In Wächtersbach mitten in der hessischen Provinz wurde vor einigen Tagen ein Mensch eritreischer Herkunft niedergeschossen und schwer verletzt. Der Attentäter, der offenbar einen rechtsextremen Hintergrund hatte, erschoss sich anschließend selbst. Er war Mitglied im örtlichen Schützenverein, der Waffenbesitz war legal. Der Mann war durch ausländerfeindliche Sprüche aufgefallen, doch anscheinend hat niemand ernsthaft angenommen, dass er dem Taten folgen lassen könnte. FR-Redakteur Oliver Teutsch war vor Ort und hat sich unter anderem in der Stammkneipe des mutmaßlichen Täters umgesehen.
Etwas geschieht in diesem Land. Die Rechtsextremen werden immer „mutiger“. Hemmschwellen scheinen wegzufallen. Nachdem Salonrechte fremdenfeindliches Vokabular bis in die bürgerliche Mitte hinein spruchreif gemacht und den Boden bereitet haben, folgen nun die Taten. Es ist allerdings nicht so, dass es bisher noch nie Gewalt gegen Menschen ausländischer Herkunft, insbesondere gegen Flüchtlinge und Migranten, gegeben hätte. Mehrfach brannten beispielsweise Flüchtlingsheime. Doch die mutmaßlichen Täter waren schwer zu identifizieren. Das ist in Fällen wie dem von Wächtersbach oder auch dem Mord auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke anders; hier scheint die Täterschaft auf der Hand zu liegen. Es erscheint schwer vorstellbar, dass diese Männer ohne Ermutigung aus dem Hintergrund gehandelt haben. Sie müssen nicht unbedingt explizit als Teil eines Netzwerks agiert haben, aber vorstellbar wären zum Beispiel Chatgruppen, in denen solche Männer sich die Bestätigung holen könnten, sie seien im Sinne dieser Gruppe auf dem „richtigen Weg“. Diese Strukturen im Hintergrund gilt es nun auszuforschen. Darüber hinaus ist es einfach nur richtig, was FR-Landtagskorrespondent Pitt von Bebenburg schrieb: Wächtersbach zeigt: Deutschland muss seine Werte gegen Neonazis verteidigen. Schutz und Rückhalt brauchen alle – nicht nur Politiker. Daher: Stoppt die Rassisten und den rechten Terror!
Der rechte Wahnsinn findet im Netz statt
Im beschaulichen Wächtersbach schießt ein Mitglied des ortansässigen Schützenvereins einen Eritreer nieder und danach sich selbst. In der Dorfkneipe hatte er zuvor darüber gesprochen. Irgendwie hat das aber keinen so richtig nervös gemacht.
Wieder so ein Einzelfall. Wieder ein Rechter -bis an die Zähne bewaffnet- dem irgendwie die Gäule durchgegangen sind. Neben Reichsbürgern und anderen Paranoikern gibt es immer mehr, die ernst machen und die, die ihnen nicht passen, nieder schießen. Geflüchtete oder Lokalpolitiker, Linke oder wer auch immer, alle stehen auf der Liste.
Wie kommt das zustande? Was treibt solche Spinner um?
Ein Blick in rechte Online-Blasen offenbart ein Universum von Trollen, Bots und Realpersonen, die mit alternativen Fakten prahlen und Entrüstungsnebel versprühen, bis keiner mehr durchblickt. Es wird viel gefühlt und wenig nachgedacht, dafür laufend gelikt und retweetet. Wer sich lange genug von Google und Facebook auf die immer gleichen hasserfüllten Inhalte weiterleiten lässt, findet sich irgendwann in Migrations-Zombie-Apokalypsen wieder, die uns angeblich die „Jüdische Weltverschwörung“ eingebrockt hat. Und weit und breit keiner, der sich vom Keim der Vernunft infizieren lassen will.
Der rechte Wahnsinn findet nicht auf der Straße statt, sondern im Netz. Die Wirkung ist erheblich. Der Zugang zu Waffen auch.
Polizei und Verfassungsschutz wären da schon seit längerem gefordert. Aber die haben so ihre eigenen inneren Probleme.
Und wir? Hören wir ausreichend hin, wenn einer durchdreht? Widersprechen wir mit Nachdruck, wenn der Hass jodelt?
Gut wäre das schon. Ohne Rückmeldung durch real existierende Menschen (Kollegen, Kneipenbekannte, Familie, Nachbarn) gibt es kein Korrektiv zum Wahnsinn in den rechten Netzwerken. Dann heißt es am Ende nur: „It needs a good guy with a gun to kill a bad guy with a gun!“
Not my choice.
Susanne Alpers, Frankfurt
Bei rechter Gewalt wirkt der Staat sonderbar untätig
Wieder ein feiger, rassistischer Angriff auf das Leben eines Menschen. Und wieder die bekannten Reaktionen: Betroffenheit; Nein, „so etwas darf es nicht geben“-Stellungnahmen und der Ruf nach der Zivilgesellschaft… alles wie gehabt, bis zum nächsten Mal. So richtig der Ruf nach der Zivilgesellschaft ist, so richtig wäre aber auch eine handfeste Reaktion des Staates, der Ermittlungsbehörden und der Justiz, denn – um es in Anlehnung an B. Brecht zu sagen: „Es macht uns ein Geschwätz nicht wieder lebendig.“
Ich erinnere mich, wie es war, als vor gut 40 Jahren eine Gruppe mordend durch die Republik zogen: die RAF. Nach jedem Attentat, nach jeder Ankündigung fanden hunderte von Hausdurchsuchungen statt. Gerne bei Menschen, die zwar politisch aktiv waren, aber nichts mit der RAF zu tun hatten. Da wurden Druckgeräte (damals seltener und teurer) beschlagnahmt, zerstört, nicht wieder herausgegeben. Da wurden Adresskarteien eingesammelt, schon gedruckte Flugblätter zu ganz anderen Themen mitgenommen und so deutlich gemacht: Wir – der Staat – haben euch im Visier. Da gab es eine Liste mit 3000 Namen, die irgendwie wohl in einem Zusammenhang mit der RAF standen – und es war nicht lustig, auf dieser Liste zu stehen. Anmerkung: Sie wurde bekannt, als sich 2 Mitglieder der Jungen Union beschwerten: sie waren zufällig mal im selben Abteil wie ein beschattetes RAF-Mitglied. All dies führte dazu, dass sich die Linke mit Gewalt auseinandersetzen musste, Es führte dazu, dass die Attitüde der „Gewalt ist berechtigt“ ziemlich schnell auflöste und das selbst die SPD kaum eine Stellungnahme mehr abgeben konnte, ohne sich im Vorfeld zu distanzieren. Dies geschah unter dem klaren Vorsatz den „Symphatisantensumpf“ trocken zu legen.
Geht es um rechte Gewalt, fehlt eine Reaktion des Staates fast vollständig. Es gab im Main-Kinzig-Kreis ein Netzwerk, das den damaligen Landrat mit Morddrohungen überzog. Es gibt in Büdingen die Hochburg der NPD und eine Plakatierungsdichte rechter, hässlicher Parolen, die fast an Gehirn-wäsche heranreichte. Was bitte hält den Staat heute davon ab, nach jedem Anschlag bekannte Rechtsradikale zu durchsuchen. Man könnte so herausbekommen, wer mit wem kommuniziert, wer welche verbotene Hassmusik besitzt und verbreitet, wer unter welchem Namen Hassposts absetzt und es würde in dieser Szene deutlich, dass handeln und aufhetzen Konsequenzen hat. Und nochmal deutlich: Hass ist keine Meinung. Er ist nicht durch das Grundgesetz geschützt.
Der Staat bleibt untätig. Und da zwingt sich mir ein schlimmer Verdacht auf: Im direkten Umfeld des NSU gab es über 20 vom Staat zum Teil sehr gut bezahlte V-Leute. Gebracht haben diese Erkenntnisse nichts, aber – und das war auch beim 1. NPD-Verbotsantrag der Fall – die Aussagen dieser V-Leute waren straffrei. Sollte das immer noch so sein, muss auch hier dringendst gegengesteuert werden. Und wo ist die Forderung nach Distanzierungen heute: von der AfD kommt maximal laues Geschwätz dazu, andere Rechte nehmen gar keine Distanzierung vor.
„Die Zivilgesellschaft“ ist da, im Kampf gegen rechts – aber der Staat hat deutlich Nachholbedarf. Und dieses muss eingefordert werden.
Christian Hendrichs
Ein großer brauner Haufen
„Die Mörder sind unter uns.“ So hieß der Titel eines Films von Wolfgang Staudte aus dem Jahr 1946. Erster deutscher Spielfillm nach dem Krieg. Er zeigt, wie Naziverbrecher mitten unter uns lebend eine gutbürgerliche Existenz aufgebaut haben und wieder Karriere machen. Der Fall Roland K. zeigt, wie ein unter uns lebender und ein bisher – angeblich – unbescholtener Mann zum Mörder wird um der Hautfarbe willen, aus Rassismus, Fremdenhass. Einfach so. Nein, nicht einfach so. Was hat ihn angetrieben? Sicher auch die Unachtsamkeit, die Fahrlässigkeit, vielleicht sogar die insgeheime Sympathie der Nachbarn, Bekannten, die „Mitte der Gesellschaft“. Ich erinnere mich, dass der Wirt seiner Stammkneipe im ersten Interview nach der Tat noch abgestritten hat, dass der Täter irgendwie auffällig gewesen sei. Jetzt stellt sich heraus: Er prahlte mit der Ankündigung und dann der Durchführung der Tat. Der Wirt: ein gutes Beispiel für Ignoranz, Vertuschung, Leugnung, schützte den Täter und dessen unachtsame oder sympathisierende Stammtischbrüder, bis Zeugen anderes aussagten. Mörderische Anschläge gegen das Leben, gegen Menschlichkeit, Demokratie und die Verfassung eines Herrn Jedermann wie Roland K., über wichtige politische Persönlichkeiten staatlicher Gewalt wie den früheren Chef des Verfassungsschutzes und seines Ministers bis hin zur staatsstreichähnlichen Frage des Vorsitzenden der rheinland-pfälzischen AfD Uwe Jung „Wann kommt der Aufstand der Generäle?“(Twittereintrag). Womöglich nicht nur im Blick auf die Ernennung von AKK zur Verteidigungsministerin. Herr Jedermann mag zu dem konstant gebliebenen etwa 20% der Bevölkerung gehören, die anfällig für autoritäre bis hin zu nazistischen Regime sind, die gesellschaftlich wirksameren Politiker und Multiplikatoren wie Influencer stammen fast alle aus bürgerlichen Schichten, oft Akademiker. Sie sind die Stichwortgeber für Heimatschutz, Flüchtlingsflut, Leitkultur, Sozialschmarotzer und sogenannte ‚wehrhafte Demokratie‘. Dazu kommen die Abgehängten von Pegida und Co., die Verlierer der Modernisierung, die verunsicherten Mittelständler, die sich intellektuell gerierenden Identitären und offene Neonazis aus den Kameradschaften bis hin zu den bewaffneten Reichsbürgern und Combat- 18- Mitgliedern. Wir sehen, ein großer brauner Haufen! Einflussreicher allerdings jene, die mit ihnen offen oder verdeckt kooperieren. Auch die Medien sind nicht ohne Schuld. Strategisch haben sich in die Medien hinein v.a. die Wortführer der AfD geschlichen, in die Talkshows, Diskussionsforen, Leserzuschriften. Oft mit zunächst harmlos erscheinenden, zustimmungsfähigen Beiträgen z.B. zum Schreibenlernen oder Taubenplage und Grünflächenvermüllung, um dann auszuholen gegen andere, ‚wesensfremde‘ Kulturen, gegen ‚Sozialmissbrauch‘ und Kostenexplosion für Flüchtlingsunterbringung.. Wen wundert es, wenn dann in der Tat Flüchtlingsheime brennen? Mordtaten sind eben Schuldzuweisungen und Hassreden vorausgegangen. Wie wir sehen am Beispiel des Roland K.. Die Schranken fallen!
Wer Hass säät wird Hass ernten. Mittlerweile werden aber die Grenzen des Denkbaren überwunden und Mord und Totschlag als letztes Mittel der Wahl gewählt. Dazu darf es Null Toleranz geben. In unserer Zeit der digitalen Medien werden Tatsachen und Wahrheiten nicht mehr als Einheit wahrgenommen, sondern für die jeweiligen Selbstzwecke instrumentalisiert. Hier ist auch jeder Einzelne gefordert nicht unreflektiert seine „Wahrheit“ herauszupauken, sondern auch auch einfach mal still an seine hoffentlich humanistisch und christliche Erziehung zurück zu denken.
Der Kommentar von P. v. Bebenburg, in der FR am 24.7.2019, zu dem Mordversuch aus rassistischen Motiven in Wächtersbach, unter dem Titel „Aufstand der Zuständigen“, geht schon in die richtige Richtung. Allerdings sollte eine Formulierung deutlich anders lauten: Am 24.7.2019 wurde in der Hessenschau des HR, der Berliner Wissenschaftlicher Prof. Dr. Hajo Funke zu den Vorgängen in Wächtersbach interviewt. Er war als Gutachter beim NSU Untersuchungsausschuss im Wiesbadener Landtag tätig. Bei dem Interview hat er, wie nicht so oft im Hessischen Rundfunk zu hören und zu sehen, die Möglichkeit bekommen, mit Klartext das Versagen der Politik und der Ermittlungsbehörden bei rechtsextremistischem Terror in Hessen, anzuprangern. Nachdem die Moderatorin ihn fragte ob ein „Aufstand der Anständigen“ gefordert werden müsse antwortete Funke sinngemäß, dass in diesem Komplex in Hessen, bei Politik, Justiz, Verfassungsschutz und Polizei endlich „der Anstand der Zuständigen“ beim Kampf gegen rechts geboten sei. Hier seien nach wie vor Defizite unübersehbar.
Zu „Traum vom gewaltsamen Umsturz“
Der Beitrag hat mich so wütend gemacht, dass ich einen Leserbrief dazu verfasst habe. Da wird berichtet, dass der Anführer der Kasseler Neonazibande „Sturm 18“ im Jahr 2015 zu einer „langjährigen Haftstrafe verurteilt“ und „kürzlich“ aus dem Gefängnis entlassen wurde. Weiter erfährt man, dass ein anderes Mitglied derselben Neonazibande im Jahr 2010 versucht hatte, eine Moschee in Korbach in Brand zu stecken. Wegen der „dilettantischen Ausführung des Anschlags“ kam er mit einer Bewährungsstrafe davon.
Es verschlägt einem den Atem, wie Neonazis bei der deutschen Justiz immer wieder billigst davonkommen. Da schrumpft eine „langjährige Haftstrafe“ auf nicht mal vier Jährchen zusammen, und ein Brandanschlag auf eine Moschee erhält „Bewährung wegen dilettantischer Ausführung“! Man glaubt es nicht! Bei Justiz, Verfassungsschutz, Polizei und Bundeswehr finden sich leider allzu viele, die gegenüber rechtsextremistisch motivierten Tätern die Augen verschließen oder sie sogar noch ermutigen. Christchurch und El Paso sind nur geografisch weit weg! Und „NSU“ – was war das nochmal? Ach ja, eine Auto- und Motorradfirma aus längst vergangenen Zeiten.
Die Fragen von Susanne Alpers nach der Motivation des rechten Gewalttäters „im beschaulichen Wächtersbach“ („Wie kommt das zustande? Was treibt solche Spinner um?“) lässt sich beantworten. Der klassische Amokläufer sucht den erweiterten Suizid, weil er sich gesellschaftlich entehrt fühlt und nun seine heldisch verstandene Ehre wieder her zu stellen versucht, indem er todesmutig möglichst viele andere mit in den Tod reißt. In der malaiischen Inselwelt schreit der Amokläufer, wenn er zum Tod bereit durch die Straßen rennt, „Amuk!“ (das heißt „wütend“). Seine diffuse Wut wendet sich insgesamt gegen die Gesellschaft, von der er sich gedemütigt oder beschämt fühlt.
Bei rechten Tätern wie A. Breivik wird die Wut in einem oft längeren Prozess des Hineinsteigerns in den Hass gegen bestimmte Feinde, genauer gesagt: gegen Sündenböcke, focussiert. Tim K. in Winnenden wandte seinen Hass gegen die Schule, in der er sich gemobbt gefühlt hatte. Das nach dem verlorenen Weltkrieg im Versailler Vertrag gedemütigte Deutschland brauchte wieder einmal die Juden als Sündenböcke, die an allem Schuld sein und als Opfer her halten mussten. Nach 1945 wurden nur die Sündenböcke ausgetauscht, jetzt waren die Kommunisten dran. Heute sind es Muslime, aus Not und Verfolgung Geflohene und schon wieder Juden.
Demütigungen, die dann in Gewalt umgesetzt werden, nehmen gewiss im Netz überhand, aber auch unser konkurrenzhaft ausgrenzendes Schulsystem trägt sein Teil zum Wutaufbau bei. Die Münchner Mathematiklehrerin Cerny wurde wegen „Störung des Schulfriedens“ strafversetzt, weil es in ihrer vierten Klasse bei Vergleichsarbeiten keine Noten vier und fünf gab, sondern einen Schnitt von 1,8. Gewiss muss anonyme Hetze, Verleumdung und Beleidigung im Netz künftig strafrechtlich verfolgbar werden, aber ebenso muss dieser unerträgliche strukturell demütigende „Schulfrieden“ überwunden werden, der einübt in eine ebenso ausgrenzende neoliberale Arbeitswelt. Beides ist Nährboden für Hass und und Gewalt, wohl auch in „beschaulichen“ Orten wie Wächtersbach.