In Bälde beginnen die Verhandlungen über den Brexit, den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Es wird erwartet, dass sie mit Härte geführt werden. So hatte das EU-Parlament vor einer Weile beschlossen, dass über die künftigen Beziehungen erst beraten wird, wenn die Modalitäten der Trennung ausverhandelt sind. „Rosinenpicken sei auch nicht drin“, schrieb FR-Korrespondent Thorsten Knuf: „Mitgliedschaft im Binnenmarkt und in der Zollunion gebe es nur, wenn der freie Verkehr von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Personen garantiert und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs akzeptiert wird.“ Ferner wird vom Vereinigten Königreich erwartet, dass es alle finanziellen Beiträge leistet, die bisher verbindlich verabredet waren, etwa um EU-Programme zu bezahlen. Schätzungen sprechen von 60 Milliarden Euro. Zudem geht es um rund drei Millionen Bürger anderer EU-Staaten, die in Großbritannien leben und arbeiten, und um gut eine Million Briten in den 27 anderen EU-Staaten. Bisher galt Personenfreizügigkeit.
Es gilt nun, Großbritannien aus einem Netz internationaler politischer, wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen herauszulösen, das sich in den vergangenen 44 Jahren seit dem EU-Beitritt gebildet hat. In diesem Zusammenhang hat mir Sylke Uhde aus Göttingen einen sehr langen Leserbrief geschrieben, in dem sie einen konstruktiven Geist der Brexit-Verhandlungen beschwört. Eine Kurzversion erschien im Print-Leserforum, die vollständige Version kommt nun hier als Gastbeitrag im FR-Blog.
Im gemeinsamen Interesse beider Seiten
Von Sylke Uhde
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Wann wird im Hinblick auf die anstehenden Brexit-Verhandlungen endlich Schluss sein mit dem unerträglichen beleidigten Gerede von ‚Rosinenpickerei‘ und ‚gesalzener Rechnung‘ – letzteres mit wohligem Grusel wieder einmal zur Schlagzeile erhoben?! Was sollen wir von den sich solchermaßen offenbarenden Einstellungen unter den Verantwortlichen erwarten dürfen? Wenn Außenminister Gabriel im Bundestag davon spricht, dass wenig Interesse bestehe, „dass am Ende ein völlig zerrüttetes und verfeindetes Verhältnis […] entsteht“, ist das eine Formulierung, die den Skandal des inzwischen anscheinend etablierten Denkens der zuständigen Verhandlungsführer nur ein weiteres Mal dokumentiert.
Eine knappe Mehrheit der Einwohner Großbritanniens hat für den Austritt aus der EU gestimmt, und die britische Regierung hat sich entschieden, den Austritt umzusetzen. Das ist bitter, aber es ist an den übrigen Mitgliedsstaaten der EU und ihren Bürgerinnen und Bürgern, diese Entscheidungen im Grundsatz zu respektieren. Dass bestehende Verträge und gegenseitige Verpflichtungen nun derart behutsam aufgelöst werden, dass niemand als nachhaltig Geschädigter zurückbleibt, sollte eine Selbstverständlichkeit sein und liegt im gemeinsamen Interesse beider Seiten. Niemand in der EU kann sich ernsthaft ein wirtschaftlich geschwächtes, sozial und politisch dauerkriselndes, gar zerfallendes Großbritannien als Nachbarn wünschen!
Ja, Premierministerin Mays Brexit-Rede im Januar war ein Schlag ins Gesicht aller entsprechend fassungslosen Europäer, sinngemäß zu sagen, niemand solle wagen, Großbritannien für seinen Austritt zu bestrafen, London verfüge über den besten Geheimdienst und Nuklearwaffen. Das von der Regierungschefin eines Landes zu hören, mit dem man sich bis dato befreundet glaubte, hat weh getan, und zwar ganz real, in der Herzgegend nämlich. Sich das einzugestehen, kann erinnerungs- und erkenntnisfördernd sein. – Großbritannien hat etlichen Deutschen zur Zeit der Nazi-Herrschaft Zuflucht geboten, britische Soldaten haben nach langem Zögern ihrer Regierung für die Befreiung Europas und Deutschlands im zweiten Weltkrieg gekämpft und mit ihrem Leben bezahlt. Und Briten haben am demokratischen Wiederaufbau Westdeutschlands ihren Anteil gehabt.
Generationen von deutschen Schülern durften in der Folge in britischen Familien und Schulen zu Gast sein, Englisch ist seit der Wiedervereinigung in der Regel unsere erste Fremdsprache, britische Literatur, Kunst, Musik sind so selbstverständlich Teil unseres Lebens wie die deutsche Kultur, das britische Königshaus bewegt etliche Gemüter hierzulande und, auch wenn wir das ‚unseren Jungs‘ zuliebe eigentlich nie sagen würden: Insgeheim hoffen wir doch bei jedem großen Fußballturnier, auf einen Erfolg des englischen Teams (außer gegen die deutsche Mannschaft natürlich). Austausch, Zusammenarbeit, Verbundenheit allerorten.
Und nun? Bestrafung? Kann es sein, dass innerhalb der EU schon seit längerem viel zu viel von Kriterien-Erfüllung, Druckmitteln und Strafmaßnahmen die Rede ist? Vielleicht sollte mal selbstkritisch nach anderen Handlungs- und Umgangsmöglichkeiten gesucht werden? Die für den Brexit zuständigen Verhandlungsführer sollten jetzt jedenfalls professionell genug sein, sich ungeachtet entstandener persönlicher Animositäten und Verletzungen sachlich ihren Aufgaben zu widmen, dafür sind sie bestellt.
Das Argument für ‚harte Verhandlungen‘, der Brexit dürfe für Großbritannien nicht zum Erfolg werden, weil der EU-Austritt sonst Nachahmer finden und die EU sich auflösen könnte, sticht nicht. Zum einen: Erfolge werden auf keiner Seite eingefahren werden können, die Kosten und Nachteile wiegen zu schwer. Und wenn sich qua Brexit wider Erwarten doch neue, kreative (Handels-)Lösungen abzeichnen sollten? Warum nicht solche auch in bestehende EU-Strukturen integrieren? Zum anderen: Eine EU, deren Mitglieder dabeibleiben, weil sie vor hohen Austrittskosten zurückschrecken, wird nicht arbeitsfähig sein. Es sieht oft so aus, aber Berechnung ist nicht die Grundlage der EU.
Auflösungsängste in der EU sind unnötig, wenn ihre Vertreter sich bewusst ihrer Verantwortung für Europa stellen – für ganz Europa wohlgemerkt. Das mag dem Einzelnen angesichts von Regionalinteressen, Kompetenzen-Wirrwarr, Aufgabenfülle und Arbeitsbelastung zu weit führen, ist aber unumgänglich. Denn, Grenzen in und um Europa sind, wie wir erleben, immer und an jedem Ort veränderbar, zum Guten wie zum Schlechten. Und es stimmt: Wir Europäer sind viele, wir sind auf vielfältige Weise verschieden, dabei auf engem Raum mal zusammen-, mal durcheinandergewürfelt und seit jeher damit befasst, alles Mögliche und Unmögliche, auch in sich Widersprüchliches endlos zu verhandeln, und – das auch auszuhalten. Wo dies gelungen ist, hat Europa etwa in seiner Geistesgeschichte Glanzlichter gesetzt, wo dies nicht gelungen ist, haben Menschen anderen schreckliches Leid zugefügt und/oder erlitten. Das Wohlergehen ganz Europas, nicht nur das ihrer Mitgliedsstaaten muss immer das Kernanliegen der EU sein, ohne daraus irgendwelche hegemonialen Interessen oder Überheblichkeiten abzuleiten. Es ist schlicht ihre Existenzberechtigung.
Äußerungen wie die von Manfred Weber, „Von jetzt an zählen für uns nur noch die Interessen der verbleibenden 440 Millionen Europäer“ (FR 76, Do 30.3.2017), die einen Gegensatz von Briten und Europäern konstruieren, zeugen von einer eklatanten Unkenntnis der beschriebenen Zusammenhänge und entsprechen keinesfalls der Haltung, für die Bürgerinnen und Bürger der EU derzeit auf die Straße gehen. Pulse of Europe ist nicht nur eine neugegründete Organisation, es ist ein Bild für Auftrag und Wesen der Europäischen Union. – Umgekehrt werden Brexit und marketingwirksam inszeniertes global Britain nichts daran ändern, dass Großbritannien selbstverständlich europäisch bleibt und also substantiell verbunden den Ländern Europas, die das Projekt einer möglichst weitgehenden Einigung weiterverfolgen, eben weil global für uns alle gilt.
Im Zuge des Brexit gibt es dementsprechend nur einen einzigen Erfolg zu erzielen, nämlich den, dass er in gegenseitigem Respekt und Einvernehmen vollzogen werden wird. An diesem Erfolg wird sich das Bestehen der EU und Großbritanniens entscheiden. Aus der ‚Ehe‘, die hier ‚geschieden‘ wird, sind schließlich Kinder hervorgegangen, junge Leute und auch Leute mittleren Alters, die sich von Geburt an bis heute als Europäer erleben und verstehen, die Antworten auf ihre Zukunftsfragen haben wollen und Perspektiven – nationale, europäische und globale. Wie echte Scheidungskinder werden sie kein Verständnis haben für konfrontative Verhandlungen, eine rückwärtsgewandte Politik der Abgrenzungen, sie werden sich wehren oder schlimmstenfalls abwenden.
Sinnvoll kann nur sein: Als ersten Schritt die Aufenthaltsregelungen für britische Bürger in der EU und EU-Bürger in Großbritannien zum Wohl der Menschen, die es betrifft, als eigenständigen Punkt, vorrangig und zügig klären. Im Weiteren unwürdiges Geschacher und Gerangel um die Überreste der britischen EU-Mitgliedschaft jedenfalls vermeiden und stattdessen den ehrlichen Willen zu einvernehmlichem Handeln walten lassen. Zur Not wäre auch an unabhängige Vermittler zu denken.
Ja, wir vermissen die Briten jetzt schon, schmerzlich; und nein, wir vermissen sie nicht, weil wir es nicht müssen, denn sie sind ja da, jenseits und diesseits des Kanals. – Und wer weiß, manches geschiedene Paar hat sich ein weiteres Mal ja zu sagen getraut, aus Liebe.
Hallo,
ich möchte noch eine Quelle nachtragen: die Ausführung zur historisch-ideellen Verfaßtheit Europas habe ich aus der Erinnerung wiedergegeben nach der Einleitung in: Peter Prange, Frank Baasner, Johanes Thiele: Werte. Von Plato bis Pop. Alles, was uns verbindet. München 2006; ein über Gegensatzpaare interessant zusammengestelltes Lesebuch.
@ Sylke Uhde
Ihre Ansichten und Argumente gefallen mir sehr. Ich hoffe, sie werden nicht nur hier gehört.
@Sylke Uhde
Ich habe die Befürchtung, das der Teil GBs, der für den Brexit gestimmt hat, Ihre Gefühle nicht teilt.
Sie betonen, dass als erstes die Aufenthaltsregelungen für die Bürger geklärt werden sollten. Wie sollte das aussehen, wenn die Brexit-Befürworter die Personenfreizügigkeit ablehnen und die Polen am liebsten aus dem Lande werfen wollen?
Es gibt schon einige Handelsabkommen mit EU Nachbarn. Diese sollte man GB auch anbieten, wenn sie das nicht wollen dann halt nicht.
@ Sylke Uhde
Da meine Tochter mit deutschem Pass in England lebt und arbeitet, würde auch ich mir den von Ihnen ersenten Ablauf der Brexit-Verhandlungen wünschen. Allerdings habe ich wie Henning Flessner meine Zweifel, ob dies realistisch ist. Bekanntlich konnte sich schon das Oberhaus nicht mit der Forderung durchsetzen, in dem vom britischen Parlament verabschiedeten Brexit-Gesetz den in GB lebenden EU-Ausländern die Aufenthalts- und Arbeitsrechte weiterhin zuzusichern. Mays Argument dagegen war, man dürfe in den Verhandlungen mit der EU keinen Trumpf vorzeitig aus der Hand geben. Außerdem muss May die Wählerschaft bedienen, die nicht nur keinen weiteren Zuzug von Ausländern will, sondern auch etliche der jetzt in GB lebenden EU-Ausländer (und nicht nur die Polen und Bulgaren) loswerden möchte.
Bei Ihrer (bezüglich der sprachlichen Entgleisungen berechtigten) Kritik an den Politikern der Rest-EU übersehen Sie, dass dies Reaktionen auf das Verhalten der Briten sind. In GB haben sich im Parlament und in der Regierung die Befürworter des „harten Brexits“ durchgesetzt, die sogar einen Austritt ohne Einigung mit der Rest-EU in Kauf nehmen („lieber ein Austritt ohne einen Deal als ein schlechter Deal“). Das lässt für die Verhandlungen nichts Gutes erwarten. Ob dies so alle wollten, die bei dem Referendum mit knapper Mehrheit für „leave“ gestimmt haben, darf bezweifelt werden.
Was Sie zu der kulturellen Verbundenheit zwischen GB und Rest-Europa bzw. Deutschland schreiben, ist auch aus meiner Sicht richtig. Ich fürchte aber, dass May und ihre Brexitiers wirklich nur auf einen Deal hinaus sind und ihnen der Schaden für Kultur, Wissenschaft und Erziehung (kein Erasmus-Jahr mehr in GB, hohe Studiengebühren auch für EU-Studenten!) egal ist.
@ hans
Welche EU-Nachbarn meinen Sie denn? Die Vereinbarungen, die z.B. Norwegen oder die Schweiz mit der EU haben, lehnen die britischen Brexitiers ab, weil sie Freizügigkeit und (automatische) Übernahme der EU-Regelungen beinhalten. May will den „harten Brexit“, also raus aus dem Europäischen Binnenmarkt und aus der Zollunion. Was sie statt dessen will, sagt sie leider nicht.
zu @ JaM
Ich habe doch geschrieben was passieren sollte wenn GB nicht will. Dann sollte eine Zusammenarbeit ähnlich wie mit den USA eingeführt werden. Es kann auf jeden Fall nicht sein das es wirtschaftlich sinnvoll wird die EU zu verlassen. Das wäre das Ende der EU. Da hilft auch noch soviel zwar sympatisches moralisches Reden nichts. GB hatte schon als Mitglied einen Sonderstatus. Der kann nicht bei behalten und noch ausgeweitet werden.
@ hans
„Dann sollte eine Zusammenarbeit ähnlich wie mit den USA eingeführt werden.“ Das würde bedeuten, dass dann alle EU-Bürger für jeden Studien- oder Praktikumsaufenthalt in GB ein Visum bräuchten und die Chancen der EU-Bürger auf eine dauerhafte Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis in GB (einschließlich der rund 3 Mio., die jetzt in GB leben) minimal wären.
zu @ JaM
Das mag ja sein und ist im Einzelfall sicher bedauerlich, aber der Erhalt der EU ist das übergeordnete Ziel. Die Position des EU Parlaments ist in diesem Fall klar richtig. Erst klären wir der Ausstieg läuft und dann wie die Zukunft aussieht. Das kann nicht so aussehen das alle Rechte erhalten bleiben und alle Pflichten von GB entfallen. Das müssten selbst die Betroffenen einsehen. Die Position die derzeit von der Regierung in GB eingenommen wird ist unhaltbar oder?
zu @ JaM
Sie scheinen da , wegen ihrer Tochter, ein bischen dem Wunschdenken anzuhängen. So nach der Devise: Dusche mich mach mich aber nicht nass. So wird das aber nicht sein. Sie glauben doch wohl selber nicht das in 2 Jahren noch 3 Millionen Europäer in GB sind? Ich möchte ihnen mal schildern was in der Firma passiert in der ich arbeite. Wir haben solange ich da bin Komponenten aus GB bezogen und es gab keine Bestrebungen das zu ändern. Jetzt warten wir doch nicht ab was bei den Verhandlungen raus kommt. Wir haben uns die letzten Monate einen alternativ Lieferanten gesucht und lassen seit kurzem 50% bei ihm und 50% in GB fertigen. Wenn dieser Liefernt sich als stabil herausstellt wird er in einem Jahr den ganzen Auftrag haben. Ich möchte vermuten das ist nicht nur bei uns eine ganz normale Vorgehensweise wenn nicht klar ist wie die Zollbedingungen zu einem anderen Land sein werden.Das machen nicht nur die Banken sondern alle. Auf wie viele Menschen das direkte Auswirkungen hat wird man sehen, aber ihre Tochter sollte sich auch überlegen ob sie gut beraten ist weiter in GB zu arbeiten. GB wird die vielen Europäer vielleicht bald nicht mehr benötigen.
@ hans
Bei den schwierigen Brexit-Verhandlungen kann es nicht darum gehen, GB für den Austritt abzustrafen. Eine solche Haltung, die ich aus Ihren Ausführungen lese, kritisiert Sylke Uhde zu recht, weil sie nicht dazu beiträgt, ein sowohl für die Menschen in der Rest-EU als auch für die in GB möglichst positives Ergebnis zu erreichen, was nicht ohne Kompromisse möglich sein wird. Das ist kein Widerspruch zu der von der EU-Kommission vorgelegten Verhandlungsstrategie.
@ hans
Über die Probleme, die der Brexit verursachen wird, mache ich mir keine Illusionen, auch wenn sie meine Tochter als eine gut verdienende Akademikerin mit Anspruch auf britische Staatsangehörigkeit voraussichtlich nicht treffen werden. Sie können sicher sein, dass auch viele Briten, die für „remain“ geworben haben, die auf sie kommenden Schwierigkeiten sehr klar sehen. Allerdings wäre es falsch zu glauben, dass den Preis nur die in GB lebenden EU-Ausländer und die britische Wirtschaft zahlen werden. Sicher wird sich mancher Hersteller in der Rest-EU, der bisher in GB eingekauft hat, erfolgreich einen neuen Lieferanten suchen. Wird es aber genauso einfach gehen, sich für die Produkte und Dienstleistungen, die bisher nach GB exportiert wurden, einen neuen Absatzmarkt zu suchen? Es geht um ein Volumen von rund 90 Milliarden Euro.
Um bei Ihrem Wasser-Bild zu bleiben: Das Kind ist in den Brunnen gefallen. Jetzt geht es darum, ob man es nass herausholt oder es ertrinken lässt.
zu@ JaM
Da muss ich ihnen wiedersprechen. Ich bin nicht der Meinung das GB bestraft gehört. Das was ich geschildert habe ist nur rational und passiert auch aus der anderen Richtung. GB hat nur nicht die Größe um so agieren zu können wie die EU. Für unsere Verkaufsmöglichkeiten gibt es für GB natürlich die Möglichkeit die Produkte der EU zu egal welchem Preis nicht zu kaufen, dann hat man sie aber halt auch nicht. Ich kann nicht erkennen warum es eine Bestrafung sein soll wenn man GB eine Behandlung wie der Schweiz, Norwegen und den USA zukommen lässt. Wenn man das anders macht müsste man das dann ja dem Rest der Welt erklären warum GB besser gestellt wird.
Was mich immer bei solchen Entscheidungen stört ist dies: Warum kann eine einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen der Wahlberechtigten solch weitreichende, tiefe, in jahrzehntelang gewachsene Strukturen einfach zerschlagen? In solchen Fällen müsste die Latte bedeutend höher liegen.
Auch die Abstimmung über eine weitreichende Verfassungsänderung, wie eben in der Türkei erfolgt ist, sollte nicht durch einfache Mehrheit der angegebenen Stimmen entschieden werden.
@ werner.h
Da haben Sie völlig recht. Leider sind es die Politiker der betroffenen Länder selbst, die festlegen, mit welcher Mehrheit ein Referendum als angenommen zu gelten hat. Und da widersprechen die Bestimmungen dieser Länder zum Teil der eigenen Verfassung. In keinem dieser Staaten kann eine Verfassungsänderung mit einfacher Parlamentsmehrheit erfolgen. Wenn diese Verfassungsänderung allerdings vom Volk entschieden werden soll, reicht die einfache Mehrheit offenbar. Sehr widersprüchlich!
@ werner.h/Brigitte Ernst
Die Referenden zu Brexit und zur Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei haben völlig unterschiedliche rechtliche Basis.
In der Türkei ist die Möglichkeit, die Verfassung durch eine einfache Mehrheit bei einer Volksabstimmung zu ändern, in der Verfassung festgeschrieben. Außerdem lag ein ausformulierter Gesetzesvorschlag zur Abstimmung vor, dessen Konsequenzen klar waren. Das Problematische waren die Umstände der Abstimmung: der Ausnahmezustand, die fast vollständige Gleichschaltung der Medien, die Verhaftung von Journalisten und Oppositionellen, die Behinderung der Nein-Kampagne usw.
In GB, das keine geschriebene Verfassung kennt, fand eine unverbindliche Volksbefragung statt, die keine unmittelbaren rechtlichen (aber natürlich politischen) Konsequenzen hat. Dies schon deshalb, weil zu der Ausgangsfrage („Soll GB in der EU bleiben?“) zwar „remain“ eine klare Antwort war, aber ein „leave“ viele Umsetzungsmöglichkeiten offen lässt. Es handelt sich also um einen Wählerauftrag an die Regierung, die – nach Gerichtsentscheidung – für ihre Entscheidung die Zustimmung des Parlaments braucht. Für die Verabschiedung von Gesetzen reicht dort eine einfache Mehrheit. Dies wäre in Deutschland nicht anders, denn für einen Austritt aus der EU wäre keine Grundgesetzänderung nötig. Auch die Annahme des Vertrags von Lissabon erfolgte in der Form eines einfachen (Ratifizierungs-)Gesetzes.
Allerdings bestätigen beide Vorgänge meine grundsätzlichen Bedenken gegen den Sinn von Referenden.
Dass unsere Demokratien, auf die wir Jahrzehnte so stolz sein konnten, auf so wackligen Beinen stehen, erstaunt und erschüttert mich.
Einer „unverbindliche Volksbefragung“, welche die Befragten dem Anschein nach selbst nicht so ernst genommen hatten, ist es demnach also gelungen, ganz Europa zu erschüttern !?
Da gehen wir ja aufregenden Zeiten entgegen…
In GB war das Parlament, soweit ich das mitbekommen habe, nicht verpflichtet den Brexit umzusetzen. Am Anfang konnte man sogar lesen das es dagegen ist. Warum haben sie es trotzdem getan? Ich denke das es auch am Wahlrecht in GB liegt. Abgeordnete wollen vor allem eins, ihr Mandat behalten. Wenn es in einem Land zwei fast gleich große Gruppen gibt ist in einem Mehrheitswahlrecht die wirklich wichtige Frage für den Abgeordneten , welche Gruppe wird bei der nächsten Wahl in meinem Wahlkreis mehr mobilisieren. Wenn man den Umfragen glauben darf sind das klar die Brexitbefürworter. Deshalb passiert das jetzt alles und wird nach der Juniwahl von einer großen Parlamentsmehrheit getragen werden. Außer die Brexitgegner überraschen, aber darauf kann man sich wohl nicht verlassen, denn sie sind auch schon bei der letzten Abstimmung zum Teil nicht zur Wahl gegangen. Diese Volksabstimmung als Argument gegen solche Abstimmungen jetzt zu nehmen ist wohl weit her geholt.