Am Dienstag dieser Woche hat es die erste Sammel-Abschiebung des Jahres gegeben. 26 afghanische Flüchtlinge wurden von Frankfurt nach Kabul geflogen. Abschiebungen nach Afghanistan sind umstritten, denn die Auffassungen darüber gehen auseinander, ob Afghanistan als sicheres Herkunftsland bezeichnet werden kann. Der afghanische Staat ist derzeit nicht in der Lage, überall im Land für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Die Taliban scheinen wieder zu erstarken. Auch wenn es befriedete Regionen geben mag, ist keineswegs gewährleistet, dass es dort friedlich bleibt. Die hessische Landesregierung ist in der Frage der Abschiebungen nach Afghanistan gespalten. Die Koalition in Schleswig-Holstein erwägt derzeit einen dreimonatigen Abschiebestopp. Aber es ist nicht zu erwarten, dass sich die Situation in Afghanistan bald ändert. Wie schwierig die Lage für die Flüchtlinge ist, zeigt dieser Artikel über Flüchtlinge, die im Herbst 2015 nach Deutschland kamen. Es ist unter anderem die Geschichte eines Journalisten, der in Afghanistan von den Taliban bedroht wurde, dessen Asylantrag in Deutschland aber trotzdem abgelehnt wurde. Er lebt jetzt in Angst vor der Abschiebung. In einem anderen Fall kam ein Afghane seiner Abschiebung zuvor, indem er freiwillig ausreiste. Sein Fall hat für Schlagzeilen gesorgt. Er ist nicht nur für seine islamismuskritischen Lieder bekannt, sondern ist auch beim Bürgerfest des Bundespräsidenten aufgetreten. Ahmad Shakib Pouya, so sein Name, ist vor sechs Jahren aus Angst vor den Taliban geflohen; sein Asylantrag wurde bereits 2012 abgelehnt. Seitdem war er geduldet. Jetzt arbeitet er in Kabul unter anderem mit der Unterstützung des Goethe-Instituts an seiner Rückkehr nach Deutschland. — Zu dieser Thematik und mit Bezug auf diese Artikel hat Dietrich Buroh aus Frankfurt einen langen Leserbrief geschrieben, den ich am 28. Januar gekürzt im Print-Leserforum veröffentlicht habe. Hier kommt die ungekürzte Fassung als Gastbeitrag im FR-Blog.
Die preußischen Tugenden des Herrn De Maizière
Von Dietrich Buroh
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Wenn man diesen Artikel liest, fragt man sich, ob es wieder an der Zeit ist, sich für sein Land zu schämen. Dabei war man gerade noch in der Stimmung, stolz zu sein auf ein Land, das sich so offen, so freundlich, so hilfsbereit zeigte für die in Not geratenen Menschen aus fremden Ländern. Stolz sein auf das, was durch den Ausspruch der Bundeskanzlerin „Wir schaffen das“ ausgelöst worden ist. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass diese Kanzlerin eine solche Äußerung über die Lippen bringt. In meinem langen Leben habe ich die sogenannte „Christen“-Partei noch nie gewählt, und seit ich weiß, dass Frau Merkel seinerzeit dem Herrn Bush in seinen verbrecherischen Irak-Krieg gefolgt wäre, wenn sie denn damals die Macht dazu gehabt hätte, war ich immer voller Skepsis dieser Frau gegenüber. Aber nach diesem Satz – alle Achtung!
Nur: Was hätte denn geschehen müssen, um dieser Aufforderung zum Erfolg zu verhelfen? Klare Frage – leichte Antwort: Alle, nochmal alle Parteien hätten sich dazu bekennen müssen, hätten ihre jeweiligen eigensüchtigen Parteiinteressen vergessen müssen, hätten in einer gemeinsamen Kraftanstrengung für die Umsetzung dieser Aufgabe sorgen müssen. Aber was geschah? Die andere „Christen“-Partei, die aus dem Mia-san-mia-Land Bayern, hatte nichts Besseres zu tun, als ihrer Schwester in den Rücken zu fallen. Dabei waren es gerade die Mitarbeiter der bayerischen Ämter, die von Anfang an bemüht waren, den Flüchtlingen einen menschenwürdigen Aufenthalt in Deutschland zu bescheren. Die Angst vor dem heraufziehenden braunen Gewitter war einfach zu groß, hatte doch Gottvater Franz-Josef vor langer Zeit per Dekret verfügt, dass rechts von der CSU keine andere Partei existieren dürfte.
Ganz offensichtlich hat er damals die Intelligenz seiner Nachfolger falsch eingeschätzt. So klug – nein, klug war er nicht, also besser gesagt: so intelligent, wie er war, hat er sicherlich nicht gemeint, dass seine CSU das schmutzig-braune Gedanken“gut“ (was für ein Wort für solchen Dreck!) übernehmen sollte. Er hat damit ganz sicher gemeint – so intelligent, wie er war – dass die CSU eine Politik betreiben sollte, die von vornherein verhindern würde, dass faschistische Propaganda die Hirne der Menschen vernebelt. Er konnte wohl doch nicht ahnen, welches Ausmaß an Dummheit die jetzigen bayerischen Provinzpolitiker der SSS-Fraktion (Seehofer/Söder/Scheuer), ergänzt durch einen weiteren S-Politiker (Stoiber) heimsuchen würde. Diese Herrschaften konnten es einfach nicht ertragen, dass eine protestantische Preußin aus dem hohen Norden ihnen die Beschränktheit ihrer Stammtischparolen aufzeigen würde.
Nebenbei mal ein Tipp für diese Herren: Verbringen Sie doch ein paar Tage oder Wochen an der deutschen See, erleben Sie den frischen Wind, genießen Sie das Rauschen des Meeres, schauen Sie in die Unendlichkeit des norddeutschen Himmels und Sie werden erleben, wie sich Ihr durch die Beengtheit Ihrer Gebirgstäler eingeschränktes Blickfeld weitet und Ihr Herz öffnet. Übrigens, der Herr Tandler (gibt es ihn eigentlich noch?) als damaliger bayerischer Minister wusste das, den habe ich vor vielen Jahren öfter auf Sylt gesehen; naja, ihm hat es letztlich nicht geholfen, aber das ist eine andere Sache.
Tja, nun haben wir also den Salat. Die Kanzlerin, verlassen von ihren eigenen Leuten, glaubt jetzt eine harte Linie fahren zu müssen. Und lässt ihren Innenminister mal machen, leider auf unverantwortliche Weise. Wie kann man auf die Idee kommen, in Not befindliche Menschen, die auf unsere Hilfe und Unterstützung gehofft haben und darauf angewiesen sind, in ein Land zurückzuschicken, in dem Krieg geführt wird und in dem ihr Leben bedroht wird? Neben den vielen positiven preußischen Tugenden gibt es eben leider auch einige, die es nicht geben sollte, z.B. Rücksichtslosigkeit, Sturheit, Erbarmungslosigkeit. Ob sich der Herr De Maizière manchmal doch einmal an die Herkunft seiner Vorfahren erinnert, die vor Jahrhunderten aus Frankreich vertrieben wurden und Aufnahme im toleranten Preußen fanden? Man müsste ihn mal fragen.
Noch was zum Umgang mit dem braunen Gesindel in den Medien: Muss es wirklich sein, dass über Aktionen dieses Packs so ausführlich berichtet wird, muss das auch noch mit einem wenngleich kritischen Kommentar veredelt werden, muss diesen Leute in Talkshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens Gelegenheit gegeben werden, ihr Gift zu verspritzen? Es heißt dann „Man muss sie stellen“. Einfach lächerlich, dies Faschistenpack ist mit Argumenten nicht zu erreichen. Und außerdem: den Journalisten fehlt es am passenden Wortschatz und an der passenden „Schreibe“, um die ganze Perfidie der rechten Gedanken zu beschreiben. Also lassen Sie es bitte. Sie „müssen“ berichten, weil es Ihre Pflicht als Journalist ist? Gut, dann halten Sie sich an das „Verfahren Bommarius“ (siehe Kommentar auf Seite 11 zu „Lindners putzige Idee“: die Aktionen der Braunen sind zwar eine Meldung wert, eine Nachricht sind sie nicht.“
Auch eine christliche oder humanistische Ethik, an der es leider vielfach mangelt, muss notwendigerweise mit praktischer Vernunft einhergehen. Denn man hätte aus den Fehlern, die beispielsweise vor 50 Jahren bei der Ansiedelung der türkischen Gastarbeiter an Rhein und Ruhr gemacht wurden, längst lernen können.
Damals hatten die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik weitgehend auf Sprachkurse und Unterweisungen in die Kultur dieses Landes verzichtet. Diese Defizite konnten durch die vorhandenen Arbeitsplätze (für zumeist Ungelernte) und verfügbare Werkswohnungen nicht ausgeglichen werden. Wegen mangelnder Kontakte zu den Einheimischen (Sprachbarriere!) wurden aus den Wohnquartieren schnell Ghettos; denn die deutschen Nachbarn zogen woanders hin. Da halfen auch keine halbherzigen Initiativen der SPD-Ortsvereine oder der Gewerkschaften (IG Bergbau, IG Metall); CDU und FDP haben sich zu dieser Zeit überwiegend jeglichen Engagements verweigert.
Erheblich erschwert wurde die Situation durch die Moschee-Vereine, deren Einfluss ständig wuchs. In einer sich zunehmend säkular, wenn auch nicht als unreligiös verstehenden Gesellschaft entstanden Inseln des türkisch-islamischen Fundamentalismus. Ähnliches kannte man nur aus Gegenden, in denen der konservative Katholizismus dominierte (Sauerland, Münsterland).
So jedenfalls habe ich das in meiner Heimat, dem Ruhrgebiet, in den 60er, 70er und frühen 80er Jahren erlebt.
Unlängst berichtete ein ARD-Fernsehmagazin über Sprachkurse für Geflüchtete, die von der Bundesagentur für Arbeit (BA) organisiert wurden. Aus einer exemplarisch ausgewählten Gruppe hatte lediglich ein jüngerer Mann bis zum Ende teilgenommen, der Rest hatte den Unterricht bereits frühzeitig nicht mehr besucht. Hätte sich das ein Hartz IV-Empfänger bei Eingliederungsmaßnahmen erlaubt, wären ihm die Bezüge gekürzt worden. Möglicherweise weil so viel finanzielle Mittel durch Restriktionen eingespart worden waren, hat man die Sprachkurse aus dem normalen Etat der Bundesanstalt finanziert – und nicht aus Steuergeldern. Allem Anschein nach ging es lediglich darum, statistische Daten zu produzieren, die auf den ersten Blick positiv erscheinen. Darum wurde offenbar auf Erfolgskontrollen verzichtet; denn die hätten das geschönte Bild erheblich getrübt. Letzteres, also das Schönreden prekärer Verhältnisse, scheint ohnehin die Hauptaufgabe des Präsidenten der BA, Frank-Jürgen Weise, gewesen zu sein.
Man darf es Flüchtlingen sicherlich zumuten, sich in die Gesellschaft ihres Gastlandes einzufügen und Zug um Zug auch einzubringen. Wer in Deutschland ein zweites Syrien etc., nur eben ohne Krieg, erwartet hat, gab und gibt sich einer Illusion hin, von der er sich rasch wieder trennen sollte. Umgekehrt muss Deutschland im Rahmen seiner Verantwortung für Humanität dafür Sorge tragen, dass die Zugewanderten integrationsfähig werden. Folglich hat am Anfang des neuen Lebens in der Fremde der verpflichtende Sprachunterricht für jeden/jede zu stehen – solange, bis eine ausreichende Verständigung in Alltag und Beruf möglich ist. Funktionieren kann das nur, wenn auf die Feststellung der jeweiligen Identität die Unterbringung in familienähnlichen Gruppen innerhalb normaler Wohngebiete erfolgt. Denn jede Form von Kasernisierung führt zur Ghettobildung. Die Bereitstellung bzw. Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur sollte sich für die Kommunen finanziell auszahlen. Für manche Regionen in Ostdeutschland könnte das die Chance bieten, sich endgültig der Zivilisation zu öffnen, statt in Spießertum und neonazistischem Morast zu versinken.
In einem Punkt stimme ich Dietrich Buroh uneingeschränkt zu: Die widerwärtige Jagd nach Zuschauerquoten in ARD und ZDF durch die Einladung von Rechtspopulisten ist eines demokratischen Rundfunks unwürdig. Regelmäßig gewinne ich den Eindruck, dass sich Anne Will beim Kaffeekränzchen mit Frauke Petry und Beatrix Storch auf ihre Sendung vorbereitete, während Frank Plasberg unmittelbar zuvor einen Crashkurs bei der „Jungen Freiheit“ (inklusive Fake-Check) absolvierte.
Auch ich stimme Dietrich Buroh und Klaus Philipp Mertens wegen des Kuschelkurses von ARD und ZDF gegenüber den Rechten uneingeschränkt zu. Sendungen mit Plasberg schaue ich mir wegen dessen einseitiger Parteinahme schon lange nicht mehr an.
Da bin ich ganz anderer Meinung.
Zuerst muss ich Dietrich Buroh für seine unangemessenen Wortwahl rügen. Ich dachte, man sei sich unter Demokraten mittlerweile einig, dass es den Einfluss rechtspopulistischer Gruppierungen nicht schmälert, wenn man sie mit Verbalinjurien wie „braunes Gesindel“ und „Faschistenpack“ belegt. Man sollte sich endlich klarmachen, dass man um eine inhaltliche Auseinandersetzunmg mit dieser Gruppe am rechten Rand des Parteienspektrums nicht herumkommt. Wenn man meint, sie verstoße gegen die Verfassung, muss man ihr Verbot beantragen, ansonsten bleibt in unserem System nur die sachliche Auseinandersetzung.
Deshalb finde ich es durchaus angemessen, dasd auch die Position dieser Partei in politischen Talkshows zu kontroversen Themen vertreten ist, schon gar, um deren altes Argument, sie dürften sich nicht artikuliern, als Unsinn zu entlarven. Das bedeutet meiner Ansicht nach noch lange nicht, dass sich ARD und ZDF auf einen Kuschelkurs mit der AfD begeben. Ich sehe mir sowohl Plaßberg als auch Illner, Will und Maischberger regelmäßig an, und ich habe in keiner dieser Sendungen je wahrgenommen, dass die ModeratorInnen einer der von AfDlern vertretenen Position zugestimmt hätten.
Was ist denn der Sinn von Talkshows wenn nicht eine Diskussion unterschiedlicher Positionen? Da kann man den Populisten inhaltlich Paroli bieten, oder sie entlarven sich meistens schon selbst. Wie langweilig wäre denn eine Runde, in der sich alle Gesprächsteilnehmer in einiger Selbstgerechtigkeit gegenseitig auf die Schulter klopfen im Bewusstsein ihrer demokratischen Rechtschaffenheit und Unfehlbarkeit? Das wäre doch nur wasser auf die Mühlen der Rechten.
Außerdem nervt mich auch Dietrich Burohs arrogante und völlig unsachliche Gleichsetzung vom gebirgigen Bayern als Brutstätte dumpfer Engstirnigkeit gegenüber den ach so aufgeklärten Norddeutschen, deren Hirne vom frischen Wind der Freiheit durchweht würden. Da muss er wohl den Ausgang der letzten Wahl im meerumschlossenen Mecklenburg-Vorpommern vergessen haben.