Staatsverschuldung, Streiks – und ein Armen-Speiseplan

Mario Müller schrieb in der FR:“Staatsschulden, das große Missverständnis„. Dazu Werner Zipperer aus Dietzenbach:

„Ich möchte Mario Müller ausdrücklich für seine sachliche Argumentation gegen den Mythos ‚Staatsverschuldung ist Teufelszeug‘ danken. Leider liest man diese – meines Erachtens nach richtige – Betrachtungsweise viel zu selten in unseren Zeitungen.
Vom herrschenden Mantra in verantwortlichen Politikerkreisen ganz zu schweigen. Zu ergänzen wäre vielleicht noch dieser Gedanke: Entgegen einer weit verbreiteten Auffassung ist eine antizyklische Haushaltspolitik also durchführbar und sinnvoll. Die öffentlichen Haushalte können und sollten im Falle einer schlechten Konjunkturentwicklung ein kreditfinanziertes Investitionsprogramm auflegen, um die Konjunktur anzukurbeln. Diese Erkenntnis scheint sich ja inzwischen selbst bis in die Mainstream-Debatten zu schmuggeln. Natürlich sollte solch ein Investitionsprogramm gesellschaftlich sinnvolle Bereiche (z.B. Bildung und öffentliche Infrastruktur) bedienen, und es sollten nicht etwa die Rüstungsausgaben erhöht werden.“

Prof. Günther Moewes aus Dortmund meint zum gleichen Thema:

„‚Außerdem gibt es ohne Schulden keine Ersparnisse‘, sagt Mario Müller. Fragt sich nur, wessen Ersparnisse. Anders herum wird aus dem Satz eher ein Schuh: ‚So lange auf der einen Seite die Billionen-‚Ersparnisse‘ der Milliardäre im heutigen Tempo weiterwachsen, wachsen auf der anderen Seite auch alle Schulden von Staat, Unternehmen und Bevölkerung parallel im gleichen Tempo weiter.‘
Staatsschulden zu verringern, ohne gleichzeitig das rasante Anwachsen der privaten Reichenvermögen zu bremsen, heißt nur, erstere bei gleichbleibender Gesamtverschuldung auf Unternehmen und Bevölkerung umzuwälzen. Bei der jetzigen, immer extremeren Ungleichverteilung der Einkommen und Vermögen bedeuten sowohl Staatsschulden als übrigens auch Finanzkrisen nur, dass immer mehr öffentliches Geld auf die Privatkonten der ‚oberen‘ 10 Prozent der Bevölkerung geschaufelt wird, die bereits 60 % der Geldvermögen besitzen (siehe Berliner Banken-Krise, IKB und West-LB). Nur diese Reichsten haben noch Geld zum Verleihen und Verwetten. Staat, Unternehmen und die ‚unteren‘ 90 % der Bevölkerung haben schon lange keins mehr. Im Gegenteil: letztere gehören längst zu den Verlierern, weil sie über die Preise weit mehr Zinsen zahlen, als sie über ihre ‚Ersparnisse‘ wieder einnehmen. In dieser Situation sind alle Schulden Reichenbedienung, auch die Staatsschulden. Das kann nur geändert werden, wenn diese dramatische und automatische Umverteilung von unten nach oben von der Politik gebremst oder gestoppt wird.“

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Doch trotz Staatsverschuldung – Warnstreiks in Deutschland. Nach drei ergebnislosen Tarifrunden im öffentlichen Dienst droht nun der nächste Streik. Dazu Jörg Boxan aus Frankfurt:

„Der Bund bietet den Tarifkräften des öffentlichen Dienstes 5 % mehr Lohn verteilt auf zwei Jahre bei einer Erhöhung der Wochenarbeitszeit um 1,5 Stunden. Dieses ‚Angebot‘ ist an Dreistigkeit nicht mehr zu überbieten. Als letztes Jahr eine Diätenerhöhung von 9,2% im Bundestag zur Abstimmung stand, hat Herr Schäuble die Hand gehoben. Damals sprach er nicht davon, dass die Staatskasse diese Belastung nicht tragen könne. Fordern aber Verdi und Beamtenbund für die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes nur 8,0%. wird sofort darauf hingewiesen, dass die öffentlichen Haushalte eine solche Erhöhung nicht verkraften können.
Als Begründung für die Erhöhung der Diäten der Abgeordneten als auch die der Beschäftigten im öffentlichen Dienst dient das Gleiche: Seit Jahren gab es keine Steigerung des Reallohnes. Herr Schäuble glaubt also, für sich andere Maßstäbe setzen zu können, als für die Kräfte des öffentlichen Dienstes. Das ist das eigentlich infame. Die Gewerkschaften hätten eigentlich 18,0% mehr Gehalt fordern sollen. Weil: Man trifft sich meist in der Mitte. Ich wünsche den Gewerkschaften Standfestigkeit und Durchhaltevermögen. Denn auch an den Bediensteten des Staates darf der Aufschwung nicht vorbeigehen.“

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Währenddessen macht der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin schon mal vor, wie Arme sparen können – indem er einen Speiseplan für Hartz IV-Empfänger erarbeitete. Die Berliner spotten schon: Sarrazin-Diät. FR-Leserin Ute Plass aus Worms meint:

„Zurücktreten, Herr Finanzsenator Sarrazin! Ihr bürokratischer Ungeist in Gestalt eines Armen-Speiseplanes verheißt nichts Gutes!“

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4 Kommentare zu “Staatsverschuldung, Streiks – und ein Armen-Speiseplan

  1. Trotz einer seit jeher bestehenden Staatsverschuldung, haben die Abgeordneten der Landes-wie Bundespolitik, in eigener „Regie“
    ihre Diäten erhöht, und werden dies auch weiterhin tun,ohne irgendjemanden, darüber „Rechenschaft“ ablegen zu müssen! Und die Arbeitnehmerschaft: Diese muß vertreten durch die jeweiligen Gewerkschaften,für jeden Cent/Euro Verhandlungen führen und Notfalls für ihre Fordenrungen,nach mehr Geld streiken,sprich die Arbeit niederlegen, und auf die Straße gehen!Dies ist in allen Arbeitsbereichen dieser Republik der Fall und auch jederzeit zu befürworden, in Zeiten ständig wachsender Gewinne,der Arbeitgeber/Konzerne! Wer ist aber der Verlierer, bei dieser „Spirale“? Dies sind doch immer wieder die Rentner(innen) welche, mit ihrer „teils“ bescheidenen Rente schauen müssen, wie sie tag-täglich über die Runden kommen und jeden Cent/Euro zweimal umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben! Was waren nach den Jahren der Null Runde, schon die 0,54%, welche dei Rentner(innen) im Jahr 2007 als Erhöhung bekamen und die 1% Erhöhung, welche 2008 zu „erwarten“ ist!? Die Teuerungsrate macht diese Erhöhungen alle wieder zunichte,aber hiervon ist ja „fast“ die gesamte Bevölkerung der BRD betroffen,ganz zu schweigen von den Hartz IV Empfängern, welche mit am Ende dieses „Schwanzes“ hängen!!! Und das hier ausgerechnet der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin, welcher gewiss mit zu den Gutbetuchten dieser Republik gehört, seine unwürdigen Bemerkungen über einen Armen-Speiseplan herauslässst, ist eine Unverschämtheit und Hohn gegenüber all jenen, bedauernswerten Menschen, und dies sind nicht nur Hartz IV Empfänger! Dieser Mann hat eine arrogante, herablassende Art, seinen Mitmenschen gegenüber und dürfte eigendlich für seine Partei, nicht mehr tragbar sein!!??

  2. Immer wieder das gleiche Prinzip, bis zur Ermüdung:

    Wenn sich die Politiker an die eigenen Prinzipien halten würden, dann würden sie mit 65 Jahren verarmt in schäbigen Altenheimen

    – um 6:00 harsch geweckt werden
    – schnell gewaschen und gewickelt werden
    – um 6:30 abgefüttert werden
    – um 7:00 in einer tristen Halle im Rollstuhl stehen, festgebunden
    – um 10:00 auf ein Klo gesetzt werden
    – um 10:30 abgeputzt werden
    – von 10:30 bis 12:00 im Rollstuhl unter Schmerzen auf das Mittagessen warten
    – um 12:00 abgefüttert werden
    – um 12:15 in’s Bett gelegt werden
    – um 15:30 harsch geweckt werden
    – um 15:40 zum Kaffee gekarrt werden
    – von 15:50 bis 18:30 im Rollstuhl herumsitzen und an die Wand starren, unter Schmerzen und mit Dekubitusgefahr
    – um 18:30 abgefüttert werden
    – um 19:00 schnell gewaschen und gewickelt werden
    – um 19:30 in’s Bett gelegt werden
    und bis 6:00 in tödlicher Verzweiflung auf den Morgen warten.

    Wenn, ja wenn da nicht menschenfreundliche PflegerInnen währen, die gegen den Wahnsinn ankämpfen und Mitleid mit ihnen hätten, weil sie ihre Leistung nicht mit Geld abwägen.

    Willkommen, Herr Koch und Frau Schmidt, willkommen in der Wirklichkeit.

  3. Staat -privat oder geschäftlich ?
    Etwas ist bei allen gleich.
    Es gibt positive und negative Schulden.
    Wer privat meint er müsste ein Auto fahren, dass er sich eigendlich nicht leisten kann und dafür Schulden macht,dem ist nicht zu helfen.
    Wenn allerdings derjenige für das gleiche Geld eine z.B Drehbank kauft und produziert der hat positive Schulden gemacht.
    Das ist beim Staat nicht anders ,s.Bundesrechnungshof mit dem Jahresbericht.Anders wird allerdings die Verantwortlichkeit gehändelt.
    Der Privatmann meldet die Privatinsolvenz an.
    Der Geschäftsmann schreibt Verlustvorträge
    Der Politiker wird ,wenn er mill versemmelt in den verdienten Ruhesatnd versetzt ,damit er nicht noch mehr versemmelt und unangenehm auffällt.

  4. Jörg Nazarow,

    Schulden sind die Basis des Kapitalismus. Die Abhängig beschäftigten bekommen üblicherweise ihr Geld am Ende einer Periode, d.h. aber in the beginning, dass sie Schulden/Entsparen machen müssen, um die Woche zu überleben. Gleiches gilt für die Unternehmer, die auch erst produzieren müssen, bevor sie etwas verkaufen können. Letztlich (und dies haben alle neoklassisch inspirierten Markttheorien bis heute verdrängt) beginnt also der Kreislauf nicht mit angespartem sondern mit Schulden.

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