Vor der Wahl: Faktoren, auf welche die CDU keinen Einfluss hat

In zwei Monaten ist Bundestagswahl. In den aktuellen Umfragen ist Schwarz-Gelb dicht an einer absoluten Mehrheit; je nach Meinungsforschungsinstitut schwankt die Zustimmung zu dieser Konstellation zwischen 48 und 48,5 Prozent. In dem Sechs-Parteien-Parlament, das wir nach jetzigen Prognosen bekommen werden, wird das nicht für eine Regierungsbildung reichen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) braucht also entweder noch einen dritten Partner, etwa die Grünen, oder könnte erneut eine große Koalition ansteuern. Die Frage ist, ob die Sozialdemokraten das mit sich machen lassen werden. In der soeben abtretenden großen Koalition haben sie zwar viel geleistet, doch diese Arbeit wird von den Wählerinnen und Wählern nicht mit Zustimmung belohnt. Daraus könnte man die Lehre ziehen, dass sich große Koalition nicht lohnt. Oder überhaupt Koalition mit Merkel. Denn auch die FDP hat den Liebesentzug der Wählerinnen und Wähler nach einer Koalition mit der Merkel-CDU zu spüren bekommen, sie flog 2013 aus dem Bundestag.

Die SPD hat einen veritablen Spitzenkandidaten, wohl den besten der letzten Jahrzehnte, und ein brauchbares, wenn auch ausbaufähiges Wahlprogramm, aber sie hat auch Probleme. Eines davon ist, dass ihr Spitzenkandidat Martin Schulz keine Posten bekleidet außer dem des SPD-Vorsitzenden und -Spitzenkandidaten. Er muss sich also in die Öffentlichkeit drängen, während Merkel qua Amt andauernd zu allen möglichen Fragen Stellung nehmen kann. Dieser Nachteil ist schwer auszugleichen. Also ist Schulz derzeit viel im Land unterwegs, trifft Menschen und versucht, an der Basis zu überzeugen. Und er bringt Pläne ins Spiel, zum Beispiel für ein „Chancenkonto„. Dennoch: Die klassische Wählerbasis der SPD, die Arbeiterklasse, existiert praktisch nicht mehr. Die Gesellschaft hat sich verändert. Die Volksparteien – eine solche ist die SPD zurzeit noch – haben darauf noch keine Antworten gefunden. Auch Merkels Kurs, die CDU in die Mitte zu führen und sie quasi zu sozialdemokratisieren, ist keine nachhaltige Entwicklung, sondern hat der CDU lediglich Zeit verschafft.Von Nachdenken über Antworten auf die Entwicklung unserer Gesellschaft ist in der CDU wenig zu erkennen.

Letzte Chance für die SPD„, so lautete die Überschrift über dem Leitartikel von Stephan Hebel vom 20. Juli.

Hier folgen drei Leserbriefe, die sich aus völlig unterschiedlichen Perspektiven mit verschiedenen Aspekten des Wahlkampfs auseinandersetzen.

fr-balkenLeserbriefe

Karl-Albert Hahn aus Tiefenort:

„Nach Bismarcks Auffassung wird nie so viel gelogen wie vor der Wahl. Ganz so schlimm ist es sicherlich nicht. Die Argumente der Politiker sollte man aber immer kritisch betrachten. Die Wahrheit ist eben für die Wiederwahl der Politiker häufig nicht förderlich. Um die Wähler im Hinblick auf die Bundestagswahlen zu beeindrucken, wird beispielsweise von der CDU die finanzielle Lage der Bundesrepublik in den rosigsten Farben gezeichnet: Exportüberschuss, Haushaltsüberschuss u.s.w.. Die CDU vergisst allerdings zu erwähnen, dass der Staat mit mehr als 2000 Milliarden Euro verschuldet ist und die aktuelle gute wirtschaftliche Lage im wesentlichem durch Faktoren bestimmt wird, auf welche die CDU keinen Einfluss hat. Würden die Kreditgeber – Sparer, arabische Scheichs u.a. – ihr Geld zurückverlangen, kein Rad drehte sich mehr in der Bundesrepublik. Auch wenn dies nicht geschieht, ist der riesige Schuldenberg für das Land eine ständige Bedrohung. Jeder normale Mensch würde versuchen, die Schulden abzubauen, damit nicht eines Tages Zins und Zinseszins ihn erdrücken bzw. er zum Spielball der Kreditgeber wird. Die gegenwärtige günstige Haushaltslage ist in erster Linie das Ergebnis geringer Ölpreise und niedriger Kreditzinsen. Sollten eines Tages Ölpreise sowie Darlehnszinsen wieder kräftig steigen und die Exporterlöse auf Grund der stärkeren Konkurrenz aus Asien geringer werden, käme der Staat in schwere Bedrängnis. Verantwortungsvoll wäre es deshalb von der CDU, die gegenwärtig günstige Haushaltslage zur Abtragung des Schuldenberges zu nutzen und nicht damit Wahlkampf zu betreiben. Mit keinem Wort erwähnt die CDU die Gründe für den Geldsegen in der Staatskasse – geringe Ölpreise und niedrige Zinsen für die Kredite. Es würde ihr weniger Wählerstimmen einbringen.“

Carsten Dietrich Brink aus Gauting:

„Ich glaube, es ist an der Zeit, Frau Merkel und Ihrer CDU/CSU den alten Ausspruch von Willi Brandt um die Ohren zu hauen: „Mehr Demokratie wagen!“ Hier in München geht gerade der NSU-Prozess in die Endphase, leider wird das Versprechen von Frau Merkel nicht eingelöst: „Vollständige Aufklärung der Verbrechen!“ Das, was sich Verfassungsschutz nennt und dessen Aktionen werden deutlich vor Ermittlungen geschützt! Ich habe gerade vor den Schlapphüten des sogenannten Verfassungsschutzes und derer Inkompetenz Angst! Ich halte diesen Bereich unserer Gesellschaft für faschistisch versifft! Auch im „Äußeren“ traue ich der Politik unserer Regierung überhaupt nicht mehr. Da wird ein Despot namens Erdogan mit Samthandschuhen angefasst. Ich erwarte als Bürger dieser Republik, dass ich vor den Umtrieben der türkischen AKP in Deutschland geschützt werde! Ich sehe keine demokratische Berechtigung für die Aktivitäten einer ausländischen Partei in Deutschland, die in ihrem Heimatland an einem andauernden Putsch teilnimmt. Hier sollte „Kante gezeigt“ werden, eine Sprache, die Herr Erdogan sicherlich auch versteht, zumindest, wenn er keine finanzielle Zuwendungen mehr aus Deutschland und Europa erhält! Das Geld könnte hier den Flüchtlingen besser helfen. Ich erinnere daran, dass Familie Erdogan beschuldigt wurde, in Geschäfte mit dem IS verwickelt gewesen zu sein, was ich heute durchaus für glaubwürdig halte.“

Klaus-Joachim Rink aus Rödermark:

„Welche Antwort gibt Deutschland am 24. September – also in gut zwei Monaten – auf EUROPA? Natürlich, und die Umfrageergebnisse sagen es auch schon, stimmen über 80 % für Europa. Außer den Rechts- + Linkspopulisten sind ja CDU, SPD, FDP, Grüne und Linke für Europa – aber welches? Unsere Parteien unterscheiden sich schon sehr erheblich in der Europafrage und dies ganz besonders zwischen Merkels CDU und der grauen Eminenz Schäuble im Rücken und der SPD mit dem gestandenen und vorlebenden Europäer Martin Schulz. Bei der CDU steht ein „weiter so“ oder bestenfalls noch ein „wir wollen mal sehen“, wie das mit Frankreichs Macron sich so machen lässt.
Hier aber hat der deutsche Wähler eine echte Alternative mit der SPD und Martin Schulz. Will Deutschland im September, wie Frankreich im Mai ein eindeutiges Ja-Wort für Europa abgeben, dann kann das nur mit der Wahl von Martin Schulz zum Bundeskanzler erfolgen. Damit stärkt sie gleichzeitig Frankreich und auch allen EU-Staaten den Rücken und gibt ein Zeichen gegen die europafernen und antidemokratischen Regierungen in Polen und Ungarn!  Dazu kommt bei Martin Schulz seine gesamte soziale Vita und im Besonderen sein Leben im „Dreiländereck“, einem kleinen Schmelztigel Europas, welches auch gleichzeitig Vorbildcharakter für unser gesamtes Europa haben sollte.“

 

 

Diskussion: frblog.de/wahl-2017-1

Verwandte Themen

25 Kommentare zu “Vor der Wahl: Faktoren, auf welche die CDU keinen Einfluss hat

  1. Eine erneute Koaltion Koalition mit der CDU oder möglicherweise sogar mit CDU und FDP zusammen würde das Todesurteil für die SPD bedeuten.

    Wenn die SPD auch in der laufenden Wahlperiode den Mindestlohn und Verbesserungen in anderen Bereichen wie z.B. der Pflegeversicherung erreicht hat, haben sich CDU/CSU weitgehend mit Ihren Vorstellungen wie PKW-Maut, Vorratsdatenspeicherung, Ceta etc. durchgesetzt und andere Projekte, die sogar im Koalitionsvertrag vereinbart waren, verhindert, dazu gehören z.B. die Finanztransaktionssteuer, bei der sich bereits die SPD mit der Zustimmung zum Fiskalpakt im Jahre 2012 hat über den Tisch ziehen lassen, oder das Rückkehrrecht in Vollarbeitszeit.

    Hier muss Martin Schulz Stärke zeigen, und wenn er die Positionen der SPD sowohl vor der Wahl wie nach der Wahl offensiv vertritt, hat er eine Chance, die SPD aus ihrem Tief herauszuholen Insbesondere würden manche Zugeständnisse nach der Wahl die ohnehin stark angekratzte Glaubwürdigkeit die SPD in die Bedeutungslosigkeit führen!

  2. Die Krux der Volksparteien, aber auch der Medien und der öffentlichen Diskussion ist wohl die, dass es praktisch kein strategisches Denken mehr gibt. Herbert Wehner hat dies noch verkörpert, etwa, als er der SPD nach Helmut Schmidts Sturz mehrere Perioden Opposition vorhersagte. Selbst einem Schröder würde ich zubilligen zumindest geahnt zu haben, was die Agenda 2010 für die Sozialdemokraten bedeuten würde.
    Seit Merkel wird aber nur noch argumentativ von Wahl zu Wahl gehechelt. Auch die SPD hat dies ergriffen. Es scheint wie eine ansteckende Krankheit zu sein.
    Martin Schulz – das muss man realistisch einschätzen – hat wohl kaum eine Chance, diese Wahl zu gewinnen. Wenn er dies trotzdem sagen muss, dann hat das mit Wahltaktik zu tun.
    Aber immerhin besteht die Chance auf langfristig wirkende Weichenstellung, auf Verbesserung der Ausgangsposition. Im Fußball eine Binsenweisheit. So etwa war der Weltmeistertitel Frucht einer über ein Jahrzehnt andauernder guter Jugendarbeit.

    Was das DIW über die abgeschmolzene „Arbeiterklasse“ und die Auswirkungen für die SPD zutage befördert hat, haben längst die Spatzen von den Dächern gepfiffen. Auch ich habe Ähnliches hier bereits geäußert. Und es hat nicht nur mit Schröder, mehr noch mit soziologischen Strukturveränderungen zu tun. Alles auf Schröder zu projizieren, ist zumindest sehr oberflächlich und kurzsichtig.
    Nicht anders die Reaktion auf diese Studie, auch in der FR. So, wenn Stefan Sauer behauptet: „Die Partei der kleinen Leute ist jetzt die AfD.“ (http://www.fr.de/politik/bundestagswahl/waehlerverhalten-arbeiter-stimmen-kaum-fuer-die-spd-a-1316647)
    Das ist Unsinn. Die AfD ist der Wurmfortsatz des Großkapitals, das dieses benötigt, um durch scheinrevolutionäres Gehabe und falsche „Alternativen“ von den von ihr verursachten Krisen und die eigentlichen gesellschaftlichen Problemen abzulenken. Sie ist in diesem Sinne systemstabilisierend. Und die „kleinen Leute“ fallen auf solche Verwirrungsmanöver herein.

    Auch Stefan Hebels Analyse befördert diesbezüglich kaum mehr als Triviales. So, wenn er – sicher zurecht – auf „skandalöse soziale Unterschiede“ verweist und fordert, sie „überzeugend zum zentralen Thema zu machen“. Wie dies aussehen soll, mit welchem strategischen Ziel es erfolgen soll: Die Antwort darauf bleibt auch er uns schuldig.
    Daran aber, an langfristigen Strategien in dieser Richtung ist zu arbeiten. Das ist wohl nur möglich, wenn die Grundprobleme dieser Gesellschaft (zuvörderst die Gründe für die sich öffnende Schere zwischen „arm und reich“) in den Vordergrund gerückt und die Fixierung auf die jeweils nächste Wahl sowie die Wasserstandsmeldungen der jeweiligen Umfragen aufgegeben wird.

  3. Ich kann Werner Engelmann nur zustimmen, wenn er die These von Stefan Sauer, die Partei der kleinen Leute sei die AfD, widerlegt. Denn wenn man sich deren Programmatik anschaut, z.B. Abschaffung der Erbschaftssteuer, Waffenfreiheit für jeden u.ä., ist diese Partei in der Tat ein Wurmfortsatz des Großkapitals.

    Ich finde es schlimm, wenn in einem Artikel der FR die Formulierung der Überschrift bereits geeignet ist, für diese Partei Werbung zu machen, selbst wenn dies im Beitrag nicht gewollt ist.

  4. Das 48% nicht reichen werden wie von Bronski vermutet, würde ich nicht unterschreiben wollen. Es könnte bei der derzeitigen Verteilung sehr viele Überhangmandate geben. Also es könnte gut sein das wir wieder 4 Jahre schwarz/gelb bekommen.Das Beste daran wäre das man die Wahlperiode noch nicht auf 5 Jahre verlängert hat.
    Das es die Arbeiterschaft nicht mehr gibt stimmt auch nicht. Der Link den Werner Engelmann dankenswerter weise eingestellt hat sagt doch alles aus. Die SPD hatte zum Anfang der Schröderregierung 44% bei den Arbeitern. Derzeit hat sie 19,5%. Da sind die fehlenden Stimmen der SPD geblieben. Das mag dem einen oder anderem zu einfach sein, das ändert daran aber nichts. Diesen Mann publikumswirksam als einen der Hauptredner auf den Programmparteitag zu stellen grenzt schon an Selbstvernichtung. Ich habe die Tage mit einem der nicht mehr vorhandenen Arbeiter gesprochen . Mitte 20 und derzeit befristet beschäftigt. Auf die Frage wer nach seiner Meinung verantwortlich für die entsprechenden Regeln im Arbeitsrecht ist kam wie aus der Pistole geschossen, Schröder und rot/grün. Wenn in der Bevölkerungsgruppe ein so junger Mensch so reagiert sagt das eigentlich alles.
    Das die Arbeiter zu einem Teil zur AFD abgewandert sind, wie in dem Link geschrieben, stimmt natürlich auch. Das damit zu bestreiten das es bei dem Programm dieser Partei wohl nicht sein kann das diese Leute AFD wählen ist schon fast lustig. Diese Leute wählen Protest und kein Parteiprogramm. Das mit dem Parteiprogramm gilt aber nicht nur für Arbeiter. Wie sonst könnte die CDU sonst Wahlen gewinnen.Es ist keine Mehrheit die von einer fehlenden Transaktions oder Erbschaftsteuer pofitiert. u.s.w.
    Die Lösung für die SPD kann nur sein das sie mehr auf Gewerkschaftler oder noch besser auf Betriebsräte zu geht und sie einbindet. Aber bitte Schröder und co weglassen sonst wird das nichts. So erklärt sich auch der Anfangserfolg von Schulz. Auf den ersten Blick hatte er mit der Vergangenheit nichts zu tun, dann hat er mit seinen Reden bewiesen das er des öfteren nicht weiß von was er redet und damit den Kredit verspielt den zu Anfang hatte.

  5. Die diesjährige Vorwahlzeit hat manche Überraschung für uns bereit. Innerhalb einer Woche wird ein Gesetz beschlossen dass, wegen seiner Relevanz, auch noch später in Ruhe verabschiedet werden könnte. So spielt aber das Thema keine Rolle mehr im Wahlkrampf. Eine seit Jahrzehnten notwendige, für die Wahl unserer Volksvertreter immens wichtige, gesetzliche Änderung wird von der Mehrheit unser derzeitigen und früheren Volksvertretern einfach ignoriert.
    Abhängig Beschäftigte verlieren als gewählte Mitglieder unserer Parlamente (Land, Bund) ihren Arbeitspatz. Werden sie bei der nächsten Wahl nicht wiedergewählt sind sie Arbeitslos. Wehrdienstleistende hatten diese Arbeitsplatzabsicherung, unsere abhängig Beschäftigten Abgeordneten hatten und haben sie nicht. Unsere Parlamente sind voll von Beamten und Selbständigen die ihr Klientel (ca. 20-30% der Wahlberechtigten) sehr gut vertreten. Aber was ist mit mir (jetzt ehemaligen) armseligen Angestellten, und auch den anderen ca. 70 -80% der Wahlberechtigten? Unsere Interessenvertreter können wir in den Parlamenten wohl an einer Hand abzählen. Hätten meine Interessenvertreter (die auf einem Wahlschein nicht einmal auftauchen) einen 70% Anteil in den Parlamenten könnten wir uns sicherlich über so unwichtige Dinge wie Bürgerversicherung, Rente für Alle, ordentliche Erbschaftssteuer, ein Familiensplitting (Bedarfsgemeinschaft), und auskömmliche Einkommen für Alle freuen. Die reichsten 10% würden uns dabei hilfreich mit höheren Abgaben zur Seite stehen.
    Seit Jahrzehnten wird versucht das Gesetz zu ändern, aber die Mehrheit unserer Elite- Abgeordneten will wohl keine Konkurrenz von unterbezahlten Proleten. Wetten, in der nächsten Legislaturperiode wird´s wieder nichts mit der Gesetzesänderung!

  6. Hallo Herr Sturm,
    der Klarheit halber möchte ich Sie gern einladen, die Gesetze klar zu benennen, von denen Sie da sprechen. Beim ersten Gesetz habe ich einen Verdacht, beim zweiten tappe ich vollständig im Dunkeln. Und das wird außer mir auch anderen so gehen. Stellen Sie doch bitte Klarheit her.
    Danke, Bronski

  7. Hallo Bronski,
    beim ersten Gesetz handelt es sich um die Ehe für alle. Mir ist kein anderes Gesetz bekannt dass so schnell beschlossen wurde. Soweit ich mich erinnere wurde zur Sicherung des Arbeitsplatzes eines zuvor abh. Beschäftigten Abgeordneten, wie Früher für Wehrpflichtige, auch in dieser Legislaturperiode (publiziert durch die Medien) von der SPD ein Antrag gestellt. Vielleicht lässt mich mein Gedächtnis auch mal wieder im Stich.
    Momentan ist das Problem wohl noch nicht gelöst: Karrierekiller Bundestag http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-126267967.html

  8. @Gerhard Sturm
    Wie stellen Sie sich die Auswirkungen eines solchen Gesetzes konkret vor?
    Nehmen wir ein (fiktives) Beispiel: Ich habe ein kleines Unternehmen mit 6 Angestellten. Einer von ihnen kandidiert und wird in den Bundestag gewählt. Da ich mein Unternehmen nicht verkleinern will, stelle ich einen Ersatz ein. Nach 4 Jahren wird der Abgeordnete nicht wiedergewählt. Soll ich den Abgeordneten jetzt wiedereinstellen müssen und den Ersatz entlassen?

  9. Hallo Herr Flessner,
    auch bei vielen Millionen Wehrpflichtigen hat das System doch wunderbar Funktioniert. Warum gibt es für die paar Abgeordneten solche Bedenken? Wenn ein Abgeordneter befürchten muss, dass er nach der nächsten Wahl Arbeitslos ist, wie wird dadurch sein Abstimmungsverhalten im Parlament beeinflusst? Welches seiner Gewissen behält die Oberhand? Das Gerechtigkeits- oder Sozialgewissen, das Versorgungsgewissen? Mit dem richtigen Abstimmungsverhalten kann er ja eventuell die Arbeitslosigkeit nach der nächsten Wahl vermeiden. Vielleicht reicht es sogar für einen Vorstands- oder Aufsichtsratsposten!

  10. Sehr geehrte Damen und Herren,
    der Leserbrief von Herrn Hahn kann aufgrund der enthaltenen Unrichtigkeiten bzw. Ungenauigkeiten nicht unkommentiert bleiben. Nachstehend meine Sicht der Dinge:
    Die Staatsverschuldung in Deutschland hat mittlerweile den Stand von 2,130 Billionen Euro erreicht, das sind 2130 Milliarden. Staatsschulden sind die Schulden, die die öffentliche Hand hat, also der Bund, die Länder und die Kommunen. Davon zu trennen sind Unternehmensbeteiligungen, z.B. Anteile der Arabischen Staaten bei Daimler Benz u.a., die haben mit Staatsschulden überhaupt nichts zu tun. Unternehmensbeteiligungen sind also keine Schulden sondern (mehr oder
    wenig) sinnvolle Investitionen. Die Staatsverschuldung ist eine Verschuldung des Staates bei seinen Bürgern, die dafür aus schon lang laufenden Bundesanleihen und anderen Papieren Zinserträge erhalten. Diese Verschuldung ist also vom Gläubiger gesehen eher harmloser Natur. Und wenn der Staat in seine Infrastruktur investiert, wie im Moment an unzähligen Baustellen zu sehen ist, dann ist das eine Investition in die Zukunft, die auch teilweise von künftigen Generationen finanziert werden soll.
    Ein wichtiger Punkt wird in der Diskussion über die Staatsschulden gerne übersehen, ob bewusst oder unbewusst lasse ich mal dahingestellt: Das private Geldvermögen der Bürger in Deutschland beträgt zur Zeit 5,6 Billionen Euro. Geldvermögen heißt tatsächlich Geldvermögen, also das, was der Bürger auf der hohen Kante hat, egal wo. Nicht dazu gehören Häuser und Grundstücke, Wertgegenstände und was es sonst noch an Wertvollem gibt, z.B. Schwarzgeld. Dieses private Geldvermögen ist in diesem Sommer also 2,63mal so groß wie unsere gesamten Staatsschulden.
    Im Moment bin ich durch die Höhe der Staatsschulden alles andere als beunruhigt, eher im Gegenteil, denn Geld ist in unserem Staat ja genug da. Wenn man es also Ernst meinen würde mit der Reduzierung der Staatsschulden, könnte man das private Geldvermögen zum Abbau heranziehen. Die Älteren werden sich vielleicht erinnern, dass es in der Nachkriegszeit einen Lastenausgleich gab. Die Wohlhabenden mussten von ihrem Vermögen über einen gewissen Zeitraum einen vertretbaren Teil abgeben. Der Entwicklung der Bundesrepublik hat diese „Umverteilung“ nicht geschadet, kein Reicher ist dadurch mittellos geworden. Ein grobes Rechenbeispiel soll das verdeutlichen: Wenn 10 Prozent der 5,6 Billionen über zehn Jahre als Solidarbeitrag gezahlt werden, wenn also von den 2130 Milliarden 560 Milliarden abgezogen werden, reduziert sich die Staatsverschuldung bis 2027 auf 1570 Milliarden Euro. M.E. ein erfolgreicher erster Schritt.
    Ich frage mich nur, warum weder SPD noch CDU diese Möglichkeit in ihren Wahlprogrammen vorgesehen haben. Vermutlich will man die Wähler, die an den Staatsschulden bisher gut und risikolos verdient haben, nicht verschrecken.

  11. Es gehört zum Mantra der meisten Leserbriefschreiber und Kommentatoren in der FR, dass die SPD den Kontakt zu den Arbeitern und den so genannten „kleinen Leute“ verloren hat und sie deshalb eine konsequent „linke“ Politik verfolgen muss, um wieder mehrheitsfähig zu werden. Jetzt wird diese Meinung – scheinbar – sogar durch die Statistik unterstützt: Nur 17 Prozent der SPD-Anhänger sind Arbeiter, aber 34 Prozent der AfD-Anhänger, meldet die FR in ihrer Ausgabe vom 20. Juli, und titelt „Arbeiter stimmen kaum für die SPD“ und „Studie zeigt: Partei der kleinen Leute ist jetzt die AfD“. Und Peter Hebel schreibt dazu in seinem Kommentar, die Studie zeige, dass die SPD ihre Tradition als Partei der sozial Benachteiligten vernachlässigt und diese Menschen der Linken, der AfD oder der Resignation überlassen habe.
    Der Bericht über den Mathematik-Professor Albrecht Beutelspacher, wonach Mathematik Spaß machen kann, hat mich dann zum Nachrechnen angeregt. Hier das Ergebnis: 68 Prozent der Anhänger der SPD sind Angestellte, 17 Prozent Arbeiter. Dagegen besteht die Anhängerschaft der AfD zu 34 Prozent aus Arbeitern. Definiert man der Einfachheit halber die in der Studie bezeichneten Anhänger einer Partei als deren Wähler, so besteht die Anhängerschaft der CDU/CSU aus etwa 40 Prozent, die der SPD aus 25 Prozent und die der AfD aus rund 10 Prozent aller Wähler. Von diesen 10 Prozent sind 34 Prozent Arbeiter. Gerechnet auf die Gesamtzahl der Wähler sind dies 3,4 Prozent. Macht man dieselbe Rechnung für CDU/CSU und SPD auf, deren Wähler nach dem Bericht zu 17 Prozent aus Arbeitern besteht, so sind dies bezogen auf den Anteil der Arbeiter der gesamte Wählerschaft bei der CDUCSU 17 Prozent von 40 Prozent – also 6,8 Prozent – und bei der SPD 17 von 25 Prozent – also 4,25 Prozent.
    Man kann es auch in Zahlen ausdrücken: Bei der letzten Bundestagswahl gab es etwa 62 Millionen Wahlberechtigte. Bei einer Wahlbeteiligung von 72 Prozent haben rd. 45 Millionen Bürger abgestimmt. Geht man wiederum von dem oben genannten gegenwärtigen Stimmenverhältnis aus, dann entfallen auf die CDU/CSU 40 Prozent – also 18 Millionen Stimmen – und auf den darin enthaltenen siebzehnprozentigen Anteil von Arbeitern 3,06 Millionen. Die SPD hätte bei dieser Rechnung 11,25 Millionen Stimmen, von denen 1,91 Millionen von Arbeitern stammen, und die AfD käme auf 1,53 Millionen „Arbeiterstimmen“.
    Wenn man die Studie zu Ende denkt (und rechnet), dann ist also nicht die AfD, sondern die CDU/CSU die „Partei der kleinen Leute“, denn sie wird von den meisten Arbeitern gewählt. Ob man die „Arbeiter-Wähler“ der Unionsparteien allerdings durch eine „linke“ Politik zur SPD herüberziehen könnte, ist unwahrscheinlich. Sie sind ja offensichtlich mit der Kanzlerin und ihrer neoliberalen Politik einverstandan. Schief ist auch die Behauptung, Arbeiter würden „kaum“ für die SPD stimmen – immerhin sind es noch fast 2 Millionen. Ihnen stehen allerdings 7,65 Millionen Angestellte gegenüber, nämlich 68 Prozent ihrer Wählerschaft. Hinzu kommen 36 Prozent „Ruheständler“, also auch 4,05 Millionen Menschen.
    Jenseits dieser Zahlenspiele ist natürlich richtig, dass die Wähler der SPD in ihrer Mehrheit und unabhängig von ihrem sozialen Status für eine gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen eintreten. Ob sie damit die Wähler der AfD – ob Arbeiter oder nicht – erreichen, erscheint mir allerdings zweifelhaft. Denn die AfD ist trotz ihres hohen Arbeiteranteils in den meisten ihrer Äußerungen nicht eine „Partei der kleinen Leute“, sondern eine Partei der kleinen Geister.

  12. @ Gerhard Sturm:

    Zu Ihrer Frage, ob auch andere Gesetze in aller Eile beschlossen wurden:

    Im Herbst 1973 wurde anlässlich einer „Energiekrise“ das Gesetz über Sonntagsfahrverbote in einer Sitzung mit drei Lesungen beschlossen.

  13. @ Gerhard Sturm

    Nur am Rande: Es stimmt nicht, dass die Gesetzesänderung zur Ehe für alle schnell beschlossen wurde. Sie kam für viele überraschend, das ist sicher richtig. Aber die Diskussionen dahinter haben Jahrzehnte gedauert, und das Gesetz, beschlossen durch den Bundesrat, lag bereits eine ganze Weile vor. Das Lebenspartnerschaftsgesetz von 2001 ist Ausdruck desselben Ringens.

  14. zu @ Herbert G. Just
    Die SPD und die CDU in einen Topf zu werfen ist bei der von ihnen angesprochenen Frage schlicht falsch.Ob man eine Steuer Lastenausgleich, Erbschaftssteuer oder Transaktionssteuer nennt, die auf das vorhandene Vermögen zugreift, ist doch wohl egal.Die CDU bekämpft alle 3 Steuerarten. Die Erbschaft und Transaktionssteuer scheinen mir auch sinnvoller, weil sie an den richtigen Stellen sehr ertragreich eingesetzt werden können. Die Transaktionssteuer hat man sich ja auch ausgedacht um Finanzkrisen und damit Schulden zu bekämpfen und zu bezahlen. Steinbrück war bei dieser Frage schon auf dem richtigen Weg. Den wollte aber eine Mehrheit nicht mitgehen sonst wäre er heute Kanzler und mit der CDU als Mehrheitspartei wird es so etwas nicht geben.

  15. @ Walter Unger, 28. Juli 2017, 13:45

    Danke für Ihre überzeugende Beweisführung. Ihrem Schlusssatz ist nichts hinzuzufügen.
    Genau das meine ich, wenn ich im Zusammenhang von SPD und Arbeiterschaft auf zu berücksichtigende Strukturveränderungen verweise (was Selbstkritik natürlich nicht ausschließt).

    „Jenseits dieser Zahlenspiele ist natürlich richtig, dass die Wähler der SPD in ihrer Mehrheit und unabhängig von ihrem sozialen Status für eine gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen eintreten.“ –
    Das wirft die Frage auf, ob es denen, die vor allem die SPD mit Liebesentzug strafen, in erster Linie wirklich um „Gerechtigkeit“ geht. Wäre dem so, müsste derselbe Maßstab an CDU/CSU und vor allem AfD angelegt werden. Was, wie Sie deutlich machen, offensichtlich nicht der Fall ist.

  16. Zu der Debatte fällt mir nur der (Brecht?)-Spruch ein: „Es wählen sich die dümmsten Kälber, ihre Schlächter immer selber.“

    Der Grund für Wahlfrust und mangelnde Wahllust – ich tippe für den 24.09. auf weniger als 2/3 Wahlbeteiligung – dürfte sein, daß inzwischen wohl alle Parteien, incl. Grüne und SPD, voll auf dem neoliberalen Trip sind. Ist ja auch verständlich, weil nur dort, siehe Schröder & Fischer, nach der Wahl gute und lukrative Jobs angeboten werden, wenn es mit dem (Weiter-)Regieren nicht so geklappt hat. Alles, was in den Programmen von CDU/FDP/Grüne/SPD so steht, ist Richtung Vergangenheit und nicht Richtung soziale Zukunft gerichtet. Eben: Weiter so! Die einzigen, die noch ein wenig in die Zukunft schauen, sind die Linken. Aber die werden wohl nur, mit etwas Glück, knapp zweistellig werden.

    Wir haben so viele Probleme, die kumulieren, und die irgendwann zur Explosion, nicht nur des Sozialstaates, führen werden, als da wären,

    – ansteigendes Gefälle zwischen Arm und Reich, Arm zahlt weiterhin, siehe Mehrwertsteuer, weil auch ein Nicht-Lohnsteuerzahler wie ein Hartzer, dafür kräftig abdrücken muß, nicht zu vergessen die Zusatzkosten für die Sozialkassen
    – Armutsrenten. Alle Zusatzversicherungen privater Natur sind Quark, wenn das Geld dafür fehlt. In der gesetzlichen RV sind mit den geringsten Verwaltungskosten die höchsten Leistungssteigerungen zu erwarten, bei niedrigeren Beiträgen
    – die Frage: wie wollen wir leben, unter welchen Umständen, mit welcher Mobilität, mit und in welchen Lebensformen
    – die Frage der Zuwanderung. Wer darf, aus welchem Grund und wie lange – kommen? Was sind wir bereit, zu tun, und wie explizit, nicht nur mit Geld, zu helfen, damit die Menschen in Würde weiter zu Hause leben und wirken können? Es wäre einfacher, Geld mit dem Hubschrauber abzuwerfen, als es weiterhin an korrupte Regierungen als „Entwicklungshilfe“ zu zahlen, welche dann schnellstens die Kohle in die Schweiz oder auf die Caymans schaffen. Das „Volk“ ist denen scheißegal, da gibt es keine Solidarität!

    Und jetzt verreißt mich, ich kenne es nicht anders.

  17. @ Herbert G. Just
    Ihre Darstellung zur Staatsverschuldung bedarf der Korrektur.
    Bei Staatsverschuldung handelt es sich auch um Schulden bei Banken bzw. anderen Staaten, was am Beispiel Griechenlands deutlich wird. Letzteres ist bei europäischen Banken so hoch verschuldet, dass diese ihm bei fälliger Umschuldung keine neuen Kredite mehr gewähren. Hier nun springen Länder wie Deutschland ein, die sich wegen ihrer Kreditwürdigkeit zu niedrigen Zinsen Geld leihen können, das sie dann zu höheren Zinsen an Griechenland verleihen. So kommt es zu dem Profit, den Deutschland aus der Eurokrise zieht.

  18. zu @ Wolfgang Fladung
    Warum sollte man sie für das was da geschrieben steht verreißen. Es ist grundsätzlich erst mal richtig. Ich für mich frage aber weiche Partei das kleinere Übel darstellt. Andere wählen aus Protest AFD oder gehen gar nicht zur Wahl.Die Linke ist immer noch im Westen als SED Nachfolgeorganisation verbrannt und hat Positionen zum teil eingenommen die sie nicht wählbar machen.Warum ich es für richtig halte das es kleinere Übel gibt habe ich einen Beitrag weiter oben geschrieben. Die Energiewende wäre ein weiteres Beispiel. Ich würde mir wünschen das sich mehr Leute an den Bibelspruch erinnern: An den Taten werdet ihr sie erkennen.Wenn man das aber den AFD Wählern sagt bekommt man sofort wieder Schröder um die Ohren gehauen und sie haben damit sogar recht.

  19. Der Verweis auf den Rückgang des Arbeitermilieus verstellt leicht den Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse von Einkommen und Vermögen und deren Wirkung auf die Teilhabe in unserer Gesellschaft. Heute arbeiten Niedriglöhner überwiegend im Bereich Dienstleistungen (Transport, Zustelldienste, Sicherheit, Reinigung, Pflege, usw.). Die Löhne liegen unter denen der „Arbeiter“ in den 60er Jahren (kaufkraftbereinigt). Bedenkt man, dass im Handel mehr als 60% der heutigen Beschäftigten nicht mehr tarifgebunden entlohnt werden und mit dem „Bündnis für Arbeit und Standortsicherung“ ab Mitte der 90er Jahre Flächentarifverträge durch Betriebsvereinbarungen überwiegend zum Schaden der Beschäftigten abgelöst wurden, wird deutlich, wie sehr die unteren Einkommensgruppen in die Defensive geraten sind. Wir haben zwar fast keine „Arbeiter“ mehr, indes sind die Teilhabebedingungen für viele der neuen Angestellten schlechter als im Arbeitermilieu der 60er.

    Der angeblichen Schuldendramatik, die Hans-Albert Hahn ins Spiel brachte, wurden von Herbert Just dankenswerterweise wichtige Argumente entgegengehalten. Eine ergänzende Bemerkung möchte ich dennoch machen. Dass die Schulden die aktuelle Höhe erreicht haben, hängt mit der Tatsache zusammen, dass wir die Einnahmeseite des Gemeinwesens – Steuern – zugunsten ein-kommensstarker Gruppen verringert haben: Senkung der Spitzensteuersätze, Reduzierung der Kapitalertrags- und Körperschaftssteuer, Aussetzung der Vermögenssteuer, Marginalisierung der Erbschaftssteuer, Freistellung von Veräußerungsgewinnen.

    Diese Steuersenkungen schwemmen freies Geld in den Finanzmarkt, ermöglichen nahezu leistungslose Gewinne und geradezu hirnrissige Gehälter der Zockerklasse an den weltweit tätigen Wettbüros. Die Risiken werden an die Steuerbürger abdrückt, die dann zur Rettung der Anleger faule Kredite refinanzieren (müssen). Ein bürgerliches Ethos der Zocker existiert nicht und wird durch die Haltung der Politik, wo vielleicht vorhanden, endgültig beseitigt. Aufgrund der Besonderheiten dieses Marktes sind langfristige Strategien genauso hinderlich wie eine an realen wirtschaftlichen Größen orientierte Rechnungslegung. Von „Werte schaffen“ (Josef Ackermann) kann keine Rede sein, „Hauptsache man ist raus, bevor der nächste Crash kommt…“, so beschrieb während der Finanzkrise 2008 ein Broker sein Tun. Die so erworbenen Vermögen wandern häufig in private Stiftungen, werden dem staatlichen Zugriff entzogen und gewähren den Besitzern und deren Dynastien leistungslose Renditen.

    Wozu führt das alles? Zu der bereits von Dahrendorf angesprochenen „Refeudalisierung“ unseres Landes. Zu einer entrückten Geldelite, die sich alles – auch Politik – kauft und es damit schafft, die normierende Kraft des Gemeinwesens den eigenen Interessen unterzuordnen. Gesetze machen heute die Konzerne selbst oder man lässt Freshfields und Partner die Arbeit erledigen, die dann wortgleich in Gesetze einfließt. Der „Dieselskandal“ – ähnlich dem Weltfinanzskandal mit seiner organisierten Unverantwortlichkeit – ist ja leider kein Theaterstück eines weltfremden Regisseurs, sondern beredtes Beispiel für die „Neutralisierung“ staatlicher Macht durch gestaltungsmächtige Interessengruppen.

    Ein Wort zu den Zahlen von Walter Unger: Sie blenden aus meiner Sicht das wichtigste politische Ereignis, was zu referieren wäre, aus. Die Tatsache nämlich, dass die Partei der Nichtwähler mehr Stimmen erhält als die CDU Zweitstimmen. Bei der letzten Bundestagswahl waren das fast 18 Millionen wahlberechtigte Bürger. Die Motive mögen unterschiedlich sein, dennoch machen Wahlforscher immer wieder darauf aufmerksam, dass sich die Menschen, denen es wirtschaftlich schlecht geht, bei der Wahl eher enthalten. Sie erwarten von der vorherrschenden Politik nichts mehr. Und sie haben Recht, die Politik der großen Parteien hat sie aufgegeben. Enthaltungen zählen (vorerst) nicht. Damit kann der gewählte Abgeordnete prima leben.

    So gesehen käme es darauf an, ein neues politisches „Narrativ“ jenseits des Arbeitermilieus zu entwickeln und die Wahrnehmung der Bürger – auch der Nichtwähler – zu schärfen für die langfris-tigen, großen Entwicklungen, die unser Gemeinwesens sowie unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen beeinträchtigen. Ein solches Narrativ muss viele Themen zusammenführen, Lohn und Arbeit, Ökologie und Ökonomie, Staatlichkeit und Sozialgesetzgebung auch in einer europäischen Dimension, um nur einige zu nennen. Im Zentrum soll der Bürger mit seinen Rechten und Pflichten, Ansprüchen und Bedürfnissen stehen und nicht die Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse. Daran müssen sich die Wortkaskaden und Nebelbänke, die Fensterreden und Rochaden aber vor allem auch die getroffenen Entscheidungen der herrschenden Politik messen.

  20. Es gibt Untersuchungen, wie oben verlinkt, wie sich das Wahlverhalten der “ Arbeiter“ verändert hat.Gibt es wirklich die Frage das es bei anderen Arbeitnehmern in der Einkommensklasse der „Arbeiter“ und darunter anders ist? Wenn ja warum sollte das so sein? Mir fällt da kein Grund ein. Es ist nur eine Frage der Zeit bis jemand kommt der diese 35-40% anspricht die wieder in die Simmenthaltung gehen.

  21. @ Hans

    Ich bedauere, denn ich verstehe ihren Beitrag nicht. Vielleicht geben sie ein paar ergänzende Erläuterungen.

  22. @ Wolfgang Geuer: Ich verstehe Ihren Beitrag samt Antsatz sehr gut und teile diesen zu 100%. Was mir nach wie vor unbegreiflich ist, ist die Tatsache, das alle von den Verhäoltnissen frustrierten WählerInnen sich eher abstinent emthalten, als die eine Partei zu wählen, welche wirklch Anderes will, und damit meine ich nicht die AfD. Was liegt wie eine dunkle Wolke über unserem Land? Und warum ballt sich Resignation mit Wut, aber Unlust, sich selbst einzumischen und zu engagieren? Wir leben immer noch in einer Demokratie, und wer den neuen SPIEGEL liest, und den Kommentar von Ulrich Fichtner, weiß, was ich meine.

    Ansonsten, wie mir Hesse sache: Gudd Nacht, Sannche!

  23. Anmerkung zum Kommentar von Herrn Herbert Just 28.Juli.2017
    Sehr geehrter Herr Just, Firmenbeteiligungen gehören selbstverständlich nicht zur Staatsverschuldung. Ihr Lösungsvorschlag zur Eliminierung der Staatsverschuldung wird sicherlich alle Sparer in wahre Begeisterung versetzen. Eine wissenschaftliche Analyse zur Staatsverschuldung finden Sie unter www. Staatsverschuldung.de, die Sie bei Ihren Betrachtungen berücksichtigen sollten. Mit fr.Gruß Karl Hahn

Kommentarfunktion geschlossen