Wenn Stillstand schon als Leistung gilt

Der „Kompromiss“ der Regierungskoalition in der Causa Hans-Georg Maaßen ist derart bezeichnend für das Politikverständnis der Herrschenden, dass er schon fast beschämen muss. Nicht, weil uns dieser Kompromiss vorgesetzt wurde, sondern weil jene, die ihn ausgehandelt haben, offenbar glaubten, dass niemand das Skandalöse daran erkennen würde. Ein Spitzenbeamter, der Dienstregeln verletzt hat, indem er der Bundeskanzlerin öffentlich in einem Zeitungsinterview widersprach, sollte nach oben weggelobt werden, auf den Posten eines Staatssekretärs im Bundesinnenministeriums. Und dabei hat die SPD mitgemacht? Andrea Nahles, die Parteichefin, musste zurückrudern und hat Neuverhandlungen über die berufliche Zukunft des Herrn Maaßen durchgesetzt. Für die ursprüngliche Entscheidung wird sie heftig kritisiert. Aber … Vielleicht war diese Entscheidung richtig? Nicht in der Sache, ganz gewiss nicht. Aber strategisch? Denn sollte die Causa Maaßen zum Bruch der Koalition führen, weil Innenminister Seehofer an seinem Spezi festhält, dann drohen Neuwahlen. Und in diesen Neuwahlen könnte die AfD zur zweitstärksten Fraktion werden. Eine Regierungsbildung wäre mindestens ebenso schwierig wie nach dem September 2017. Also: Hatte Nahles mit ihrer Zustimmung zum Maaßen-Deal vielleicht Recht, wenn nur so die Stabilität der Regierungskoalition gewährleistet werden konnte? Nach dem Motto: Ruhe im Karton, wenigstens bis zur Bayernwahl, und dann werden wir mal sehen, ob der Seehofer Horst in Berlin nach lange das Keulenzepter schwingen kann?

Werner Dörr aus Polch hat einen langen Leserbrief zu dieser Diskussion geschickt mit Schwerpunkt auf die Rolle der SPD. Ich veröffentliche ihn hier in voller Länge als Gastbeitrag im FR-Blog. Im Print-Leserforum war leider nur ungefähr für die Hälfte Platz.

Wenn Stillstand schon als Leistung gilt

Von Werner Dörr

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Arno Widmann analysiert die Auswirkungen von Andrea Nahles Zustimmung zur „Entsorgungs-Beförderung“ des Verfassungsschutzpräsidenten. Er nennt es „Kuhhandel“ oder „Komödie“ und kommt dann rasch zum –wie ich meine- zutreffenden Ergebnis: Wir erleben in Deutschland einen „Zerfall der Demokratie, so wie wir sie kannten“. Und die daraus resultierende „politische Krise“ ist nicht einer „maroden Wirtschaft“ geschuldet, sondern „die herrschenden Institutionen werden zunehmend geschmäht und verachtet, weil sie die herrschenden Institutionen sind“. Richtig, Herr Widmann.
Leider verliert sich der Kommentar dann in Spekulationen, warum die Bürger die SPD nicht mehr wählen, obwohl sie Vieles für den Wohlstand getan hat. Und er schlägt gar vor, die SPD müsse „sich neu erfinden und ihr Personal auswechseln“. Falsch, Herr Widmann.
Die „Neuerfindung“ hat Andrea Nahles mit Regierungsantritt versprochen und bislang nicht geliefert- und die Personalauswechslung bedürfte einer Personalbasis, die nicht zu erkennen ist!
Aber viel wichtiger ist das Analyseergebnis zu der Abwendung der Bürger von den politischen Institutionen und implizit zu den Personen, die sie leiten. Die politischen Parteien haben –ganz im demokratischen Rahmen des Grundgesetzes- ein System geschaffen, das in vielen Aspekten starr und vor allem weiterhin autoritär organisiert ist. Das nehmen heute Bürger deutlicher wahr als früher. Wenn sie sich auf „wir sind das Volk“ berufen, also im Grunde die Politiker daran erinnern wollen, wer der „Souverän“ ist, von dem ihre Macht kommt, dann beruht das auf der Sehnsucht nach Beteiligung an politischer Veränderung, welche die „Mächtigen“ nicht gestatten. Und dafür, dass der Bürgerwille ignoriert wird (welche Volksbefragung, welche Demonstration, welche Petition hat je zu einer wirklichen Veränderung geführt?) und dass die demokratisch gewählten Politiker ihre Pfründe sichern, ihre Posten und Pensionen verteilen und dem Bürger letztlich politischen Stillstand als „Leistung“ verkaufen – dafür werden diese politischen Institutionen irgendwann „verachtet“. Und da sind auch wir in Deutschland jetzt angekommen. Leider.
Die Wahl von neuen Parteien geht nicht zurück darauf, dass deren Programm geschätzt und seine Umsetzung gewünscht wird, sondern darauf, dass auf dem Wahlzettel eine Rubrik fehlt: „Die will ich alle nicht!“ Und wenn eine Partei, eine Bewegung, ein Einzelbewerber erscheint und erklärt: „Wählt uns, denn wir wollen die da oben nicht mehr“, dann sammelt der möglicherweise Stimmen ohne Ende. So zu sehen in Frankreich, in den USA, in Italien und zunehmend nun in Deutschland.
Die SPD hat ihre Wurzeln und ihre sozialen Ziele schon unter Kanzler Schröder aufgegeben. Seither haben ihre Führungspersonen alle Erinnerungen an die Politik, die sie einmal groß gemacht hat, verspielt. Sie haben sich eingelassen –und der Fall Maassen zeigt es erneut drastisch- auf das Schachern um die eigenen Positionen als Hauptziel ihrer Arbeit. Wobei auch mal ein SPD-Staatssekretär im Innenministerium über die Klinge springen darf – mit Sicherheit findet man auch für ihn in Kürze eine „angemessene Verwendung“, dann eben im „SPD-Umfeld“.
Das ist das politische System, das das die Regierenden geschaffen haben und das vielen Bürgern nicht gefällt, aber an dem sie meinen, nichts ändern zu können. Deshalb bleiben sie der Wahl fern (30-40%), wählen „Protest-Parteien“ (10-20%) oder protestieren von links (G20) oder rechts (PEGIDA).
Und neuerdings sogar in der Mitte (Hambacher Forst). Die herrschenden Parteien kümmert das nicht, Protest bleibt folgenlos, nur die Polizei muss für „Ordnung“ sorgen, dann ist alles gut und schnell vergessen, worum es den Leuten geht.
Horst Seehofer hatte nach dem Wahldebakel der CSU 2017 „verstanden“, die SPD versprach einen „Neuanfang“ – nichts, gar nichts ist geschehen, sondern die Hinterzimmerkungelei geht weiter.
Maaßen, Dieselgate, die Kosten der Nichterreichung der Klimaziele (die FR berichtet heute darüber) sind nur einzelne Beispiele, wie die Probleme der Gegenwart und Zukunft vertagt und vor dem Bürger verheimlicht werden. Stattdessen werden statistisch unbelegte Migrationsprobleme erfunden und mit „Masterplänen“ sowie internationalen Verhandlungen bedient. Verantwortungsbewußte Politik sieht anders aus, meine ich.
Parteien –und da mache ich keinen Unterschied zwischen SPD und CDU-, die so tun, als wollten sie es allen recht machen und in Wirklichkeit nur am Machterhalt kleben und keinerlei moralische Grundlagen mehr darstellen können, die haben keine Zukunft mehr.
SPD neu erfinden, ja, Herr Widmann, vielleicht, indem viele „Aufstehen“…! Aber die SPD wird das nicht mehr retten.“

Ungekürzter Leserbrief, Diskussion:
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