunft eine Ich Stärke, die es schließlich zur Entfaltung des gesamten vorhandenen kognitiven und emotionalen Potentials braucht. Die moderne Gesellschaft aber braucht in der Zukunft selbstbewusste Arbeitskräfte, die in der Schule zu starken genderfähigen und demokratisch kompetenten Persönlichkeiten erzogen wurden. Konzepte zu dieser Vision von Schule liegen seit dreißig Jahren in den Schubladen der Kultusministerien und pädagogischen Hochschulen und Universitäten. Es würde sich doch lohnen einmal nachzuschauen.
Peter Hartwig, Ginsheim-Gustavsburg
Lang ist’s her, aber die Erinnerung lebt
Soeben habe ich in der „Hessenschau““ bereits zum zigsten mal ein „Aufklärungs“–Gespräch mit den ganz schlimmen Erwartungen des – infolge der corona-Pandemie entstandenen Unterrichts-Ausfalls – – an den letzten Klassen der meisten OberSchulen – verbunden werden. Darüber kann – vor allem auch in Hessen – ein Schüler, der am der erst am 1. März 1957 mit dem Abitur das Leibniz-Gymnasuim in Frankfurt-Höchst verlassen durfte, weil das Land Hessen im Jahr 1947 das „Schuljahr“ wegen des vor Kriegende oft unregelmäßigen Unterrichts um ein halbes Jahr verlängert hat (während u.a. z.B. der Freistaat Bayern das eine „Schuljahr“ mit einer Änderung des Schuljahr-Wechsels vom Herbst auf „Ostern“ um die Hälfte verkürzte, was bei mich damals natürlich geärgert und auch Neid ausglöst hat. Lang. lang ist’s her, aber die Erinnerung lebt!
Fazit aus meiner Erfahrung und inzwischen gewonnen Überzeugung für heute: Das aufgeblähte – kaum Diskussion zu nennende – Geschwafel und Geschreibsel über die Folgen der Unterrichtseinschränkungen sind mehr als überflüssig. Hessen hätte auch jetzt – sinnvoll und zukunftorientiert – genau so entscheiden können wie damals nach dem Zweiten Weltkrieg, um damit zusätzliche Bildungs-Erfolge zu erzielen, die nicht allein dem Kapitalismus, sondern vor allem unserer Gesell- und Gemeinschaft dienen würden.
Helmut Seipp, Hofheim
Wo bleibt die Wertschätzung gegenüber den Erzieher*innen?
Es zeigt sich gerade, dass die Öffnung der Kitas eine besondere Herausforderung ist. In diesem Bereich werden die Widersprüchlichkeiten, die Unsicherheiten, das Nichtplanbare im Leben, mit dem uns Corona so kompromisslos konfrontiert, besonders deutlich.
Und wieder ist es kaum besprechbar, sondern die politischen Parteien streiten in alter Art und Weise über allgemeine oder dezentrale Regelungen um rechtzeitig oder zu spät erfolgte, über zu viel oder zu wenig Planungen…und manche Interessenvertretungen melden sich zu Wort. Das Ganze Geschehen ist in seiner Tiefe kaum zu erfassen. Es macht irgendwie sprachlos und verwirrt, wenn man sich darauf wirklich einlässt.
Diejenigen, die direkt von diesen widersprüchlichen Interessen, die hier aufeinander stoßen, betroffen sind, spüren, wie komplex und tief die Herausforderung ist. Sie suchen konkrete Lösungen. Und die Öffentlichkeit nimmt sie wieder nicht wahr: die Erzieher*innen. Wer am wenigsten Raum in der öffentlichen Diskussion findet, und wem am meisten zugemutet wird sind die Erzieher*innnen.
Schauen wir unter die organisatorischen Fragen und Hygienekonzepte so wird hier in letzter Konsequenz sichtbar: Leben und Sterben sind letztendlich nicht planbar, die Grenzen der“Verfügbarkeit menschlichen Lebens“ müssen akzeptiert werden. Leben und Sterben sind nicht standardisierbar. (Gott sei Dank)
Leben braucht Berührung, Körperkontakt, Mimik um sich entwickeln zu können. Im öffentlichen Leben verzichten wir aber gerade weitgehend darauf, um besonders ältere Menschen und uns selbst zu schützen. Und dies ist notwendig und wichtig, um Leben zu schützen. Dieses Verhalten üben wir seit 2,5 Monaten ein, da es alles andere als selbstverständlich ist.
Nun kommen wir an den Punkt, dass unterschiedliche Schutzbedürfnisse des Lebens aufeinandertreffen. Letztendlich ist die Wertung und Abwägung dieser unterschiedlichen Schutzbedürfnisse nicht entscheidbar und nicht über allgemeine Regelungen zu klären und trotzdem bedarf es eines Rahmens dafür. Schützen und fördern der sozialen Entwicklung von Kindern durch körperliche Nähe und offene Entwicklungsräume und schützen des physischen Lebens von Kindern und Erwachsenen. Das geht beides angesichts Corona nicht gleichzeitig zusammen. In der Kita und Krippe wird diese Unvereinbarkeit deutlich. Erzieher*innen werden auf jedem Fall dem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt (und wer will die Verantwortung für diese Entscheidung letztendlich auf sich nehmen? Da wird sie dann doch lieber vor Ort verlagert). Bei Kindern ist die Infektionsgefahr nach der Forschung der Virologen noch unklar. Die Forschungsergebnisse widersprechen sich. Auch für Eltern eine hohe Verantwortung bei ihrer Entscheidung. Welches Leben braucht welchen Schutz?
Da will Ramelow die Corona Regelungen lockern und vermehrt Eigenverantwortung fördern und ein Sturm der Entrüstung entfaltet sich und gleichzeitig wird in dem großen Bereich der Kitas und Krippen genau die strenge Regelung der Maskenpflicht und der Abstandswahrung aufgehoben. Für Erzieher*innen gibt es zwei sich widersprechende Welten: die Welt in der Kitagruppe, ohne Schutzmaske und Sicherheitsabstand. Hier begegnen sich auf jeden Fall mehr als „zwei Haushalten“, und die Welt außerhalb der Kitagruppe mit genau widersprechenden Regelungen, wo das Nichteinhalten zum Teil hohe Geldstrafen nach sich ziehen kann. Ist das noch nachvollziehbar? Und warum empört sich keiner darüber?
Hier müssen Eltern, und Erzieher*innen in hoher Eigenverantwortung entscheiden, was gerade für sie möglich ist. Wie bringen sie Förderung des menschlichen Lebens der Kinder und ihr Risiko sich zu infizieren und eventuell auch mit dem Sterben konfrontiert zu sein, in Einklang. Es gibt keine allgemeingültigen rationalen Kriterien für diese Entscheidungen. Und die Arbeit ist auch nicht mehr organisierbar mit den herkömmlichen Mitteln.
Auch hier wird die Polarisierung in der Gesellschaft deutlich, die einen verlangen Regelungen und Schutz von den Regierungen und Verantwortlichen, die anderen schauen kreativ nach neuen Lösungen und leben mit den Unsicherheiten. Wie viele „Coronafamilien“ haben sich gefunden, wie viele Kitas haben in Formen hoher Selbstverantwortung und Selbstorganisation bereits Konzepte zur Öffnung erarbeitet und wie viele neue Formen von Kooperation mit den Eltern sind zur Lösungsfindung entstanden?
Lasst uns darüber sprechen. Und lasst uns darüber sprechen, was auch hier den Erzieher*innen zugemutet wird. Welche Arbeit sie leisten, ohne die Schutzmaßnahmen, die für andere zwingend gelten. Und nicht zuletzt, wie sich gerade auch ihre Arbeitsinhalte verändern, und das mit den Werten kollidiert, für die sie eintreten.
Wo bleibt hier die Wertschätzung?
Corona-Fälle: Bremen an 5 Schulen, Magdeburg an 6 Schulen, Schleswig an 4 Schulen, Dortmund an 6 Schulen, Berlin usw., jetzt auch in Hessen: Kassel, Frankfurt. Da es sich ja jeweils nur um Lokales handelt, muß man schon ganz schön recherchieren, um das Ausmaß der gerade beginnenden Schulöffnungen zu erahnen. Und nach diesem holprigen Startversuch nach den Ferien gar „Regelunterricht“?
„Die Politik muß zulassen, daß wir mehr Kinder betreuen können, selbst wenn das mit einem höheren Risiko verbunden ist“. Also 2. Welle in Kauf nehmen? Warum dank Corona dem Leistungsfetischismus nicht mal für ein halbes Jahr entsagen, das Schuljahr auf 1 1/2 Jahre ausdehnen und in dieser Zeit haltbare Ideen, Konzepte entwickeln und
umsetzen für ein risikoärmeres Lernen und Unterrichten?
Als Lehrerin habe ich mit Interesse Ihren Bericht über den Besuch des „Kultusminister(s) Alexander Lorz an der Anne-Frank-Schule in Frankfurt“ vom 19.6.20 gelesen. Ich teile die Kritik der Kolleginnen, dass die Regelung, dass keiner der Schüler*innen wiederholen müsse, zu früh verkündet wurde. Aber meine Kritik geht noch weiter, denn die Lehrer*innen wurden hingegen und wiederum zu spät informiert. Zu der Tatsache, dass Schüler*innen nicht „sitzenbleiben“ können, kam nämlich das Verbot für Lehrer*innen, Ergebnisse des Homeschoolings zu bewerten. Während also die Schüler*innen es als „Freibrief“ verstehen konnten, nichts zu tun, bemühten sich umgekehrt die Kolleg*innen, sofort nach der Aussetzung des Unterrichts, darum, den Unterrichtsstoff auf Distanz fortzuführen. Als es aber einige Wochen später hieß, die Ergebnisse dieser Bemühungen dürften nicht bewertet werden, empfanden es viele als Entwertung eben dieser Bemühungen. Hätte man früher gewusst, dass bspw. die Fortführung der Lernplan-Aufgaben im Homeschooling nicht zählen, hätte man gleich eine Bewertung der bis dahin geleisteten Arbeit der Schüler*innen vornehmen und von den nachfolgenden Aufgaben im Distanzunterricht formal abkoppeln können. Stattdessen entstand im Kollegium eine große Verunsicherung darüber, was nun bewertet werden dürfe und was nicht. Ein pfleglicher Umgang durch das HKM mit der Zeit und Kraft, also den Ressourcen der Lehrkräfte für die Konzipierung und Korrektur bestimmter Lernangebote wurde hier schmerzlich vermisst.
Das Kultusministerium berief sich bei besagter Regelung zwar auf das Hessische Schulgesetz, aber das hatten die Politiker*innen (und auch wir Lehrkräfte) zunächst offenbar gar nicht präsent. Erst die hessischen Elternverbände brachten das Gesetz ins Spiel und leiteten im Namen der Chancengleichheit die Forderungen ab. So berechtigt diese Forderungen auch sind, so klar verdeutlichen sie auch, den generellen Missstand des deutschen Bildungssystems. Bildung war und ist – auch 20 Jahre nach PISA – von der sozialen Herkunft abhängig. Corona hat diese Ungleichheit nur verschärft und so mal wieder öffentlich bewusst gemacht.
Insofern muss die Einführung dieser Regelung durch das HKM als Zugeständnis an die Elternverbände gewertet werden, letztendlich um sie in dieser Krise ruhigzustellen. Aber statt diese Krise für eine Revision der Politik im Sinne der Bildung vorzunehmen, wird aktuell nur der Mangel verwaltet.
Das finden wir auch in Ihrem Bericht bestätigt. Auf die Frage eines Schülers, ob die kleinen Gruppen im Präsenzunterricht auch nach den Sommerferien bleiben können, antwortet Lorz sinngemäß, dass es an räumlichen und personellen Kapazitäten fehle, um sie zu erhalten. Dabei zeigt der derzeitige Unterricht in diesen kleinen Gruppen, dass hier der Schlüssel für Chancengleichheit liegt. Unsichere oder benachteiligte Schüler*innen geraten nun nicht nur mehr in den Blick der Lehrkraft, die Schüler*innen selbst zeigen sich zunehmend und fragen nach. Davon können sie nur profitieren.
Die Coronamaßnahme des HKM sieht aber nicht nur vor, dass Schüler*innen nicht wiederholen müssen, sondern auch, dass Eltern die freiwillige Wiederholung erleichtert beantragen und ihre Kinder dadurch eher wiederholen können. Eine Maßnahme, die insbesondere Förderschüler*innen zugute kommen könnte. Voraussetzung ist allerdings, dass besagte räumliche und personelle Kapazitäten erweitert würden. Das Gegenteil ist der Fall. Letzte Woche haben wir an meiner Schule erfahren, dass 30 Förderlehrerstunden im nächsten Jahr wahrscheinlich unbesetzt bleiben werden. Wenn der Status quo schon unzureichend ist, zeichnet sich aber ab, dass selbst dieser sich noch weiter verschlechtert. Gleichzeitig machen Eltern von Förderschüler*innen von dem Recht Gebrauch, die freiwillige Wiederholung der Klasse zu beantragen. Ihnen wurde und wird mit diesen Maßnahmen suggeriert, dass man die Lücke, die durch die Aussetzung des Unterrichts gerissen wurde, wieder schließen kann. Das ist aber offensichtlich nur eine Farce, denn scheinbar werden Möglichkeiten geboten, tatsächlich werden aber keine Mittel dafür bereitgestellt. Das Kultusministerium entschiedet letztendlich nach welchem Schlüssel, Lehrerstunden, egal ob Regel- oder Förderlehrkraft, auf Schulen verteilt werden.
Die gleiche Farce zeigt sich auch in der erklärten Absicht, die Schulen zu digitalisieren. Die jüngste Hau-Ruck-Aktion des Ministers, allen Schulen Laptops für bedürftige Schüler*innen bereitzustellen, entpuppt sich als ebensolche. Die Laptops müssen erstens aufwändig aufbereitet werden, um sie benutzbar zu machen, allerdings sind sie dann nur in der Schule internetkompatibel. Zuhause funktionieren die Laptops bestenfalls als Schreibmaschine. Abgesehen davon, dass ein Laptop, selbst als Schreibmaschine kaum etwas nützt, wenn nicht auch ein Drucker bereitgestellt wird. Die Befragung unserer Schüler*innen in der aktuellen Krise zeigt aber, dass genau der Drucker in vielen Haushalten fehlt. Darüber hinaus sollen diese Laptops nur verliehen werden, was eine zusätzlich Bürokratie produziert. Diese Mehrarbeit, die hier entsteht, stiehlt der dringenden pädagogischen Arbeit, ob präsent in der Schule oder auf Distanz, die der tatsächlichen Schaffung von Chancengleichheit dienen könnte, wieder die Zeit und die Kraft, sprich die Ressourcen der Lehrkräfte.
Corona könnte eine Chance für ein Umdenken sein, dem ein echter Dialog vorausgeht. Der hessische Kultusminister Lorz hat mit seiner bisherigen Corona-Politik allerdings unsere Arbeit leider vor allem abgewertet, die Eltern in die Irre geführt und das Prinzip der gebotenen Chancengleichheit verhöhnt. Da kann er noch so viele Schulen besuchen und sich damit brüsten.
Mit „glimpflich“, „keine erkennbare Häufung“, „keine erhöhte Rate von erkrankten Lehrkräften“ meint Herr v. Bebenburg bislang 56 LehrerInnen plus deren Angehörige ihres Umfelds – wie (alte) Eltern, PartnerInnen Kinder, NachbarInnenn usw.
Es ist klar, dass das damit verbundene Leid – die Verlustängste, Sorgen, Schmerzen und Todesfälle – mehr werden, sobald der sporadische Corona-Präsenzunterricht dem Regelunterricht weichen wird: ohne Maske, ohne Abstand, vermutlich dann auch wieder ohne Seife in dreckigen WCs, in überfüllten Klassenräumen.
Ich als Lehrerin fühle mich jetzt schon wie ein schutzloses Vieh, das Mitte August zur Schlachtbank geführt wird.
Glimpflich davon kommen werden bestenfalls die Schulleitungen: Sie verschanzen sich schon seit Wochen in ihrem Verwaltungsbunker, haben mit generell 0-4 Wochenstunden keine direkten SchülerInnenkontakte (Keine Vertretungen, keine Aufsichten usw.)
Unter Fürsorgepflicht verstehe ich etwas anderes!
Leserin Heidi Nowak bestätigt ein weit verbreitetes (Vor-)Urteil gegenüber Lehrerinnen und Lehrern: Sie spricht von Fürsorgepflicht und denkt dabei vor allem an sich selbst. Sie fordert von den Schulleitungen, sie vor den Gefahren von Corona zu schützen, verliert aber kein Wort über ihre Fürsorgepflicht gegenüber ihren Schülerinnen und Schülern. Trotz seit Monaten sinkender und derzeit extrem niedriger Infektionszahlen hält Frau Nowak die Rückkehr zu einem Regelunterricht offenbar für unzumutbar. Peinlich ist in diesem Zusammenhang, dass sie zur Beschreibung ihres Arbeitsplatzes von einer „Schlachtbank“ spricht. Vielleicht sollte Frau Nowak sich mal mit einem der unterbezahlten Leiharbeiter in der Fleischfabrik von Herrn Tönnies unterhalten. Der könnte ihr erklären, was es heißt, in Zeiten von Corona an einer Schlachtbank zu arbeiten. Und Frau Nowak könnte noch einmal überlegen, ob ihre Klage wirklich angemessen ist.