Rückschritt in ein nie gewesenes Mittelalter

„Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben“.

Mit diesen Worten beginnt die Präambel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Gottesbezug hat in der Vergangenheit hier und da für Kritik gesorgt. Er legt den Verdacht nahe, dass unser Grundgesetz nicht aus einem Geist weltanschaulicher Neutralität entstanden ist, den es allerdings im weiteren Verlauf seiner Regelungen dennoch erkennbar größtenteils atmet. Ich persönlich als Agnostiker kann damit leben, da ja auch die Verantwortung vor den Menschen genannt wird, wenn auch erst an zweiter Stelle. Aber ich will nicht kleinlich sein. Wenn’s dem lieben Frieden dient, dass da auch der liebe Gott erwähnt wird, dann soll es mir recht sein. Ist ja auch schon lange her, dass diese Zeilen erdacht wurden. Das Grundgesetz ist eben nicht perfekt. Trotzdem ist es die beste Verfassung, die Deutschland je hatte, und sicher eine der besten Verfassungen dieses Planeten.

Nun geht es hier eigentlich nicht um das Grundgesetz, aber da es im Folgenden zum Vergleich herangezogen werden wird, habe ich dennoch diese Einleitung gewählt. In Hessen arbeitet nämlich der Verfassungskonvent des Landtags an einer Modernisierung (sic!) der Landesverfassung, und dabei wurde, beantragt durch die CDU-Fraktion und unterstützt von den christlichen Kirchen, auch eine Änderung des Textes der Präambel vorgeschlagen. Bisher lautet diese Präambel bemerkenswert nüchtern, geradezu vorbildlich sachlich für einen säkularen Staat:

„In der Überzeugung, dass Deutschland nur als demokratisches Gemeinwesen eine Gegenwart und Zukunft haben kann, hat sich Hessen als Gliedstaat der deutschen Republik diese Verfassung gegeben.“

Die CDU-Fraktion schlägt nun folgende Änderung vor:

„Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, in dem Willen, Würde, Leben und Freiheit des Einzelnen zu achten, den Wohlstand der Menschen zu fördern, das Gemeinschaftsleben in sozialer Gerechtigkeit zu ordnen, die natürlichen Lebensgrundlagen nachhaltig zu schützen, den Frieden zu sichern, den Rechtsstaat zu erhalten und als lebendiges Glied der Bundesrepublik Deutschland einem vereinten Europa und der Welt zu dienen, hat sich Hessen, eingedenk seiner Geschichte und christlich-humanistischen Tradition, ausgehend von den leidvollen Erfahrungen totalitärer Gewaltherrschaft und in der Überzeugung, dass Deutschland nur als demokratisches Gemeinwesen eine Gegenwart und Zukunft haben kann, diese Verfassung gegeben.“

Das bietet natürlich jede Menge Diskussions- und Konfliktstoff. Das soll eine Modernisierung sein — die Einführung eines Gottesbezuges, obwohl nur noch 47 Prozent* der Menschen in Deutschland gottesgläubig sind, Tendenz weiter sinkend? Wozu das Wortgedröhn über gesellschaftliches Miteinander, das anschließend in den Paragraphen der Landesverfassung und übrigens sowieso auch des Grundgesetzes ganz selbstverständlich einzeln geregelt werden? Auch der Blick in die Geschichte — „leidvolle Erfahrungen totalitärer Gewaltherrschaft“ — ist völlig unnötig, da in der Verfassung selbst längst die Konsequenzen aus dieser Erfahrung gezogen wurden. Die Verfassung trat am 1. Dezember 1946 in Kraft und hat seitdem funktioniert, obwohl sie kurioserweise in Art. 21 Abs. 1 in besonders schweren Fällen die Todesstrafe vorsieht; aber Bundesrecht schlägt Länderrecht: Im Grundgesetz gibt es keine Todesstrafe. Verfassungen sind keine Geschichtsbücher. Die „Überzeugung, dass Deutschland nur als demokratisches Gemeinwesen eine Gegenwart und Zukunft haben kann“, ist schön und gut, aber was soll diese Anmerkung in einer Verfassung des Bundeslandes Hessen?

Tradition der Scheiterhaufen

Der dickste Klopfer ist aber natürlich die Sache mit der „christlich-humanistischen Tradition“. Leitkultur, ick hör dir trapsen! Frühere Verfechter dieser Idee brachten immerhin noch die jüdischen Wurzeln mit ein. Doch Christentum und Humanismus waren über weite Strecken Antagonisten; die Fortschritte des Humanismus und der Aufklärung, in die er mündete, wurden wesentlich gegen den Widerstand des Christentums erungen. Von welcher Tradition spricht die CDU hier? Einer Tradition der Scheiterhaufen? Und so was wollen die in die Verfassung schreiben?

Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Humanismus und Aufklärung, die zur Amerikanischen und Französischen Revolution, zu demokratischen Verfassungen und zu Menschenrechtserklärungen bis hin zur Grundrechtecharta führten, könnten selbstverständlich als Fundament einer bundesrepublikanischen Leitkultur angesehen werden. Das Christentum jedoch nicht. Bestünde dieses Christentum lediglich aus der Bergpredigt, den zehn Geboten und den Evangelien, könnte niemand wirklich etwas dagegen haben. Doch tatsächlich hat sich das Christentum in Gestalt von spitzfindigen Theologen über Jahrhunderte hinweg vor allem damit beschäftigt, den revolutionären Kern der Bergpredigt einzuhegen und einzudämmen, anstatt sich ihm zu nähern.

Die Frage ist: Wozu brauchen wir einen Bezug auf eine wie auch immer geartete „christlich-humanistische Tradition“ in der hessischen Landesverfassung? Die Antwort ist: Wir brauchen diesen Bezug nicht. Die CDU-Fraktion hätte ihn gern, um bestimmte Bevölkerungsteile ausgrenzen zu können. Sie möchte in Zukunft sicher sein, diese CDU-Fraktion. Sicher davor, dass wieder mal jemand ausspricht, was schlicht der Realität in Deutschland entspricht. Wie sagte noch gleich Christian Wulff, Ex-Bundespräsident, davor CDU:

„Der Islam gehört zu Deutschland.“

* Zahl nach Wikipedia aus dem Beitrag „Präambel des Grundgesetzes

Anmerkung Bronski: Ich mache dieses Thema im Print-Leserforum anhand des folgenden ersten, langen Leserbriefs von Prof. Tiedemann auf, den ich für die Print-Veröffentlichung kürzen musste und der sich zur Problematik der Verankerung von Staatszielen in der Verfassung äußert, nicht zum Gottesbezug. Meistens veröffentliche ich solche Zuschriften anschließend ungekürzt hier im FR-Blog als Gastbeiträge. Auch in diesem Falle erfolgt eine ungekürzte Veröffentlichung — siehe unten gleich der erste Leserbrief –, aber diesmal nicht als Gastbeitrag, weil es noch weitere Leserbriefe zum Thema Verfassungskonvent gab, die ich ebenfalls veröffentlichen möchte. Darum erfolgt die Veröffentlichung in der Kategorie „Schlagseite“, nicht „Gastbeiträge“.

fr-balkenLeserbriefe

Prof. Paul Tiedemann aus Frankfurt weist darauf hin, dass man bei den Staatszielen genau hinsehen sollte:

„Der hessische Verfassungskonvent und die hessische Landesregierung scheinen bei dem Stichwort „Staatszielbestimmung“ an irgendwelche Pflichten zu denken, bestimmte politische Ziele zu verfolgen, wie z.B. Geld für den Umweltschutz oder die Sportförderung zur Verfügung zu stellen. Indessen bedarf es dazu keiner Staatszielbestimmungen in der Verfassung. Parlament und Regierung sind auch ohne eine solche Bestimmungen in der Lage, Umweltschutz oder Sportförderung zu betreiben. Staatszielbestimmungen wären nur dann relevant, wenn man sie im Sinne eines Verbots verstehen würde, nämlich des Verbots Gesetze zu erlassen oder politische Maßnahmen zu ergreifen, die beispielsweise den Umweltschutz behindern oder die Umwelt schädigen. So werden Staatszielbestimmungen aber selten verstanden. Die meisten Juristen glauben, es handele sich nicht um anwendbares Recht.
Eine der seltenen Ausnahmen präsentierte im Jahre 2007 das Oberverwaltungsgericht in Weimar, das eine kommunale Satzung über den Anschluss- und Benutzungszwang für eine Fernwärmeversorgungseinrichtung für unwirksam erklärte, weil sie keine Befreiung von Grundstücken vorsah, die über eine eigene Anlage zur Erzeugung von Wärme aus regenerativen Energiequellen (Solarkollektoren) verfügten. Eine solche Regelung sei mit der Staatszielbestimmung „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ nach Artikel 20a des Grundgesetzes nicht vereinbar. Dieses Urteil war bisher aber eine seltene Ausnahme. In der Regel werden Staatszielbestimmungen weder von der Politik noch von der Justiz ernst genommen.
Nachdem das Staatsziel „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ 1991 in die hessische Verfassung aufgenommen worden war, fürchtete der damalige und heutige Präsident des Landessportbundes Dr. Rolf Müller jedoch, das neue Staatsziel könne in der Praxis der Behörden und Gerichte tatsächlich ernst genommen und eines Tages dem Bau von Sportanlagen entgegengehalten werden. Er erkannte, dass man dies nur dadurch verhindern konnte, dass man auch dem Sport zum Verfassungsrang verhalf. Deshalb schrieb er am 28.11.2011 in einem Brief an den Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch: „Nachdem 1991 bereits der Umweltschutz in die hessische Verfassung Eingang gefunden hat, wäre die Aufnahme des Sports ein gutes Jahrzehnt später die Herstellung einer notwendigen Waffengleichheit.“ (http://www.landessportbund-hessen.de/presse/archiv/2001/11/28/sport-als-staatsziel-in-die-verfassung/) Der „Waffe Staatsziel Umweltschutz“ sollte also die Durchschlagkraft genommen werden, indem man eine gleichstarke „Waffe Staatsziel Sport“ in Stellung brachte. Schon die Wortwahl zeigt, um was es ging, nämlich im Interesse des Sports Krieg gegen die Umwelt zu führen.
Der Vorschlag kam der Landesregierung gerade recht. Denn man hatte vor, das Volk über eine Änderung der Verfassung zwecks Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre abstimmen zu lassen und fürchtete, der Vorschlag könne abgelehnt werden. Da war es eine gute Idee, gleichzeitig ein „Ja“ für das Staatsziel „Sport“ zu fordern und damit die Bereitschaft zu erhöhen, auch gleich „Ja“ zur Verlängerung der Legislaturperiode zu sagen. Auch die in der Opposition befindliche SPD wollte sich diesem populären Thema nicht verweigern und brachte selbst einen entsprechenden Gesetzentwurf ein. Das Volk konnte nicht erkennen, was dagegen sprechen sollte, sich für „Sport“ auszusprechen. Es fand keine öffentliche Diskussion darüber statt, dass das eigentliche Ziel des Vorschlags nicht die Förderung des Sports, sondern die Schwächung der Staatszielbestimmung Umweltschutz war.
Und so wurde schließlich im September 2002 das Staatsziel Sportförderung in die Hessische Verfassung aufgenommen (Art. 62a HV). Damit war in der Tat die vom Sportbund geforderte „Waffengleichheit“ hergestellt. In Konflikten zwischen dem Schutz der Umwelt und den Interessen des Sports ist nicht mehr zugunsten der Umwelt zu entscheiden, denn das Staatsziel Umweltschutz ist gewissermaßen paralysiert durch das Staatsziel Sport, dem das gleiche verfassungsrechtliche Gewicht zukommt.
Wenn also jemand eine neue Staatszielbestimmung für die Hessische Verfassung vorschlägt, sollte man zunächst eine Hinterlist vermuten und versuchen, diese aufzuklären. Sollte man dabei nicht fündig werden, ist davon auszugehen, dass der Vorschlag von jemandem ausgeht, der die Verfassung als Spielfeld für Symbolpolitik missbrauchen will und sie somit nicht ernst nimmt. Wenn Menschen, die die Verfassung nicht ernst nehmen, „Verfassungsreformen“ vorschlagen, sollte man ihnen nicht weiter zuhören.“

Claus-Peter Leonhardt aus Frankfurt kommentiert den CDU-Vorstoß:

„Das ist ein Rückschritt in ein nie gewesenes Mittelalter. Hier droht den Parlamentariern ein Gegenwind, den sie nicht gut aushalten werden. Grüne und SPD werden darin richtig verlieren. Laizismus und Freiheit des Denkens, Demokratie und Menschenrechte machten uns stark. Diese Grundwerte sind zu verteidigen. Diese Initiative ist empörend und völlig unzeitgemäß. Die Kirchen und Religionen führen weltweit Krieg. Hier in diesem Land sind sie für eine miese Stellung der Frauen und zehntausendfache Gewalt gegen Kinder in Heimen sowie für schlechte Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter/innen verantwortlich. Kirchen sind Super-reich und pflegen das Image des Samariters. Gottesglaube macht uns keineswegs bescheiden. Gottesglaube lässt Menschen größenwahnsinnig werden – besonders älteres Männer, die denken, sie seien in Talaren und Parlamenten etwas besonderes! Nur Denken und Freiheit in der Kommunikation macht Menschen dazu fähig, Krisen zu bewältigen… Ich bin zornig und empört!“

Stefan Vollmershausen aus Dreieich:

„Ich fände es gut, wenn es noch einmal zu einem Referendum in Hessen kommen würde, das die Amtszeit des Ministerpräsidenten und der Legislatur wieder auf vier Jahre begrenzen würde. Ich halte nichts von einer Legislatur in Hessen, die fünf Jahre andauert. Das erinnert an Langzeitherrscher, die nicht davon lassen können auf der Regierungsbank zu sitzen. Ich finde das mit der Wahl einer Landesregierung bei je fünf Jahren, ein komplettes Jahrzehnt damit beeinflusst wird. Es ist richtig, eine Landesregierung hat im System mit vier Jahren weniger Zeit um etwas gutes zu tun. Schädlichem Treiben einer Landesregierung dagegen kann durch eine Begrenzung der Wahlperiode auf vier Jahre besser entgegengetreten werden. Es macht einen Unterschied vier oder fünf Jahre vom Landtag ein regelmässiges Einkommen zu erzielen. Genauso macht es einen Unterschied ein Jahr mehr auf der Oppositionsbank zu sitzen. Mein Vorschlag ist also die Wahlperiode wieder auf vier Jahre in Hessen zu begrenzen. Das sollte oder muss mit einem Referendum in der Landtagswahl bestätigt werden.“

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6 Kommentare zu “Rückschritt in ein nie gewesenes Mittelalter

  1. auch wieder ein Versuch der Talibanisierung, diesmal durch die CDU und deren Interessenlage.
    Undefinierbarer, weil unüberprüfbarer Humbug „Religion“ hat im Staatsrecht nichts verloren. Religiös weltanschauliche Befindlichkeiten gehören nicht zu einem Staatswesen, dessen Staatsbürger schon.

  2. „Mit Gott für König und Vaterland“ war ein Leitspruch des Preußenkönigs Friedrich Wilhelms III, der vielfach abgewandelt wurde. Im Zeitalter des wiedererstarkten deutschen Nationalismus nach dem Wiener Kongress von 1815 und speziell nach der Reichsneugründung von 1871 lautete er beispielsweise „Vorwärts mit Gott für König und Vaterland“; auf den Koppelschlössern der Wehrmacht prangte über Reichsadler und Hakenkreuz „Gott mit uns“. Die weltliche Macht, vor allem die demokratisch nicht legitimierte, berief sich gern auf das religiöse Bild von einer höchsten Autorität, die auch als Ursprung des Staats und als Rechtfertigung seiner Herrschaftsverhältnisse postuliert wurde.

    Das wirft die Frage auf: Wer oder was ist Gott? Im christlichen Kulturkreis liegt es nahe, sich bei der Ursprungsreligion auf die Suche zu begeben, also im Judentum. Doch wenn man sich durch die schriftlichen Glaubenszeugnisse aus über 1200 Jahren durcharbeitet, stößt man überraschenderweise auf ein Gottesbild, das der Dynamik seiner jeweiligen Zeit unterlag und als Variable erscheint. Diesem Gott fehlte alles, um sich ein Bild von ihm zu machen oder ihm einen eindeutigen Namen zu geben, geschweige denn seinen (gedachten, hypothetischen) Namen auszusprechen – siehe das dritte Gebot des Dekalogs (Exodus, Kapitel 20, Verse 2 – 17, und Deuteronomium, Kapitel 5, Verse 6 – 21). Der jüdische Philosoph Philo von Alexandria, der etwa zur Zeit Jesu lebte, begründete sogar eine negative Theologie, die lediglich dazu in der Lage war auszusagen, wer oder was Gott eben nicht sein kann. Obwohl Philo davon überzeugt war, dass Gott als „der Seiende“ existieren würde.

    Der Sozialpsychologe Erich Fromm hat in Anlehnung an den Neukantianer Hermann Cohen („Die Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums“, 1919) in seiner Untersuchung „Ihr werdet sein wie Gott“ (1966) darauf hingewiesen, dass das jüdische Gottesbild einem evolutionären Prozess unterworfen war und Gott lediglich ein dynamisches Geschehen sein kann.

    In einer ersten Entwicklungsstufe wird Gott als absoluter Herrscher dargestellt. Er hat die Natur, die Tiere und den Menschen geschaffen. In diesem archaischen Bild ist gleichzeitig die Rivalität zwischen Gott und Mensch angelegt. Denn der Mensch könnte Gott werden, wenn er die Früchte vom Baum der Erkenntnis und die vom Baum des Lebens essen würde. Um sich zu schützen, vertreibt Gott den Menschen aus dem Paradies und beschränkt das menschliche Leben auf maximal 120 Jahre; dadurch beendet er dessen Rebellion im Frühstadium. Bezeichnenderweise spricht die christliche Tradition von Sünde, ordnet den Konflikt also in die Kategorien „gut“ und „böse“ ein. Der hebräische Originaltext gibt das jedoch nicht her.

    Der Mensch hat das Paradies verloren, in dem er letztlich fremdbestimmt war, und hat das Reich der Freiheit betreten, nämlich die von ihm selbst bestimmte menschliche Geschichte. Nur einmal wird diese neue Freiheit bedroht, als Gott mit der Sintflut seinen potentiellen Herausforderer bedroht. Doch Gott bereut seinen Entschluss, weil dadurch der Sinn der Weltschöpfung selbst infrage gestellt wird. Er schließt einen Bund (hebräisch: b‘rit) mit den Menschen, der durch den Regenbogen symbolisiert wird. Gott ist nicht mehr der absolute Herrscher, er und der Mensch sind Vertragspartner geworden.

    Die zweite Phase des jüdischen Gottesbegriffs zeigt sich in der Geschichte von Sodom und Gomorra. Abraham widerspricht seinem Gott, als dieser ihm die Vernichtung der vermeintlich gottlosen Orte ankündigt: „Willst du auch den Gerechten mit den Gottlosen wegraffen? Vielleicht gibt es fünfzig Menschen in der Stadt. Willst du auch sie wegraffen und nicht doch dem Ort vergeben wegen der fünfzig Gerechten dort? Der Richter über die ganze Erde sollte sich nicht an das Recht halten?“ Daraufhin feilscht Abraham um die Anzahl der Gerechten und Gott willigt ein, selbst beim Vorfinden von nur zehn Gerechten von seinem Strafgericht abzusehen (Genesis, Kapitel 18, Verse 23 – 32). Das Gottesbild ändert sich; denn der Mensch kann Gott zur Rechenschaft ziehen, genauso wie Gott den Menschen zur Verantwortung rufen kann. Beide sind fortan an festgelegte Prinzipien und Normen gebunden.

    Die dritte Phase der Evolution des Gottesbegriffs vollzieht sich bei der Übergabe der Gesetzestafeln an Moses auf dem Berg Sinai und bei der Antwort auf dessen Frage, welchen Namen Gott eigentlich führe. Gott offenbart sich als der Gott der Geschichte, also als einer, der handelnd in die Geschichte (des jüdischen Volkes) eingreift und die gegenseitigen Beziehungen in Normen fasst, die auf steinernen Tafeln zu lesen sind.
    Doch dieser Offenbarungsakt spitzt sich weiter zu, denn Moses möchte wissen, welchen Namen Gott trägt. Üblicherweise trugen die Götzen der alten Hebräer, also vor der monotheistischen Zeit, Namen. Daraufhin gibt auch Gott sich einen Namen und nennt sich „Ich bin der »Ich bin da«“ (Exodus, Kapitel 3, Vers 14). Das bedeutet im Klartext so viel wie „Namenlos“. Denn nur Götzen tragen Namen, weil sie dinglich sind. Martin Luther hat es weniger präzise übersetzt, er formulierte „Ich bin der, der ich sein werde“. Allerdings deutet auch dieser Begriff den Horizont einer dynamischen Entwicklung an.

    Ein moderner protestantischer Theologe, Herbert Braun (1903 – 1991), ist diesem Ideengang am weitesten gefolgt als er die Frage nach Gottes Namen und Gottes Wesen so beantwortete: „Gott heißt das Woher meines Umgetriebenseins, das Woher meines Geborgen- und meines Verpflichtetseins vom Mitmenschen her.“ Und er fasst seine Erkenntnis so zusammen: „Der Mensch als Mensch, der Mensch in seiner Mitmenschlichkeit, impliziert Gott.“

    Was also soll man der hessischen CDU und den hessischen Kirchen sagen, wenn sie Gott in eine neugefasste Landesverfassung aufnehmen wollen? Die einen sollte man nachdrücklich dazu auffordern, von der menschenfeindlichen „Mit Gott“-Ideologie endlich Abstand zu nehmen. Und den anderen sollte man raten, die eigenen Bekenntnisschriften samt ihrer Theologie ernst zu nehmen und keiner undifferenzierten Volksfrömmigkeit Zugeständnisse zu machen. Denn in der Verfassung geht es um den Menschen.

  3. Neben dem Christentum, das sich zunehmend mit dem Schwert ausbreitete (man denke an Karl den Großen) und zur Staatsreligion wurde, von deren Vertretern das Volk (darf man dieses Wort hier noch benutzen?) bevormundet und unterdrückt wurde, gab es immer auch die Enklaven, in denen Wissenschaft gedieh und Humanität einen Platz hatte. Man denke an die bis heute bestehende Praxis, Verfolgte in Klöstern und Kirchen aufzunehmen und wenn nötig zu verstecken.
    Dennoch hat in der Verfassung eines Staates wie unserem, in dem ein großer Teil der Bürger nicht mehr an ein Wesen oder ein Phänomen glaubt, das mit „Gott“ zu bezeichnen wäre, dieser Begriff keinen Platz mehr.
    Die Frage, ob „das“ Christentum oder „der“ Islam zu Deutschland gehöre, ist müßig. Beide Religionen spalten sich auf in die unterschiedlichsten Strömungen, die man nicht über einen Kamm scheren kann. Religion ist Privatsache, und wenn der Gläubige unsere freiheitlich demokratische Grundordnung respektiert, gehört er zu unserem Land; wenn er dies nicht tut, stellt er sich außerhalb der Staatsgemeinschaft.

  4. Ich frage mich oft bei ähnlichen Begebenheiten: In welchem Hirn entstand dieser Gedanke? Mit welchem Ziel? Wieso fanden sich gleich etliche Mitstreiter?
    Das soll eine „Modernisierung“ sein,sich dem „Zeitgeist“ anpassend?
    Ich finde, da wollen sich einige unbedingt ein Denkmal setzen, wenn auch nur in einer „Landesverfassung“, die kein Mensch wirklich braucht.

  5. @werner.h
    Ich glaube weniger an ein persönliches Denkmal als an die Auswirkung christlicher Seilschaften in unseren Parteien, die zur Folge haben, dass in unseren Parlamenten Menschen sitzen, deren Verteilung innerhalb des Spektrums des Religiösen nichts mehr mit dieser Verteilung in der Bevölkerung zu tun hat.

    Auf Deutsch: Auch wenn wir immer unchristlicher werden, schaffen wir es, diese Abnahme des Christlichen nicht in den Parlamenten ankommen zu lassen.

    Man scheint dort irgendwie das Bedürfnis zu haben, die Existenz der Kirchen in die Verfassung zu schreiben. Mit den 47% Gottesgläubigen, die Bronski aus einer Untersuchung von 2005 zitiert, hat er ja noch eine im Ausgang relativ kirchenfreundliche Untersuchung zitiert – das genaue Ausmaß ist sehr schwierig festzustellen und auch definitionsabhängig, aber ich kenne auch Ergebnisse von unter 30%.

    Ohne jetzt eines dieser Ergebnisse für richtig erklären zu wollen, kann man sagen, dass Gott für mindestens die Hälfte der Bevölkerung ein Popanz ist.

    Man sollte die Befürworter des Gottesbezuges mal fragen, was sie sich davon für die Verfassung versprechen, wenn sie ihre Überlegenheit im Parlament, die in einem offensichtlichen Gegensatz zur Mehrheit in der Bevölkerung steht, dazu benutzen, die Verfassung an diesen Popanz zu binden.

  6. @ Frank Wohlgemuth

    Auch ich glaube, dass eine große Zahl von CDU/CSU-Wählern eine konservative Politik befürworten, nicht unbedingt eine christliche. Wenn sie das C im Parteinamen ernst nähmen, müssten sie sich doch gerade für Verfolgte, Arme und Entrechtete stark machen, was ja nicht der Fall ist.
    Erstaunlich ist allerdings, dass ausgerechnet in dem Teil Deutschlands, in dem die meisten Konfessionslosen leben, die Rechten den Erhalt des „christlichen Abendlandes“ auf ihre Fahnen geschrieben haben. Merkwürdiger Widerspruch.

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