Drei Landtagswahlen in Ostdeutschland führen die eingeübte demokratische Praxis der Bildung von Regierungen an Grenzen: Ohne die Beteiligung des politischen Randes gibt es in keinem der drei Landtage eine Mehrheit für eine Regierung. Das „Bündnis Sahra Wagenkecht“, das einbezogen werden müsste, ist ein unbeschriebenes Blatt. Trotzdem haben die Wählerinnen und Wähler dem BSW durch ihre Wahl massiv ihr Vertrauen ausgesprochen.

In allen drei Bundesländern, in denen kürzlich gewählt wurde – Thüringen, Sachsen und Brandenburg -, holen sich die politischen Extreme BSW und AfD zusammen fast die Hälfte der Stimmen. Die „etablierten Parteien“ haben das Nachsehen. Vielleicht sollte man sie eher als Wessi-Parteien bezeichnen? Sie werden jedenfalls anscheinend immer weniger als die Parteien gesehen, die etwas für die Menschen tun. Befördert wird diese Sicht von einem katastrophalen Image der in Berlin regierenden Ampelkoalition. Da hilft auch das begütigende Statement von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert nicht viel, die Ampel habe zwei Drittel der Punkte abgearbeitet, die sie sich im Koalitionsvertrag vorgenommen habe. Fleißig, fleißig! Das wird ihr niemand absprechen können, der oder die genau hinsieht, statt beim beliebten Parteienbashing mitzumachen. Ja, sie hat fleißig gearbeitet, die Koalition. Wenn das nun auch noch in der Außenwahrnehmung ankommen würde. Landauf landab herrscht jedoch ein anderes Narrativ: Diese Koalition ist heillos zerstritten. Mal ist die FDP daran schuld, mal die Grünen – je nachdem, wer gerade den Diskurs zu dominieren versucht. Und die SPD, obwohl Kanzlerpartei, sitzt mehr oder weniger zwischen den Stühlen. War da nicht mal was mit einer gewissen Richtlinienkompetenz des Kanzlers? Regiert Olaf Scholz überhaupt noch?

Die Ampelparteien haben in den Landtagswahlen verloren, mit einer Ausnahme: In Brandenburg hat Ministerpräsident Woidke den Starken gemacht. Damit ist er angekommen. So was mögen die Wählerinnen und Wähler offenbar: starke Führungsfiguren. Nicht nur in Ostdeutschland. Die FDP hingegen ist in allen drei Bundesländern nur noch eine Splitterpartei. Man muss vielleicht noch mal über das berühmte Wort von Christian Lindner aus dem Jahr 2013 nachdenken, als er sich einer Ampel verweigert hatte: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Offenbar finden die Wählerinnen und Wähler im Osten, dass die FDP etwas falsch macht.

Trotzdem ist die Bereitschaft vieler Menschen in Ostdeutschland irritierend, Extreme zu wählen. Über die AfD ist in dieser Hinsicht schon viel gesagt worden. Es scheint die Menschen nicht im Mindesten zu stören, dass der bundesdeutsche Verfassungsschutz die AfD-Landesverbände als „gesichert rechtsextrem“ einstuft. Das scheint aus deren Sicht lediglich ein Etikett aus dem Westen zu sein, das der AfD angeheftet wird, um es ihr möglichst schwer zu machen. Zugleich kann man aber den Eindruck haben, dass diese Wählerinnen und Wähler die Positionen nicht kennen, für die die AfD steht. Sie ist keine Partei der kleinen Leute, auch wenn ihre Protagonisten dem Volk nach dem Mund reden, indem sie aussprechen, was man in diesem Land angeblich nicht mehr laut sagen darf. Sie scheint vielmehr eine Partei zu sein, die den Menschen ein Gemeinschaftsgefühl gibt. Das ist etwas, was die „etablierten Parteien“ nicht vermocht haben. Auch weil sie sich kaum um derlei Befindlichkeiten gekümmert haben. Dieses Versäumnis könnte sich noch rächen.

Landtagswahl in Brandenburg: „Woidke sticht“, FR-Titel vom 23. September


Woidke hat einen Pyrrhussieg eingefahren

Das wahltaktische Verhalten von vielen bisherigen Wählern der Grünen zugunsten von Woidkes SPD ist ziemlich in die braune Hose gegangen. Denn durch das Ausscheiden der Grünen ( und der Linken) verfügt die AfD jetzt im zukünftigen 4-Parteien Parlament – wie in Thüringen-über eine Sperrminorität. Somit ist Woidkes Erfolg zu einem Pyhrus-Sieg geworden. Zumal er jetzt für eine Regierungsbildung auf das putinnahe BSW angewiesen ist.

Wolfgang Lackinger, Frankfurt

Als Sozialdemokrat mache ich es mir nicht so einfach und resümiere aus der gewonnenen Landtagswahl für die SPD einfach die Feststellung, dass das Wahlergebnis in Brandenburg gezeigt hat, dass Sozialdemokraten noch Wahlen gewinnen können. Viel zu stark sind die exorbitanten Gewinne der zumindest in Teilen rechtsextremen AfD und auch die Gewinne des BSW sprechen nicht unbedingt vom Vertrauen der meisten Wählerinnen und Wähler in gesellschaftlichen Fortschritt und Demokratie. Denn die ausländerfeindlichen Positionen des BSW sind viel zu stark, als dass wirklich Liberale in Euphorie ausbrechen könnten. Trotzdem hat der Zweikampf zwischen SPD und AfD mit den Argumenten Dietmar Woitkes für die SPD zwar knapp, aber dennoch sich ausgezahlt. Die Brandenburger sind also nicht in einem anderen braun gefärbten Land aufgewacht, was zunächst mal Erleichterung erzeugt. Olaf Scholz als Bundeskanzler sollte ähnlich wie Woidke in Brandenburg bei den Bundestagswahlen im kommenden Jahr alles auf eine Karte setzen und deutlich machen, worum es in erster Linie geht, nämlich um den Erhalt der liberalen Demokratie in der Bundesrepublik – und zwar ohne braune Flecken.

Manfred Kirsch, Neuwied

Der Turbokapitalismus unterhöhlt die Demokratie

Die Landtagswahlen im Osten haben die Republik erschüttert – es wird nichts mehr so sein, wie es war! Vielerlei Erklärungsversuche für den Erfolg der Rechten kursier(t)en. Fast nirgends zu hören war aber, dass eine wesentliche Ursache hinter dem Rechtsruck in Deutschland, Europa und weltweit der neoliberale Turbo-Kapitalismus ist, der seit 30 Jahren dazu geführt hat, dass die Reichsten reicher, die Masse aber zurückgeblieben oder ärmer geworden ist. Dank der FR gab es aber zuletzt doch drei Artikel zu diesem Thema, von Ch. Butterwegge, St. Hebel und M. Hesse (zu Tony Judt), die diesen Aspekt aufgreifen!
Butterwegge sagte in seinem Gastbeitrag (vom 16.9.): Ursächlich ist die wachsende soziale Ungleichheit, unter der zwangsläufig auch die politische Gleichheit leidet. Demokratie bedeutet, dass alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen Einfluss auf die Staatsführung nehmen können. Doch in Wahrheit haben Reiche und Hyperreiche einen mehrfach höheren Einfluss! Und Millionen frühere DDR Bewohner fühlen sich zurecht benachteiligt, abgehängt und nicht gewürdigt
Sehr klar sind die Worte des Historikers Tony Judt, der schon vor gut 10 Jahren die durch neoliberale Politik wachsende Kluft zwischen Arm und Reich und die Schwächung des Sozialstaates geißelte. (s. FR v. 6.9.24) Er sah sie als Gefahr für die Stabilität von Demokratien, da sie die sozialen Spannungen verschärfe und das Vertrauen in staatliche Institutionen untergrabe. Die soziale Ungleichheit hat sich seitdem in den meisten westlichen Ländern verstärkt, die Einkommensunterschiede zwischen den obersten Prozenten und dem Rest der Bevölkerung sind stetig stärker geworden. Der Sozialstaatabbau ging häufig weiter, während Privatisierungen und Deregulierung zunahmen. Da das an die Reichen abgeflossene Geld nicht angetastet wird, fehlen dem Staat die Finanzmittel. All dies entfremdet Teile der Bevölkerung von der Politik.
Verloren gegangen ist das Denken in Kategorien des Gemeinwohls, Werte wie Solidarität und soziale Verantwortung fehlen – das Fundament der demokratischen Gesellschaft ist gefährdet. Auch Stepan Hebel stellt fest, dass es nach 1990 zum Siegeszug eines globalisierten Turbo-Kapitalismus kam, verbunden mit ideologischer Verachtung für öffentliche Angelegenheiten und massiver Umverteilung des Reichtums nach oben – dazu der übermäßige Verbrauch der planetaren Ressourcen.
Ganz sicher ist nicht ‚die Migration die Mutter aller Probleme‘ im Land – aber evtl. der Kapitalismus?

Winfried Kallabis, Dieburg

Wenig Erfahrung mit Ausländern

Der Erfolg der ausländerkritischen AfD gerade in den neuen Bundesländern hat viele Ursachen: Nach dem Ende der DDR versprach Kanzler Kohl „blühende Landschaften“, doch es kam als Folge der sozialistischen Misswirtschaft, deren Ausmaße in Ost und West niemand für möglich hielt, die Massenarbeitslosigkeit, was zu Verbitterung führte, das Vertrauen in die Demokratie als Staatsform erschütterte und die Angst schürte, man würde den inzwischen mühsam erungenen Wohlstand wegen der Flüchtlinge wieder verlieren.
Die DDR-Bürger hatten wenig Erfahrung mit Ausländern. Es gab ja nur wenige „Vertragsarbeiter“ und die Sowjetsoldaten, die in Wohnheimen/Kasernen weggesperrt waren. Begegnungen mit der Ortsbevölkerung waren nicht erwünscht.
Unsere Regierungen erklären zu wenig, dass wir aus humanistischen wie juristischen Gründen Flüchtlinge aufnehmen müssen, und dass wir gesteuerte Zuwanderung brauchen. Was wären wir ohne ausländische Zimmermädchen/Erntehelfer/Pflegekräfte?
Fazit: Wir sollten die Sorgen/Verletzungen der AfD-Wähler ernstnehmen, geduldig argumentieren, niemanden moralisch aburteilen, zugleich kluge Wahlbündnisse aller Demokraten vor Ort bilden.

Christian Fuchs, Gutenstetten

Im Bundestagswahlkampf der SPD 2021 war es der Begriff „Respekt“, der überall auf den Plakaten zu lesen war. Diesen Begriff bezogen auf den Lebensbereich der Arbeit zu füllen, müsste sich diese Partei als Aufgabe setzen, um auch die Menschen im Osten wieder als Wählerinnen und Wähler zu gewinnen. 1972 war die SPD als traditionelle Arbeiterpartei stärkste Fraktion im Bundestag. Seitdem haben sich lohnabhängige Arbeit und gehaltsbasierte Beschäftigungen stark gewandelt. Zeitarbeitsverhältnisse, befristete Verträge, Leiharbeit, Influencing waren damals unbekannt. Mitbestimmungsmodelle wie bei VW oder eine Sozialverpflichtung, die bei Thyssen Krupp Tradition war, sind heute kaum noch vermittelbar. Eine Firma wie der Median Konzern schließt zum Beispiel Standorte von Kliniken, um sie nebenan wieder zu eröffnen, nur um eine Arbeitnehmervertretung zu umgehen. Was in der Arbeitswelt von heute an Bedeutung verloren hat, ist das Bewusstsein vom identitätsstiftenden Wert der Arbeit, der sich gegen die Erzählung von schnellem Geld durch smarte Geschäftsideen, Wertpapierhandel und Influencing behauptet. Warum stehen Menschen jeden Morgen diszipliniert und verantwortungsvoll auf und erfüllen mit der Kraft ihrer Persönlichkeit gewissenhaft ihre Aufgaben am Arbeitsplatz? Arbeit bedeutet für die Identität jedes Menschen mehr als auf dem Gehaltszettel steht und das Konto füllt. Sie erfahren durch ihren Einsatz und ihre Kompetenz Wertschätzung und ein Erlebnis der Würde. Die SPD wäre aufgerufen für die moderne Zeit eine Erzählung zu liefern, wie Arbeit auch in der Epoche des Big Business und der New Economy zur Gestaltung der Lebenszeit und der individuellen Sinnfindung beiträgt und höhere Rendite hat, als das Wertpapier der Börse. Das innere Bewusstsein des gesellschaftlichen Wertes und die Anerkennung des eigenen Beitrages an Arbeit verpflichtet die Menschen für die demokratische Gesellschaft und ihre Protagonisten. Wird der Wert menschlicher Arbeit hoch geachtet, müssen im Gegenzug auch den öffentlichen Ämtern in Schule und Politik unserer Gesellschaft Wertschätzung und Respekt entgegen gebracht werden. Das Bemühen um Bildung, um eine ethisch-moralische reflektierte Lebensführung und lebenslanges Lernen sollte die Menschen aus allen Schichten und Kulturen vereinen. Kreative Tatkraft, Initiative und Innovationswille müssen sich lohnen und bei den Menschen im Osten und Westen nachgefragt werden. „Respekt, weil du es wert bist“, wäre ein Motto für den neuen Wahlkampf.

Peter Hartwig, Ginsheim-Gustavsburg

Im Januar formulierte Sarah Wagenknecht im Interview mit der Berliner Morgenpost: „Wir sollten die AfD nicht größer reden, als sie ist“ und „Natürlich wünsche ich mir, dass wir viele Wähler, auch solche der AfD, überzeugen können. Das könnte dazu beitragen, dass Thüringen wieder regierbar wird, mit einer Koalition, die eine parlamentarische, aber auch gesellschaftliche Mehrheit hinter sich hat.“
Tatsächlich hat die abenteuerliche Teilnahme des BSW an der Landtagswahl in Thüringen dazu geführt, dass die AfD mit deutlichem Abstand zu allen anderen Parteien die stärkste Fraktion im Thüringer Landtag geworden ist. Jetzt kann die AfD mit Berufung auf parlamentarische Tradition für Björn Höcke den Posten des Ministerpräsidenten einfordern.
Auch und gerade beim BSW liegen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Eine Koalition aus AfD und BSW sollte am Ende niemanden wirklich überraschen. „Reflexartig alles abzulehnen, was von der AfD kommt, hat die Partei nicht ausgebremst “ – Sarah Wagenknecht zur FAZ vor der Landtagswahl.

Hans Möller, Frankfurt


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Ein Kommentar zu “Der Erfolg der AfD hat viele Ursachen

  1. Der Leserbriefschreiber Winfried Kallabis identifiziert den Turbokapitalismus und die neoliberale Politik mit all seinen Folgen für das staatliche Handeln zulasten sozialer Ungleichheit durch Umverteilung von unten nach oben, zulasten der Pflege der Infrastruktur und der Bildung und zulasten der Naturnutzung als die eigentlichen Ursachen für den Wandel des Wählerverhaltens und die Erosion der Ziele Gemeinwohl und Solidarität. Ich stimme ihm in allen Punkten zu und möchte noch ergänzen, dass nationale Egoismus in den Staaten der EU das Dublin-Abkommen und andere wichtige Vereinbarungen für notwendige europäische Lösungen haben scheitern lassen.
    Lösungsvorschläge zur Eindämmung der negativen Mechanismen des Kapitalismus, z.B. über das Steuer- und Haushaltsrecht, für sozialen Wohnungsbau und natur- und klimaschützendes Umweltrecht gibt es genug. Sie alle aufzuführen, würde diesen Leserbrief sprengen. Aber solange es keine Parteien gibt, die solche Vorschläge ernsthaft in die Tat umsetzen, wird es weder gesellschaftliche Gerechtigkeit, sozialen Ausgleich oder erfolgreichen Klimaschutz geben.
    Leider versagen in Deutschland SPD und Grüne, leider machen FDP und CDU/CSU eine Rolle rückwärts. Alle nähern sich stattdessen der neoliberalen, demokratie- und menschenrechtsfeindlichen AFD an. Die Tendenz zur Unfreiheit und zu autoritären Parteien und Führungspersonen ist weltweit, was die Macht des Großkapitals auf das Weltbild der Menschen zeigt.
    Es kann einem Angst und Bange werden.

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