Es ist immer gut, wenn Konflikt- und Kriegsparteien miteinander reden. Daher ist der Berliner Libyen-Gipfel ein Erfolg – allein deswegen schon, weil alle relevanten Konfliktparteien zusammenkamen, obwohl sie unterschiedlichste Interessen im Bürgerkriegsland Libyen vertreten. Russland und Frankreich beispielsweise unterstützen General Haftar, dessen Milizen große Teile des Landes kontrollieren, während die Türkei und Italien die international anerkannte Regierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch zu stärken versuchen. Al-Sarradsch wird oft als gemäßigter Islamist bezeichnet. Richtig ist, dass seine „Einheitsregierung“, die den Bürgerkrieg seit ihrer Einsetzung im Jahr 2016 zu beenden versucht, auf Vermittlung der Vereinten Nationen eine Islamistenregierung abgelöst hat; diese hatte aufgegeben. Neben ihr hatte es bis dahin eine international anerkannte Regierung in Tobruk gegeben, die 2016 größtenteils der neuen Einheitsregierung zustimmte. Als größter Erfolg von Al-Sarradsch gilt die Befreiung der Stadt Sirte vom Islamischen Staat im Jahr 2016. Auch sein Gegenspieler General Chalifa Haftar, ein früherer General Gaddafis, der mit der CIA und später mit Russland zusammenarbeitete, bekämpfte Islamisten und besiegte unter anderem die islamistische Miliz Ansar al-Sharia. Gleich zu Beginn der Libyen-Konferenz in Berlin bekundete Al-Sarradsch seine Zweifel an „den Absichten, der Ernsthaftigkeit und dem Engagement der anderen Seite“.
Eine verfahrene Situation. Alles begann mit dem libyschen Bürgerkrieg und der Errichtung einer Flugverbotszone über libyschem Territorium auf Grundlage der UN-Resolution 1973. Entgegen landläufiger Meinung war dies zunächst keine Nato-Operation, auch wenn Nato-Staaten beteiligt waren – die Nato-Strukturen waren dies nicht, da die Türkei und Deutschland nicht mitmachen wollten. Lediglich die Operation „Unified Protector“ zur Durchsetzung des Waffenembargos war eine Nato-Operation. Die Nato übernahm das Kommando erst am 31. März 2011, die Kampfhandlungen gingen weiter. Machthaber Muammar al-Gaddafi wurde am 20. Oktober unter unbekannten Umständen getötet. Doch wer geglaubt hatte, dass man nur den ungeliebten Diktator aus dem Weg räumen musste, um Libyen zur Freiheit zu verhelfen, musste im Nachhinein erkennen, dass er das Land nicht kannte und verstand. Die Wurzeln von Gaddafis Erfolg hatten in seinem Talent gelegen, die Interessen der Stämme und Clans auszutarieren, die das Rückgrat der libyschen Gesellschaft bildeten. Mit dem Tod des Diktators fiel das Element weg, das diese Gesellschaft halbwegs zusammenhielt. Sie wurde pulverisiert und zerfiel in ihre Stämme und Clans. Der folgende Bürgerkrieg war daher extrem undurchsichtig. Er wurde schließlich zum Stellvertreterkrieg, den ausländische Mächte auf libyschem Boden austragen.
Es zeigte sich nach 2011, dass weder die Unterstützer der Flugverbotszone, also vor allem die USA, Frankreich und Großbritannien, noch die Vereinten Nationen ein Konzept für die Zeit nach Gaddafi hatten, das dieser komplexen Struktur des Landes hätte gerecht werden können. Libyen wurde zum gescheiterten Staat direkt vor den Toren Europas. Das ist etwas, was die Europäische Union niemals hätte zulassen dürfen, doch sie tat sich bekanntlich schon damals schwer damit, eine einheitliche Linie zu finden. In den folgenden Jahren hielt sie sich daher lieber aus allem raus, was Libyen anging. Die Quittung für diese Vogel-Strauß-Politik blieb jedoch nicht aus: Libyen wurde zum Ausfalltor für hunderttausende afrikanische Flüchtlinge und Migranten, die mit Hilfe von Schleppern und hochseeuntauglichen Booten über das Mittelmeer nach Italien, Spanien und Malta zu kommen versuchten. Es gibt keine staatlichen Strukturen, mit deren Hilfe sie aufgehalten werden könnten. Das ist nicht zuletzt das Ergebnis einer untauglichen Militärpolitik.
Deutschland hat sich aus dem damaligen Militäreinsatz größtenteils rausgehalten. Es ist daher kein Wunder, dass die Bundesrepublik jetzt beim Libyen-Gipfel als glaubwürdiger Vermittler auftreten konnte. Sie hat allerdings auch das allergrößte Interesse daran, das libysche Desaster zu beenden, denn der Flüchtlingsdruck wird zum Mühlstein um den Hals der EU. Wie groß das reale Interesse der anderen Beteiligten an Frieden und Aufbau staatlicher Strukturen in Libyen ist, das wird sich jedoch erst noch zeigen müssen. In Berlin haben alle beteiligten Staaten sich auf eine Vereinbarung zur Waffenruhe und zur Einhaltung des Waffenembargos geeinigt. Der Weg zum Frieden ist indes weit. Ob das Projekt gelingt, hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem davon, ob sich die Waffenruhe zu einem Waffenstillstand wird ausbauen lassen.
Und jetzt diskutiert die Berliner Politik und die EU wieder darüber, ob sie bereit sind, den Frieden eventuell auch mit militärischen Mitteln zu verteidigen. Soll heißen: Truppen nach Libyen. Mit UN-Mandat, also als Blauhelme. Der UN-Sondergesandte für das Bürgerkriegsland, Ghassan Salamé, hält das jedoch für keine gute Idee. Es gebe in Libyen keine Akzeptanz für ausländische Truppen, sagte er in einem Interview mit der „Welt“. Wenn man bedenkt, wie ausländische Truppen den Libyern 2011 Chaos gebracht haben, versteht man ihn wohl ganz richtig. Er glaubt, dass es nur einer kleinen Mission bedürfe, die mit Militärbeobachtern im Land auskomme und die ansonsten, unbemerkt von den Libyern, in der Durchsetzung des Waffenembargos zur See, aus der Luft und an den Landesgrenzen setzt. Dann könne es zu dem dringend benötigten Waffenstillstand kommen, und dann käme die Zeit für Gespräche. Mal sehen, ob die Mächte, die auf libyschem Territorium ihren Stellvertreterkrieg führen – allen voran Russland und die Türkei -, bereit sein werden, sich tatsächlich hinter dieses Ziel zu stellen. Vielleicht erleben wir dann, was FR-Kommentatorin Marina Kormbaki in ihrem Leitartikel schrieb: „Nicht Waffen, sondern Worte können Frieden schaffen„.
Die Libyen-Konferenz ist eine ehrenwerte Aktion
Bei allen rückblickenden Problemen im Nahen Osten muss man als deutscher Staatsbürger auch einmal Lobenswert erwähnen, dass die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel und der Bundesaußenminister Heiko Maas die Initiative ergriffen haben diese Libyien-Konferenz in Berlin einzuberufen. Und das, auch wenn das Engegament nun leider, der sehr verehrten Frau Bundeskanzlerin, hier erst auf den „letzten Metern“ Ihrer Amtszeit geschieht.
Und es ist sehr lobenswert, dass sie in Berlin alle Hauptakteure des dortigen Bürgerkrieges empfangen konnte. Diese Libyien-Konferenz in Berlin mit den ersten Schritten, eine Waffenruhe und ein Waffenembargo zu erzielen, ist doch in der Tat bei allen nun unterschiedlichen Diskussionen und Meinungen eine ehrenwerte Handlung. Ob die erzielten zunächst Absichtserklärungen aller Beteiligten nun in die Tat umgesetzt werden, ist sicher auch davon abhängig, wie unnachgiebig sich die Bundesregierung, aber auch ganz wesentlich die Europäische Union engagiert.
Denn unabhängig vom Bürgerkrieg ist es eine Schande, wie Menschen behandelt werden unter den unwürdigsten Zuständen in den Lagern. Menschen, die aus ihren Ländern in Afrika fliehen bis an die Mittelmeergrenze nach Libyen, um dort eine Flucht über das Mittelmeer nach Europa zu suchen. Egal welcher Motive!
Hier fragen sich viele deutsche Staatsbürger fragen: Warum gibt es ein „vereintes Europa“, von dem ausgehend bisher so wenig getan wurde, um diesem Drama mit ein Ende zu setzen? Es ist eine Schande für dieses Europa. Man kann auch die an das Mittelmeer grenzenden EU-Staaten verstehen, wenn sie seit Jahren die alleinige Last (siehe Lampedusa) haben, die in Not geratenen Menschen aufzunehmen, die sich aus Verzweifelung in die Boote setzen.
Die Europäische Union hat diesem Treiben lange untätig zugesehen. Statt klar erkennbare Hilfsmaßnahmen aufzugreifen, wurden Geflüchtete wieder zurück in die Lager nach Libyen zu transportiert. Ein Schande sondersgleichen. Im Rahmen der Menschenwürde ist das nicht zu verantworten.
Natürlich sind damit die Fluchtbewegungen und Motive der Menschen zur Flucht nicht gelöst. Das kann Deutschland nicht alleine lösen. Hier sind alle Staaten gefordert, auch wären die Vereinigten Staaten von Amerika, statt immer weitere „Brandherde“ im Nahen Osten anzurichten, gefordert, sich zu engagieren.
Denn aus rückblickender Sicht muss man große Fragezeichen setzen, bei allem Mitengagement des früheren Präsidenten der USA, Georg Bush, für eine deutsche Wiedervereinigung, ob es richtig und sinnvoll war, die Kriege im Nahen Osten gegen den Irak zu beginnen und danach auch in Libyien gegen Muammar Gaddafi durch Georg W. Bush. Denn beide umstrittenen Machthaber haben ihre Länder im Griff gehabt, bei allen internen Unwegsamkeiten. Danach sind die Länder ins Chaos abgeglitten, und es haben sich Terrororganisationen gebildet mit Hass und Wut, wie sich 2001 mit „nine eleven“ gezeigt hat und den Folgen und Entwicklungen bis heute.
Rudolf Knapp, Erftstadt
Militär kostet und zerstört Leben
Wenn sich Deutschland an einer Militäraktion in Libyen beteiligt, zeigt das nur, dass die Militärs lernresistent sind. Was muss denn noch alles zwischen Afghanistan und Mali schiefgehen, bis die Bundesregierung kapiert, dass man die Verhältnisse dort zumal mit europäischen Streitkräften militärisch nicht lösen kann? Reichen die bisherigen Misserfolgserfahrungen mit solchen Versuchen immer noch nicht aus? Man kann Terror nur überwinden, wenn die Menschen aufgrund von Jobs, Landwirtschaft und Versorgung eine Perspektive bekommen. Militär kostet und zerstört Leben und Lebensperspektiven.
Der damalige Außenminister Westerwelle hatte sich aus gutem Grund dem Krieg der USA, Frankreichs und Groß Britannien nicht angeschlossen. Er begründete damals (2011): Ich “ möchte nicht, dass Deutschland Teil eines Krieges in Libyen wird, eines dauerhaften Bürgerkrieges in Libyen wird. …Wir „müssen klug handeln, auch bedacht handeln. … Ich will mich an einem militärischen Einsatz deutscher Soldaten in Libyen nicht beteiligen…. Es gibt eine Verantwortung der Staaten der arabischen Region, es sind lauter Nachbarländer da, die Arabische Liga muss auch die eigene Verantwortung wahrnehmen, und ich möchte nicht, dass Deutschland Teil eines Krieges in Libyen wird, eines dauerhaften Bürgerkrieges in Libyen wird.“ (Tagesspiegel, 15.12.2017)
Im Deutschlandfunk-Interview am 17.März 2011 führte er zusätzlich aus: „Und im Übrigen muss ich auch die Folgen bedenken für die gesamte Friedens- und Freiheitsbewegung im Norden Afrikas. Das heißt, ich möchte auch nicht, dass dann diese Bewegungen umkippen und aus einer Demokratiebewegung, die wir stärken wollen, anschließend eine geschwächte Demokratiebewegung von Marokko bis Ägypten übrig bleibt.“
Es ist zynisch, wie die EU-Staaten sich der Flüchtlinge erwehren, die in Libyen in der Falle sitzen, wohl will man aber das Öl von dort – und das möglichst günstig. Wer die Strategen verstehen will, der folge dem Geld.