Willkommen zum Postfach
vom 18. Oktober 2017
Wieder sind Leserbriefe liegen geblieben, für die ich im Print-Leserforum keinen Platz gefunden habe. Also ab mit ihnen ins „Postfach“ hier im FR-Blog. (Mehr über die Hintergründe –> HIER.) Zuerst wie immer ein kleiner Überblick.
- Zunächst drei Zuschriften zum „Bus des Grauens“. Das ist das Gefährt mit dem die Aktivistin Hedwig Freifrau vom Beverfoerde die deutschen Lande bereist, die Mitorganisatorin der „Demo für alle“. Angela König aus München würde gern „gegen die Verhöhnung der Familie und der Zweigeschlechtlichkeit der Menschen ins Gespräch“ kommen. Dennis Riehle aus Konstanz hingegen findet, Beverfoerde solle „einen Punkt machen“, und Laura Kaiser aus Hannover weist darauf hin, dass nun alle gleichgeschlechtlichen Paare heiraten dürfen, „nicht nur homosexuelle“.
- Gert Sommer aus Marburg wirft dem Historiker Heinrich August Winkler „beeindruckend einseitige und unreflektierte Aussagen“ vor. wo es um das Verhältnis zwischen Nato und Russland geht. Es gehe westlichen Politikern stets um „die Schwächung Russlands“: „Und trotzdem scheinen die relevanten Personen im Westen völlig überrascht, dass Russland dies nicht ohne Gegenwehr akzeptiert.“
- Eberhard Ruoff aus Frankfurt argumentiert gegen die Position, die Luftverkehrsabgabe belaste vor allem die heimischen Airlines: Wenn eine Steuer „einen Beitrag leistet, einen Markt der Verkehrsmittel herzustellen, indem eine vergleichbarere Belastung der Verkehrsmittel erfolgt, dann wird sie eigentlich unentbehrlich.“
- Hans Schinke aus Offenbach hat mal ausgerechnet, was das Land Hessen und die Stadt Frankfurt mit den Dividendeneinnahmen machen, welche die Fraport AG an sie ausschüttet: „Da kann bei der Stadt wahrlich keine Freude aufkommen.„
- Carsten Dietrich Brink aus Gauting sagt an die Adresse der jungen Menschen im Land, es reiche nicht, „über die Vergreisung der Parteien zu jammern und zu fordern, man möchte ‚abgeholt‘ werden!“ Er fordert stattdessen: „Arsch hoch!“
- Da passt ein Bericht aus dem Kindergarten: „Schon unseren dreijährigen Kindern bringen wir bei, wie die Gesellschaft nachhaltig und behutsam mit der Natur umgehen soll“, schreibt Miroslava Gloos aus Frankfurt.
Und was meinen Sie?
Verhöhnung der Zweigeschlechtlichkeit der Menschen
Zu: „Demo für alle: Die Pleitetour der Freifrau von Beverfoerde „, FR.de vom 16. September
Interessant, weil grotesk, ist der Kommentar Ihrer Mitarbeiterin, wenn sie den „Bus der Meinungsfreiheit“ und dessen Anliegen, gegen die Verhöhnung der Familie und der Zweigeschlechtlichkeit der Menschen ins Gespräch zu kommen, als ‚Bus des Grauens‘ bezeichnet.
Fürchten solche Journalisten so sehr die öffentliche Diskussion darüber, was Andersmeinende (ich vermute die sog. schweigende Mehrheit) zu Ehe, Familie, Kindererziehung etc. denken und unterstützen?
Es ist traurig genug, dass ein solcher Bus überhaupt nötig ist. Man kann ja wirklich nicht behaupten, dass der Blitzabstimmung zur Homoehe im Bundestag ein angemessener Prozess der Meinungsbildung vorausgegangen wäre. Ich kann nur hoffen, dass diese Diskussion trotz angesagter Gegendemonstranten stattfinden kann. Leider erwiesen sich solche oft als Störer um jeden Preis.
Angela König, München
Beverfoerde sollte einen Punkt machen
Es ist zunächst legitim, auch nach einem Beschluss des Bundestages gegen die Ehe für alle zu sein. Unsere Meinungsfreiheit gebietet den Respekt vor Ansichten, die vielleicht nicht mehrheitsfähig erscheinen, aber ihre Gründe haben. Ob es sinnvoll ist, mit einem derartigen Aufwand durch Deutschland zu touren, das ist eine andere Frage. Denn gleichsam ist es auch für den gesellschaftlichen Frieden eine Notwendigkeit, Entscheidungen in der repräsentativen Demokratie anzuerkennen, selbst wenn man sie nicht mitträgt. Das Stimmungsbild in der Bevölkerung zeigt eher, dass eine Vielzahl an Menschen mit dem leben kann, was in freier Abstimmung beschlossen wurde. Wenngleich es vielleicht für manchen ungewohnt erscheint, wenn Männer künftig Männer heiraten, und Frauen eben Frauen. Doch gerade weil es eine Gewissensentscheidung der Politiker war, zeigt sie das Ringen um Zeitgemäßheit und Tradition. Da gibt es nicht ein „Besser“ und „Schlechter“ – und so sollte man irgendwann einen Punkt setzen, vielleicht auch Hedwig von Beverfoerde.
Dennis Riehle, Konstanz
Toller orangener Bus
Kurzer aufklärender Verbesserungsvorschlag: Alle gleichgeschlechtlichen Paare dürfen nun heiraten, nicht nur homosexuelle. Dies ist sehr wichtig, um jede sexuelle Orientierung zu akzeptieren und nicht zu diskriminieren.
P.S.: Ich war selbstverständlich auch auf der Gegendemo, gegen den tollen orangenen Bus in Hannover 😉
Laura Kaiser, Hannover
Die Nato betreibt die Schwächung Russlands
Interview mit Heinrich August Winkler: „Der Westen hat gute Chancen, Trump zu überstehen„, FR.de vom 30. August
Die Aussagen des allseits hoch geschätzten Historikers H.A. Winkler im FR-Interview sind in Teilen beeindruckend einseitig und unreflektiert. Nach seinen Aussagen habe die „Annexion der Krim“ die „Nach-Kalte-Kriegszeit“ beendet. Üblicherweise wird dann noch die Ukraine-Krise im gleichen Sinne genannt: Putin ist (an allem) Schuld. Das kann man auch anders sehen:
Das Versprechen des deutschen Außenministers Genscher, die Nato nicht nach Osten auszudehnen, wurde bald gebrochen: Zunächst wurden Polen, Ungarn und die Tschechische Republik Nato-Mitglieder (1999), später u.a. Estland, Lettland und Litauen. Die russische Politik kann somit auch – zumindest zum Teil – als Reaktion auf die Nato-Osterweiterung gesehen werden. Dazu schreibt 2014 der renommierte US-Politikwissenschaftler J.J. Mearsheimer (ein Neorealist und sicherlich kein Putin-Fan): “(Die westliche) Darstellung ist falsch: Die Hauptschuld an der Krise tragen die USA und ihre europäischen Verbündeten. An der Wurzel des Konflikts liegen die Nato-Osterweiterung, Kernpunkt einer umfassenden Strategie, die Ukraine aus der russischen Einflusssphäre zu holen und in den Westen einzubinden. Das Fass zum Überlaufen brachte der unrechtmäßige Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten der Ukraine“ (die vom Westen massiv unterstützten Maidan-Proteste, GS). Zudem ist bedeutsam, dass die Ukraine ein „geopolitischer Dreh- und Angelpunkt“ ist (Brzezinski, Berater mehrerer US-Präsidenten); es geht also um die Machtgeometrie in Europa, u.a. wegen der Nachbarschaft zu Russland, aber auch wegen des Rohstoffreichtums und der fruchtbaren Böden („Kornkammer Europas“). Dies ist westlichen Politikern selbstverständlich bekannt – es geht also um die Schwächung Russlands, eines wichtigen geopolitischen Rivalen; und trotzdem scheinen die relevanten Personen im Westen völlig überrascht, dass Russland dies nicht ohne Gegenwehr akzeptiert. Zu fragen wäre also, was den Westen bewog, die Sicherheitsinteressen Russlands bewusst und gezielt nicht zu berücksichtigen. Die „Nach-Kalte-Kriegszeit“ wurde also wesentlich vom Westen beendet.
Winkler plädiert auch für eine Erhöhung des Wehretats, allerdings ohne zu begründen, was damit erreicht werden soll. Vermutlich ist „mehr Verantwortung“ gemeint: Bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 erklärten in wohlabgestimmten Statements Bundespräsident, Außenminister und Verteidigungsministerin die Notwendigkeit, dass Deutschland weltweit „mehr Verantwortung“ übernehmen müsse. Vorausgegangen war die Schrift Neue Macht – Neue Verantwortung (2013), angefertigt von der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und dem German Marshall Fund. Danach ist mehr „Gestaltungswillen“ gefragt; „Deutschland wird künftig öfter und entschiedener führen müssen.“ Vordenker der einflussreichen Group on Grand Strategy spitzen 2011 zu: „Wir können entweder die Herrscher bleiben oder beherrscht werden“. Notwendig seien der Ausbau von EU-Militärkapazitäten und die Kontrolle des „Nachbarschaftsraums“ (als Einsatzgebiet der EU-Eingreiftruppe sind etwa 4.000 km rund um Brüssel vorgesehen!), u.a. um wesentliche Ressourcen und Handelsrouten und damit eine „kontinuierliche Expansion“ der Wirtschaft zu sichern.
Zudem wendet sich Winkler gegen einen – der deutschen Politik unterstellten – Gesinnungspazifismus und fordert stattdessen: „Wir müssen Verantwortungspazifisten sein.“ Dazu gehöre, sich den westlichen Verbündeten nicht zu verweigern, wenn diese „als Ultima Ratio ein militärisches Engagement zur Friedenssicherung für geboten halten“ – selbstverständlich soll dabei das Völkerrecht geachtet werden. Von einem Historiker wäre doch zu erwarten, das militärische Eingreifen westlicher Staaten in den letzten Jahren zu „würdigen“: Es wurden u.a. illegale Kriege gegen Jugoslawien/Serbien, den Irak, gegen Libyen und gegen Syrien geführt – Kriege, die nicht vom UN-Sicherheitsrat beschlossen wurden, d.h., sie verstießen alle gegen das Völkerrecht. Die Folgen dieser Kriege sind hinreichend bekannt: zerfallende (genauer: zerstörte) Staaten, Zerstörung der Infrastruktur, kaum zu fassendes menschliches Leid, Aufkommen bzw. Stärken des IS, Flüchtlingsströme. Es wurden also – anders als jeweils behauptet – weder Frieden noch Demokratie oder Menschenrechte realisiert.
Militärische Aufrüstung einer Seite hat bislang immer zur Aufrüstung bei anderen Akteuren geführt, die sich bedroht fühlten. Damit werden ungeheure finanzielle, materielle, aber auch intellektuelle Ressourcen verschwendet. Die wesentlichen Probleme dieser Erde – u.a. Klima, Hunger, Armut, menschenwürdige Arbeit – lassen sich damit nicht lösen: Dies sollte vielmehr in Kooperation und Solidarität im Rahmen der Vereinten Nationen geschehen.
Gert Sommer, Marburg
Unentbehrliche Steuer
Zu: „Tourismusbranche klagt über Wachstumsbremse„, FR-Wirtschaft vom 1. September
Nachvollziehbar sei die Kritik an der Luftverkehrsabgabe, kommentiert Herr Sauer. Vier deutsche Fluglinien zahlten die Hälfte des Luftverkehrssteueraufkommens von 1,1 Milliarden Euro. „Demnach zahlten die ausländischen Fluggesellschaften, die von Deutschland aus starten, den Rest: pro Unternehmen also viel weniger“ so der FR-Journalist weiter. Obwohl er danach gut erklärt, dass es die Passagiere sind, die gemessen an der Flugstrecke und unabhängig vom Anbieter die Steuer bezahlen, und nicht die Airline, die sie abführt.
Wie er dennoch in seinem Kommentar zur Schlussfolgerung kommt, die Luftverkehrsabgabe belaste vor allem die heimischen Linien, entbehrt der Logik und lässt den Schluss zu, er sei womöglich im falschen Bundesland zu Schule gegangen oder habe schon immer Probleme mit Text-Aufgaben gehabt. Das wird noch viel gruseliger, wenn behauptet wird, die Steuer bevorteile Ryanair oder Easyjet. Gerade das Gegenteil wäre zu konstatieren, weil die Steuer pro Ticket gleich bleibt und damit den Dumpingangeboten sogar entgegen wirkt.
Man kann eigentlich nicht darüber streiten, dass die Steuerung von Verkehrsströmen zu den Staatsaufgaben, gerade hinsichtlich des Gesundheitsschutzes und der Umweltbelastung, gehört. Dies über eine Steuer zu tun, ist ein probates Mittel, insbesondere, wenn sie wie hier den „Luftverkehrsmarkt“ eher fördert als stört. Wenn sie darüber hinaus einen Beitrag leistet, einen Markt der Verkehrsmittel herzustellen, indem eine vergleichbarere Belastung der Verkehrsmittel erfolgt, dann wird sie eigentlich unentbehrlich.
Eberhard Ruoff, Frankfurt
Da kann keine Freude aufkommen
Zu: „Land zahlt Ausgleich für Fluglärm„, FR-Wirtschaft vom 1. September
Die Meldung der FR vom 20. September, dass das Land aus seinen Dividendeneinnahmen bis 2021 insgesamt 22,5 Mio. Euro an 21 lärmgeplagte Kommunen ausschüttet, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Die Fraport AG weist in 2016 ein Konzernergebnis von 375,4 Mio. Euro nach und schüttet davon 138,7 Mio. Euro (36,9 %) an Dividenden aus. Entsprechend seinem Aktienanteil von 31,32 % erhält das Land Hessen davon dann 43,5 Mio. Euro, macht in 5 Jahren 217,5 Mio. Euro. Davon gibt es aber nur 10,35 % an die 21 Kommunen weiter und behält den Rest. Aus dem Topf von jährlich 4,5 Mio. Euro bekommt dann zum Beispiel Offenbach als eine der am stärksten durch Fluglärm belasteten Kommunen in der Rhein-Main-Region mit 393.000 Euro gerade einmal mickrige 8,7%. Da kann bei der Stadt wahrlich keine Freude aufkommen. Noch weniger aber bei uns Bürgern, die wir ja gar nichts erhalten, beim Fluglärm aber die eigentlich Leidtragenden sind. Müsste die Fraport AG für die tägliche Körperverletzung, für den Verlust an Lebensqualität und für die Zerstörung der Naherholungsgebiete den Menschen in der Region eine angemessene Entschädigung zahlen, bliebe für eine Dividendenausschüttung vermutlich gar nichts mehr übrig. Unterm Strich bleibt folglich bei der Fraport AG nur deshalb etwas hängen, weil der Flughafenbetreiber für die Schäden, die er mit seinem Betrieb anrichtet, gar nichts bezahlt. So einfach ist das. Übrigens reicht Frankfurt von den 27,7 Mio. Euro Dividende aus 2016 gar nichts an seine Bürger weiter.
Hans Schinke, Offenbach
Arsch hoch!
Zu: „Die Jungen werden nicht abgeholt„, FR-Wirtschaft vom 1. September
Selbst ein „Ü60“, kann ich nur den letzten Satz des Artikels voll unterstützen: “… dass sich die Jugend umso lauter selbst einmischen muss, um die Politik nicht der Übermacht der Senioren überlassen“. Es reicht eben nicht, über die Vergreisung der Parteien zu jammern und zu fordern, man möchte „abgeholt“ werden! Wir hatten seinerzeit den Weg durch die Institutionen gewählt und konnten mitbestimmen! Ich kann der jungen Generation nur zurufen: Arsch hoch! Wenn einem die Praktika nicht gefallen, es gibt Gewerkschaften und Betriebsräte: Arsch hoch! Auch heute noch verfolge ich die Politik täglich, ich brauche keine Bespaßung durch Wahlkämpfe, ich habe eine ganze Wahlperiode Zeit, meine Wahlentscheidung zu treffen. Digital Natives erwarten aber offensichtlich, dass sie in mundgerechten Happen gefüttert werden: Arsch hoch! Schön, dass es Fakebook und Google gibt, dass es Fernsehen und Smartphones gibt. Meiner Generation ist eine gesunde Distanz zu diesen Medien geblieben und so kann ich erkennen, dass diese Medien keine Kulturträger sind – ich kann ohne sie leben. Likes, Selfies und Talkshows haben für mich keine Bedeutung. Ich würde schulmeisterlich werden, wenn ich all das schriebe, was mir sonst an Gedanken zu diesen Themen kommt.
Abschließend ein entscheidender Satz aus der Kommunikationstechnik: Zur erfolgreichen Kommunikation gehören zwei bereite Partner mindestens: ein Sender und ein Empfänger. Wenn der Empfänger auf seinen Ohren sitzt, nützt das Senden gar nichts!
Carsten Dietrich Brink, Gauting
Bus des Grauens
Gastbeitrag: „Klimaschutz beginnt in der Schule„, FR.de vom 3. September
Mit größtem Interesse haben wir den Gastbeitrag der Prof. Nina Kolleck und wissenschaftlichen Mitarbeiterin Mareike Well (FU Berlin) vom 04.September gelesen. Wir sind auch der Meinung, dass eine erfolgreiche Klimapolitik auf der nationalen und internationalen Ebene von einer in der Gesellschaft etablierten Relevanz des Themas abhängig ist. Wir finden es auch schade, dass die Schulprogramme in Deutschland Klimaschutz nicht systematisch behandeln.
Dennoch scheint uns die Situation nicht aussichtslos, und wir finden auch, dass der Klimaschutz – konträr zur Überschrift des Artikels – nicht in der Schule beginnen soll, sondern schon im Kindergarten. Dabei leisten viele Kindergärten, und darunter auch Nezabudka aus Frankfurt am Main, ihren Beitrag.
Die Umweltpädagogik ist bei uns ein zentrales Thema. Schon unseren dreijährigen Kindern bringen wir bei, wie die Gesellschaft nachhaltig und behutsam mit der Natur umgehen soll. Tagtäglich wird Umweltschutz in unterschiedlichen, auch spielerischen, Formen in unseren vier Kindergärten zum wichtigen Aspekt des Lebens. Wöchentliche Ausflüge in die Natur, Morgenkreise, unterschiedliche Projekte machen Klimaschutz auch für die Kleinsten verständlich und begreifbar.
Wir laden gerne Wissenschaftler zu uns ein, damit sie unsere Basisarbeit kennenlernen, von unseren Erfahrungen profitieren und uns helfen, besser zu werden, weil Klimaschutz wirklich bereits vor der Schule zur alltäglichen Normalität gehören soll.
Miroslava Gloos, Frankfurt
Zu „Arsch hoch!“ (Carsten D. Brink):
Mal abgesehen von dem Vielen, was man zu den neuen Kommunikationstechniken und ihren Wirkweisen alles sagen kann, so sehe ich eine Aufgabe der Ü60-Ü70er, zwar für die junge Generation nicht den „Abholdienst“ zu übernehmen, aber sie zu ermutigen, sich zu engagieren (das muss nicht unbedingt eine Partei sein). Dazu muss man aber als Oldie auch mit den jungen Menschen ins Gespräch kommen, selbst noch neugierig sein. Ich verstehe ja auch nicht immer alles, was sie umtreibt oder lahm legt. Aber Interesse und Fragen helfen.
Soweit schon alles okay, was oben gesagt ist. Nur müssen wir selbst aufpassen, dass wir uns nicht als die Besserwisser verewigen und unsere Errungengenschaften in Stein meiseln.
Unser Gang durch die Institutionen ist auch nicht eine einzige Erfolgsgeschichte. Wir haben uns da auch den „verborgenen Mechanismen der Macht“ (Bourdieu) teilweise gut angepasst und den Arsch hochgekriegt, haben auch die Alten oft nicht, wenn’s um die Wurst ging.
Oft sind und bleiben wir auch Teil des Problems, wenn uns der reflektierte Umgang mit Macht und Einfluss abhanden kommt und wir auch im Weg stehen. In der Großen Politik wimmelt es von solchen Beispielen.
Ich schüttele oft meinen Kopf über den LifeStyle-Kult von jungen Menschen, diese grandiose Selbstbezogenheit. Aber ich bin auch ganz angetan von denen, die ganz anders ticken, weltoffen, empathisch und „angriffslustig“ sind.
Und: Vergreisung ist nicht nur eine Frage des Alters. Populäres Gegenbeispiel: Stephane Hessel („Empört Euch!“), der mit Mitte 90 noch geistig so frisch war wie ein Enddreißiger.
Außerdem: Man sollte sich von den neuen jungen Politikern wie Kurz und Macron nicht blenden lassen. Lasst die mal paar Jahre auf den Gipfeln des Ruhms und der Macht sein …
@ Jürgen Malyssek / „Arsch hoch!“
Zunächst volle Zustimmung zu Ihrer Bewunderung von Stéphane Hessel, die ich völlig teile. Ich habe ihn (etwa 2 Jahre vor seinem Tod) in Luxemburg bei einem Podiumsgespräch mit zweisprachiger Diskussion erlebt und ihn selbst gesprochen. Konzentration, Klarheit der Aussage, Gedächtnisleistung und natürlich Engagement – einfach nur bewundernswert. Freilich war er auch unter Alten eine absolute Ausnahmeerscheinung.
Betr. „LifeStyle-Kult von jungen Menschen“:
Ich habe mich, z.B. in meinem Roman, schon vor 12 Jahren darüber lustig gemacht, am Beispiel der aufgeschlitzten Hosen. Ich werte das auch als Ausdruck einer gewissen Dekadenz in einer Überflussgesellschaft. Arme kämen von sich aus nie auf solche Gedanken, sind meist sehr auf Sauberkeit und ordentliches äußeres Aussehen erpicht. Für meine Mutter galt das in extremem Maße, und ich kann Gleiches auch bei vielen Flüchtlingen heute beobachten.
Insofern empfinde ich (als einer, der Armut kennen gelernt hat) die Gedankenlosigkeit solchen „LifeStyle-Kults“ auch als Provokation, indem es ein klischeehaftes Armutsbild zum Kult macht.
Einer Schuldzuweisung an „die Jugend“ stimme ich dennoch nicht zu.
Neulich entdeckte ich hier auf dem Wochenmarkt industriell vorgefertigte aufgeschlitzte Hosen. Was deutlich macht, dass umgekehrt auch der „LifeStyle“ jungen Leuten hinterherrennt – zumindest denen, die als „Trendsetter“ eingeschätzt werden: Jugendkult als Marketingmasche.
So werden Jugendliche auch ihres eigenen Ausdruckvermögens, ihrer Selbstverständigungsformen – und in gewissem Sinn auch ihrer Identität – beraubt. Vorgänge, die Abgrenzung, nicht nur in Form von „Jugendkulturen“, sondern eben auch in nationalistischer Hinsicht befördern.
Diese Entwicklung zu „Konservatismus“, besonders bei Jüngeren (z.B. in der Jungen Union), ist natürlich besonders problematisch. Das ist aber kein Naturgesetz. In unserer Familie ist das nicht so, aber z.B. bei den Geschwistern meiner Frau. Bedenklich auch, wenn z.B. unsere jüngste Tochter (sie wird 39) neulich äußerte, sie wollte nicht mehr „jung“ sein.
Es stellt sich die Frage nach den Ursachen.
Einerseits sollte man klar bekennen, dass wir „68er“ da auch einiges falsch gemacht haben. Z.B. durch die Art der Bevormundung, die eine Gegenreaktion hervorruft.
Wichtiger noch die objektiven Ursachen:
Da wir gerade über 68 schreiben: Ich habe mir als damals 24Jähriger keine Gedanken über Arbeitsplatzsicherheit, Auskommen für Familiengründung, Rente usw. gemacht. Ich habe der Zukunft offen und mit Zuversicht entgegengeblickt. Dass sich alles finden wird, war eine Selbstverständlichkeit, prägte Unternehmergeist und Optimismus, die sich – zum Glück – erhalten haben.
Anders ausgedrückt: Wir waren da einfach, im Vergleich zu unseren Kindern, privilegiert. Leicht also, sich ein Urteil – vor allem pauschalisierender Art – über sie zu erlauben.
In diesem Sinne halte ich auch den Leserbrief „Arsch hoch!“ von Carsten Dietrich Brink für selbstgerecht und unangemessen.
Der „LifeStyle“-Trend als Phänomen der Anpassung ist nur eine Maske, um wirkliche Befindlichkeiten, um innere Unsicherheit zu verbergen. Und „Konservatismus“ ist, so gesehen, ein Schrei nach Geborgenheit, nach Verständnis. Ausdruck von Ängsten, die objektive Ursachen haben und ernst zu nehmen sind.
Wir müssen diese Ausdruckformen, auch wenn wir sie nicht teilen, einfach respektieren. Die diesbezüglich – überwiegend negativen – Erfahrungen mit unseren eigenen Eltern (vor 68 und z.T. noch danach) könnten uns da eine Lehre sein.
Wir müssen uns, vor allem als 68er und vielleicht mehr als bisher, unserer eigenen Verantwortung dafür bewusst werden, was nach uns kommt. Und natürlich: Wir müssen dafür auch etwas tun – und sei es, im Interesse der Jüngeren auch etwas zurückzutreten.
Die fast völlige Vernachlässigung von Zukunftsfragen im Wahlkampf z.B. empfand ich als schändlich, um nicht zu sagen skandalös.
Vielleicht auch ein Hinweis darauf, was von einer – hoffentlich – sich erneuernden Sozialdemokratie zu erwarten ist.
@ Werner Engelmann
Bei Stéfane Hessel sind wir uns einig. War ein toller Zeitgenosse!
Da haben Sie auch das Glück gehabt ihn noch kennenzulernen!
Ihre anderen Kommentare sehe ich eigentlich als eine Ergänzung zu dem was ich gesagt habe.
Denn ich habe der „Jugend“ eigentlich keine Schuldzuweisung gemacht. Ich wollte mehr die Erscheinungsformen verwundert betrachten. Ärgerlich bin ich meistens auf die Erwachsenen, die das wieder mal mit vorbereitet haben, was Lebensstile und Verhalten angehen. Bzw. die im Strom einfach so mitschwimmen.
Ich finde Ihren Gedanken auch gut mit dem „klischeehaften Armutsbild“ das die LifeStyler vermitteln (wollen?). Ja es ist dekadent. Aber man könnte das der Jugend als Modeerscheinung auch überlassen. Nur da sind dann wieder die Erwachsenen, die selbst einen auf Jugendkult machen. So wird die Jugend „ihrer Ausdrucksformen beraubt“ – Zustimmung!
Im Wesentlichen reibe ich mich mehr an den Erscheinungsbildern der Erwachsenen, die anscheinend wenige eigene Identitätsformen finden.
Ja, die ärmeren Menschen in der Gesesellschaft bemühen sich kleidungs-, aussehensmäßig nicht arm auszuschauen. Verkehrte Welt!
Ich glaube nicht, dass die 68er dahingehend furchtbar viel falsch gemacht haben.
Was wir heute im Straßenbild und in den stilbetonten Räumlichkeiten (Cafés und Bistros usw.) sehen, das ist der Ausdruck einer breiten Selbstgefälligkeit und Selbstdarstellung, die in unserer Konsumentengesellschaft bis in alle Ritzen eingedrungen ist. Jeder will etwas besonderes sein, dabei sehen viele ganz gleich aus.
Damit wollte ich nicht sagen, dass die 68er alles richtig gemacht haben. Aber ich glaube, wir haben es heute mit einer ganz eigenen Epoche zu tun. Auch „Konservatismus“ ist ein Thema.
Ich gebe Ihnen auch damit recht, dass wir uns unserer Verantwortung bewusst sein sollten, was noch auf uns zukommt.
Ich rätsele auch noch rum, welche Formen des Widerstandes mir noch möglich sind, wie weit die Kräfte reichen, welche Erfahrungen und Erkenntnisse noch nützlich sind?
Zuletzt ist mir ein Foto vom Grabstein von Herbert Marcuse (Dorotheenfriedhof Berlin) in die Finger gekommen. Da steht einfach drauf: „Weitermachen!
Soweit für heute. Machen Sie’s gut, Herr Engelmann!
Dass man Kindern im Kindergarten beibringt, dass man seinen Abfall nicht einfach in den Sandkasten wirft, ist ja richtig.
Ich habe aber große Zweifel, ob dreijährige Kinder begreifen, was Klima ist und dass ihre Mutter etwas Schlechtes macht, wenn sie es mit dem SUV vom Kindergarten abholt.