Das Drama um die Unabhängigkeit Katalaniens ist in die nächste Runde gegangen. Nachdem das katalanische Parlament die Unabhängigkeit der autonomen Region von Spanien beschlossen hatte, löste die Zentralregierung in Madrid das Parlament auf, setzte die Regierung ab und stellte die Region unter Zwangsverwaltung, und setzte Neuwahlen für Mitte Dezember an. Ein beispielloser Vorgang, der aber von der spanischen Verfassung gedeckt ist. Ministerpräsident Rajoy hatte seit Beginn des Konflikts allein auf die juristische Karte gesetzt und Gespräche abgelehnt, die der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont ihm mehrfach angetragen hatte – vermutlich aus rein taktischen Gründenn, denn er wollte die Unabhängigkeit ebenso strikt, die Rajoy sie ablehnte. Es gab also zwischen den beiden Politikern de facto nichts, was sie hätten besprechen können.
Im nächsten Akt ging Puigdemont mit Teilen seiner Regierungsmannschaft ins Exil nach Brüssel. Von dort will er weiter für sein Unabhängigkeitsprojekt werben. Ob er schon erkannt hat, dass er die Unabhängigkeit nicht bekommen wird? Viele Menschen in Katalanonien haben erst in dieser Zuspitzung der Krise gemerkt, dass sie jetzt gegen die Nationalisten auf die Straße gehen müssen, und das haben sie dann auch massenhaft getan: Am vergangenen Sonntag demonstrierten in Barcelona rund 300.000 Menschen – eine beeindruckende Kundgebung gegen die Nationalisten. Jetzt kommt es auf die Neuwahlen an, die von den separatistischen Parteien bereits akzeptiert worden sind, was indirekt dem Eingeständnis gleichkommt, die Sache vergeigt zu haben. Vermutlich hoffen sie darauf, ein demokratisches Votum für ihr Chaosspiel zu bekommen. Doch wenn die Gegner der Separatisten die Chance nutzen, um den Menschen in Katalonien klarzumachen, dass ihre Unabhängigkeit ihr Land aus Europa und damit in eine tiefe Krise stürzen wird, werden diese Menschen vielleicht vernünftig und merken, dass sie nicht beides sein können: Katalanen und Europäer. Denn die Hoffnung auf einen schnellen EU-Beitritt können sie schon jetzt begraben: Das wird Spanien niemals zulassen. Und die Entscheidungen über die Aufnahme neuer Mitgliedsländer der EU muss einstimmig erfolgen.
Ich verlinke hier noch auf einen vorangegangenen Thread zum gleichen Thema in einer früheren Phase des Geschehens, der dann geschlossen wird.
Leserbriefe
Sigrid Weber aus Frankfurt meint:
„König Felipe ist nicht nur dazu da, bella figura zu machen. Er steht über den Parteien. Jetzt ist er gefordert. Er hat die Dinge schon viel zu lange treiben lassen. Sein Vater, Juan Carlos, hat beim versuchten Militärputsch 1981 innerhalb von Stunden per Fernseh-Ansprache das Militär zurück in die Kasernen beordert und sich zur Verfassung des Landes bekannt. Das sollte man von seinem Sohn Felipe auch erwarten können: Dass er zur Einheit des Landes aufruft. Wo ist der König? Jetzt wäre seine Stunde.“
Bernd Bremen aus Aachen:
„Das leider noch lange nicht beendete Drama in Katalonien kann als trauriges Lehrstück betrachtet werden. Es zeigt, wohin es führt, wenn nationalistisches Gift in die Köpfe der Menschen gestreut wird und sich dort ungehindert verbreitet: Zu Wahnvorstellungen (man erleide Repression, erlebe eine Diktatur) und völliger geistiger Verblödung! Dass es soweit gekommen ist, daran trägt allerdings auch die spanische Regierung ein gehöriges Maß an Mitschuld. Hätte sie frühzeitig reagiert, eine beidseitig akzeptable Verhandlungslösung wäre möglich gewesen. Nunmehr steht man vor einem Scherbenhaufen; Ausgang offen. In mehreren Mitgliedstaaten der europäischen Union gibt es ähnliche Bestrebungen. Wer jedoch meint, dem Zusammenwachsen der Welt mit Kleinstaaterei vergangener Jahrhunderte begegnen zu können, spielt mit dem Feuer. Das „Wir“ der Katalanen, der Flandern, der Südtiroler, der Schotten etc. wird immer gegen „die Anderen“ definiert und birgt potenziell den Keim eines (Bürger-) Kriegs. Europa steht einmal mehr auf dem Spiel.“
José Eguiagaray Cano Bohigas aus Brüssel (BE)
„Seit 2015 hat eine nationalistische Parteienkoalition die offen ausschließend, sektiererisch, und respektlos gegenüber der repräsentativen Demokratie handelt, in rechtmässigen Wahlen mit einer Minorität der Stimmen (47,5 Prozent) die Macht erlangt. Sie kontrollierte eine regionale Regierung in Europa. Diese Regierung, in Ausübung einer selektiven Intoleranz, hat in keinem Augenblick versucht, in einbeziehender Weise die reiche Vielfalt der katalanischen Bevölkerung zu beschützen oder aufrechterzuhalten.
Diese Koalition wurde für einen einzigen Zweck zusammengestellt: um die Selbstbestimmung der katalanischen Autonomie zu erzwingen. Sie trachtet danach gegen Wind und Wetter, mit einem neuartigen Duktus. Hier ist die Innovation, die jeden mit Schaudern erfüllen sollte: Es ist ein Prozess, der im willigen Verstoß gegen die katalanische, spanische, europäische und internationale Gesetzmäßigkeit vorangetrieben wurde.
Zum ersten Mal seit 1945 laufen wir alle in Europa Gefahr zu sehen, wie sich das nationalistische und fremdenfeindliche Sektenwesen, in unverfrorenem Bruch mit dem Rechtstaat, über den Willen des friedlichen Zusammenlebens stellt. Ein Gemeinsamleben, in Vielfalt vereinigt, das unseren vielzähligen Identitäten von heute Gestalt verleiht hat. Bürger Europas, wach auf! Äußere Dich! Nimm Stellung! Sag ja zum Miteinanderleben anstatt zum Gegeneinandersinnen. Sag ja zur Gesetzeskraft anstatt zur frechen Gesetzeswidrigkeit. Sag ja zur legitimen Verschiedenheit, die Dich veredelt, anstatt zur Rassendiskriminierung, die Dich herabwürdigt. Schäme Dich nicht, das Recht zu verteidigen, um Deine Zukunftzu sichern! Helfe den nächsten Generationen von Jugendlichen, heute noch frei, die neben Dir aufwachsen! Schweige nicht!“
Wolfgang Lackinger aus Frankfurt:
„‚Putschdemont‘, der Unabhängigkeitsritter von der traurigen Gestalt, hinterlässt den Katalanen ein zutiefst gespaltenes Land, das einen wirtschaftlichen Niedergang erleiden und von Madrid bis auf Weiteres nur noch eingeschränkte Autonomierechte erhalten wird. Bleibt zu hoffen, dass jetzt die schweigende Mehrheit in Katalonien ihre Stimme erhebt und diesem illusionären Unabhängigkeitstraum eine klare Absage erteilt, der bereits schon zum Albtraum geworden ist. Denn nur so kann das zutiefst zerrüttete Verhältnis zum spanischen Staat mittelfristig wieder auf eine vertrauensvolle Ebene gehoben und über eine gemeinsame Zukunft verhandelt werden.“