Unter dem Hashtag #MeToo haben Frauen weltweit online ihre Erfahrungen mit männlicher sexueller Übergriffigkeit öffentlich gemacht. Auslöser waren Berichte über den Filmproduzenten Harvey Weinstein, der seine machtvolle Position genutzt haben soll, um sich Frauen gefügig zu machen. Weitere Enthüllungen betreffen den Schauspieler Kevin Spacey („House of Cards“), und auch in der britischen Politik weitet sich ein Skandal aus, der ohne den Fall Weinstein vermutlich niemals solche Wellen geschlagen hätte: Verteidigungsminister Michael Fallon musste zurücktreten. Es war bekannt geworden, dass er vor fünfzehn Jahren bei einem Abendessen eine junge Journalistin beharrlich am Knie betatscht hatte. Es soll aber noch andere, bisher noch nicht enthüllte Beschuldigungen gegen ihn geben. Weitere Regierungsmitglieder und auch die britische Premierministerin Theresa May sind unter Druck – May deshalb, weil sie früheren Hinweisen auf solche Übergriffe in ihrer Zeit als Innenministerin nicht nachgegangen sein soll.
#MeToo zeigt also, dass solche Aktionen große Wirkungen entfalten können. Ganze Karrieren bekommen einen Knick, von dem sie sich möglicherweise nicht erholen werden. Frühe Sünden rächen sich spät. Ob die Heftigkeit dieser Reaktionen angemessen ist oder es sich möglicherweise um Überreaktionen handelt, darüber werden wir sicher noch mal diskutieren. Die Aktion belegt vor allem, dass solche Männer in Machtpositionen – und nicht nur die, wie unten folgende Berichte zeigen – keinerlei Bewusstsein dafür haben, was sie ihren Opfern antun. Dieses Bewusstsein muss erzeugt werden, und darum ist es nicht nur sinnvoll, liebe Leserinnen, Userinnen, Frauen, sondern wichtig, dass Sie ebenfalls berichten, wenn Ihnen etwas Derartiges widerfahren ist.
Achtung, ganz wichtig: Dieser Thread ist ausschließlich Frauen vorbehalten und nur für Erfahrungsberichte gedacht. Es geht nicht darum, Männer von der Diskussion auszuschließen, sondern einen geschützten Raum für Frauen zu etablieren. Das Thema kann vertieft von allen im Weinstein-Thread diskutiert werden, den ich dafür wieder nach oben auf die Startseite des FR-Blogs hole. Dort hatte ich vorübergehend eine Männersperre verhängt, die aber hiermit wieder aufgehoben ist.
Und noch ein Punkt: Es geht nicht darum, bestimmte Täter oder Übergriffige zu „outen“, sondern darum, das Problem in seiner Breite fassbar zu machen und zu dokumentieren. Verzichten Sie daher bitte darauf, Namen zu nennen.
Und nun kommen ein paar Auszüge aus der früheren MeToo-Diskussion mit Erfahrungsberichten zusammen mit einigen Leserinnenbriefen, die auch im Print-Leserforum der FR bereits veröffentlicht wurden.
„Stellen Sie sich hinten an!“
„Ich fühlte mich schon verletzt, als einer hinter mir in der Schlange bei der Post stand und mir ins Ohr von hinten raunte, ich hätte schöne Beine. Sie ahnen nicht, wie beleidigend es ist, wenn einer eine zur heimlichen Wichsvorlage macht und das auch noch öffentlich als Kompliment verkauft. Wenn einer eine auf ihr Bild, das sie abgibt, reduziert, statt ihre Person zu sehen. Ein Kompliment wäre es gewesen, wenn er aus der Reihe herausgetreten wäre, sich vor mich hingestellt hätte und mir dasselbe ins Gesicht gesagt hätte. Das ist der kleine feine Unterschied. „Schnauze“ hab ich geantwortet, mich wütend umgedreht und „Los, weg hier, stellen Sie sich hinten an!“
So wie es damals nicht nur Mengele war, der Menschenversuche machte, sondern viele Ärzte, die später wieder in den Krankenhäusern arbeiteten, so ist es auch nicht nur Harvey Weinstein, der allein im Blickpunkt stehen sollte. Ich bin gespannt, wann die Herren aus den deutschen Medien dran sind“
Frederike Frei, Berlin
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„Was hast du denn angehabt?“
„Da war der Mann, der mir am Abend vor meinem schriftlichen Abitur auf dem Nachhauseweg von hinten zwischen die Beine griff, mich festhielt und hinzuwerfen versuchte. Es gelang mir, mich zu befreien und Passanten zu alarmieren. Gefasst wurde der Typ natürlich nicht. Was mich besonders ärgerte, war die Bemerkung unseres Hausarztes, der, als er mir nach diesem Schock ein Beruhigungsmittel verabreichte, gleich fragte: „Was hast du denn angehabt?“
Mit zwanzig bemerkte ich als Zuschauerin eines Festumzugs, wie mir im Gedränge ein Mann von hinten sein erigiertes Glied gegen den Allerwertesten drückte. Ich schämte mich so sehr, dass ich, statt meine Begleiter zu informieren, immer weiter nach vorne auswich, um diesem ekelhaften Übergriff zu entgehen.
Viele Jahre später geriet ich in der Eisenbahn auf ähnliche Weise in Bedrängnis, aber da war ich schon wehrhafter. Ich verpasste dem Typen einen Stoß mit dem Knie und beschwerte mich laut über seine Attacke, worauf er im wahrsten Sinne des Wortes den Schwanz einzog.
Ich gewöhnte mir an, in der Dunkelheit möglichst nicht allein durch einsame Gegenden zu gehen. Irgendwie akzeptierte ich das als natürliches Los der Frau.
Ein anderes Erlebnis allerdings kommt dem, was die vielen Schauspielerinnen mit Harvey Weinstein erlebt haben, erheblich näher: Kurz vor meinem Staatsexamen machte mir mein Professor das eindeutige Angebot, ob ich nicht seine Geliebte werden wolle. Als Gegenleistung stellte er mir eine Assistentinnenstelle und später einen Aufenthalt an einer ausländischen Uni in Aussicht. Da ich ihn für einen blöden alten Knacker hielt, war klar, dass ich dieses Angebot ausschlug, das Problem war nur, dass ich meine Hausarbeit in seinem Fachgebiet schon halb fertig hatte. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als weiterzumachen mit der Angst, er werde sich in der Prüfung mit fiesen Fragen und einer schlechten Note für die Zurückweisung rächen. Zum Glück verhielt er sich im Examen fair.“
Birgitte Ernst, Frankfurt
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„Ständig auf der Hut, wer mir zu nahe kommt“
„Ich selber habe als junge Frau anzügliche Blicke und Bemerkungen – übrigens auch seitens meines eigenen Vaters – erhascht. Sie haben mich jahrelang verunsichert, später mordsmäßige Wut in mir ausgelöst. Zwei mal wurde ich in unangenehmer Weise körperlich bedrängt – seltsamerweise als ich mit meinem Lebensgefährten in der Kneipe war! Naiverweise hatte ich mich in männlicher Begleitung sicher gefühlt und war geradezu schockstarr, dass Männer auch in dieser Situation übergriffig werden. Damit hatte ich nicht gerechnet. Allein war ich ständig auf der Hut, wer mir zu nahe kommen könnte.“
Irmgard Flach via FR-Blog
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Pubertäre und sexistische Sprüche
„Ich selbst wurde mal als 14-Jährige von einem Nachbarn fast vergewaltigt. Allerdings war ich sehr wehrhaft, da ich gerade an einem Selbstverteidigungstraining teilgenommen hatte. Worunter ich allerdings die letzte Jahre zu leiden hatte, waren ekelhafte pubertär-sexistische Sprüche. Ein Freund der Familie findet sich großartig, wenn er von „Eierkraulen, Brustgrabschen, Beuteschema, Schrottfrauen, Pimmel- und Lochgeschichten“ etc. erzählen kann. Er fährt regelmäßig nach Thailand und natürlich sind da alle jungen Frauen wild auf ihn. Ich habe ihm geraten doch mal lieber in die Tiefe zu gehen, d.h. seine Psyche zu erforschen. Ja, das würde er ja gerne tun, aber in Deutschland findet er halt keine passenden Frauen zum „Lochstechen“. Er hält sich überhaupt für den besten Lochstecher der Welt. Obwohl ich inzwischen immer das Weite suche, wenn er kommt, hat er erreicht, dass Sexualität für mich jetzt einen ekelerregenden Beigeschmack hat. Haben andere Frauen auch solche Erfahrungen gemacht?“
Ribannah (anonymisiert, Autorin d. Red. bekannt)
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„Mir könnte heute noch schlecht werden“
„Es war Mitte der 60er Jahre, ich ein Mädchen im Übergang vom Kind zum Teenager. Meine Eltern, meine Schwester und eine Kusine, die bei uns aufwuchs, wohnten in einem Gebäude des sozialen Wohnungsbaus. Bei uns im Stockwerk gegenüber wohnte ein von allen Hausbewohnern als nett und freundlich angesehener Nachbar mit Familie, der aber sein wahres Gesicht zeigte, wenn frau mal in seiner Wohnung war, um auf ihre Mutter zu warten. Dieser Mann steckte mir regelmäßig Zettel mit der Aufschrift 10 DM zu, die ich völlig geschockt und verwirrt versteckte und sofort versuchte, zu entsorgen, ohne dass es jemand mitbekam. Auch lief er ungerührt in einer schlabberigen Unterhose herum und drückte sein Gemächt gegen mich; mir könnte heute noch schlecht werden. Waren meine Eltern sonntags manchmal alleine zum Spaziergang, klingelte er an der Wohnungstür. Die Kinder im Haus lockte er in den Keller, wo er sich vor deren Augen selbstbefriedigte. Seitdem ging jeder Kellergang zwecks Heraufholen von Kartoffeln oder auch Heraus- und Hereinholen meines Fahrrades mit Angst und großer innerer Spannung einher. Ich traute mich damals nicht, mich meiner Mutter mitzuteilen, die so gutgläubig und gutkatholisch aufgewachsen war, dass sie in keinem Menschen etwas Böses vermutete. Lange schon war ich erwachsen und aus dem Haus, als ich eines Tages endlich den Mut fand, ihr diese Begebenheiten mitzuteilen. Sie fiel aus allen Wolken. Wären die Zeiten damals so gewesen, wie sie heute sind, wäre diesem Mann schnell das Handwerk gelegt und mir und vielleicht auch anderen Kindern unserer Hausgemeinschaft ein Trauma erspart worden.“
Irene (anonymisiert, Autorin d. Red. bekannt)
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„Selbstbewusstsein ist ein guter Schutz“
„Was sich bei mir bewährt hat, ist mich stellen. Auch wenn mir, zum Glück kam es nicht häufig zu diesen Situationen, diverse Teile auf Grundeis gingen. Manchmal genügt ein Blick, wie im Fall eines Vorgesetzten, der Hand an meine Kehrseite legte. In bedrohlichen Situationen, ich wurde nachts auf der Straße angegriffen, hilft nur, darauf aufmerksam machen. Ich bin auf die Straße gelaufen und habe einen Autofahrer zum Anhalten gezwungen.
Doch eigentlich glaube ich, dass ein guter Schutz ein gesundes Selbstbewusstsein ist. Ich muss nichts hinnehmen, ich muss nichts aushalten. Was mich leitet ist Respekt vor anderen Lebewesen, nicht der Respekt, den meine Eltern mir beizubringen versucht haben, aufgrund einer Stellung, eines Namens oder eines Besitzes mich dem anderen genehm zu verhalten, sondern einfach der Respekt vor der Menschlichkeit, der Verletzlichkeit des anderen.
Mitgefühl und verstehen wollen sind die anderen Zutaten um selbstbewusst durchs Leben zu kommen.“
Als 17- bzw. 18-jährige, junge Frau hatte ich zwei Sommerferien hintereinander einen Ferienjob in einem Kraftwerk.
Das erste Mal verlief ohne aufregende Vorkommnisse. Das zweite mal zeigte mir ein Kraftwerksangesteller das Kraftwerk, was ich auch sehr nett fand bis zu dem Zeitpunkt, an dem er mich – als wir alleine in einem Flur standen – unvermittelt auf den Mund küsste.
Ich habe mich furchtbar geschämt und konnte bzw. wollte mich niemandem anvertrauen. Ich bin davon überzeugt, dass der „nette“ Mann – im Gegensatz zu mir – diese Situation schon bald vergessen hatte.
Nach vielen anderen, eher harmlosen Situationen, in denen ich zu spüren bekam, dass ein freundliches Auftreten oft mit der Aufforderung zu „mehr“ verwechselt wurde, war es dann einmal wirklich brenzlig:
Ich hatte im Studentenwohnheim einen Mitbewohner, der mich und eine Freundin von mir zu einem Freund von sich einlud. Irgendwie war ab einem Zeitpunkt klar, dass sich die Männer die Bildung von zwei Paaren gedacht hatten. Mein Freundin und ich waren daran aber überhaupt nicht interessiert. Auf einmal zeigte einer der Männer eine Pistole. Ich habe den weiteren Ablauf nicht mehr im Kopf, aber irgendwie sind meine Freundin und ich mit einem Schreck davon gekommen und konnten die Wohnung verlassen.
Jahre später, ich war gerade frisch verheiratet, lud mich der Gastwirt eines äthiopischen Restaurants zu sich nach Hause ein. Als Wirt war er wirklich sehr zuvorkommend und ich dachte: warum nicht?
In seiner Wohnung war dann alle vornehme Zurückhaltung wie weggeblasen. Die Aufforderung zu Sex habe ich (weil ich höflich bzw. nicht vor den Kopf stoßend sein wollte) mit der Begründung abgelehnt, ich sei doch gerade erst frisch verheiratet. Das schien meinen äthiopischen Gastgeber aber nicht zu stören – eher im Gegenteil. Ein frisches: „aber das macht doch nix“ war die Antwort. Zum Glück konnte ich hier einfach gehen, aber ich bekam noch einige Anrufe.
Die letzten beiden diesbezüglich unangenehmen Situationen spielten sich im Öffentlichen ab:
1) einmal griff mir ein hinter mir stehender „Südländer“ auf der vollen Rolltreppe in der Hauptwache unter den Rock. Diesmal habe ich besser pariert: ich drehte mich rum, klebte ihm eine und er verschwand in der Menge.
2) ich saß tagsüber allein in der U-Bahnstation Hauptwache in wartete auf meine U-Bahn. Drei türkische Brüder im Alter von etwa 8, 10 und 14 Jahren kamen dazu. Nach ungefähr einer Minute sagte der älteste, sein jüngster Bruder wolle mich ficken. Ich sagte ihm, er solle seinem kleinen Bruder sagen, er könne von mir eine gelangt kriegen, sonst nichts (meine vorhandene Angst haben sie wohl nicht bemerkt). Irgendwie fanden sie alles ganz komisch um sich dann harmloseren Dingen wie meiner Schuhgröße zu widmen.
Jetzt habe ich wohl das Alter erreicht, wo mir Anzüglichkeiten erspart bleiben.
Im Zusammenhang dessen, was Marianne schreibt, fällt mir ein Erlebnis ein, das ich im Alter von 10 Jahren hatte.
Ich ging während eines Italienurlaubs mit meinen Eltern abends auf der Strandpromenade spazieren, als ein etwa zwölfjähriger Junge, der allein im Wasser schwamm, mit uns Kontakt aufnahm. Er sprach etwas Deutsch und fragte meine Eltern, ob ich nicht zu ihm ins Wasser kommen könne. Da ich unter meinem Kleid einen Badeanzug trug, begab ich mich zu ihm ins Wasser und wir schwammen zusammen in der Nähe der Kaimauer. Dann merkte ich plötzlich, dass der Junge begann, mir gezielt an mein Geschlechtsteil zu greifen. Während des Schwimmens war es nicht einfach, mich seiner zu erwehren und wiederholt seine Hand wegzuschieben. Meine Eltern waren erstaunt, warum ich das Wasser so schnell wieder verliess. Da es dunkel war, konnten sie die Vorgänge unter Wasser nicht wahrnehmen, und aus Scham verschwieg ich ihnen den Grund meiner Flucht.
Wenn ich heute daran zurückdenke, staune ich über die Dreistigkeit eines solchen Jungen, mich vor den Augen meiner Eltern derart zu belästigen. Na ja, früh übt sich, was ein guter Pussygrabber a la Trump werden will!