Müssen die USA vor sich selbst beschützt werden?

Im US-Präsidentschaftswahlkampf, der nun beginnt, erleben wir möglicherweise etwas, was auch uns im ach so gemäßigten, befriedeten und liberalen Europa bevorstehen könnte: Polarisierung und Schlammschlachten. Der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Donald Trump, das Schreckgespenst des politischen Establishments in Washington, hat schon gezeigt, dass er vor nichts zurückschreckt, um seine Klientel von sich zu überzeugen. Seine Klientel sind vor allem weiße Amerikaner, die sich benachteiligt fühlen und von Abstiegsängsten getrieben werden oder bereits sozial abgestiegen sind. Menschen, die von Verfechtern der Ideen Milton Friedmans vielleicht als Ausschuss bezeichnet würden: Sie haben die Chancen, die ihnen der freie Markt bot, nicht nutzen können, aus welchen Gründen auch immer, und sind folgerichtig auf dem Müll gelandet. (Ach nein, da war doch noch Friedmans Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen …) Kritiker der Ideologie von den freien Märkten hingegen würden sagen, dass diese Menschen Opfer des Systems sind. Der freie Markt sorgt eben nicht für alle, weil es keine Chancengleichheit gibt. Zahllose Menschen fallen durch die Maschen des Systems, das sich nicht um sie kümmert, weil es auch von den „Losern“ noch zu profitieren glaubt — denn viele unqualifizierte Arbeitskräfte am unteren Rand erzeugen natürlich Druck auf die Löhne weiter oben und sind damit ein Mittel der Umverteilung von unten nach oben.

Der historische Irrtum dieser Denkschule, als deren herausragende Polit-Protagonisten Ronald Reagan, Margret Thatcher, Tony Blair und bei uns Gerhard Schröder gelten können, holt uns nun ein, und das merken wir im anhebenden US-Wahlkampf. Denn diese Durchgerutschten mögen wirtschaftlich erfolglos gewesen sein, aber sie sind trotzdem immer noch Wählerinnen und Wähler, und Donald Trump gibt ihnen eine Stimme. Sie könnten ihm zur Macht verhelfen. In den USA ist die Zahl der Nichtwähler weit höher als bei uns in Deutschland: Nur etwas mehr als die Hälfte aller Wahlberechtigten haben 2012 gewählt. Das Reservoir an Protestwählern dürfte also deutlich höher sein als bei uns, wo es diese Durchgefallenen und vom System Benachteiligten ebenfalls gibt. Es ist nämlich gewiss kein Zufall, dass wir praktisch zeitgleich überall in westlichen Nationen sehen, wie rechtspopulistische Strömungen erstarken. Lösungen haben die Politiker dieser Strömungen in der Regel nicht anzubieten, aber sie sind laut, erobern die Lufthoheit nicht nur über den Stammtischen und drücken politischen Debatten ihren Stempel auf.

Ein solcher Rechtspopulist ist auch Donald Trump. Man könnte ihn als Trampel bezeichnen, als Hallodri, als Frauenfeind und Muslimhasser, doch eigentlich weiß niemand genau, was er wirklich denkt. Sein Agieren ist nicht von politischer Agenda bestimmt, sondern von Stimmungen. Er wirkt unberechenbar. Seine Gegenkandidatin im Wahlkampf dürfte Hillary Clinton werden, die auf Seiten der Demokraten genügend Wahlmänner- und -frauenstimmen für die Nominierung beisammen hat, die sich aber dennoch weiterhin mit ihrem Widersacher Bernie Sanders auseinandersetzen muss. Clinton ist das Gegenteil von Trump: Sie ist die Kandidatin des Systems, gegen das er wütet.

Sie war First Lady, Senatorin und Außenministerin, kennt Washington von der Pike auf und ist vernetzt wie kaum jemand sonst. Auch mit der Wall Street und dem großen Kapital. Viele Amerikanerinnen und Amerikaner erinnern sich zwar daran, dass es ihnen unter Bill Clinton, dem früheren Präsidenten und Hillarys Ehemann, recht gut ging: Militärausgaben runter, Defizit runter, Wirtschaft auf Wachstumskurs — was alles zunichte gemacht wurde durch George W. Bush, der das Wort Defizit nicht kannte. Aber ihr hängen ein paar Dinge an, die sie unsympathisch machen: ihr Umgang mit offiziellen Mails, ihre Honorare für Vorträge und das eine oder andere Lippenbekenntnis. Sie wäre die erste Frau an der Spitze der Supermacht, und aus europäischer Sicht wäre es mit Sicherheit absolut wünschenswert, dass sie die Abschusscodes für die Atomraketen bekommt und nicht der unberechenbare Trump. Aber zugleich bleibt die Kritik bestehen: Sie ist Repräsentantin des Systems, das die Trump-Wähler produziert hat. Sie ist nicht dafür verantwortlich, dass die Dinge sich in den USA seit Reagan so entwickelt haben, dass dieses Trump-Potenzial entstand, aber ihr wird auf der anderen Seite auch nicht zugetraut, diese Zustände zu überwinden, auf dass es den Menschen besser gehe.

Demächst stehen die Nominierungsparteitage an. Es ist zu vermuten, dass derzeit im Hintergrund die Drähte glühen. Trump hat soeben seinen bisherigen Kampagnenmanager rausgeworfen und braucht Spendengelder für seinen Wahlkampf, was aber alles andere als einfach ist, weil er mit seinem robusten Auftreten in den Vorwahlen in viele Fettnäpfchen getreten ist; und das mögen Spender überhaupt nicht. Clinton hingegen hat ein anderes Problem. Es heißt Bernie Sanders. Der Kandidat aus dem Bundesstaat Vermont wird meist als links bezeichnet, aber eigentlich sind seine Positionen nach europäischem Maßstab eher sozialdemokratisch. Sanders hat nicht genug Stimmen, um selbst nominiert zu werden, aber andererseits hat er Clinton in den Vorwahlen das Leben wirklich schwer gemacht. Vor allem viele junge Leute haben ihn gewählt, weil er für sozialen Ausgleich eintritt. Im Grunde ist das, was Sanders propagiert, die Lösung für das Trump-Problem. Die Macht dieser Stimmen scheint Sanders nun nutzen zu wollen, um Clinton bis zur Nominierung Zugeständnisse abzuringen. Am Ende, vermute ich, wird er Clintons Kandidat für den Posten des Vizepräsidenten. Und dann könnte es vielleicht sein, dass die Ära Hillary Clintons, wenn sie wirklich zur Präsidentin gewählt wird, eine Abkehr vom bisherigen Marktradikalismus oder wenigstens eine Milderung mit sich bringt.

Was uns in den nächsten Monaten bevorsteht, ist also eine echte Richtungswahl in den USA. Mögen die amerikanischen Wählerinnen und Wähler so gnädig sein, uns vor Donald Trump zu beschützen! Hillary Clinton mit Bernie Sanders als Korrektiv an ihrer Seite erscheint da doch als deutlich sympathischere Option.

Manfred Kirsch aus Neuwied meint:

„Die bereits erwartete Schlammschlacht im US-Präsidentschaftswahlkampf hat ja bereits begonnen und wird wenn nicht alles täuscht zu einer der schmutzigsten Wahlauseinandersetzungen in der Geschichte der Vereinigten Staaten überhaupt werden. Es dürfte allerdings angesichts der Alternativen, die sich stellen, keiner großen Mühe bedürfen, die Anhänger des ehrlichen, aufrechten und kapitalismuskritischen Bernie Sanders für die Wahl von Hillary Clinton zu mobilisieren. Es wäre nicht auszudenken, wie die USA und die Welt insgesamt sich verändern könnte wenn Donald Trump die Wahl im November diesen Jahres für sich entscheiden könnte. Angesichts der weltweiten Krise des Kapitalismus wird es darauf ankommen, ob jene demokratischen Kräfte in den USA, die unter dem Turbokapitalismus am meisten zu leiden haben, für die Präsidentschaftswahl mobilisiert werden können. In der Geschichte der USA hat es leider auch einen Richard Nixon gegeben, der als Republikanischer Präsident zutiefst kriminell agiert hat. Eine mögliche Wahl Donald Trumps zum Präsidenten wäre eine weltweite Katastrophe und der Frieden würde unsicherer denn je. Ich bin noch davon überzeugt, dass die Mehrheit der US-Bürgerinnen und Bürger eine Entscheidung treffen wird, die den rücksichtslosen Milliardär Donald Trump in die Schranken weisen wird.“

Roland Klose aus Bad Fredeburg:

„In den USA zeichnet sich das Präsidentschaftsbewerber-Duell zwischen Donald Trump und Hillary Clinton ab. Aber, was unterscheidet eigentlich die USA von Deutschland? In den USA bewerben sich unter anderem die sog. Superreichen um das Amt des US-Präsidenten. Nach Donald Trump will sich demnächst auch Marc Zuckerberg von Facebook zur Wahl stellen. Und in Deutschland? In Deutschland halten sich die Superreichen ihre Marionetten-Politiker, die dafür sorgen, dass sie sich wegen der „PanamaPapers“ nicht in die „PanamaPampers“ machen müssen. In Deutschland zahlen deshalb die Superreichen legal und prozentual weitaus weniger Einkommensteuern als der Rest der Bevölkerung und überhaupt keine Vermögensteuer. Aus diesem Grund steht auch für die Bekämpfung der neuen „TAFEL- und Alleinerziehenden-Armut“ und der Altersarmut in Deutschland kein Geld zur Verfügung.“

Otfried Schrot aus Ronnenberg:

„Der Wahlkampf in den Vereinigten Staaten von Amerika wird in seiner Endphase von zwei sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten geführt, einer zur Sachlichkeit neigenden Kandidatin und einem Kandidaten, der seine große Chance im Aufputschen von Gefühlen sieht. Die Deutsche Nation hat in ihrer Geschichte ein furchtbares Unwetter über sich ergehen lassen müssen, von dem sie fast vernichtet worden wäre. Das Unwetter wurde von einem Manne erzeugt, der es geschafft hatte, mit seinen Hasstiraden die ganze Nation fast geschlossen hinter sich zu bringen.
Von dem römischen Philosophen Seneca stammt der Satz: Mehrheit ist selten Wahrheit. Nach den deutschen Erfahrungen mit Hitler könnte man hinzufügen: Mehrheit muss nicht unbedingt Sicherheit bedeuten. Der Massenmord von Orlando, der von den beiden Kandidaten sofort als Wahlkampfmunition verwendet worden ist, fügt einen neuen Aspekt hinzu: Soll ein Einzelner mit einer Wahnsinnstat bestimmen, wer eine Wahl gewinnt? Muss man ein Volk nicht vielmehr, bevor es einem Hetzer und Hasser und zum Opfer fällt, vor sich selber schützen? Kommt in einem Wahlkampf nicht besonders leicht etwas abhanden, was besonders wichtig ist: die Besonnenheit?
Ich schlage vor, dass jeder demokratische Staat – sofern das Staatsoberhaupt vom Volke gewählt wird – vor einer solchen Wahl eine Auswahlkommission einsetzt, die sich zahlengleich aus Mitgliedern der politischen Parteien und aus Parteilosen zusammensetzt, welche jeden Kandidaten für das höchste Staatsamt unter die Lupe nimmt und sowohl seine intellektuelle als auch seine charakterliche Qualifikation für eine Teilnahme an einem Wahlkampf prüft. Erst nach der Erteilung der Absolution durch diese Auswahlkommission darf der Kandidat am Wahlkampf teilnehmen. Dieser Auswahlkommission muss auch das Recht zugestanden werden, einen Kandidaten abzulehnen. Trump hat in seinem Vorwahlkampf so viele Stimmen „zusammengebrüllt“, dass ihn die Republikaner gar nicht mehr ablehnen können. Der Leserbriefschreiber vertritt die Überzeugung, dass durch das von ihm vorgeschlagenen Verfahren der Erhalt der Sicherheit einer Gesellschaft bei einem Machtwechsel erhöht werden kann.“

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6 Kommentare zu “Müssen die USA vor sich selbst beschützt werden?

  1. Ich schätze, daß die Methode, die Trump anwendet, einfach die ist, den Trotz der Amerikaner hervorzukitzeln.
    Wir sollten ihm dabei nicht helfen.

  2. Als Deutsche können wir eigentlich nur beten. Wenn man sieht das es ein Mann wie Trump geschafft hat Kandidat der stärksten Partei zu werden kann man Angst vor der Zukunft bekommen.

  3. Laut FR von heute (Artikel „Trump gehen die Trümpfe aus, S. 9) scheint der Stern Trump ja am Untergehen zu sein. Vertrauen wir auf die Mehrheit der amerikanischen Wähler.

  4. Ein D. Trump als Präsident ist natürlich peinlich für die USA, aber kein Grund für apokalyptische Visionen.
    Ich hatte vor längerer Zeit ein Gespräch mit einer amerikanischen Gelehrten, die seit geraumer Zeit in Deutschland lebt. Sie erklärte mir, dass die Rolle des amerikanischen Präsidenten in Deutschland häufig falsch eingeschätzt wird. Die Bezeichnung «mächtigster Mann der Welt» sei vollkommen falsch. Der Präsident kann nur sehr wenige Dinge alleine entscheiden. Man sieht es z. B., dass Obama Guantanamo nicht schliessen konnte und Clinton keine obligatorische Krankenversicherung einführen konnte. Das wurde absichtlich in der amerikanischen Verfassung so bestimmt, da die Einzelstaaten keine mächtige Zentralregierung wollten. Der Präsident ist auf den Kongress angewiesen und einen für Deutschland typischen Fraktionszwang kennen die USA in dieser Form nicht. Die Abgeordneten sehen sich als Vertreter der wirtschaftlichen Interessen ihrer Wähler und nicht als Mehrheitsbeschaffer des Präsidenten. Ein Präsident Trump würde wohl als die grösste «lame duck» in die Geschichte eingehen, da er für seine unsinnigen Pläne im Kongress keine Mehrheit finden würde.
    Ein vierjähriger Stillstand in der amerikanischen Politik wäre zwar bedauerlich, aber kein Weltuntergang.

  5. Gute Analyse.
    Vielen Amerikanern dürfte es gut genangen sein unter Bill Clinton , aber das dürfte nicht Trumps Potenzial sein. Die „Abgehängten“ sind eher diejenigen , die von Clinton selber produziert wurden , Clinton , nicht Bush war es , der die amerikanischen workfare-Gesetze – das amerikanische Hartz 4 – eingeführt hat , Bush hat sie dann nur noch etwas verschärft , ähnlich wie bei uns die unionsgeführten Regierungen ( mit der überraschenden Ausnahme von schwarz-gelb).

    Zu den vier neoliberalen Polit-Protagonisten müßte Bill Clinton hinzugezählt werden , was ein sehr ernstes Problem für seine Frau werden dürfte.
    Wie oben richtig bemerkt , ist es nicht nur , aber auch nicht zuletzt die Krise der Sozialdemokratie , die dem Rechtspopulismus Aufschwung bringt , wie schon seinerzeit in den 30er-Jahren.
    Ebenfalls richtig ist aber , daß das Auftauchen Sanders` ein sehr ernstes Problem für den Rechtspopulismus darstellt , ob Trump jetzt Präsident wird oder nicht.

    Das gilt auch für Europa , die Corbynisierung der Sozialdemokratie ist nicht mehr aufzuhalten , paradoxerweise war es nicht zuletzt der Rechtspopulismus selber , der diese Entwicklung ausgelöst hat.

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