„Gerade hat eine aktive Finanzpolitik in der Krise bewiesen, was sie zum Wohl der Menschen beitragen kann, da wird sie per Grundgesetz verboten. Das ist Irrsinn“, meint Markus Sievers im Leitartikel. Hintergrund: 418 von 575 Bundestagsabgeordneten stimmten für den rot-grünen Kompromiss, mit dem Bund und Ländern künftig per Grundgesetz verboten ist, Schulden zu machen. Vertreter der Koalition feierten die Neuregelung als „finanzpolitische Entscheidung von historischer Tragweite“ (Steinbrück). 19 SPD-Politiker stimmten dagegen, weil die Regelung ihnen zu weit geht. Auch FR-Leser Bruno Bastijans aus Hamburg findet, dass die Schuldenbremse eher schädlich wirken wird:
„Mit den letzten Zuckungen des Neoliberalismus ändern die neoliberalen Katastrophenpolitiker jetzt auch noch das Grundgesetz. Sie versuchen damit, eine künftige wirksame keynesianische Politik zu blockieren. Und dies ausgerechnet in der größten Krise seit der Weltwirtschaftskrise 1929. Dazu einige Aspekte: Bekanntlich ist der Kapitalismus krisenhaft wie eh und je. Alle paar Jahre eine kleinere und ab und an eine größere Krise mit seit drei Jahrzehnten steigender Arbeitslosigkeit.
Um die jetzige Subprimekrise abzumildern, wurde die Verschuldung massiv erhöht. Recht so. Nichts tun wäre über Pleiten, den Wegfall von Arbeitsplätzen, Sozialversicherungs- und Steuereinnahmen bei gleichzeitig erhöhten Kosten für die Arbeitslosigkeit teuer zu stehen gekommen. Schon hier wird erkennbar, dass eine kompensatorische keynesianische Politik angeraten ist.
Aber die Verschuldung steigt doch an? Sicher, so scheint es. Die Refinanzierungsrate dieser Politik soll nach Angaben des DGB lediglich etwa 50 Prozent betragen. Andere, etwas ältere Schätzungen gehen von einer Rate schon im ersten Jahr von 90 Prozent aus. Ich halte letztere aufgrund der vielen Mehreinnahmen daraus für wahrscheinlicher. Im einzelnen sind dies bei den direkt beauftragten Unternehmen mehr Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer, gegebenenfalls Einkommensteuern, aber auch Energiesteuern sowie die Mehrwertsteuer. Dazu kommt der von den Unternehmern zu zahlende Anteil an den Sozialversicherungsbeiträgen. Zahlt die Mehrwertsteuer der Staat als Auftraggeber, ist dies von der Refinanzierung wieder abzuziehen.
Zu berücksichtigen ist hierbei, dass bei den Unternehmen durch die verbesserte Auslastung bei ungefähr gleichbleibenden Fixkosten die Profite überproportional steigen (sog. steigende Skalenerträge). Hieraus entstehen entsprechend höhere Steuereinnahmen. Die mehr beschäftigten Arbeitnehmer zahlen Einkommensteuer, aber auch durch insgesamt mehr Konsum mehr Mehrwertsteuer sowie mehr an Verbrauchssteuern (Kraftstoff, Kaffee, Bier usw.). Eventuell erhöht sich auch das Aufkommen an Kfz-Steuern durch mehr Autos. Gleichzeitig zahlen sie wieder Sozialbeiträge. Auch hier wird der Staat entlastet, indem er weniger Zuschüsse an die Sozialversicherung zu zahlen hat. Dazu kommen Multiplikatoreffekte über die folgenden Jahre.
Sollte die Verschuldung wider Erwarten dennoch ansteigen, gibt es diverse geeignete Maßnahmen, um dies zu ändern. Etwa eine kreditfinanzierte Förderpolitik für Wärmedämmung von Gebäuden. Also eine verbesserte keynesianische Politik. Hier hat der Staat lediglich 20 bis 30 Prozent der Gesamtauftragssumme als Förderung zu zahlen. Jedenfalls wenn es sich für die Investoren lohnen soll. Er erhält also etwa das Drei- bis Fünffache an Einnahmen der mindestens 50 Prozent Selbstfinanzierung (s.o.) zurück. Deutlicher: Er bekommt mehr zurück, als er an Krediten dafür aufgenommen hat. Nebenbei entsteht auch noch die drei- bis fünffache Menge an Arbeitsplätzen und dazu noch die drei- bis fünffache Menge an Energieeinsparung (als wenn er selbst diese Maßnahmen für öffentliche Einrichtungen tätigt). Trotz erhöhter Kreditaufnahme braucht eine weitere Verschuldung hier jedenfalls nicht mehr stattzufinden. Eine „Schuldenbremse“ aber ist schädlich und überflüssig und kann durch Handlungsunfähigkeit des Staates erst in die ökonomische und dann in die politische Katastrophe führen.
Wieder einmal gefallen sich dritt- bis fünftklassige Politiker darin, am Grundgesetz herumzumurksen. Nicht eine der seit Bestehen des Grundgesetzes vorgenommenen Änderungen kann als vorteilhaft für die Demokratie angesehen werden. Man kann nur hoffen, dass die so genannte Schuldenbremse im Bundesrat kippt.“
Das ist aber eine Schönwetterrechnung, die Bruno Bastijans da aufmacht. Da geht er von dingen aus, die überhaupt noch nicht absehbar sind. Stichwort: Lohnentwicklung. Stichwort: Rarionalisierun inkl. der einhergehenden Sparmaßnahmen. Wieviel bekommt Opel? Und wieviele Arbeitsplätze fallen weg? Kann irgendwer die Gewinnsumme berechnen, die HRE nun mit ehrlichen Bankgeschäften, die sich auf das Kernsegment beschränken, vorhersagen? Mit Dalles sind sie abgestürzt, und nun sollen es die ganz kleinen ehrlichen Brötchen richten? Dann hieß es immer, die Generationen hinter uns… Verantwortung tragen…
Es stellt sich die Frage, warum sind Politiker so verpicht darauf, schuldenfrei zu sein, wenn sie sowieso alles dafür tun, das es mit ihrer Politik niemals funktionieren wird. Vielleicht funktioniert es, wenn die Politik sich aus der sozialen Verantwortung gänzlich zurückzieht. Nach dem einfachen Grundrechnungswesen würde es dann klappen. Da sie das nicht machen können/dürfen (noch), ist anfürisch das Thema vorbei am Markt plaziert, somit keine Silbe wert.
Ich halte, anders als Herr Bastijans, eine Schuldenbremse für sehr wohl angebracht. Natürlich muss ein Staat handlungsfähig sein in einer Krise. Das ist keine Frage. Nur bringt es nichts, sich alles schönzurechnen, ohne auf die Schulden zu schauen, die man in der Vergangenheit schon getätigt hat. Inzwischen ist die gesamtstaatliche Verschuldung in Deutschland bei über 70% des BIP angekommen, 1960 lag sie noch bei 17% des BIP – Tendenz weiter steigend! Wir reden hier von mehr als 1.500 Milliarden Euro Schulden (Stand 2006)!
Damit einher geht, dass dafür immer mehr Zinsen gezahlt werden müssen. Das bedeutet, dass dem Staat immer weniger Handlungsspielraum in zukünftigen Krisen bleiben wird, in Kirsensituationen Finanzhilfen zur Verfügung zu stellen, wenn wir so weitermachen. Mit der zunehmenden Verschuldung drehen wir uns also selbst den Hahn ab. Das mag für die heutige Generation noch verkraftbar erscheinen, doch bei der zu erwartenden demografischen Entwicklung ist das für unsere Kinder eine Horrorvision. Wir leisten uns den Luxus, uns von ihnen Geld zu leihen, das sie noch nicht mal erwirtschaftet haben und für diese Schulden dürfen Sie dann die Zinsen bezahlen.
Leider hatten die Gründerväter der Bundesrepublik nicht damit gerechnet, dass die wirtschaftliche Entwicklung so nicht weitergehen würde, wie es damals der Fall war. Und vor allem hatten Sie nicht mit dem „Pöstchen-Faktor“ gerechnet. Jeder Politiker will wiedergewählt werden, das ist ganz menschlich und noch nicht mal verurteilenswert. Doch die Wahlgeschenke, die daraus entstehen (siehe Opel usw.) sind enorm verlockend und um die unpopuläre Ausgabenbremse mag sich kein Politiker kümmern, der wiedergewählt werden möchte. Ergo ist hier ein Systemfehler in unserer Demokratie, der sich fehlende Berücksichtigung der Lebensbedürfnisse zukünftiger Generationen nennt. Aus meiner Sicht geht es deshalb gar nicht anders, als die Interessen zukünftiger Generationen durch eine Schuldenbremse zu berücksichtigen.
Und nur so wird der Staat in Zukunft seine Handlungsfähigkeit auch in Krisen behalten, mit einer überbordenden Zinslast verliert er sie jedoch. Insofern halte ich die Argumentation von Herrn Bastijans für zu kurz gegriffen.
Schulden sind Einnahmen auf die man ersatzlos verzichten will. Dann muss man dazu auch sagen welche Ausgaben dafür nicht mehr getätigt werden sollen. Wenn das nicht getan wird und der Termin des verzichtes auf neue Schulden auf 2020 geschoben wird kann ich das ganze nicht ernst nehmen.
Was treibt die Politiker eine unrealistische und unsinnige „Schuldenbremse“ ins Grundgesetz zu schreiben? Wird hier ein Verfassungsbruch geplant? Da werden zunächst uneinhaltbare Bestimmungen ins Grundgesetz geschrieben. Wenn dann eine neue Krise kommt, besteht die Gefahr, dass die Schuldenbremse zusammen mit anderen Freiheitsrechten einfach missachtet wird.
Wenn der Staat weiterhin Infrastrukturinvestitionen vornehmen will, wird er gezwungen sein diese über „public-private-partnership“ Modelle zu finanzieren. Auch wenn die bisherigen ppp-Projekte den Steuerzahler teuer zu stehen gekommen sind, scheint es doch viele uneigennützige Befürworter unter den Politikern zu geben. Denn ohne ppp macht eine Schuldenbremse keine Sinn.