Thüringen: Als stünde der Untergang des Abendlandes bevor

In Thüringen wurde ein neuer Abschnitt der deutschen Geschichte eingeläutet: Erstmals seit dem Mauerfall vor 25 Jahren ist ein Politiker der Partei „Die Linke“ Ministerpräsident geworden, jener Partei also, die in der Nachfolge der die DDR beherrschenden SED steht: Bodo Ramelow wurde in Erfurt im zweiten Wahlgang mit allen Stimmen der neuen rot-rot-grünen Koalition zum Regierungschef Thüringens gewählt. Ein Novum! Ramelow selbst steht nicht im Verdacht, mit der SED-Vergangenheit seiner Partei zu tun zu haben, aber unter seinen Parteigenossen gibt es bekennende Stasi-Mitarbeiter und -Informanten. Wir werden jetzt mal beobachten, wie in Erfurt mit diesen Altlasten umgegangen wird. Der Gedanke, dass solche Leute in irgendeiner Art und Weise in der Regierung mitreden, ist und bleibt unerträglich. Ob damit wirklich das Ende der DDR besiegelt ist, wie Ramelow meint?

In Thüringen ist also ein neues Machtzentrum entstanden. Die deutsche politische Landschaft ist noch bunter geworden. Nun koaliert also so gut wie jeder mit jedem: die Grünen mit den Schwarzen, die Roten mit den Grünen, die Dunkelroten mit den Roten und den Grünen, die Roten mit den Schwarzen. Nur zwischen Schwarz und Dunkelrot hat es noch nicht gefunkt, und das wird sicher auch so bleiben. Die FDP spielt keine Rolle mehr, die Grünen sind dabei, sich in die „bürgerliche Mitte“ zu orientieren und ebenso langweilig wie farblos zu werden, in der SPD scheinen die Flügelkämpfe wieder loszugehen, und in der CDU ist weiterhin niemand in Sicht, der Kanzlerin Merkel beerben könnte. Vielleicht erleben wir das Ende der DDR – aber vor allem erleben wir das Ende der Politik, wie wir sie bisher kannten. So gut wie keine der alten Klarheiten aus der alten Bundesrepublik gilt mehr. Und ganz nebenher scheint die sogenannte „Alternative für Deutschland“ an Gewicht zuzulegen, eine Partei rechts von der CDU, die einst für die Post-Merkel-CDU das werden könnte, was die Linke heute für die SPD ist.

Und was bedeutet die Wahl Ramelows für die Linke selbst? Der Triumph könnte die Partei vor große Probleme stellen, denn er könnte die Kluft zwischen den Realos und Fundis in der Linken vergrößern. Eine Partei, die auf der einen Seite Grundsatz- und Systemkritik in den Vordergrund stellt, auf der anderen Seite aber in Regierungsverantwortung ist und vermutlich zeigen wird, dass auch sie nur mit Wasser kocht, könnte in der öffentlichen Wahrnehmung ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommen. Diese Kluft existiert übrigens ziemlich genau entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Und so existiert sie doch weiter, die DDR – in Gestalt der inneren Spaltung der Linken, die, so meine Einschätzung, zur Zerreißprobe werden wird. Die Westausdehnung der Linken könnte sich im Nachhinein als schwerer Fehler erweisen.

Derweil schäumen die Konservativen natürlich. Dazu Horst Weitzel aus Frankfurt:

„Was geht eigentlich hier ab?! Es hat doch lediglich ein Bundesland gewählt, knappe Mehrheiten verursacht und einen durch Mitgliederentscheide untermauerten Koalitionsvertrag abgeschlossen. Zwei Wahldurchgänge für die Wahl des obersten Landespolitikers sind nichts Besonderes, wie die Vergangenheit uns gelehrt hat (ich erinnere nur an drei beschämende Wahlgänge für Wulff zum höchsten Staatsamt).
In der Vergangenheit wurden, insbesondere von Union und FDP postuliert, der Wählerwille und die demokratische Wahl in den Vordergrund gestellt, sofern das Wahlergebnis zu ihren Gunsten ausgefallen ist. Von den beiden Unionsgenerälen Scheuer und Tauber werden jetzt Fratzen an die Wand gemalt, als stünde der Untergang des Abendlandes bevor (auch Ex-Ministerpräsident Vogel hat sich letzte Woche im Fernsehen ähnlich geäußert). Von Schande für das wiedervereinigte Deutschland, redet Scheuer von der CSU: eine Watschen mit der flachen Hand ins Gesicht der Thüringer. Diese das Wahlergebnis missachtende Äußerung disqualifiziert ihn endgültig.
Jenen Personen, da halte ich es lieber mit Ralph Stegner, kann man nur immer wieder ihre eigene Parteivergangenheit vorhalten: Thema Blockparteien, nie aufgeklärte Spendenaffären (Kohl, Schäuble etc), ausländerfeindliche Wahlparolen (Koch). Die Aufzählung lässt sich durchaus fortsetzen.
Die Frage, die sich mir nach dem Machtwechsel in unserem Nachbar-Bundesland aufdrängt: Wie sähe die heutige Diskussion über Thüringen aus, wenn es damals in Hessen mit Ypsilanti schon geklappt hätte.“

Carsten Dietrich Brink aus Gauting:

Unsäglich das Gekeife aus den Reihen der CDU/CSU. Propagandaleichen werden aus den Kellern geholt, mit Beleidigungen und Dreck wird herumgeschmissen, aber das kennen wir ja schon: Zu Adenauers Zeiten das Wahlplakat gegen die SPD fast identisch mit einem NS-Plakat. Immer wieder die „roten Socken“ zu den Wahlen. In Hessen die Unterschriftenaktion Roland Kochs gegen Ausländer – schon vergessen? Was ist eigentlich aus den Unterschriftskarten geworden? Ich will die Reihe nicht weiter fortsetzen. Doch wer fragt danach, welche fatalen Folgen es hatte, dass die sogenannten Verfassungsschützer Thüringens, Sachsens, Hessens und Bayerns mit ihrem Geldsegen der undemokratischen Rechten auf die Füße geholfen haben? Haben die Keifer und Geiferer die Blockflöten aus den eigenen Reihen entfernt??? Ich wüßte niemanden!  Der CDU/CSU muss immer wieder gesagt werden, dass nicht sie bestimmt, was Demokratie ist, wer Demokrat ist und wie Demokratie funktioniert!

Michael Rosin aus Schöneck hat Kritik an der FR wegen des hier verlinkten Textes:

„Es kann einer Zeitung zu Ehre gereichen, wenn sie auch Meinungen des sogenannten „Wutbürgers“ bzw. der „Stammtischbrüder“ veröffentlicht. So bekommt auch der „linke Gutmensch“ und FR-Leser einen Einblick in die oft eindimensionale Sicht- und Denkweise manch anderer BundesbürgerInnen. Das aber ein Autor in dieser „links“ stehenden Zeitung (deshalb habe ich sie auch noch abonniert) einseitig, populistisch und tendenziell manipulativ, politische Meinungsmache betreiben kann finde ich Nachfragens Wert. Soll etwa ein rechter Rand der FR-Leser in ihrem Wutbürgertum abgeholt werden? Man kann ja persönlich negativ auf alles Mögliche eingestellt sein, nur hat man, meiner Meinung nach, als Journalist eine Verantwortung seinen Lesern gegenüber. Investigativer Journalismus heißt für mich unabhängig und ausgewogen zu informieren. Das ständige scheinbar reflexhafte Eindreschen auf die Partei Die Linke von Herrn Decker ermüdet und nervt mich langsam. Bis her zum Glück nur abseits in kleinen Artikeln und wenig Spalten, nun aber auf einer ganzen Seite… Warum erwähnt Herr Decker denn nichts über die Vergangenheit der „Blockflöten“ in der thüringischen CDU. Dieser Spezies Politiker (..und auch Journalisten??) die ihr Fähnlein immer schön in den ihnen genehmen karrierewirksamen Wind hängt. Wieso geht er auf die von ihm beiläufig und fast als Selbstverständlich für den Politzirkus bekundete Verfilzung nicht näher ein. Wieso suggeriert ein Journalist in der FR dem Leser, Herr Ramelow hätte Verbindungen mit der DKP ohne es zu belegen? Das ist Populismus alla Bildzeitung und unseriöser Journalismus. Bei den illustren Gegnern einer rot-rot-grünen Koalition, bei der er sogar noch eine publikumswirksame Therapeutin mit eingebaut hat, hätte er auch noch manch anderen diesem Artikel sicher wohlgesonnen Wutbürger zu Wort kommen lassen. Ein Statement des von peinlichen Skandalen gebeutelten thüringischen Verfassungsschutzes, des thüringischen Heimatvereins oder warum nicht gleich von Frau Zschäpe… Sie alle würden ein „Alles bleibt beim Alten“ sofort unterschreiben und das auch mit Hilfe der AFD gerne zementieren. Meine Güte ich hoffe der Mief diese Geistes zieht nicht weiter Kreise in der FR“

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10 Kommentare zu “Thüringen: Als stünde der Untergang des Abendlandes bevor

  1. Die Wahl in Thüringen hat CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer mit „Das ist ein Tag der Schande für das wiedervereinigte Deutschland“ kommentiert.
    Kennt er nicht den Satz „Vor dem Sprechen Hirn einschalten“? Andererseits: wo nix ist, kann auch nix eingeschaltet werden.

  2. Zusammengewürfelte Koalitionen, wo man hinsieht, in Berlin fehlten der CDU/CSU 2013 nur noch wenige Plätze im Bundestag für die Mehrheit, eine Minderheitsregierung wäre denkbar gewesen. Stattdessen kam es zur großen Koalition, die SPD erdreistete sich mit 280 Abgeordneten die Plätze zu wechseln, aus der Opposition in die Regierungsverantwortung. Wird ein „Linker“ Ministerpräsident in einem Bundesland ist dieser auch ein neuer Oppositionspolitiker, weil man in der Verantwortung steht, es zu zeigen, das es noch Alternativen zu CDU geführten Regierungen gibt. Das finde ich eine gute Sache, nicht immer von derselben Partei regiert zu werden. Wir haben doch im wiedervereinigten Deutschland eine wachsame Presse, ein Grund warum Thüringen sich nicht zu einem Unrechtsstaat unter den Linken wandeln wird. Zudem ist man doch in Koalition und regiert Thüringen nicht alleine. Ich muss anmerken, meine Erinnerung an ein mit absoluter Mehrheit regiertes Hessen unter Roland Koch ist eher schmerzlich denn freudig. Ich freue mich für Thüringen, sage das als Hesse

  3. Wie lange muß ich mir eigentlich das Geschwätz von der SED-Nachfolgepartei „Die Linke“ noch anhören?
    Nach dem Ende des Faschismus fanden die heimatlos gewordenen Nazis in der CSU eine neue Heimat, waren alte Faschisten wieder in Amt und Würden. Globke, Filbinger, Gehlen….Sprüche gegen Flüchtlinge der CSU unterscheiden sich von der einschlägigen Propaganda von NPD, AfD, Republikanern nur marginal. Eine große schwarz-braune Mischpoke. Nun könnte man ja einwenden, daß dies Vergangenheit sei. Wie passt in dieses Bild, daß der seinem Führer treu ergebene und bis zur Kapitulation am 8. Mai 1945 für den „Endsieg“ kämpfende Reichswehr-Offizier Dregger noch heute für die CDU ein Vorbild ist? Unvergessen das jährliche Gerede vom „verlorenen“ Krieg, bis endlich Richard von Weizsäcker in seiner Rede am 8. Mai 1985 diesen Tag „den Tag der Befreiung“ nannte, begleitet vom wütenden Geheul der Rechten und Rechtsradikalen.
    Die Toten an der Mauer waren Verbrechensopfer, das ist keine Frage. Doch außer der „Linken“ hat sich mit dieser Vergangenheit weder die CDU noch die anderen Blockflöten auseinander gesetzt.

  4. Nun ja.
    Man kann es aber auch sportlich nehmen und mit Claus von Wagner von der „Anstalt“ fragen:
    „Hallo, BILD, wie konntest du nur einen Ministerpräsidenten von der Linken zulassen?“

  5. Die CDU kritisiert die SPD und Die Linke wegen ihrer Koalition in Thüringen. Ausgerechnet die CDU! War es nicht die CDU die über Jahrzehnte Nazis in hohen Positionen, bis hin zum Bundeskanzler Kiesinger, hatte! Ist es nicht die CDU die das aktive DDR FdJ Mitglied Merkel als Vorsitzende hat und als Bundeskanzlerin wählt! War es nicht die CDU die den Kanzlerkandidaten der SPD Willi Brand wegen seiner Nazi Gegnerschaft und der damit verbundenen Flucht nach Norwegen als Fahnenflüchtig und Verräter beschimpft hat! War es nicht die CDU die die Ostpolitik des Bundeskanzler Willi Brand verteufle und bekämpft hat! Ist es nicht dieselbe CDU, die den Erfolg dieser Brand Ostpolitik für sich einnimmt und sich als die Partei des Mauerfall zu bezeichnet! War es nicht die CDU die den SPD Bundeskanzler Schröder wegen seines „Nein“ zum, heute erwiesenen falschen und erlogenen Irak Krieg des überforderten Präsidenten Busch aufs schwerste kritisierte! Dieser verlogene Haufen kritisiert die SPD und Die Linke wegen der Koalition in Thüringen! Ich bin wirklich kein Anhänger Der Linken, habe aber die Hoffnung, dass sich SPD in der Koalition evtl. auf ihre Werte und Herkunft besinnt und sich mehr um die einfachen Leute kümmert und nicht um das Wohlergehen von Banken, Konzerne und TTIP forciert. Ach so, bevor ich es vergesse, was wurde eigentlich aus der DDR CDU – ist die nicht irgendwie bei der CDU untergekommen? So, das musste jetzt mal raus. Habe fertig!

  6. ich fände eine solche Koalition wie in Thüringen auch für Hessen gut, Ypsilanti scheiterte leider. Die Linke fordert Verbesserungen für Arme, das finde ich eine gute Sache. Bleibt abzuwarten was in Thüringen entsprechend der Armen geschieht

  7. arm zu sein ist zusehen, wie andere Geld haben, es ausgeben können, oder auch noch dazu gewinnen.
    eine Rente unter 300 Euro wegen Erwerbsminderung ist eine staatlich verordnete Armut.
    Februar 1999 beantragt, November 1999 bewilligt, zum zehnjährigen Jubiläum des Mauerfalls, mit Antritt der CDU/ FDP in Hessen in Regierungsverantwortung. Es war sicherlich politisch, begründet wurde es mit einem psychiatrischen Gutachten, chronisch krank (endogene Psychose ohne Aussicht auf Besserung),
    Danach sind die Akten verschwunden, so ist die Rente dauerhaft geworden, die Armut genauso.
    Dabei ist es immer gut, wenn die Regierungspartei auch einmal wechselt, denn sowas ist auch ein Sichtwechsel. Wie am Fall der hessischen Steuerfahnder.
    was die Linke wohl zu diesem Fall sagen würde ? Alters und Erwerbsminderungsrenten unter 700 Euro gehören aufgestockt!

  8. eine Volksbewegung gegen Armut scheint es nun nicht gerade zu sein, wenn ich mir das Feedback der Petition ansehe. Aber von Ramelow den neuen Ministerpräsidenten Thüringens und dessen Landesregierung erwarte ich entsprechendes, gegen das Auseinandertriften der Einkommensverhältnisse in der deutschen Gesellschaft vorzugehen

  9. Hallo, Stefan, habe von de Petition noch nichts gewusst, doch diese gerade unterschrieben.
    Außerdem, wenn es keine Einwände gibt, werde ich diese an meine Genossinnen und Genossen der Linken Limburg-weilburg weiterschicken

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