Die Ehe für alle wird kommen. Das ist eine gute Nachricht. Der lange Weg durch die Institutionen, den Volker Beck und seine MitstreiterInnen vor allem von den Grünen gegangen sind, hat ein wichtiges Ziel erreicht. Fast 50 Jahre ist es her, dass die Emanzipationsbewegung der Lesben und Schwulen mit dem Aufstand in der New Yorker Christopher Street begann. All die CSD-Demonstrationen und Gay-Pride-Paraden haben gewirkt. Nun wird das Rechtsinstitut der Ehe geöffnet. Der deutsche Rechtsstaat hört endlich auf, Lesben und Schwule zu diskriminieren.
„Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“, heißt es in Artikel 6 des Grundgesetzes. Die Inhaber der Deutungshoheit, darunter das Verfassungsgericht, haben diesen Passus lange so ausgelegt, dass Ehe die Verbindung von Mann und Frau zu sein hat. Frau mit Frau und Mann mit Mann wurde die Ehe und damit die Gleichstellung vorenthalten. Stattdessen wurde die eingetragene Lebenspartnerschaft geschaffen, ein rechtliches Konstrukt, welches trotz etlicher Fortschritte zuließ, dass Hetero- und Homosexuelle in einigen Rechtsbereichen unterschiedlich behandelt werden. Ein unhaltbarer Zustand.
Für die Eltern des Grundgesetzes lag der Gedanke nicht in Reichweite, dass Lesben und Schwule einst Gleichstellung fordern würden. Darum behauptet Paragraf 6 auch nicht, dass Ehe die Beziehung von Mann und Frau zu sein hat. Dies genau zu definieren war damals nicht nötig. Homosexualität war lange strafbar. Heute leistet die Bundesrepublik Wiedergutmachung für Unrecht, das im Namen des Paragraphen 175 begangen wurde. Das Verfassungsgericht hat mit jüngeren Entscheidungen signalisiert, dass Gleichbehandlung angesagt ist. Es ist also von einer jahrzehntelang geübten Tradition abgerückt – klares Zeichen eines Lernprozesses und Wertewandels.
Das Schutzversprechen des Staates gilt künftig einfach für Menschen in Zweierbeziehungen, die immer füreinander da sein und darum die Ehe eingehen wollen. Das ist ein im besten Sinne konservativer Wert. Trotzdem haben ausgerechnet die Konservativen im Bundestag lange gegen die Ehe für alle gemauert. Sie hatten dem Reformgedanken letztlich nichts mehr entgegenzusetzen. Ein progressives Bündnis aus Grünen, SPD und Linken hat die Hardliner niedergestimmt. Was könnte ein solches Bündnis künftig erreichen!
Ist die Gleichstellung jetzt durchgesetzt? Juristisch sieht es so aus. Trotzdem gibt es noch viel zu tun. Der Weg bis zu dieser Entscheidung war beschwerlich, weil in den Köpfen vieler Menschen immer noch archaische Leitbilder wirken, die nichts mit unserer Lebenswirklichkeit zu tun haben, aber trotzdem über Beharrungsvermögen verfügen. Die Sache mit dem „Gräuel“ aus dem Moses-Buch – „Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau“ – wird allen Ernstes auch heute noch als Argument gegen die Ehe für alle angeführt, obwohl diese Sätze vor Jahrtausenden geschrieben wurden. Was damals richtig war, kann heute nicht falsch sein? Abgesehen davon, ob diese Worte jemals wirklich „richtig“ waren, darf ihnen nicht einfach quasi Gesetzes-Charakter zugeschrieben werden, nur weil sie prominent überliefert sind. Und Menschen deswegen Rechte zu verwehren, die andere Menschen wie selbstverständlich wahrnehmen, geht erst recht nicht.
Solche archaischen Leitbilder verschwinden nicht einfach, nur weil ein Gesetz geändert wird. Die Last der Tradition, welche die Liberalisierung so langwierig und beschwerlich gemacht hat, existiert weiterhin. Aber sie wird immerhin nicht mehr durch staatliche Diskriminierung geadelt. Das ist ein gewaltiger Fortschritt. Dies sollte vor allem jenen zu denken geben, die gern von Leitkultur schwadronieren und das Christentum als deren Quelle ausgemacht haben. Bedeutende zivilisatorische Fortschritte – etwa die Erklärung der Menschenrechte, aber eben auch die Ehe für alle – wurden meist gegen den Widerstand der Religionen und ihrer Institutionen errungen, kaum jemals mit ihnen. Deswegen ist die Ehe für alle ein Meilenstein. Deutschland wird durch sie ein wenig säkularer.
Ob es sinnvoll ist zu heiraten – egal. Jede/-r darf es jetzt, darauf kommt es an. Noch ein wenig platter: Alles kann, nichts muss. Wer heiratet, hat Rechte und Pflichten, und folgt man den Statistiken, erlebt sie/er mit rund 40-prozentiger Wahrscheinlichkeit die Scheidung dieses angeblich unverbrüchlichen Bündnisses. Willkommen in der Normalität!
Die Zeiten sind vorbei, in denen Heteros den Lesben und Schwulen diktierten, wie sie zu leben haben. Deutschland hat sich damit seiner Liberalität versichert, während diese Freiheitlichkeit von außen angegriffen wird. Unsere Parlamentarier sind den archaischen Denkweisen, in denen viele Zeitgenossen – etwa im Iran und in Russland, aber auch hierzulande, von Islamisten nicht zu sprechen – weiterhin verhaftet sind, mehrheitlich entgegengetreten.
Die Ehe für alle ist von hoher symbolischer Kraft. Es ist egal, ob du Frau oder Mann liebst. Das hat den Staat schlicht nicht zu interessieren. Er soll dir keine Steine in den Weg legen, sondern er soll dafür sorgen, dass du dich entfalten kannst. Er soll Minderheiten nicht diskriminieren, sondern er soll dieselben Maßstäbe an alle Bürgerinnen und Bürger anlegen und dieselben Bedingungen für alle schaffen. Das ist alles. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Gut, dass dies endlich geschafft ist.
Die Ehe für alle kommt. Eine gute Nachricht für Deutschland.
***
Dieser Kommentar erscheint in der Samstagsausgabe der FR am 1. Juli als Leitartikel auf der Meinungsseite.
Lutz Büge ist FR-Redakteur, betreut sei 2007 das Leserforum und bloggt seit 2005 für die FR im FR-Blog. Leserinnen und Leser kennen ihn unter dem Spitznamen Bronski. Außerdem ist er Romanautor. Seit 1996 sind insgesamt 12 Romane von ihm erschienen. Zuletzt:
Virenkrieg. Thriller. Ybersinn-Verlag Offenbach 2015. 440 Seiten. 14,90 Euro
Die JFK-Akten. Virenkrieg Sidelines. Roman. Ybersinn-Verlag Offenbach 2016. 140 Seiten, 7,90 Euro
Skylla – Virenkrieg II. Thriller. Ybersinn-Verlag Offenbach 2017. 400 Seiten. 14,90 Euro
Lutz Büge betreibt außerdem seine Autoren-Webseite Ybersinn.de.
Dass Frau Dr. Merkel einerseits den Fraktionszwang für die inhaltliche Entscheidung über das „Ehe für alle“-Gesetz aufgehoben hat, andererseits dieselben Abgeordneten seitens ihrer Fraktionsführung aber genötigt werden, geschlossen dagegen zu stimmen, dass das Thema überhaupt auf die Tagesordnung kommt, macht drastisch die Schizophrenie der Parteiendemokratie deutlich. Nach Art. 38 GG sind Abgeordnete nämlich Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Einen sog. Fraktionszwang kennen weder das Grundgesetz noch irgendeine andere gesetzliche Regelung und schon gar nicht die Bundestagsgeschäftsordnung. Die im Bundestag vertretenen Parteien selbst sind es, die permanent, vorsätzlich und ohne schlechtes Gewissen ungestraft gegen das Grundgesetz verstoßen. Nach Art. 46 GG darf zudem ein Abgeordneter zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung gerichtlich oder dienstlich verfolgt werden. Wer einmal oder wiederholt gegen den Stachel der Fraktionsdisziplin gelöckt hat, wird schnell eines besseren belehrt und ist bei den nächsten Wahlen seinen Listenplatz los. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt.
Die Karikatur von Plaßmann heute in der FR bringt Merkels Haltung gekonnt auf den Punkt (http://www.fr.de/fotostrecken/cme12329,970834 ). Aber egal, es wurde abgestimmt und das Ergebnis ist sehr erfreulich.
Bedenken wir mal, wie lange bestimmte Prozesse in der Gesellschaft dauern, um tradierte (von der Kirche bestimmte) Vorstellungen zu verändern. In meiner Jugend wurden unverheiratete Frauen noch mit Fräulein angeredet, egal, wie alt sie waren. Ledige Mütter wurden als verwerflich betrachtet, uneheliche Kinder diskriminiert. Homosexuelle galten als krank und behandlungsbedürftig. Zumindest auf diesem Gebiet hat unsere Gesellschaft nun wirklich einen Fortschritt erzielt. Ich erbitte nun Geduld für unsere Einwanderer, die brauchen auch ihre Zeit. Sie befinden sich zwar in einem Beschleunigumssystem, aber viele sind dabei überfordert, wie viele CDU- und AfD-Anhänger auch.
Eine klare Absetzung von den diskriminierenden Gesetzen gegen Homosexuelle wie sie in vielen Teilen der Welt gelten.
Außerdem ein Beweis, das die Demokratie bei uns lebt, war diese Abstimmung.
Nur will ich noch weiter gehen und den Leistungsgedanken einmal ausschließen,
dass nämlich die Ehe für alle möglich sein sollte, also auch für die Bezieher von Transferleistungen.
Da besteht auch noch weiter eine Diskriminierung,
Transferleistungen und ein Eheversprechen schließen sich dabei aus.
In der Transferleistung wird der Partner diskriminiert, da die Leistung im Fall der häuslichen Gemeinschaft, nach heutiger Gesetzgebung, für einen der Partner gekürzt wird.
Bei der Transferleistung erhält der Partner nicht dasselbe Geld, sondern nur das gekürzte Geld, was der Partnerschaft nicht förderlich ist.
Desgleichen gilt für Behinderte, für sie ist die „Ehe für alle“ auch nicht selbstverständlich.
Ich verstehe die Kritik an Frau Merkel nicht ganz. Sie hat den Fraktionszwang aufgehoben und die Abstimmung zu einer Gewissensfrage erklärt. Und sie hat ihre eigene ablehnende Einstellung erst nach der Abstimmung kundgetan, um die Abgeordneten ihrer Partei nicht zu beeinflussen. Ich finde dieses Verhalten demokratisch und aller Ehren wert.
Zur Reaktion der Kirchen, wie sie auf S.3 der heutigen FR beschrieben wird:
Wie so oft hinkt die katholische Kirche bei der konsequenten Anwendung der Menschenrechte hinter der evangelischen her. Erzbischof Kochs Argumentation halte ich für fadenscheinig. Wenn die Ehe diejenigen stärken und schützen soll, „die als Mutter und Vater ihren Kindern das Leben schenken wollen“, was ist dann mit den heterosexuellen Paaren, die nicht fortpflanzungsfähig sind oder die, vielleicht wegen einer Erbkrankheit in der Familie, gar keine Kinder in die Welt setzen möchten? Wird denen der „herausragende Platz in der Verfassung“ ebenfalls verwehrt? Darüber hat Herr Koch wahrscheinlich noch nie nachgedacht. Und im Übrigen: Wäre es nicht eher im Sinne des Christentums, niemandem den besonderen Schutz der Verfassung, die sich eine Gemeinschaft gegeben hat, zu verwehren?
@ Stefan Vollmershausen
Der Gedanke, der hinter der Kürzung der Tranferleistung (übrigens auch für nicht eheliche Lebensgemeinschaften) steht, ist wahrscheinlich die Tatsache, dass es für ein Paar billiger ist, in einer gemeinsamen Wohnung zu leben, als wenn jeder Miete und Umlagen für eine eigene Wohnung bezahlen muss. Wenn die Kürzung der Transferleistung sich im Rahmen dieser Differenz bewegt, finde ich das akzeptabel.
@ Frau Ernst
„Wenn die Kürzung der Transferleistung sich im Rahmen dieser Differenz bewegt, finde ich das akzeptabel.“
das kann man so sehen, als Nicht-Betroffene.
Davon betroffen, hat es vielmehr den Anschein, als wäre der Single Haushalt das attraktivere Los, ein Los, das – weil ohne Abzüge – indirekt gefördert wird.
Es macht einen Unterschied, ob zwei Wohnungen mit Miete und Nebenkosten bezahlt werden müssen, wie nur eine. da rechnet sich doch schon einmal der geringere Transfer.
Es ist doch jeder in seiner Entscheidung frei zusammenzugehen mit einem Partner, ohne dabei Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, wie eben die genannten Abschläge in der Transferleistung.
Denn die Abschläge gelten für das Taschengeld, das ist im Fall des Singles höher, als in der Lebensgemeinschaft. Indirekt wird der Status als Single dadurch gestärkt, was im Widerspruch zur verfassungsmäßigen Familienpolitik steht.
Familie und Ehe stehen unter besonderen Schutz des Staates.
Verzeihung,Frau Ernst,
ich möchte noch ergänzen, das eine ewige Geldknappheit, bedingt durch die jahrelange Sparpolitik, der gegenseitigen Zuneigung in einer Partnerschaft nicht förderlich ist
– bei den 60er Jahrgängen, aus denen ich stamme, gab es einen späteren Geburtenknick, in Frankfurt sind, meines Wissens nach, die Hälfte der Haushalte, Single Haushalte, so entwickelte sich meine Generation immer mehr zu Individualisten.
„Ehe für Alle“ bedeudet für mich, nicht nur die Ehe für Homosexuelle zu öffnen, sondern einen Schwenk in der Familien und Sozialpolitik zu begehen.
Mit der Teilhabe an der Ehe für Alle auch für Bedürftige und Behinderte.
So verstehe ich persönlich die „Ehe für Alle“
@ Brigitte Ernst, 1. Juli 2017 um 12:16
„Wie so oft hinkt die katholische Kirche bei der konsequenten Anwendung der Menschenrechte hinter der evangelischen her.“
Das hat natürlich mit dem dogmatischen Fundamentalismus der katholischen Kirchenhierarchie zu tun.
So betont Erzbischof Degenhart im Verhör von Eugen Drewermann (das zum Entzug seiner Lehrerlaubnis führte): „Das Ehesakrament ist Abbild des Bundes Christi mit der Kirche.“
(Eugen Drewermann, Worum es eigentlich geht, München,Kösel-V.,1992, S.174)
An keiner Stelle kommt hier im Ehebegriff der Aspekt der des Versprechens gegenseitiger Fürsorge in den Blick.
Darüberhinaus wird die Verbindung von Mann und Frau rein biologistisch auf den Zeugungsaspekt reduziert. Somit wird Ehe als „Kern der Gesellschaft“ im Grunde als Mittel der Aufrechterhaltung der Kirche (nach Degenhart: „des Bundes Christi mit der Kirche“) begriffen.
Da ist kein Platz für pragmatische Interpretation in Hinblick auf gesellschaftliche Verantwortung. Noch weniger für eine Öffnung gegenüber alternativen Lebensformen, die sich dem bloßen Reproduktionsaspekt entziehen.
Der Biologismus der katholischen Kirche wird noch deutlicher bei der Frage des Schwangerschaftsabbruchs oder der „Jungfrauengeburt“.
Bez. des letzteren weist Hans Küng nach, dass die Vorstellung der „Jungfrauengeburt“ altägyptischer Mythologie entstammt, um den Pharao symbolisch vom Menschsein abzugrenzen: „Ja, der Pharao Ägyptens wird als Gottkönig wunderbar gezeugt: aus dem Geistgott Amon-Re in der Gestalt des regierenden Königs und der jungfräulichen Königin.“
(Credo, München 1992, S.63)
Diese „Deutung von Wirklichkeit mit Hilfe eines Ursymbols“ wird von der katholischen Kirche biologistisch umgedeutet. Und einmal zum Dogma erhoben, ist es auch anderen Interpretationen und dem gesellschaflichen Wandel entzogen.
Ein Problem, das aus dem Islam hinlänglich bekannt ist.
Die politische Relevanz wird am Verhalten katholischer Fundamentalisten deutlich, die bis zum Erbrechen solche dogmatische Positionen wiederkäuen, ohne eine Antwort auf gesellschaftliche Fragen zu haben oder auch nur anzustreben. Augenscheinlich etwa beim lächerlichen Auftritt der „christlich-fundamentalistischen Aktivistin“ Hedwig von Beverfoerde bei Illner.
Der wichtige Fortschritt dieser Gesetzesinitiative liegt m.E. – neben der natürlich vorrangigen Frage der Gleichbehandlung – auch darin, dass zumindest von staatlicher Seite solchen fundamentalistischen Positionen der „Segen“ entzogen und damit ein Hemmschuh für die Realisierung demokratischer Grundrechte beseitigt ist.
Wobei bemerkenswert erscheint, dass „das Volk“ – zumindest in seiner Mehrheit – in dieser Frage einem Großteil seiner Vertreter vorausgeeilt ist.
@ Stefan Vollmershausen
Wenn es tatsächlich so ist, dass ein Ehepaar dadurch, dass die Transferleistung bei einem Partner oder beiden gekürzt wird, nach Zahlung von Miete und Umlagen gemeinsam weniger Geld zur Verfügung hat, ist das natürlich tatsächlich eine große Ungerechtigkeit.
Ich kenne nur den Fall, dass der Ehepartner, der Steuern zahlt, nach der Eheschließung (solange das Ehegattensplitting besteht) in die günstigere Steuerklasse eingestuft wird und beide zusammen (sie gelten als Ehepaar ja steuerlich als Einheit) dadurch einen finanziellen Vorteil haben. Das ist natürlich sowieso schon keine gerechte Lösung, weil derjenige, der ein hohes Einkommen hat, auch besonders viele Steuern sparen kann. Aber dass Ehepaare, von denen einer oder beide Transferleistungen erhalten, nach der Eheschließung finanziell schlechter gestellt sind, war mir nicht bekannt.
Na endlich kommt sie wohl, die Ehe für alle. Das war ja auch nicht mehr zum Aushalten, ohne. Jetzt können wir wieder optimistisch in die Zukunft blicken. Die Politik packt also doch noch die wirklich wichtigen Probleme an. Dachte man doch schon, sie würde diese totschweigen und von ihnen ablenken wollen. Tapfer, ihr Kämpfer für das Menschenrecht. Ihr habt Mutti mal so richtig gezeigt, wo der Löffel hängt.
Unter den Problemen die wir wirklich haben (Widmann hat sie aufgezählt), stünde die Ehe für alle auf einer ernsthaften Rangliste nicht besonders weit oben. Sonst wäre das Problem auch nicht so rasch aus der Welt geschafft worden.
Die Ehe, einst erfunden zur Sicherung des Privateigentums über Generationen (Friedrich Engels), fortgeführt zur Sicherung der Macht der Kirche und schließlich verkommen zum lebenslangem Eheknast (Wolf Biermann) besonders für Frauen, dessen Gitterstäbe erst in den ersten 20 Jahren der Bundesrepublik Stück für Stück auseinander gebogen wurden, ist in unserer Zeit und unserer Kultur überflüssig geworden. Für den Bestand einer verlässlichen, akzeptierenden und einigermaßen beständigen Partnerschaft ist sie so überflüssig, wie es der Fuchsschwanz an der Autoantenne für den Betrieb eines Kraftfahrzeugs war. Man kann die Erfolge der Herrn Schröder/ Fischer würdigen wie man will, auf jeden Fall ist es ihnen privat gelungen, den „heiligen Stand der Ehe“ auf einen beliebigen Wegwerfartikel zu reduzieren.
Dass junge Menschen, die genauso gut auch ohne Eheschließung zusammenleben können und das auch tun, gleichwohl immer noch ein halbes Jahreseinkommen verpulvern, um an einem einzigen Tag in Klamotten rumzulaufen, mit denen man nicht mal beim Bäcker Brötchen kaufen könnte, ohne sich lächerlich zu machen, ist mir ein schier unlösbares Rätsel – zumal das durchschnittliche Haltbarkeitsdatum dieser Veranstaltung von „bis der Tod Euch scheidet“ auf einen überschaubaren Zeitraum zusammengeschmolzen ist.
Für die kommenden Legislaturperioden hätte ich folgende Aufgaben für die Abgeordneten des Bundestages: Ehe raus aus dem Grundgesetz, dem BGB, den Steuergesetzen und wo sie noch von Staats wegen zu finden ist. Es sollte eine Privatangelegenheit jedes Einzelnen bleiben, ob er oder sie den Geschlechtsverkehr mit oder ohne Trauschein durchführt. Die Kirchen, deren praktische Bedeutung ohnehin auf die würdige Gestaltung von Familienfeiern geschrumpft ist, hätten da noch eine schöne Aufgabe.
Und dann kann auch endlich jeder heiraten, der will, wen er will und so oft er will.
Zu einer „Ehe für alle“ besteht überhaupt keine Notwendigkeit, nachdem die eingetragenen Lebenspartnerschaften sozial schon gleichgestellt sind. Die „Ehe für alle“ verstößt gegen Menschenrechte der Kinder, die einen Anspruch auf beide haben: auf Vater und Mutter. Mit der „Ehe für alle“ verabschiedet sich der Bundestag von jeglicher jüdisch-christlichen Tradition, der wir immerhin Menschenrechte, Freiheit und Demokratie zu verdanken haben. Wir sägen am Ast, auf dem wir sitzen. Ein solcher Beschluss ist schon angesichts der demographischen Lage selbstmörderisch. Ich bin gegen jede Form von Diskriminierung. So ein Beschluss diskriminiert die Familie, und die besteht immer noch aus Vater, Mutter und Kindern.
@ Erhard Schulz
Angesichts der Proteste aus dem ultrakonservativen Lager habe ich mich immer gefragt, wem die neue Ehegesetzgebung schadet. Eine Diskriminierung der herkömmlichen Familie kann schon einmal deswegen nicht vorliegen, weil diese nicht schlechter gestellt ist als vorher.
Was die Kinder anbetrifft: Einem lesbischen Paar war es auch bisher schon möglich, Kinder zu bekommen, eine der Frauen musste sich nur einen Mann suchen, der sie schwängerte. Wenn sie diesen geheim hielt, hatte das Kind keinen Vater, mit dem es Kontakt halten konnte. Dass die Partnerin ein solches Kind auch bisher schon adoptieren konnte, bedeutete einen Vorteil für das Kind für den Fall des frühen Ablebens der Mutter. Wo ist also hier das Problem?
Auch bezüglich der Elternschaft homosexueller Paare sehe ich kein Problem. Da diese selbst keine Kinder austragen können und die Leihmutterschaft in Deutschland verboten ist, kommt für sie nur die Adoption eines Kindes in Frage, das kein biologischer Nachkomme eines der Partner ist. Und da stehe ich auf dem Standpunkt: lieber zwei Väter, die sich liebevoll um das Kind kümmern, als gar keine Eltern und stattdessen Heimaufenthalt.
Hier geht es doch nicht um abstrakte Moralkonstrukte, sondern um das praktische Wohl von Kindern.
@ Heinrich Jordan
Wenn die steuerlichen, erbrechtlichen und versorgungsrechtlichen Vorteile von Ehegatten abgeschafft werden, wird das Heer derer, die sich vom Sozialamt alimentieren lassen müssen, noch größer als bisher. Die Ehe ist nämlich auch eine Möglichkeit für den Staat, sich vor Versorgungsansprüchen zu schützen; und eine Möglichkeit für hinterbliebene Witwen und Witwer, den erniedrigenden Gang zum Sozialamt zu vermeiden.
„Die „Ehe für alle“ verstößt gegen Menschenrechte der Kinder, die einen Anspruch auf beide haben: auf Vater und Mutter…. So ein Beschluss diskriminiert die Familie, …“ (Erhard Schulz)
@ Erhard Schulz
Die UN-Kinderrechte beinhalten in den Grundrechten zwar das Recht auf eine Familie, elterliche Fürsorge und ein sicheres Zuhause, unterlassen es dabei aber, zu definieren was die Begriffe Eltern und Familie genau bedeuten. So hat es schon immer Pflegefamilien gegeben und schon von daher schon immer den Unterschied zwischen biologischen und sozialen Eltern. Es steht auch nirgends, dass diese sozialen Eltern unbedingt Mann und Frau sein müssen. Es ist vielleicht etwas zynisch, aber ich möchte doch einmal darauf hinweisen, dass Menschenkinder sehr robust sind, was die Aufzuchtbedingungen angeht – wir haben da historisch schon sehr viele Versuche gemacht: Etwas überzogen haben wir zum Beispiel mit christlichen Kinderheimen, wie sie bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts bei uns noch üblich waren, wo man für sehr viele Kinder nur einige wenige christliche Dominas an die Elternstelle setzte, tägliche Foltern waren üblich. Ich kenne die Foltermethoden in diesen Anstalten aus persönlichen Schilderungen meines Schwiegervaters, der nach dem Krieg nicht in einem Heim, sondern im Klosterinternat in Illertissen war. Die sexuellen Übergriffe werden inzwischen thematisiert, immer noch unbearbeitet ist die erhöhte Selbstmordrate in diesen Einrichtungen. Aber das nur am Rande, die meisten Kinder haben überlebt und nicht alle sind nur mit psychotherapeutischer Begleitung durch Leben gekommen. Also: Der Mensch ist sehr robust, und speziell die katholische Kirche sollte das auch wissen – Expertise hat sie auf diesem Gebiet reichlich gesammelt, wenn sie auch eine wissenschaftliche Aufarbeitung ihrer Versuchsdaten regelmäßig verhindert.
Dagegen gibt es tatsächlich wissenschaftliche Untersuchungen zur Entwicklung von Kindern bei alleinerziehden Müttern, alleinerziehenden Vätern, in Familien mit schwulem Elternpaar, in Familien mit lesbischem Elternpaar und in „normalen“ Familien, die zeigen, dass in allen diesen Familientypen eine vergleichbare Kindesentwicklung stattfindet. (Zur Bedeutung des Begriffs Familie im Wandel der Zeiten empfehle ich den entsprechenden Artikel in Wikipedia)
Da Kindeswohl kann also nicht wirklich die Grundlage Ihrer Argumentation sein.
Mein lieber Herr Schulz, Sie scheinen unter der Ungerechtigkeit und Diskriminierung von Homo- und Transsexuellen nicht gelitten zu haben, sonst würde Ihnen so eine Äußerung zur Notwendigkeit der Ehe für alle nicht über die Lippen kommen. Wieso könnt ihr katholischen Glaubenfanatiker euch nicht einfach mal mit den Menschen freuen, die endlich ein Menschenrecht zugesprochen bekommen. Ich kann einfach nicht nachvollziehen, dass jemand gegen etwas sein kann, das niemandem aber wirklich niemandem Schaden zufügt oder zum Nachteil gelangt, vielen aber endlich das Gefühl verleiht, gleichberechtig zu sein. Ich habe auch bis heute noch nie ein vernünftiges Argument gegen die Ehe für alle gehört außer religiös verbrämtes intolerantes den katholischen Indoktrinatoren gefälliges Geschwafel.
Übrigens Herr Schulz zur christlichen Tradidition, die katholische Kirche erkennt die Menschenrechte bis heute nicht an.
Außerdem gibt es leider genügend Kinder, deren Leben in der „ach so glücklichen“ Familie die Hölle war, die unter zwei liebevollen Schwulen oder Lesben bei Gott ein besseres leben gehabt hätten.
Ich kann nur immer wieder darauf hinweisen,dass ein gut funktionierendes Staatssystem nur ohne religiöse Beeinflussung funktioniert, denn diese ganzen Religionsvertreter sind allein schon aufgrund ihres Absolutheitsanspruches im Kern undemokratisch.
@ Erhard Schulz, 5. Juli 2017 um 15:09
„Die „Ehe für alle“ verstößt gegen Menschenrechte der Kinder, die einen Anspruch auf beide haben: auf Vater und Mutter.“
Werter Herr Schulz,
das erzählen Sie mal einem der Millionen Kriegswaisen (ich gehöre übrigens dazu), denen dieses „Menschenrecht“ in frühester Kindheit geraubt wurde. Und dann erklären Sie ihnen zugleich, was die Apologeten der „jüdisch-christlichen Tradition“ – etwa das katholische „Zentrum“ in der Weimarer Republik getan haben, um das zu verhindern.
A propos: Warum plötzlich „jüdisch-christlich“? Um zu verwischen, wie es seit dem Mittelalter mit dem Verhältnis von „jüdischen“ und „christlichen Traditionen“ tatsächlich bestellt war? Von wenigen Ausnahmen abgesehen, etwa Lessing und Moses Mendelssohn.
Und was Ihre Behauptung angeht, dass wir dieser „jüdisch-christlichen Tradition (…) Menschenrechte, Freiheit und Demokratie zu verdanken“ hätten: Sie wissen schon, dass dies – von der Aufklärung angefangen – gegen den erbitterten Widerstand eben dieser „Traditionen“ erkämpft wurde? Wenn nicht: Lessings „Anti-Goeze“ etwa liefert hierfür ein Beispiel. Oder auch Diderot, der im Namen Ihrer vermeintlichen Vorreiter für „Menschenrechte, Freiheit und Demokratie“ immerhin einige Zeit in Festungshaft saß.
Auch Lektüre jüngerer Autoren, die sich in diesem Milieu bestens auskannten, könnte da hilfreich sein. Z.B. von Werken des Katholiken Heinrich Böll, der, etwa in „Ansichtein eines Clowns“ sehr anschaulich beschreibt, wie es mit diesen „Traditionen“ und dem behaupteten Familienidyll tatsächlich bestellt war: immer auf der „richtigen“ Seite, der der Machthaber, und im Bewusstsein, das Monopol auf „Moral“ gepachtet zu haben.
Und der gleiche Heinrich Böll könnte Ihnen (in „Haus ohne Hüter“) auch begreiflich machen, dass es nicht eines angeblich „diskriminierenden“ Bundestagsbeschlusses bedurfte, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass man auf den Segen von eingefleischten Dogmatikern durchaus verzichten kann und wohl auch muss, wenn man sich der Realität stellt. Zu der Erkenntnis kamen nach dem Krieg bereits Menschen, die sehr wohl katholisch geprägt waren, aber Realitätsbezug und Verantwortung, z.B. für Kinder, über hohle „moralische“ Phrasen stellten.
Na ja, Toleranz zu üben und Realitäten zur Kenntnis zu nehmen, die nicht den eigenen Wunschvorstellungen entsprechen, ist nicht jedermanns Sache. Und Dogmatiker, die sich im Besitz „ewiger Wahrheiten“ wähnen, tun sich damit besonders schwer.
@Brigitte Ernst
Aber dass Ehepaare, von denen einer oder beide Transferleistungen erhalten, nach der Eheschließung finanziell schlechter gestellt sind, war mir nicht bekannt.
Beispiel : einer arbeitet, der andere erhält Rente und Grundsicherung bisher in Höhe von 900 euro.
Würde das zusammengelegt, wäre nur noch Steuer zu bezahlen, in der niedrigeren Steuerklasse, weil verheiratet.
Tatsächlich fällt die Grundsicherung schon einmal weg, bei der Eheschließung.
Damit ist man gegenüber dem Partner eindeutig schlechter gestellt, das Geld das bisher zur Verfügung stand wird nicht mit veranlagt. Es ist schwer jemanden zu finden, der sich darauf einlassen würde.
@ Dr. Markus Grass:
Dass es sich bei dem Recht auf Eheschließung um ein Menschenrecht handelt, ist mir nicht bekannt (ich lasse mich jedoch gerne eines besseren belehren).
@ Stefan Vollmershausen:
Ehe heißt nun mal in Deutschland – auch finanziell: mitgefangen, mitgehangen.
Wer wegen finanzieller Nachteile nicht heiraten will, der soll es eben bleiben lassen. Dann kann ihm oder ihr die Ehe nicht so wichtig sein. Freilich frage ich mich auch, warum so oft von der Besser- oder Schlechterstellung eines Partners die Rede ist. Von einer Gemeinschaft, in der beide füreinander einstehen, scheint da jedenfalls nicht die Rede zu sein.
An Werner Engelmann:
Ich mach’s kurz: Das hat mir gefallen, was Sie zum traditionellen Familienidyll geschrieben haben (5. Juli), auch die Hinweise auf Heinrich Böll’s Erfahrungen!
@ Stefan Vollmershausen
Auch ich meine: In einer Ehe versteht man sich als Gemeinschaft und wird auch vom Staat als solche angesehen. Deshalb halte ich es nur für wichtig, ob nach dem Wegfall der Grundsicherung bei gleichzeitiger Steuervergünstigung und der Einsparung durch die gemeinsame Wohnung unterm Strich für das Paar als Einheit weniger Geld zur Verfügung ist. Das würde ich als Diskriminierung empfinden.
Auf wessen Konto die gemeinsam gesparten Steuern landen, ist meiner Ansicht nach unerheblich. Sie stehen auf jeden Fall hälftig beiden Partnern zu.
Wem die Beziehung und das Zusammenleben nicht wichtig genug ist, sich darauf einzulassen, ist dann wohl nicht der geeignete Partner bzw. die geeignete Partnerin und man sollte lieber die Finger von ihm/ihr lassen.
Lieber Deutscher Michel,
konkret das Recht auf Ehe mag kein Menschenrecht sein, aber der sich daraus ergebende Wegfall der Diskriminierung und die Gleichberechtigung meine ich schon. Ob das juristisch haltbar ist, weiß ich aber nicht.
Natürlich ist es ein Grund, sich zu freuen: Endlich dürfen homosexuelle Paare heiraten, Kinder adoptieren und an allen Eheprivilegien gleichberechtigt teilhaben. Das ist schön.
Aber: Wie gerecht sind eigentlich diese Eheprivilegien? Wie gerecht ist das Ehegattensplitting, wie gerecht ist die Bevorzugung der Ehe in unserem Rechts- und Steuersystem? Alleinstehende und vor allem Allereinziehende haben nichts davon und werden dadurch im Gegenteil sogar massiv finanziell benachteiligt.
Wo bleiben die kritischen Stimmen der Grünen, der Linken, vieler SPD-Frauen und anderer Frauenorganisationen, die vor Jahren gefordert hatten, den Schutz der Ehe ganz aus dem Grundgesetz zu nehmen. Stattdessen, so damals die einhellige Forderung, sollte Artikel 6 des Grundgesetzes denjenigen besonderen Schutz gewähren, die in häuslicher Gemeinschaft Kinder erziehen und / oder Pflegebedürftige versorgen. Wer Kinder erzieht, wer Pflegebedürftige versorgt, leistet etwas für die Gemeinschaft und sollte deshalb grundgesetzlich geschützt sein. Die Ehe ist keine Leistung und muss nicht geschützt und auch nicht finanziell begünstigt werden.
@ Gunhild Gutschmidt
Sie fordern mit Recht den Schutz derer, die Kinder großziehen und Pflegebedürftige versorgen.
Ihrem letzten Satz kann ich allerdings nicht ganz zustimmen. Die gegenseitige Übernahme der menschlichen und finanziellen Verantwortung für einen anderen Menschen ist meiner Ansicht nach durchaus ein schützenswertes Gut.
„Aber: Wie gerecht sind eigentlich diese Eheprivilegien? Wie gerecht ist das Ehegattensplitting, wie gerecht ist die Bevorzugung der Ehe in unserem Rechts- und Steuersystem? Alleinstehende und vor allem Allereinziehende haben nichts davon und werden dadurch im Gegenteil sogar massiv finanziell benachteiligt.“ (Gunhild Gutschmidt)
@ Gunhild Gutschmidt
Davon ist eines richtig: Kinder sind in dieser Steuerregelung unterrepräsentiert. Ansonsten ist das Splitting keine Bevorteilung sondern nur eine Umsetzung der Besteuerung nach Leistungsfahigkeit auf der Ebene einer Gemeinschaft, die durch Versorgungsverpflichtungen miteinander verbunden ist. Und da berechnet man sinnigerweise die Leistungsfähigkeit als die Summe der Einkünfte in dieser Gemeinschaft geteilt durch die Anzahl der Nasen in dieser Gemeinschaft. Statt einer pauschalen Absetzbarkeit der Kinder wäre ein Familiensplitting, wie es die Franzosen auch haben, die vollständige Verwirklichung dieses Ansatzes. Und dann hätten wir genau das selbe Ergebnis wie beim Single; bei ihm sind es alle seine Einkünfte geteilt durch die Zahl derer, zu deren Unterhalt er verpflichte ist, also durch 1. Allerdings käme auch der Single in der Situation in den Vorteil des Familiensplittings, dass der Staat ihn – wie er es gelegentlich schon tut – in die Verpflichtung nimmt, für seine Eltern zu sorgen.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Bundesverfassungsgericht die Bundestagsentscheidung von 63% kippt, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der 14 europäischen Länder, darunter welche mit überwiegend katholischer Bevölkerung wie explizite Irland, die schon längst weiter sind. Nur Horst Seehofer mit seiner CSU sieht es halt anders. Aber bekanntlich ist man ja vor Gericht und auf hoher See in Gottes Hand.
Ich möchte mich zum Leserbrief von Gerhard Burmester, veröffentlicht in der FR vom 12. Juli, äußern.
Ich frage mich, von welchem unwürdigen Verfahren bei Ehescheidungen der Verfasser spricht. Nach meiner Erfahrung kann man nach einem Trennungsjahr (es reicht auch die Trennung von Tisch und Bett) die Scheidung einreichen. Wenn keine Unterhalts- und/oder Sorgerechtsfragen zu klären sind, wird, wenn nötig, der Versorgungsausgleich geregelt und, wenn strittig, entschieden, wer in der ehelichen Wohnung verbleibt. Die Vermögensauseinandersersetzung kann, wenn sie kompliziert ist, auf ein späteres zivilrechtliches Verfahren verschoben werden. Beim Gerichtstermin werden die Eheleute gefragt,ob sie tatsächlich gewillt sind, sich scheiden zu lassen, und wenn beide bestätigen, dass die Ehe unwiderruflich zerrüttet sei,wird die Scheidung ausgesprochen und etwa drei Monate später rechtskräftig. Darüber hinaus hat von mir bei meiner Scheidung niemand eine Begründung für die Zerrüttung der Ehe gefordert.
Ich bin gegen die „Ehe für Alle“ und möchte das hier nachfolgend begründen.
Das (auf christlichen Werten und einem entsprechenden Menschenbild beruhende) Grundgesetz sieht in der Ehe eine besonders schutz- und förderwürdige Institution. Dabei wertet es meines Erachtens (m.E.) die Beziehung zwischen Mann und Frau (nicht verwandt, siehe BGB) höher als zwischen erwachsenen Menschen im Allgemeinen. Dies ergibt sich insbesondere aus der Kombination der Worte „Ehe“ und „Familie“ im Artikel 6 Abs. 1 und der expliziten Nennung vom Kind im Absatz 2 und der Mutter in Absatz 4. Die Interpretation von Sinn und Zweck des Gesetzes ist eben wichtig. Eine Mutter ist wohl zweifelsohne weiblich, dem biologischen Fortpflanzungsprinzip folgend muss dann der Ehepartner männlich sein.
Und jetzt möchte ich etwas weiter ausholen:
Eine Gesellschaft/Volk gibt/wählt sich eine/n demokratischen Staat/Regierung mit der Beauftragung, durch wertebestimmte Regeln und Wahrung der Ordnung ein friedliches Zusammenleben der Individuen, deren freien Entwicklung (im gesetzlichen Rahmen) und das Fortbestehen der Gesellschaft (Population) als Ganzes sicherzustellen.
Zur Sicherstellung des Überlebens der Gesellschaft muss der Staat die nachhaltige Weichenstellung so setzen, dass auch die nächste(n) Generation(en) weiterhin in einer sicheren und zukunftsfähigen Gesellschaft und Umgebung leben können. Eine Gesellschaft/Ein Volk möchte weiter leben, ein evolutionärer (biologischer) Naturinstinkt.
Und genau hier sieht das Grundgesetz den speziellen Wert der „Ehe und Familie“, im Sinne der Verbindung von Mann und Frau (Zusatz: unter Vermeidung einer Verarmung des Genpools in der Population) mit dem Potential, Nachkommen zu zeugen und damit den oben genannten Staatsauftrag direkt zu unterstützen. Genau diese Verbindung ist deshalb besonders schutz- und förderungswürdig. Eine Lebensgemeinschaft zweier gleichgeschlechtlicher Menschen hat dieses Potential nicht.
Sollte eine Ehe im o.g. Sinne kinderlos bleiben, hat der Staat in diesem Fall „Pech gehabt“ und eine „unfruchtbare Ehe“ gefördert. Dieses Risiko geht die Gesellschaft aber ein und muss gegebenenfalls dem Staat/der Regierung den Auftrag erteilen, die Rahmenbedingungen für Kinder in der Ehe, also Gründung einer Familie, besser anzupassen.
Kinder, die adoptiert werden können, sind aus einer Verbindung von Mann und Frau (natürlich oder künstlich befruchtet) entstanden und leider nicht in eine langfristig stabile und funktionierende Familie hineingeboren. Da diese Kinder nun geboren sind, kümmert sich der Staat um sie (im Sinne des oben genannten Auftrages) und erlaubt die Adoption unter gewissen Regeln (zum Wohle des Kindes).
Die Frage, ob gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften auch Kinder adoptieren können sollten, würde ich bejahen, sofern eine wissenschaftliche Bewertung keine Nachteile für die Kinder feststellt. Dies ist aber nicht eine Frage der „Ehe“, sondern eher eine nachgelagerte Frage des Adoptionsrechts.
Gegebenenfalls sollten also die Adoptionsregelungen angepasst werden, aber nicht der besondere Status der Ehe im oben genannten grundgesetzlichen Sinne.
Nun haben unsere Parlamentarier aber die „Ehe für Alle“ bewilligt. Dies zu tun, ohne intensive gesellschaftliche Diskussion war m.E. ein großer Fehler. Insbesondere vermisse ich die Folgenabschätzung. Dazu möchte ich nur zwei Konsequenzen, die sich m. E. unmittelbar ergeben, erwähnen. Die Befürwortung der „Ehe für Alle“ erlaubt zukünftig auch
1. die Ehe zwischen Bruder und Schwester. Es gibt hier gegen nun kein Argument mehr, dass nicht auch gegen die gleichgeschlechtliche Ehe hätte vorgebracht werden können. Der direkte Wortlaut des Grundgesetzes Artikel 6 verbietet die Ehe zwischen Bruder und Schwester genauso wenig, wie er Mann und Frau als Ehepartner explizit erwähnt. Die Schwester kann sich, wie eine der Frauen einer lesbischen Lebensgemeinschaft, ebenfalls künstlich befruchten lassen und das Inzuchtproblem so umgehen. § 1307 BGB müsste dann wohl umgeschrieben werden. Ob aber am Ende alle Kinder aus Ehen zwischen Brüdern und Schwestern künstlich gezeugt würden, bleibt dahingestellt, der Staat könnte dies jedenfalls nicht mehr alles kontrollieren (oder DNA-Tests ohne Ende auf Staatskosten?). Er kann diese Art der „Ehe“ aber jedenfalls nicht weiter verbieten.
2. die Ehe zwischen mehr als zwei erwachsenen Menschen. So könnte ein gläubiger deutscher Muslim seine erste Ehe mit drei deutschen Frauen beantragen. Auch dagegen gibt es kein Argument mehr, dass nicht auch gegen die gleichgeschlechtliche Ehe hätte vorgebracht werden können. Das Grundgesetzt erwähnt nicht explizit nur zwei Ehepartner. §1306 BGB greift nicht, da es die erste Ehe aller Beteiligten wäre.
Die interpretatorische Erweiterung des Begriffes Ehe auf Zulassung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften erlaubt, wenn man diese „Gleichberechtigung“ weiter denkt, auch noch andere „Partnerschafts- und Familienmodelle“ unter eben diesem Ehebegriff. Das verrät grundsätzliche Wertvorstellungen hinter unserer Verfassung und darüber hätte man vorher gründlich nachdenken sollen. Minderheitenwünsche hätten mit anderen Maßnahmen als eine Erweiterung des Ehebegriffes erfüllt werden können.
@Reiner Emrich
Wenn ich Sie richtig verstehe, dient die Ehe zur Zeugung von Nachwuchs. Würden Sie zeugungsunfähigen Männern oder Frauen, die bereits die Menopause erreicht haben, trotzdem erlauben zu heiraten?
Hallo, Herr Emrich,
ich sehe den besonderen Status der Ehe nicht angetastet. Es wurde lediglich der Zugang dazu um eine Personengruppe erweitert. Der besondere Schutz der Ehe, der ja weiterhin durch den Staat gewährleistet wird, definiert sich durch die Tatsache, dass zwei Menschen lebenslang füreinander sorgen wollen. Niemand wird durch diese Erweiterung schlechter gestellt, ein paar tausend Menschen aber werden gleichgestellt. Dagegen kann man wohl nichts haben, oder?
Die Schließung der Ehe war nach bisherigem Rechtsbrauch, nach dem sie ausschließlich verschiedengeschlechtlich Liebenden vorbehalten war, vorbedingungslos möglich und nicht an Kinderwunsch oder Zeugungsabsicht gekoppelt. Für Sie mag das untrennbar zusammenhängen, aber der Stand des Rechts ist ein anderer. Familie ist da, wo Kinder sind. Ehe schließt das nicht aus, aber sie ist nicht daran geknüpft. Zudem entstehen Kinder keineswegs nur quasi in Planerfüllung in Ehen.
Die Ehe bleibt entgegen Ihrer Befürchtungen eine Zweierkiste. Der Gesetzestext ist da ganz eindeutig:
„Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“
Demnach ist das Besondere an der Ehe, dass sie auf Lebenszeit angelegt ist. Die Ehe von Bruder und Schwester ist weiterhin verboten. Paragraph 1307 BGB wird von der Neuregelung des Eheparagraphen nicht berührt.
Ich glaube nicht, dass man sich ernsthafte Sorgen machen muss, dass nun weniger Kinder geboren werden, nur weil die Ehe geöffnet wurde. Im Gegenteil, ich könnte mir vorstellen, dass es mehr Kinder gibt, ganz abgesehen vom aktuellen Trend zu mehr Kindern, der anscheinend von der besseren Versorgung junger Familien mit Kita-Plätzen gefördert wurde. Lesben und Schwule sind nämlich keineswegs zeugungsunfähig, und sie sind auch nicht zwangsläufig frei vom Kinderwunsch. Auch in diesem Punkt hat sich unsere Gesellschaft erheblich gewandelt. Lesben und Schwule nehmen die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin in Anspruch, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Ich habe einige solcher Fälle in meinem Bekanntenkreis, z.B. zwei Frauen, die nach derzeitigem Rechtsstand eine eingetragene Lebenspartnerschaft führen, die sie zu einer Ehe umwandeln werden. Eine der beiden Frauen ist Mutter geworden. Inzwischen sind zwei Töchter da. Der biologische Vater und Samenspender ist ein befreundeter Schwuler, der seine Töchter kennt und besucht. Der Zeugungsakt fand – ich sage es leicht zugespitzt – im Reagensglas statt. Die Töchter wissen, wer ihr Vater ist, alles ist vertraglich einwandfrei geregelt, z.B. dass er nicht unterhaltspflichtig ist. Im täglichen Zusammenleben haben die beiden Mädchen zwei Mütter, und das funktioniert allem Anschein nach sehr gut.
Kinderkriegen ist also nicht mehr ausschließlich verschiedengeschlechtlich Liebenden vorbehalten. Es ist auch nicht mehr an den Zeugungsakt per Geschlechtsverkehr gebunden. Aber dieses Alleinstellungsmerkmal von verschiedengeschlechtlich Liebenden hat in dieser Form ohnehin nie existiert. In Zeiten, in denen Lesben und Schwule noch nicht gesellschaftlich respektiert waren, haben sie normalerweise gezwungenermaßen in Ehen gelebt, die sie nur zum Schein eingingen, um sich zu schützen. Aus demselben Grund haben sie Kinder gezeugt, obwohl sie lesbisch bzw. schwul waren. Man darf davon ausgehen, dass es solche Schicksale zu allen Zeiten und in allen Kulturen gegeben hat.
Aus all diesen Gründen steht es einem modernen, weitgehend liberalen Rechtsstaat wie dem deutschen gut zu Gesicht, Diskriminierung zu beenden und Freiheit herzustellen. Natürlich bedeutet das für Viele einen Lernprozess, der auch schmerzhaft sein kann. Das weiß ich aus vielen Diskussionen aus langen Jahren. Denn dies will ich zum Schluss noch anmerken: Es stimmt nicht, dass die Gesetzesänderung „ohne intensive gesellschaftliche Diskussion“ durchgeführt wurde, wie Sie schreiben. Das Lebenspartnerschaftsgesetz von 2001 ist Ausdruck desselben Ringens. Sechzehn Jahre später war die deutsche Gesellschaft endlich bereit, die Liberalisierung konsequent zuende zu führen und den letzten Schritt zu gehen. Richtig ist daher, dass diese Diskussion, die Jahrzehnte gedauert hat, endlich zum richtigen Ergebnis geführt hat.
@ all
Diese Diskussion war eigentlich schon geschlossen. Ich halte sie jetzt ausnahmsweise noch ein paar Tage offen. Sollte Diskussionsbedarf zu den zuletzt aufgetauchten Fragen bestehen, mache ich einen neuen Thread auf.
Ich kann nur immer wieder die Frage wiederholen: Wem schaden die neuen Ehegesetze, dass man sich von konservativer Seite so dagegen wehren muss?
@Bronski
Zunächst einmal möchte ich mich bei Ihnen bedanken, dass mein erster Blog-Eintrag Ihre Aufmerksamkeit gefunden hat. Leider ist mein 2ter Beitrag hier wieder sehr lang geworden, Entschuldigung dafür. Es wird mein vorläufig letzter zur „Ehe für Alle“ sein.
Ich habe mit meinen ersten Ausführungen (ohne alle bestehenden Kommentierungen gelesen zu haben) eine mir logisch erscheinende Deutung des Grundgesetzes Artikel 6 beschrieben, weil ich hauptsächlich das Argument „Kind/Familie und Adoption“ als Begründung für die Forderung der Ehe-für-Alle wahrgenommen hatte. Mit meinem Verständnis liege ich damit wohl eher auf der Linie des Verfassungsgerichts zur Jahrtausendwende (das ist aber noch nicht altertümlich, wenn ich den obigen historischen Ausführungen glauben darf). Ob das Verfassungsgericht zwischenzeitig seine Deutung geändert hat oder über jüngere Urteile einen Gesinnungswandel anzeigt, kann ich hier und jetzt nicht beurteilen. Hinweise nehme ich aber gerne entgegen.
Viele Ihrer einleitenden Statements zum Thema sind hilfreich, einige wenige der Kommentare finde ich aber auch äußerst unangemessen:
Die indirekt negativen Bemerkungen zu Bibel-Gläubigen (das sind doch wohl größtenteils neutestamentarische / lutherische Christen!) und die Vermischung von Kritik an „Ehe für Alle“ mit alt-testamentarischen, archaischen Denkweisen oder gar islamistischem Gedankengut werte ich als diffamierend.
@Users
In vielen Kommentaren der User werden auch Neben- und Unterthemen angesprochen, die wahrscheinlich individuellen Fallsituationen oder persönlichen Erfahrungen entspringen. Mir geht es mehr um den Versuch, den Grundsatzcharakter des Themas „Ehe für Alle“ zu thematisieren bzw. zu kommentieren.
Nur zu 4 Punkten möchte ich noch etwas sagen, wenn es erlaubt ist:
1. Ich verstehe das (jetzt wohl historische) Argument der „Diskriminierung“ von Homosexuellen nicht. Die Ehe sowie die eingetragene Lebenspartnerschaft (eLPS) sind „Institutionen“, die die Vereinigung (mindestens) 2er Menschen zu einem bestimmten Zweck ermöglichen. Die Ehe/eLPS als solche hat keine Würde und kann nicht diskriminiert werden. Die Behauptung, die Diskriminierung eines (einzelnen) Menschen liege vor, wenn der bedingte Zugang zu solchen Institutionen nicht gewährt wird, ist meines Erachtens falsch. Es gibt kein Recht auf jegliche Art von Vereinigung / Gruppenbildung. Der Staat knüpft Bedingungen an Vereinigungen, also auch an die Gründung der Ehe/eLPS. Nicht jede Vereinigung hat die gleichen Bedingungen (das kann auch nicht erwartet werden). Wer die jeweiligen gesetzlichen Regeln nicht erfüllt(e), wird dadurch nicht diskriminiert, sonst wäre ja alles, was ich will, aber gesetzlich nicht darf, eine Diskriminierung meinerseits. Die Verwendung des Begriffes Diskriminierung werte ich im Zusammenhang der eLPS als populistisch.
2. Es wird auch emotional mit dem Begriff der „Liebe“ argumentiert, als wollte irgendjemand diese unterdrücken oder steuern. Das ist ebenfalls populistisch in meinen Augen. Bei allem Respekt, der Staat kümmert sich nicht um die Liebe, dieses Wort finde ich in keinem (weltlichen) Gesetz. Es ist richtig, dass es egal ist, ob du Frau oder Mann liebst, aber wenn die Liebenden die Ehe eingehen wollen mit den damit verbundenen Rechten und Pflichten, dann mischt sich der Staat zurecht ein (Stichwort „Scheinehen“). Für den Staat ist die Ehe/eLPS eine gesellschaftliche Institution, die es zu regeln gilt. Wenn überhaupt, ist die Liebe ein Thema der Psychologen/Religionen/Kirchen.
3. Meine Interpretation, dass die neue gesetzliche Situation nun auch anderen Gruppen die Möglichkeit zur Eheschließung einräumen müsste, wird in den obigen User Kommentaren argumentativ nicht wiederlegt. Im (alt-)klassischen Sinne der Interpretation des GG Art.6 verstand man (mag es religiös oder rein biologisch begründet sein) die Vereinigung von Mann und Frau, jetzt sagt man, es kann auch Frau-Frau oder Mann-Mann sein. Ok, aber mit welcher Begründung beschränkt man sich auf nur diese 2 Erweiterungen? Weil es dafür eine größere Lobby gibt? Ich finde das „Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ doppelzüngig, da man im Grunde sagt:
Die interpretatorische Beschränkung des Ehebegriffes im GG/BGB auf Mann und Frau wird aufgelöst, aber die interpretatorische Beschränkung des Ehebegriffes im GG/BGB auf 2 Personen wird beibehalten (welches Wertedenken steckt hinter letzterem?). Dies ist unseriös und wenn der „Islam inzwischen zu Deutschland gehört“, kann man eigentlich dem Muslim seinen Ehewunsch mit 3 Frauen nicht mehr ehrlich begründet verweigern (also wäre eine weitere Gesetzesänderung nötig). N.B.: Ich bin kein Muslim. Und in Fortschreibung der weitergehenden Liberalisierung bleibe ich auch dabei (ohne es mir zu wünschen), dass die Ablehnung einer Ehe zwischen Bruder und Schwester rechtlich immer fragwürdiger werden wird. Ich leihe mir den Schlusssatz des Beitrags #11 von Herrn Heinrich Jordan (5. Juli 2017 um 15:09) mal aus mit einem Zusatz: „nur … dann kann auch endlich jeder heiraten, der will, wen er will und so oft er will.“ Gesellschaftlich läuft die Diskussion ja unter dem Schlagwort „Ehe für Alle“ und nicht unter „Ehe auch für Gleichgeschlechtliche“.
4. Zur Frage von Henning Flessner:
„
Wenn ich Sie richtig verstehe, dient die Ehe zur Zeugung von Nachwuchs. Würden Sie zeugungsunfähigen Männern oder Frauen, die bereits die Menopause erreicht haben, trotzdem erlauben zu heiraten? „
@ Henning Flessner :
Ich habe kein Recht, Ihnen etwas zu erlauben oder zu verbieten.
Ihre Frage impliziert leider eine (bewusste oder unbewusste) Verkürzung oder Pauschalisierung meiner Aussage. Oben habe ich erläutert, dass ich mich auf die Ehe im Hinblick auf Kind und Familie („Adoption“) fokussiert hatte (Art.6 GG) und den schutz- und förderwürdigen Wert, den der Staat darin sieht. Ja, das Potential der direkten Zeugung von Nachwuchs in einem sicheren Umfeld (Familie) ist der vorrangige Wert aus Staatssicht (nach meiner Überzeugung), deshalb wird dies bereits im Grundgesetz sehr früh thematisiert. Ich habe aber nicht gesagt, dass dies der einzige Wert der Ehe für den Staat ist. Sie sprechen einen nachrangigen (BGB) Wert an, den der Staat mit der Ehe verknüpft und den Sie und Ihre Partnerin dem Staat bei Eheschließung anbieten: nämlich die gegenseitige lebenslange Fürsorge und Verantwortlichkeit füreinander (ggfs. auch ohne Kinder). Dementsprechend können Sie auch nach meinem Verständnis unter den genannten Bedingungen heiraten. Für Gleichgeschlechtliche war dieser nachrangige Wert auch schon bei der eingetragenen Lebenspartnerschaft vom Staat gesehen und geregelt (§ 2 LPartG) und es hätte deswegen keiner Änderung im Eherecht bedurft.
@Zum Abschluss:
Man könnte sich sicherlich durch viele Fallbeispiele und untergesetzliche Regelungen wühlen, aber für mich ist eine Grundsatzdiskussion (in wieweit sind gesellschaftlich etablierte Modelle des (Zusammen-)Lebens, die Werte und implementierten Regelungen änderungsbedürftig) und die weitere Folgenabschätzung der neuen gesetzlichen Situation zur Ehe notwendig. Das Bild der Ehe ist/war diesbezüglich eine zentrale stabile Komponente in unserem Lande.
Ich warte jetzt ab, welche gesellschaftlichen Entwicklungen zu diesem Thema folgen und ob andere Gruppen sich nun (oder später) auch ermutigt sehen, ihre gesetzliche „Nichtgleichstellung“ bzgl. Eheschließung anzuprangern und Korrekturen einzufordern.
@Reiner Emrich
«Der Staat knüpft Bedingungen an Vereinigungen, also auch an die Gründung der Ehe/eLPS.“
Die einzige Bedingung (abgesehen vom Alter), die hier gestellt wird, ist das „richtige“ Geschlecht. Wenn jemanden etwas verweigert wird, aus dem einzigen Grund, dass er das falsche Geschlecht hat, dann kann ich nachvollziehen, dass diese Person sich auf Grund ihres Geschlechtes diskriminiert fühlt.
@ Henning Flessner
Danke für Ihren Kommentar. Ich glaube, daraus ergibt sich schlüssig, warum die Vorenthaltung der Ehe eine Diskrimierung darstellt. Zu diesem Punkt brauche ich also nichts mehr zu sagen.
@ Reiner Emrich
Zu Ihrem ersten Punkt hat Henning Flessner bereits die passende Antwort gegeben. Ich möchte Sie gern einladen, sich in die Situation einer Minderheit hineinzufühlen, jenseits aller juristischen Erwägungen.
Zu Ihrem Punkt 2:
Setzen Sie „Liebe“ einfach mit dem Wunsch gleich, Verantwortung für den geliebten Partner zu übernehmen und dafür staatlichen Schutz zu bekommen. Genau das ist Ehe. In diesem Punkt unterscheiden sich gleich- und verschiedengeschlechtlich Liebende nicht, so dass nicht zu erkennen ist, warum die einen die Ehe haben dürfen und die anderen nicht.
Zu Ihrem Punkt 3:
Der Gesetzgeber beschränkt die Ehe auf Zweierbeziehungen. Das steht im Gesetzestext, ist aber natürlich nicht zwangsläufig das letzte Wort, weil das Verfassungsgericht dazu noch nichts gesagt hat. Ihre Überlegungen zur Vielehe, lieber Herr Emrich, sind doch sehr theoretisch. Um zu erfahren, ob eine Vielehe durch Berufung auf die Ehe für alle verfassungsrechtlich möglich wird, müsste sich erst einmal jemand finden, der in diese Richtung klagt. Dasselbe in Sachen Geschwisterehe. Das können wir dann ja auf uns zukommen lassen. Bis dahin gilt: Beides ist in Deutschland verboten.
Ein Wort zu Ihren Bemerkungen über die grundsätzliche Bedeutung der Ehe. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber diese grundsätzliche Bedeutung wird durch die „Ehe für alle“ nicht angetastet. Im Zentrum des Ehe-Konzeptes steht weiterhin die Übernahme von Verantwortung im Rahmen einer aufs Leben angelegten Beziehung. Ich habe es in meinem Leitartikel in der FR so formuliert und sage es hier noch einmal: Das ist ein im besten Sinn konservativer Wert. Und das ist eine „zentrale stabile Komponente in unserem Lande“, wie Sie es ausdrücken, zu der gleichgeschlechtlich Liebende nun einen Beitrag leisten dürfen. Bisher durften sie nicht. Wo liegt das Problem? Das Land wird ja nun wohl stabiler.
Zuletzt möchte ich etwas sagen zum Vorwurf der Diffamierung, den Sie erheben, weil ich die Überwindung archaischer Denkweisen gefordert habe, die über das Christentum bis heute in vielen Köpfen aktiv sind. Ich bin kein Christ. Ich darf daher von unserem offiziell säkularen Staat fordern — und tue das auch –, dass er alle seine Bürgerinnen und Bürger gleich behandelt. Aus meiner Perspektive sind zahllose Aussagen von praktizierenden Christen von der Antike bis heute diskriminierend, nicht nur was Urteile über Homosexuelle betrifft. Die Bibel ist für mich lediglich ein Buch, in dem Dinge stehen, über die die Menschen früher nachgedacht haben und die sie für berichtenswert gehalten haben. Was genau Bestandteil der Bibel wurde, ist Gegenstand von Auseinandersetzungen unter Geistlichen gewesen, nicht Gegenstand eines demokratischen Prozesses. Ich habe dazu eine sehr grundsätzliche Einstellung, die auf unserem Grundgesetz beruht: Ich denke, dass wir uns von archaischen Denkweisen befreien sollten, genauso wie wir von Muslimen fordern, dass sie sich vom Koran und ihren traditierten Strukturen emanzipieren sollten. Wir sollten uns von dem leiten lassen, was gemeinhin als „westliche Werte“ bekannt ist. Diese sind niedergelegt in
1. den Genfer Konventionen;
2. der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen;
3. der Europäischen Menschenrechtskonvention;
4. dem Grundgesetz.
Theologische Leitsätze werden darüber hinaus nicht benötigt. Die Basis unseres Zusammenlebens in Deutschland ist das Grundgesetz.
Ich bin sehr gespannt darauf, ob das Verfassungsgericht in dieser Sache angerufen wird. Ich würde es begrüßen, um Klarheit herzustellen. Aber wie auch immer es weitergeht: Bis es zu einer solchen Entscheidung kommt, werden diverse Paare in diesem Land bereits geheiratet haben. Darunter mein Mann und ich. Ich bin ganz zuversichtlich, dass das Gericht die inzwischen eingetretene gesellschaftliche Liberalität würdigen wird. Denn da wurden längst Fakten geschaffen.
Ehe für alle bringt Diskriminierungsgefahr von Kleinkindern: Das eigentlichen Problem ist die Homo-Adoption von Kleinkindern: Sicher wird das volle Adoptionsrecht hinzukommen. Aber das eigentliche Kindeswohl steht nur bedingt im Mittelpunkt der gleichgeschlechtlichen Adoptionswünsche und ist auch durch sicher in vielen Fällen gegebene, beachtliche Liebeszuwendung nicht zu garantieren. Denn eigentümlicherweise wird durch diejenigen, welche Freiheit in jeder Beziehung fordern, eine Beschneidung der Freiheit der Kinder billigend in Kauf genommen.
Im Gegensatz zu einem Kind in einer Vater-Mutter-Gruppierung, erleidet das in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung heranwachsende Kind eine gewisse Deprivationssituation bzw. Diskriminierung, da ihm der enge Kontakt mit der Gegengeschlechtlichkeit verwehrt bleibt (Fehlende Aktivierung von wichtigen Spiegelneuronen).
Die Frage nach dem Wohl des Kindes wird hier bei der versuchten Verwirklichung abstrakter Gleichheitsideen oder dem Versuch der Beseitigung eines auszuhaltenden, vielleicht unangenehmen Defizits, in der Regel gar nicht erst gestellt.
[Einzelheiten über „Kinder – Die Gefährdung ihrer normalen (Gehirn-) Entwicklung durch Gender Mainstreaming“ sind in dem Buch: „Vergewaltigung der menschlichen Identität. Über die Irrtümer der Gender-Ideologie, 6. Auflage, Verlag Logos Editions, Ansbach, 2014: ISBN 978-3-9814303-9-4 nachzulesen]
@Gassenreh
Das heutige deutsche Recht erlaubt bereits die Adoption von Alleinstehenden und die Sukzessivadoption von eingetragenen Lebenspartnerschaften. Ein schwuler Mann kann also ein Kind adoptieren, dann eine Lebenspartnerschaft eingehen und sein Partner adoptiert das Kind ebenfalls. Die „Ehe für alle“ ändert die Rechtslage nur formal, aber nicht inhaltlich.
@ Gassenreh
Ich lege Wert auf die Feststellung, dass es sich bei dem, was Sie da vorgetragen haben, um eine umstrittene Theorie handelt, nicht um wissenschaftliche Erkenntnis. Es wäre schön gewesen, wenn Sie Ihren Kommentar dementsprechend formuliert hätten. So wie Sie das schreiben, kommt es als Tatsachenbehauptung rüber, und das geht nicht. Ich übernehme das mal für Sie:
„Im Gegensatz zu einem Kind in einer Vater-Mutter-Gruppierung besteht die Möglichkeit, dass das in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung heranwachsende Kind eine gewisse Deprivationssituation bzw. Diskriminierung erleide, da ihm der enge Kontakt mit der Gegengeschlechtlichkeit verwehrt bleibe (Fehlende Aktivierung von wichtigen Spiegelneuronen)“, folgt man der Theorie der dem evangelikalen Umkreis zuzurechnenden Autoren Michael Spreng und Harald Seubert, die sie in ihrem Buch soundso ausbreiten.
Richtig ist, dass bisher noch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber vorliegen (können), ob Kinder, die in Familien mit zwei Vätern bzw. zwei Müttern aufwachsen, dadurch in ihrer Entwicklung beeinträchtigt werden. Beim Lesen der oben genannten Schrift habe ich jedenfalls stark den Eindruck, dass die Autoren nicht wissenschaftlich, also weitestgehend ergebnisoffen an ihren Gegenstand herangetreten sind, sondern vorab das Ziel vor Augen hatten, beweisen zu wollen, dass solche Familienkonstrukte schädlich sind. Und das wäre natürlich das Gegenteil von seriöser Forschung.
Davon abgesehen hat diese Theorie zwei Vorbedingungen, die von den Autoren nicht hinterfragt werden und die ihre Arbeit damit als ideologiebehaftet entlarven:
1. Sie pflegen ein Dogma, nämlich dass Familie die Konstellation Vater-Mutter-Kinder zu sein hat, die sie als „normal“ betrachten.
2. Sie ignorieren jegliche gesellschaftliche Realität, abgesehen von ihrem Feindbild Gender-Mainstreaming, das sie überhöhen.
Zu 1.: Die Unterstellung von „Normalität“ ist eine bedingungslose Voraussetzung in diesem Denken. Man geht davon aus, dass alle, die das lesen, wissen was gemeint ist und sich darüber hinaus einig sind, dass diese Normalität ein anzustrebender Zustand ist. Es handelt sich also um gruppenspezifisches Denken, das vor allem dazu da ist, die eigene Einstellung zu bestätigen.
Zu 2.: Die Vater-Mutter-Kinder-Familie war schon immer ein häufig nur behaupteter Idealzustand. Das soll nicht heißen, dass es ihn nicht gibt, aber er ist seltener, als behauptet wird. Mehr als 100.000 Frauen werden jährlich Opfer von häuslicher Gewalt in der Partnerschaft. Experten gehen davon aus, dass Kindesmisshandlungen vor allem in den Familien passieren. Deutsche Ehen halten im Schnitt 15 Jahre. Viele werden geschieden, obwohl Kinder da sind. Schlimmer in Richtung emotionaler Verwahrlosung geht es möglicherweise in Familien zu, die nur wegen der Kinder aufrecht erhalten werden, obwohl die Eltern sich am liebsten trennen würden. Das heißt unterm Strich: Dass das Kindeswohl nur in einer Vater-Mutter-Kinder-Familie zu gewährleisten sei, ist ein Mythos. Und völlig ignoriert, vermutlich wegen der Fixierung auf das Gender-Mainstreaming, wird die Situation von Kindern in Familien, in denen nur jeweils die Mutter oder der Vater da ist. 2,33 Mio. alleinerziehende Frauen und 0,41 Mio alleinerziehende Männer gab es 2015 in Deutschland. Da wachsen also mindestens 2,74 Mio. Kinder mit schwersten neuronalen Schädigungen auf, folgt man Spreng und Seubert.
Und zuletzt: Mir erschließt sich nicht, warum Kindern in Vater-Vater-Kinder- oder Mutter-Mutter-Kinder-Familien der „enge Kontakt mit der Gegengeschlechtlichkeit verwehrt bleibt“, wie Sie schreiben. Es gibt Großeltern, es gibt Freunde, es gibt auch Konstellationen wie die, die ich oben beschrieben habe, in denen der biologische Vater an der Lebensgestaltung teilnimmt. Wenn Kinder sich für „Gegengeschlechtlichkeit“ interessieren, werden sie das doch irgendwie zum Ausdruck bringen, nicht wahr? Verantwortungsbewusste Eltern in dieser Situation werden dann eine Lösung finden (müssen).
Ich denke, wir werden noch von der angesprochenen Deprivation und der „fehlenden Aktivierung von Spiegelneuronen“ hören, aber wenn die Forschung Fahrt aufgenommen hat, wird sich wohl zeigen, dass Kinder sich am besten in einer Atmosphäre von Respekt, Vertrauen und Liebe entfalten, und die können ihnen gleichgeschlechtliche Elternpaare gewiss nicht weniger gut bieten als verschiedengeschlechtliche.
@ Gassenreh, Lutz Bronski Büge
„Im Gegensatz zu einem Kind in einer Vater-Mutter-Gruppierung, erleidet das in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung heranwachsende Kind eine gewisse Deprivationssituation bzw. Diskriminierung, da ihm der enge Kontakt mit der Gegengeschlechtlichkeit verwehrt bleibt (Fehlende Aktivierung von wichtigen Spiegelneuronen).“
(Beitrag von Herrn Gassenreh)
Auffällig, dass von den Kritikern der „Ehe für alle“ mit zweierlei Maßstäben gemessen wird: Der idealisierten Darstellung der „traditionellen“ Ehe wird (verallgemeinernd und spekulativ) ein „defizitärer“ (vermeintlich praxisorientierter) Befund davon abweichender Gemeinschaften gegenübergestellt.
Lutz Bronski-Büge hat in der Entgegnung bereits Wesentliches benannt. Es seien hier nur konkrete Hinweise aus der Sicht eines Betroffenen hinzugefügt.
Es wäre ja schon einiges gewonnen, wenn diejenigen, die meinen, allen, die den „Segen“ einer (vermeintlich) „intakten“ traditionellen Ehe nicht genossen haben, „schwerste neuronale Schädigungen“ (Zitat Bronski) unterstellen zu müssen, MIT diesen reden würden statt ÜBER sie. Offenbar scheinen deren Erfahrungen aber nicht allzu sehr zu interessieren. Ich möchte solche dennoch hier in den Raum stellen.
Ich bin als Flüchtling und Kriegswaise, der seinen Vater nicht kennengelernt hat (noch dazu einer kinderreichen Familie) so ein „neuronal Geschädigter“. Die Zahl meiner „Mitgeschädigten“ dürfte, wenn man die kriegsbedingten Waisen und Halbwaisen hinzuzählt, die von Bronski genannte Zahl von „2,74 Mio. Kinder mit schwersten neuronalen Schädigungen“ wohl eher übersteigen.
Ich habe die Ursachen und konkreten Umstände solcher „Schädigungen“ nicht nur selbst erlebt. Ich habe mich auch intensiv damit auseinandergesetzt. Und dazu bedurfte es nicht nur eines größeren Teils einer Romantrilogie, sondern auch zusätzlich eines „Tricks“, um auch das zu erfassen, was in der Regel im Unbewussten oder Halbbewussten verbleibt und sich dem scheinbar „rationalen“, in Wirklichkeit selektierenden Blick des „Ich“ meist entzieht. Und ich wählte daher die distanziertere Perspektive eines Flüchtlingsmädchens in der Auseinadersetzung mit patriarchaler Gewalt und auf der Suche nach Emanzipation. Was zugleich die Chance bot, eigene Erfahrungen einfließen zu lassen. Zusammenfassende Analyse:
Die dabei zu Tage beförderten Ursachen und Umstände sind allerdings völlig andere und weit komplexer als die, von denen Herr Gassenreh meint, sie verallgemeinernd „auf den Begriff“ bringen zu können (u.a. typisches Merkmal für ideologisches Denken).
Selbstverständlich spielte die Auseinandersetzung mit der „Vaterrolle“ (vor allem in der Pubertät) auch für mich eine Rolle. Allerdings so, dass ich es – nach Berichten von älteren Geschwistern zu urteilen – eher als Chance empfand, mich nicht in der Auseinandersetzung mit einem wohl sehr autoritären Vater verschleißen zu müssen, sondern diese in Auseinandersetzung mit selbst gewählten Vorbildern suchen zu können. Dazu bieten nicht nur ein erweiterter Freudeskreis oder soziale Begegnungen (etwa mit Lehrern) Gelegenheit, sondern auch Literatur.
Als „defizitär“ habe ich – im Gegensatz zu den Behauptungen von Herrn Gassenreh – nicht den fehlenden Vater, sondern die Karikaturen eines überkommenen, patriarchalisch bestimmten „Vater“-Bildes erlebt, die mir in zweifacher Form entgegen traten: Einerseits durch meine Mutter, andererseits durch meinen älteren Bruder, dem meine Mutter (in der Erkenntnis, diese Rolle gar nicht ausfüllen zu können) die „Erziehungsgewalt“ über uns Jüngere übertragen hatte (was in mancher Hinsicht durchaus wörtlich zu verstehen ist). Als Beispiel sei hier lediglich die Schilderung eines auf Knien verbrachten Weihnachtsabend aus Sicht eines sechsjährigen Knirpses angeführt.
Gemeinsam war beiden (Mutter wie Bruder) der Versuch, in falsch verstandener Idealisierung der patriarchalen „Vater“-Rolle diese ohne jede Hinterfragung zu übernehmen, wobei sie beide zwangsläufig scheitern mussten. Nicht ohne durchaus auch gewaltgeprägte und damit traumatisierende Auswirkungen auf uns jüngere Kinder.
Als Chance kann ich das dennoch deshalb ansehen, weil diese Karikatur der patriarchalen Vaterrolle auch von einem kleinen Knirps zumindest in Ansätzen zu durchschauen war und im Zuge der Erfahrung von Unterdrückung, Hilflosigkeit, aufgestauter Wut auch Widerstandskräfte mobilisierte.
Kindliche Erfahrungen, die durchaus ähnlich sind der Schilderung der Auseinandersetzung von Hans Schnier mit seiner Mutter in „Ansichten eines Clowns“ (mein Hinweis am 6. Juli 2017 um 12:39). Auch da die Karikatur patriarchalischer Gewalt (hier am Beispiel der Mutter) unter klerikalem Einfluss. Bei Böll auch (wie angegeben) Hinweise auf alternative Lebensformen, die sich – von der Not und den Zeitumständen gefordert – dem patriarchalen Familienbild entziehen.
Es sei auch auf manche Ähnlichkeiten dieses archaisch-patriarchalen Familienbilds mit dem in muslimisch geprägten Ländern verwiesen, deren Reformunfähigkeit sich nicht zuletzt in fundamentlistisch geprägten Hirnen auch hierzulande erweist.
Wenn man bedenkt, dass es in unseren Landen einer der größten Katastrophen der Weltgeschichte bedurfte, um ein festgefügtes patriarchales Weltbild zu erschüttern und – wie an meinem Fall geschildert – als Karikatur seiner selbst erscheinen zu lassen, dann kann man nur dankbar sein, dass eine doch wegweisende Veränderung überlieferter Bestandteile unserer Werteordung auf so friedliche Weise vonstatten gehen kann wie im Fall der Verabschiedung des Gesetzes „Ehe für alle“.
Es wäre wünschenswert, wenn der Fokus nicht allein auf die „Profiteure“ dieser Regelung gerichtet bliebe, sondern auch die Chancen aller übrigen in den Blick kämen, sich (wie an meinem Fall geschildert) von ideologisch fixierten Idealvorstellungen zu lösen. Auf die zu fixieren (wie an vielen Beispielen katholischer Kreise nachweisbar) erst zum notwendigen Scheitern und den von Herrn Gassenreh beklagten „defizitären“ Erscheinungen führt.
In Hinblick auf eine freiere und auf gesellschaftliche Grundwerte ausgerichtete Lebensformen, wie Bronski es im Beitrag vom 31. Juli 2017 um 2:01 ausgeführt hat.
Der oben stehende Beitrag von Werner Engelmann kam nach der automatischen Schließung dieser Diskussion. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf Herrn Engelmanns Beitrag zum FR-Projekt „Ankunft nach Flucht“ hinweisen, der hier im FR-Blog veröffentlicht wurde.
Hier kann nun nicht weiter kommentiert werden. Wenn aber weiterer Diskussionsbedarf besteht, mache ich eine neue Diskussion zum Thema auf. Dann melden Sie sich bitte kurz per Mail bei mir.