Politik für die Mehrheit der Menschen

Ypsilanti wagt es nun doch. Es ist ein riskantes Experiment, aber ein notwendiges. Sie wird versuchen, sich mit den Stimmen der Linken zur hessischen Ministerpräsidentin wählen zu lassen und damit ihr wichtigstes Wahlversprechen einzulösen: Koch abzusägen. Ein anderes Wahlversprechen muss sie dafür brechen, aber in dieser Hinsicht ist das Kind längst in den Brunnen gefallen. Was schlugen die Wellen hoch in der Bundesrepublik! Kurt Beck ist letztlich über diese Frage, genauer: über sein Herumlawieren in dieser Frage gestürzt. Wie denn – mit der Linken?

Noch immer wollen weite Teile der Bundes-SPD es nicht glauben. Andere Teile wissen, dass es anders nicht geht. Die Dämonisierung der Linken ist nicht hilfreich, ebensowenig wie es seinerzeit die Dämonisierung der Grünen war. Auch damals ging Hessen als erstes Bundesland diesen Schritt. Diesmal könnte Hessen das erste westdeutsche Bundesland sein, in dem die Linkspartei Regierungsarbeit mitgestaltet – denn dazu bietet ihr ein Tolerierungs- bzw. Duldungsmodell natürlich Möglichkeiten. In Berlin ist die Linke längst in der Regierung, und vielleicht haben wir 2009 im Saarland etwas ähnliches. Da wird es für die SPD noch schwieriger, denn im Saarland ist Oskar Lafontaine als Spitzenkandidat der Linken angetreten. Und Oskar ist eines der Probleme, das die SPD mit der Linken hat.

Trotzdem, man darf das Risiko für Ypsilanti nicht kleinreden: Dagmar Metzgers Stimme abgezogen – die Darmstädterin wird sich bei der Wahl wohl enthalten – hat das linke Lager im hessischen Landtag nur eine Stimme Mehrheit. Das ist knapp und damit gefährlich für Ypsilanti. Man denke an das Desaster im Kieler Landtag, bei dem Heide Simonis in mehreren Wahlgängen nicht zur Ministerpräsidentin gewählt wird. Und Ypsilanti hat sicher mindestens ebenso viele Feinde in ihrer Fraktion wie damals Simonis. Geht die Wahl schief, ist Ypsilanti weg vom Fenster. Im anderen Fall trifft das auf Roland Koch zu. Dann ist zwar der erste Schritt getan, aber dann geht es eigentlich erst los, dann heißt es: Regieren! Mit zwei Stimmen Mehrheit gegenüber schwarz-gelb. Man darf gespannt sein auf Ypsilantis Führungsstil.

Manfred Kirsch aus Neuwied meint:

Stephan Hebel ist es gelungen, in differenzierter Form darzustellen, warum bei verantwortungsvollem politischem Handeln kein Weg an Rot-Grün-Rot vorbeiführt. Es geht in der Tat um viel mehr als um die hessische Landesregierung. Wer sicherstellen will, dass sozial gerechte Politik in der gesamten Republik perspektivisch noch eine Realisierungschance hat, wird diese Bündniskonstellation favorisieren müssen. Und wer will, dass Sozialdemokraten hierzulande wieder mehrheitsfähig werden, der muss ebenfalls dafür eintreten, dass diejenigen in dieser Gesellschaft, die nicht auf der Sonnenseite stehen, wieder auf Reformen hoffen können, die diesen Namen verdienen und nicht berechtigterweise Angst auslösend wirken.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Strukturkonservative und Neoliberale den hartherzigen, sozial ungerechten Durchmarsch in diesem Land vollziehen werden, sobald sich eine Chance dafür bietet. SPD, Grüne und Linkspartei sind in dieser Situation gefordert, dem herzlosen neoliberalen Gesellschaftsentwurf den eines solidarischen Gemeinwesens entgegenzusetzen. Das menschenfeindliche Roll-back und das Fünf-Parteien-System schreien geradezu nach einer rot-grün-roten Gegenposition.
Der Landesparteitag der hessischen SPD hat daher nicht nur für den Augenblick verantwortungsbewusst entschieden, sondern auch über den Tag hinaus gedacht. Wer Politik für die Mehrheit der Menschen machen will, muss diesen Weg gehen und die Heuchler von Rechts, in Hessen allen voran Roland Koch, beim Namen nennen.“

Ralf Enzfelder aus Wertheim dagegen:

„Über das Verhalten der Hessen-SPD unter Andrea Ypsilanti kann man nur den Kopf schütteln. Nach repräsentativen Umfragen möchte die Mehrheit der Hessen nicht, dass Andrea Ypsilanti mit Hilfe der Linken zur hessischen Ministerpräsidentin gewählt wird. Zählt der Wille der Bürger für Andrea Ypsilanti nicht? Zählen Versprechen, die vor der Wahl gemacht wurden, für Andrea Ypsilanti nicht? Zählt der Wille der Bürger für die hessische SPD nicht? Die Linken werden auf diese Weise nur hoffähig gemacht. Das ist für mich unverständlich.
Ich hoffe, es schließen sich noch mehr südhessische Landtagsabgeordnete der SPD der bewundernswerten Haltung von Frau Dagmar Metzger an. Der Jugend muss Vertrauen in die Politik gegeben werden. Politiker müssen sich beispielhaft verhalten.“

Prof. Wolf Schluchter aus Cottbus:

„Als Parteimitglied der Grünen in Rheinland-Pfalz kann ich das Interesse der hessischen Grünen an der Besetzung des Umweltministeriums im Falle eines Machtwechsels in Hessen gut verstehen. Logisch ist auch, dass der Landesparteichef Tarek Al-Wazir dieses Amt übernehmen will.
Ich frage mich jedoch trotzdem, ob dies klug ist. Mit Herrmann Scheer kann die SPD eine ausgewiesene Persönlichkeit für Energiepolitik ins Spiel bringen. Und Energiepolitik ist ja wohl ein wichtiger Bestandteil der kommenden politischen Aufgaben in Hessen. Was in Hessen passiert, hat große Ausstrahlungskraft in ganz Deutschland, denn es ist ein Neuanfang in dem ganzen Schlamassel, das die politische Elite energiepolitisch bisher angerichtet hat.
Hermann Scheer macht grüne Energiepolitik in der SPD. Er ist weltbekannt und hat Biss. Warum sollte ein Grüner das besser machen? Es gibt andere wichtige Aufgaben für Al-Wazir in einer neuen Regierung.
Also: Entschlossene Energiepolitik ist eine parteiübergreifende Herausforderung. Sie sollte nicht wegen parteitaktischer Spielereien vergaigelt werden.“

Verwandte Themen

9 Kommentare zu “Politik für die Mehrheit der Menschen

  1. Stephan Hebel hat auch mir „aus der Seele geschrieben“.
    Deshalb bin ich auch voll und ganz der Meinung, die Manfred Kirsch hier vertritt.

    Leider sind durch „handwerkliche Ungeschicklichkeiten“ seitens Frau Ypsilanti und anderer wertvolle Wochen verstrichen –
    aber das ist Vergangenheit…

    Ich wünsche Frau Ypsilanti vollen Erfolg auf Ihrem schwierigen Weg.

    maderholz

  2. Ach nee Bronski, nun ist es „notwendig“? Tagespolitik ist ein schnelles Geschäft. Man wird am Ende sehen, ob die SPD Herrn K für ebenso fehl am Platze einschätzt wie ihre Wähler. Ironie der Geschichte wenn mit Herrn Al-Wazir in Hessen etc. der MP … es wäre zu schön um wahr zu sein. 1001 Versprechen, nur ob er die Zeit noch findet, die schwarzen Kassen im Schutz von Nacht und Nebel gen Schweiz oder Liechtenstein. … Frau Ypsilanti, Sie sollten quick machen, bevor der Winter kommt und alle weg sind.

  3. @ Ralf Enzfelder

    Darf ich Ihr Erinnerungsvermögen auffrischen? Nach einer repräsentativen Umfrage Mitte Januar – auch Landtagswahl genannt – haben die Hessinnen und Hessen Herrn Koch abgewählt, der einen Richtungswahlkampf wollte, und das bekannte Ergebnis bekam. Trotz aller Anstrengungen von konservativen Politikern und Medien gilt Gott sei Dank: es zählen Wahlergebnisse und aufgrund derer müssen Mehrheiten organisiert werden. Da auch Koch, alles ausser Schwarz-Gelb ausgeschlossen hat, muss irgendwer sein Wort brechen. Also, kommen Sie bitte runter. Gelogen wird stets und ständig in der Politik. Ihr Roland Koch ist das beste Beispiel.

  4. Ich finde auch , dass die Wähler-Täuschungsdebatte endlich ein Ende haben sollte. Wer in dieser Republik lügt denn nicht – wenns gerade opportun ist– da ist doch Frau Ypsilanti wahrlich nicht die Einzige.
    Sie sollte das Ding jetzt einfach durchziehen dürfen. Sie hat ihren Gegnern und den Medien tapfer standgehalten, sich nicht fertigmachen lassen (wie so manch gestandener Mann) sondern unbeirrt und hartnäckig an ihrem Ziel festgehalten. Damit hat sie Kraft und Ausdauer bewiesen und wenn sie mit der selben Entschiedenheit für ihre politischen Ziele eintritt und diese so umsetzen kann, dass tatsächlich mehr soziale Gerechtigkeit und ein kindgerechteres und zugleich leistungsfähiges Schulsystem dabei herauskommt, würde sie doch ein rot-grün-rotes Exempel statuieren, das richtungsweisend für die gesamt Republik werden könnte. Ich bin gespannt und wünsche ihr viel Glück.

  5. Das die Kuh endlich vom Eis muß, dürfte uns doch allen letztendlich klar sein.
    Und geht es schief, ist Ypsilanti weg? Aber holla! Was soll die Frau machen? Christliche Männerwelt in Watte packen und sich nicht von der Stelle rühren, gar eine Schürze sich umbinden, damit alle Frau da sehen, wo sie sie sehen wollen? Neneee.

    Liebe Frau Ypsilanti ran an den etwas mageren Speck, wer nicht gewagt, der nicht gewinnt, und wenn die Heckenschützen auftauchen – Effefinger hochalten und an der spitze der SPD weitermachen.

    Das hernach, wird sowieso(so) eine Sache, die auf vielen Ebenen Bauchschmerzen verursachen wird. Ich bin mal gespannt, wie weit der Sohn der Wüste bereit ist, grüne Politik in den Abgrund zu schupsen. Ob er auch ein Schweigegelübde ablegt, wie die Frankfurter Grünen, die dann mit der schönen Petra ein Bündnis eingingen?
    Und das mit den Linken, naja, muß mer mal gucken, ne? Ich glaube, als Fischer den Eid des Ministers schwor, war er sogar noch „Terrorist“. Also, ob Kommunist, Terrorist oder Staatsfeind No. 1, die CDU kapierts nie und Taten zählen, nicht Worte, gutdüngen interpretierte Manifeste.

    Ich persönlich glaube ja – das Ding geht in die Hose, für die CDU wird das ein Schlachtessen. Aber liebe Frau Ypsilanti, Glaube und Meinungen alleine, lassen nix entstehen, damit kommt niemand voran.

    Übernehmen Sie endlich und dann schaun mer weiter. Und aller Anfang ist schwer.

    Gruß udn Kuß vom Filius rü

    Nur Mut.

  6. … ein Nachschubser, wg. dem Wahlversprechen.

    Ypsilantis Versprecher – kann man da so schreiben? -, kostet uns wenigstens nichts. Zumindest wird nicht gleich ein paar Tage später die Mwst. doch um 3% angehoben… das andere lassen wir mal weg, goßzügig in kleinen dingen der Herr rü heute ist.

    Link 1 (Spiegel)

    Link 2 (Akademie.de)

  7. Hallo, volltönende SPD-Anhänger und -Sympathisanten. Euer verlogenes Rudelverhalten übertrifft noch das Eurer „Vorsitzenden“. Wer Lügen rechtfertigt -egal wo, wann, wie und warum – wirft letztendlich jegliche Moralklischees auf den Müll. Weiter so und ihr werdet spüren, was mündige Wähler noch von Politik und Wahlen halten. Ich jedenfall habe die Schnautze gestrichen voll. Greetz!

  8. Greetz… das erinnert mich an die Österreicher ^^

    „Was schert mich mein Geschwätz von Gestern“ ist von wem?

    Das hat Schule gemacht. 🙂

  9. Es wird nie soviel gelogen, wie nach einem Krieg – und vor einer Wahl. In diesem Sinne ist Ypsilantis Verhalten völlig normal. Es gibt nun mal Situationen, durch die man zum Wortbruch gezwungen wird. Fakt ist und bleibt, dass Koch aufgrund des Wahlergebnisses von Januar 08 keine Mehrheit mehr im Landtag hat, sehr wohl aber eine rot-rot-grüne Gmeinschaft. Frau Ypsilanti handelt also absolut nach Wählerwillen.

    Noch etwas zum Adenauer-Zitat. Genauer soller er gesagt haben:“ Herrschaften, sie können misch nit daran hindern, jeden Taach klüjer zu werden!“ Und das gilt auch für Frau Ypsilanti.

    Im übrigen haben wohl alle Koch-Wähler schon vergessen, dass auch sie 1999 auch von Koch hinsichtlich des Zeitpunktes, ab dem er über die schwarzen Kassen informiert war, gelogen hat. Und bislang ist auch keineswegs erwiesen, dass er nicht an deren Bildung beteiligt war. Das Gegenteil allerdings auch nicht.

    Von den blühenden Landschaften und dem Nulltarif zur Einheitsfinanzierung ganz zu schweigen.

    Also Ball flach halten und abwarten!

Kommentarfunktion geschlossen