Ein Ruck Richtung Zukunft muss durch die SPD gehen

Die Ära der Volksparteien scheint sich dem Ende zuzuneigen. Ihre Kraft schwindet. Sie sind immer weniger dazu in der Lage, Wählerinnen und Wähler fest an sich zu binden. Das ist zuallererst an der SPD zu beobachten, deren Situation zunehmend dramatisch ist. Sie dümpelt derzeit in den Umfragen bei 20 Prozent und darunter. Der Niedergang der großen alten Partei hat viele Gründe. Einer davon ist altbekannt und wird trotzdem von der SPD offiziell abgestritten: Sie hat in der Schröder-Zeit Politik gegen ihre eigene Klientel gemacht und Gesetze auf den Weg gebracht, die von den Betroffenen als schikanös empfunden werden.

Mindestens ebenso wichtig für die Lage der SPD ist aber die strategische Ausrichtung der CDU, die von ihrer Vorsitzenden, Bundeskanzlerin Angela Merkel, ein wenig nach links geführt worden ist, dorthin, wohin Schröder immer wollte: in die Mitte. Da sitzt sie nun und macht quasi sozialdemokratische Politik. Sie könnte auch bei der SPD sein. Ob ein Kanzler Kohl an ihrer Stelle ebenso viel Hilfsbereitschaft und Solidarität gezeigt hätte wie Merkel, als sie sagte: „Wir schaffen das?“

Zurzeit sind die beiden Noch-Volksparteien inhaltlich kaum unterscheidbar. Das ist eine Folge der großen Koalition und zeigt, dass große Koalitionen schlecht für die Demokratie sind. Sie dürfen künftig nur der Weisheit letzter Schluss sein, wenn nichts anderes mehr geht. Demokratien leben vom Wettbewerb der Ideen, die in den politischen Parteien kondensieren. Es ist offensichtlich, dass eine SPD nicht glaubwürdig für Solidarität und Umverteilung, vielleicht sogar höhere Steuern eintreten kann, wenn ihr in der Regierungsarbeit nichts Wichtigeres einfällt, als zum Beispiel den Anspruch von Kindern in Hartz IV auf die Leistung um jene Tage zu reduzieren, die sie bei ihrem getrennt lebenden Vater verbringen, der keine Grundsicherung empfängt. Ebenso offensichtlich ist, dass die CDU keine strikt konservative Linie fahren kann, während die Kanzlerin in der Mitte wildert.

Derzeit scheint die SPD mit diesen Auflösungserscheinungen das schwerere Los gezogen zu haben, doch man soll sich nicht täuschen: Bei der CDU geht es auch noch los. Denn ebenso wenig, wie die SPD den Wählerinnen und Wählern heute glaubhaft nahebringen kann, dass sie für soziale Gerechtigkeit stehe, kann die CDU glaubhaft von sich behaupten, ernsthaft konservative Werte zu vertreten. Die CSU versucht dies immerhin noch, indem sie familienpolitisch altbackene Projekte wie die „Herdprämie“ anstößt oder mit ihrer Pkw-Maut an das Nationalbewusstsein deutscher Autofahrer anzudocken versucht, weil es ja angeblich so ungerecht ist, dass Deutschland von ganz Europa kostenlos als Transitland betrachtet werden darf, während Deutsche im Ausland praktisch überall Maut zu zahlen haben. Dass die CSU mit diesen Projekten an veränderten Realitäten — auch juristischen — scheitert, ist für sie selbst dabei wohl nicht einmal schlimm, so lange die Wählerinnen und Wähler registrieren, dass die CSU es immerhin versucht.

Es lässt sich nicht leugnen: Deutschland verändert sich. Noch immer handeln die großen Parteien in manchmal zähen internen Diskussions- und Entscheidungsprozessen Linien aus, die Parteiprogramm werden, doch während früher daraus recht direkt Regierungsarbeit werden konnte — man hatte sich ja in der Regel mit höchstens einem Koalitionspartner zu einigen, wenn man nicht allein regieren konnte –, werden die großen Parteien diese Gewähr vielleicht bald schon nicht mehr leisten können. Das dürfte sogar gut für die Demokratie sein: Entscheidungsprozesse werden aus den Hinterzimmern in die Öffentlichkeit verlagert. Der Wettbewerb dürfte schärfer werden, und das wird manche Schnarchnase in den Volksparteien überfordern, die noch nicht begriffen hat, dass das alte BRD-System im Sterben liegt.

In gut einem Jahr ist Bundestagswahl, und nach derzeitigem Stand sieht es so aus, als ob wir ein ziemlich buntes Parlament bekommen. Eine Emnid-Umfrage vom 18. Juni sieht die CDU bei 33 und die SPD bei 22 Prozent. Die Grünen bekämen 13 Prozent, die Linke neun. Die FDP wäre mit sechs Prozent wieder dabei, und die AfD zöge mit zwölf Prozent erstmals in den Bundestag ein.

Diese Zahlen, die natürlich nur ein flüchtiges Stimmungsbild liefern, belegen dennoch, dass die große Koalition auch für die CDU nicht gut war/ist. Ein Grund dafür scheint auf den ersten Blick paradox: Indem die CDU in die Mitte gerückt ist, hat sie am rechten Rand Platz freigemacht und sich damit selbst Konkurrenz erschaffen. Franz-Josef Strauß würde sich im Grab umdrehen. Sein Dogma, rechts von der Union dürften keine politischen Kräfte hochkommen, gilt nicht mehr. Merkel findet das nicht so wichtig. Ihr sind ihre Überzeugungen wichtiger. Doch daraus entsteht ein Problem: Die AfD, rechtspopulistisch bis rechtsextrem, wird für die CDU wohl auch auf mittlere Sicht kein Koalitionspartner werden können. Das bedeutet, dass die CDU zwar der SPD in der Mitte Stimmen weggenommen hat, dass sie sich aber gleichzeitig selbst am rechten Rand beschnitten hat. Unterm Strich kommt bei dieser Kalkulation mit politischen Summen für die CDU daher ein herbes Minus heraus, das sie selbst zu verantworten hat.

Ich weiß nicht, wie viele SPD-Verantwortliche es mittlerweile ähnlich sehen wie ich: Nach der Bundestagswahl 2013 hätte die SPD mit den Grünen eine Minderheitsregierung bilden sollen. Peer Steinbrück hätte mit den Stimmen der Linken zum Bundeskanzler gewählt werden können, und dann wäre erstmals in Deutschland der Versuch gestartet, mit wechselnden Mehrheiten zu regieren. Das wäre deutlich spannender geworden als der GroKo-Einheitsbrei, den wir stattdessen serviert bekamen, und vermutlich ginge es den Volksparteien dann auch besser. Es wäre nicht darum gegangen, einen Koalitionsvertrag abzuarbeiten, was die GroKo ja brav und solide hinbekommen hat, sondern es hätte von Projekt zu Projekt um Inhalte gestritten werden müssen, um Mehrheiten zu organisieren. Höhere Steuern für Gutverdiener wären mit den Linken durchsetzbar gewesen, Auslandseinsätze der Bundeswehr wie der in Mali mit der CDU. Ein ungewohntes Experiment, das viel politisches Talent bei den Agierenden erfordert hätte. Steinbrück hätte dieses Talent gehabt.

Nun ist zu hoffen, dass beide Noch-Volksparteien gemerkt haben, wie sehr sie sich geschadet haben, und dass es 2017 nicht zu einer Neuauflage der großen Koalition kommt. Das setzte aber ein neues politisches Denken voraus. Nach den oben genannten Zahlen wäre die einzige Zwei-Parteien-Koalition mit Mehrheit nur wieder Schwarz-Rot. Alle anderen Zweier-Konstellationen, auch Schwarz-Grün, schaffen wegen der Schwäche der Volksparteien keine absolute Mehrheit. Und wie armselig ist es, dass beide Noch-Volksparteien nach dieser Umfrage nur 55 Prozent auf die Waage bringen! Und noch schlimmer: Auch Rot-Rot-Grün, also eine Dreier-Konstellation, schafft nur 44 Prozent. Das Zünglein an der Waage dürfte — immer diese Umfragewerte vorausgesetzt — also wohl wieder die FDP spielen. Und da hätten wir sie dann doch wieder, die guten alten BRD-Verhältnisse.

Peter Bläsing aus Bonn meint:

„Die sinkenden Umfragewerte machen die Diagnose eindeutig: die SPD stirbt! Nur die SPD? Betrachtet man den Zustand der anderen sogenannten „demokratischen“ Parteien, nicht nur in Deutschland, sondern in Europa und weltweit, drängt sich die Frage auf: Ist es nicht vielmehr das ganze demokratische System, das stirbt? Genauer: das ermordet wird! Nicht wenige glauben, den Mörder bereits erkannt zu haben: Vom linken Griechen Varoufakis bis zum Papst reicht der Bogen derjenigen, die den Kapitalismus bezichtigen, die Demokratie umzubringen.
Mit der deutschen Geschichte wäre das nachweisbar. Dabei ist es nicht unbedingt erforderlich, den Extremfall des Todes der Weimarer Demokratie als Folge der kapitalistischen Wirtschaftskrise von 1929 heranzuziehen. Auch die Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung seit 1945 ermöglicht Aufschluss über diesen Vorgang.
In der Boom-Phase nach dem Krieg, dem „Wirtschaftswunder“, konnte die Demokratie die Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsprozess noch so definieren, dass der Bevölkerung ein relativ hoher Lebensstandard möglich war (soziale Marktwirtschaft). Die Zufriedenheit des Wahlvolkes mit dieser Lage drückt sich in dem Absinken der Nichtwählerquote bei den Bundestagswahlen von 24,0% (1949) auf 9,8% (1972) aus. Nach Ende des Wirtschaftswunders 1975 ging die Quote wieder nach oben, besonders stark durch den Konjunktureinbruch nach 2002 und das Ansteigen der Arbeitslosenzahl auf fast fünf Millionen. Als mit der Agenda 2010 deutlich geworden war, dass die politische Führung unter Maßgabe eines SPD-Kanzlers bereit war, die Lebensqualität des unteren Drittels der Bevölkerung dem Wohl der kapitalistischen Oberschicht zu opfern, erreichte die Nichtwählerquote 2009 mit 30,2% einen Höchstwert. Das und die Finanzkrise mit den Milliardensummen an staatliche Stützungsmaßnahmen bei gleichzeitiger Zunahme der Armut weiter Bevölkerungsteile haben deutlich gemacht, dass staatliches Handeln in der Demokratie heute in hohem Maße bestimmt wird von den Ansprüchen der Wirtschaft – nicht von denen des Volkes.
Der Eifer der SPD, diesen fatalen Zustand auch weiterhin beibehalten zu wollen (siehe „Impulspapier“), hat ihr als ehemaliger Arbeiterpartei den besonders tiefen Absturz in der Wählergunst eingetragen. Aber den anderen geht es nicht viel besser, bedenkt man den fast ebenso schmerzlichen Einbruch der CDU bei den letzten Landtagswahlen. Den Rechtsradikalen steht Gleiches bevor, wenn sie nicht, wie einst Hitler, energisch die Beseitigung des gesamten Systems verlangen – aber danach sieht es (noch) nicht aus.“

Dazu Manfred Kirsch aus Neuwied:

„Leider muss man der Analyse von Peter Bläsing über den Zustand der SPD und die Vormachtstellung des Kapitalismus in den das Gemeinwesen betreffenden politischen Fragen weitestgehend zustimmen. Daran wird kurzfristig auch das vom Parteikonvent beschlossene „Impulspapier“ kaum etwas ändern, sondern nur eine glaubwürdige antikapitalistische Politik. Hierbei dürfte es von geringerer Bedeutung sein, ob nun Sigmar Gabriel oder eine andere Genossin oder Genosse die Aufgabe übernehmen kann, wieder Inhalte zu vertreten, die jene Menschen von der Notwendigkeit einer starken SPD überzeugen könnten, die sich nach der Agenda 2010 und der Basta-Politik Gerhard Schröders von der SPD abgewandt hatten. Auch und gerade mit Blick auf den wachsenden Rechtsradikalismus, der mit der AfD über einen gefährlichen parlamentarischen Arm verfügt und das friedliche Zusammenleben der Menschen bedroht, müsste die Sozialdemokratie an der Spitze einer Bewegung gegen Rassismus, Intoleranz und Menschenverachtung stehen. Wer denn – wenn nicht die SPD und die Gewerkschaften mit ihrer antifaschistischen Tradition – müsste diese Aufgabe stemmen? Wenn den Menschen glaubwürdig vermittelt werden kann, dass die klassischen Organisationen der Arbeitnehmer, die ja auch für die Existenz und den Fortbestand der bedrohten bürgerlichen Freiheitsrechte stehen, wieder für ihre Ideale eintreten, dann könnte das der Beginn eines neuen sozialdemokratischen Zeitalters sein. Das mag utopisch klingen, wird aber die einzige Möglichkeit für die Durchsetzung einer Politik der wirklichen Freiheit und des sozialen Ausgleichs sowie der Gerechtigkeit sein.“

Eduard Belotti aus Augsburg:

„Die SPD hat ein Imageproblem. Sie wird nicht mehr als die Partei der sozialen Gerechtigkeit wahrgenommen, von der globalen Gerechtigkeit ganz zu schweigen. Der Versuch, es jedem recht zu machen, führt dazu, dass sich letztlich fast niemand mehr von ihr vertreten fühlt. Die SPD muss sich entscheiden, ob sie sich weiterhin als Kohle-und Klimakillerpartei und damit als Partei der Vergangenheit präsentieren will oder ob sie eine Partei sein will, die sich für Klimaschutz und die Arbeitsplätze der Zukunft einsetzt. Zugespitzt geht es um die Wahl zwischen Gabriel-SPD und Hendricks-SPD.
Ein halbes Jahr nach dem Klimagipfel von Paris, der uns die Gefahr für unseren Planeten eindrucksvoll vor Augen geführt hat, die erneuerbaren Energien auszubremsen (nichts anderes ist der Deckel bei maximal 45 Prozent) und den Kohleeaustieg bis 2050 zu verschleppen, ist einfach himmelschreiend borniert. Dass Landwirtschaft und Verkehr nicht nur Klima-Nachzügler, sondern sogar Klima-Geisterfahrer sind, kann nicht bedeuten, dass man bei der Stromerzeugung nachlassen darf.
Der vom Umweltministerium erarbeitete Klimaschutzplan 2050 berge „hohe Risiken für den Wirtschaftsstandort“ maulen die Wirtschaftsminister der Länder. Das Ignorieren der strengen Vorgaben aus Paris bedeutet aber extreme Risiken für die Erde als Standort für den Menschen. Die Zerstörung der Heimat vieler Menschen durch Flut, Dürre, Meeresspiegelanstieg und Grundwasserversalzung ist bereits Realität. Wenn es so weitergeht, werden noch viel mehr Menschen aus purer Existenznot zu uns flüchten.
Ein Ruck Richtung Zukunft muss durch die SPD gehen. Aber natürlich müssen sich auch die Minister für Verkehr und Landwirtschaft und die Bundeskanzlerin endlich zu einem mehr als rhetorischen Klimaschutz durchringen.“

Ernst Reichenbach aus Frankfurt:

Da hat Stephan Hebel mal wieder Recht – die Debatte über politische Alternativen ist der eigentliche Kern einer lebendigen Demokratie und nicht die Mischung aller (Partei-)Farben, die bekanntlich eher unansehnliche Grautöne ergibt. Gleichwohl hat man sich in diesem unserem Lande anscheinend an ein vermeintliches „Gütesiegel“ gewöhnt, das sich die bisherigen großen Parteien gerne als scheinbare Auszeichnung anheften, nämlich eine „Volkspartei“ zu sein. Dabei haben dann aber sowohl diese Parteien wie auch die nicht widersprechenden Wähler vergessen, dass eine „Volkspartei“ keine Partei sein kann, wenn sie fast alle Interessen zu vertreten vorgibt, die es in menschlichen Gesellschaften gibt. Die Idee einer Partei ist doch gerade, dass sie Hauptströmungen erkennbar bündelt, konzeptionell und eben parteiisch formuliert und politisch wirksam vertritt, sei es als Regierungs- oder Oppositionspartei. Eine „Volkspartei“ dagegen ist, zu Ende gedacht, eine Einheitspartei. Das hatten wir schon zwei Mal im letzten Jahrhundert.
Der vermutlich einzige Vorteil, der mit dem derzeitig zunehmenden Organisationsgrad im rechten Spektrum unserer Gesellschaft hat (AfD & Co.) einhergeht, liegt vielleicht darin, dass unsere derzeit staatstragenden Parteien aus ihrem routinierten Dämmerschlaf aufwachen und sich besinnen, wie man denn (wieder) demokratietragend wird – nämlich durch Schärfung des jeweiligen Profils und Formulierung der Alternativen! Schön wär’s und es würde Wahlbeteiligungen erhöhen.“

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9 Kommentare zu “Ein Ruck Richtung Zukunft muss durch die SPD gehen

  1. Die SPD müsste ihre jüngere Vergangenheit bereinigen und das auch noch glaubwürdig. Mein Vorschlag wäre Parteiausschluss für Schröder, Münte und Klemment.

  2. Es ist wirklich unverfroren, wenn Gabriel seine SPD und die Grünen zum „linken Lager“ rechnet.
    Eine Partei, die unseren Millionären Steuern reduziert und gleichzeitig mit Hartz IV Menschen rechtlos stellt, ein Wirtschaftsminister der rapide steigende Rüstungsexporte an Diktaturen wie Saudi-Arabien zu verantworten hat, Grüne die keine Probleme haben, immer neuen Kriegseinsätzen zu zustimmen, SPD und Grüne die tatkräftig Hand an das Asylrecht legen, diese Parteien sind kein bischen besser als die Union mit ihren Repräsentanten Seehofer, Scheuer oder Dobrindt.
    Warum soll ich denn bitte nächstes Jahr Grüne oder SPD wählen? Damit Merkel wieder eine Mehrheit unter Duldung der AfD bekommt. Wie oft wird eigentlich noch die Schmierenkomödie der „linken“ SPD inszeniert?
    Vor den Wahlen die „Ungerechtigkeit“ in der Gesellschaft beklagen und nach den Wahlen davon nichts mehr wissen wollen.
    Hört auf, von „SPD-Linken“ zu schreiben, diese Leute werden auch nach der Wahl 2017 aus purer Regierungsgeilheit die Politik fortsetzen, die sie seit Jahrzehnten betreibt.

  3. Eine Volkspartei hat überhaupt nichts gemein mit einer Einheitspartei. Eine Volkspartei versteht es , Interessen auszugleichen , und das durchaus nicht ohne Werte im Hintergrund.
    Es ist durchaus möglich , liberale Lösungen zu finden , mit denen Linke und Rechte leben können. Es ist möglich , konservative Ideen so umzusetzen , daß auch Linke damit leben können und umgekehrt.
    Der Verlust dieser Fähigkeit ist der Hauptgrund für den Niedergang der Volksparteien , nicht der vielbeschworene Strukturwandel.

  4. Und immer wieder muß ich aus dem Verhalten der jüngeren Vergangenheit der etablierten Parteien die Gretchenfrage stellen: „Wem hat es genützt und wem nützt es weiterhin“?

    Wir haben doch schon längst die von Merkel geforderte „marktkonforme Demokratie“. Nicht die Regierung bestimmt die Politik, sondern die neoliberalen Marktkräfte und deren Adepten. Die Politik dient nur noch als Hilfskraft, Steigbügelhalter und ggf. – bei vorherigem entsprechenden Wohlverhalten, siehe Fischer und Schröder – als Karriere-Sprungbrett.

    Die „soziale Marktwirtschaft“, die es noch zu Kohls Zeiten, siehe Anhänger Nobbie Blüm, gab, wurde doch schon längst zu Grabe getragen. Die „oben“ bestimmen und die „unten“ haben zu parieren und gefälligst das Maul zu halten, oder sich mit einer Flasche Korn ins Nichtwählerlager zurück zu ziehen, vielleicht noch die Faust ein wenig in der Tasche zu ballen. Der neoliberale Virus reicht ja bereits bis in die LINKE hinein, siehe Gysis Träume von rot-rot-grün. Da soll der Schwanz mit dem Hund wedeln? Absurder Gedanke, und in einer solchen Koalition würden dann, vorgemacht hat es die vormalige Brandt-SPD, die letzten ins Nichtwähler-Lager treiben oder in die Arme der mit Sirenen-Rufen lockenden AfD. Ich habe da im eigenen Bekannten-Bereich einige Beispiele, welche sich wohl an der Röhm-Ausrichtung der SA orientieren. Dabei wird die AfD nur noch weiter auf den Abstand zwischen Arm und Reich hinarbeiten, und ich möchte keine Wette eingehen, das hier nicht – nach Merkel – auch schwarz-braune Koalitionen ins Haus stehen. Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren. Und mit dem Sozialstaat, zumindest dem rudimentären, dürften dann auch die guten Ansätze für eine Umweltpolitik, die nicht nur wieder „unten“ sich das wenige, was sie tut, bezahlen läßt, den Bach runter gehen.

  5. Moin,

    ich stimme Hans zu: Die SPD muß ihre jüngere Vergangenheit bereinigen, und das geht nur durch den Rausschmiß von Schröder, Münte, Steinmeier. Und Gabriel muß den Vorsitz aufgeben.

  6. Ist schon ein historischer Witz, daß das Prinzip der Solidarität bei den Schwarzen besser funktioniert, als bei den Roten.

    „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“ geht wohl nicht ohne Rempeln…

  7. Falls die SPD ihre Zukunft als soziale Partei noch nicht vollends aufgegeben hätte, müsste sich binnen weniger Monate eine qualifizierte Minderheit (auf Mehrheiten darf man nicht hoffen) aufraffen und zwei Ereignisse bewusst herbeiführen:

    Ein sozialdemokratischer Chruschtschow (Mann oder Frau) müsste mit den „Stalinisten“ (Schröder & Co) und deren neoliberaler Politik öffentlich abrechnen. Ein anderer beherzter Sozialdemokrat (Mann oder Frau) müsste die Rolle Gorbatschows übernehmen und eine Perestroika einleiten. Hauptinhalte dieser Umgestaltung wären Forderung und Durchsetzung einer umfassenden sozialen und gerechten Gesellschaft (Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung).
    Die weitergehende Forderung „Jeder nach seinen Möglichkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ könnte dann der LINKEN als einzigem genuinen Koalitionspartner überlassen werden.

    CDU/CSU, FDP und Grüne müssten als Vertreter andersgelagerter Interessen und Weltanschauungen definiert werden, mit denen es allenfalls partielle Übereinkünfte geben könnte.

    Doch auf solchen Umbruch und Aufbruch zu setzen, könnte unrealistischer sein als der Glaube an ein ewiges Leben. So bleibt sozialen Demokraten (innerhalb und außerhalb der Sozialdemokratie) vermutlich nichts anderes übrig, als an den Gräbern und Denkmälern der SPD die sinnlose Verschleuderung alter Ideale zu beklagen und den Niedergang einer einstmals großen Partei zu betrauern. Vielleicht könnten die vielen vergossenen Tränen entweder der LINKEN zu Kraft und intellektueller Brisanz verhelfen oder zur Gründung einer völlig neuen sozialen Partei führen.

  8. Der Niedergang der ideologischen Führung durch Volksparteien wäre eine grandiose Chance für die deutschen Bürger, zu einer mehr sachlichen und mehr diskursiven Demokratie zu finden. Leider wird das (angebliche?) Machtvakuum durch irgendwelche „Orientierer“ ungefragt gefüllt,die niemand gerufen hat.

    Ich denke, der deutsche Bürger ist durchaus in der Lage, sich seine Meinung ohne „Volksrethorik“ zu bilden. Er braucht keine Volksparteien mehr und er braucht auch keine völkischen Schwätzer mehr.

    Es dämmert so ein bißchen Aufklärung am deutschen Horizont. Ich würde mir wünschen, man ließe sie sich nicht durch braune, schwarze oder rote, noch sonstbunte Wolken verschleiern.

  9. Danke an Herrn Kirsch für seine Zustimmung. Dazu noch einige Anmerkungen:
    Das Impulspapier wird an der kapitalismusfreundlichen Politik der SPD nicht nur nichts ändern, sondern sie noch weiter verfestigen, stehen darin doch die Sätze:
    Je stärker die Wirtschaft, desto stabiler der Sozialstaat. Unternehmen müssen Geld verdienen, damit Arbeitsplätze sicher sind. (Seite 3, Punkt 6)
    Kaum jemand bezweifelt heute noch, dass für diese beeindruckende Entwick-lung unseres Landes die von der SPD vor zehn Jahren in schwierigen Zeiten durchgeführten Reformen eine der wesentlichen Voraussetzungen waren (Seite 8, 2. Abs.).
    Selbst wenn es der SPD gelänge, sich an die Spitze einer Bewegung gegen Rassis-mus, Intoleranz und Menschenverachtung zu setzen, so sind das Kampfziele, die die Macht der Kapitalisten kaum in Gefahr bringen werden. Dazu habe ich an zu vielen Ostermärschen teilgenommen, um das noch glauben zu können. Der Papst – von Amts wegen zur Rettung der Welt verpflichtet – sagt dagegen klar und deutlich:
    „Das Wirtschaftssystem sollte im Dienst des Menschen stehen. Aber wir ha-ben das Geld in den Mittelpunkt gerückt, das Geld als Gott.“
    Das gilt es zu ändern. Doch eine antikapitalistische Politik wird nach den Erfahrun-gen mit dem Realsozialismus in absehbarer Zeit nicht mehrheitsfähig sein, so dass der Papst, Herr Gabriel und wir alle wie bisher in der freien Marktwirtschaft das Heil suchen müssen. Das „Weiter so“ wird anhalten, nicht nur in der SPD.

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