von Roland Bunzenthal

„Eine Arbeitnehmervereinigung liegt schon begrifflich nur vor, wenn sich Arbeitnehmer bewusst und zielgerichtet in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer vereinigen“.  (Zitat aus der offiziellen Wahlbroschüre)

———————

Sind Sie sozial? Dumme Frage, natürlich sind Sie sozial – wer wäre das nicht. Sie können aber auch wählen zwischen der Vorsilbe christlich oder auch der Nachsilbe demokratisch, ersatzweise „…istisch“. Wenn Sie ein Arbeitnehmer zum Beispiel der Chemieindustrie sind, wird „sozial“ außerdem automatisch mit „Partner“ kombiniert. Was allemal einen Harmoniezuschlag bei den Tarifverhandlungen bringt (offen ist für wen). Über die größte Perversion dieses Begriffs durch die Albtraumpartei der 30er Jahre wollen wir lieber schweigen.

Sozial ist die Vorstufe für solidarisch – aber eben nur die Vorstufe. Die zweitgrößten Arbeitgeber, Staatsorgane, Geldkanalisierer und Bürokratiesammelstellen sind die so genannten Sozialversicherungen. Sie sind manchmal auch ein bisschen einseitig sozial, etwa wenn es um die Verhinderung höherer Arbeitgeberbeiträge geht. Um hier hilfsbereit, eben sozial zu sein, muss man das Rentenniveau als Ergebnis einer Sozialpartnerschaft begreifen – der Ausdruck „Niveau“ kommt übrigens so zustande: Man weiß nie wo die Rentenanpassung am Ende landet…

Ein Rentner zum Beispiel sollte nach diesem Konzept nicht über eben so viel Kaufkraft verfügen wie ein Nicht-Rentner – schließlich hat er ja auch nicht mehr soviel Körperkraft, um richtig den konsumtiven Ruhestand praktizieren zu können. Aber im Großen und Ganzen ist die Sozialversicherung sozial. Sie ist der große Umverteiler zwischen Kranken und Gesunden, Alten und Neuen, Arbeitgebern und Arbeitgebern, Staat und Tat. Jede Generation erhält ihre Ration. Im statistischen Warenkorb der Senioren. Es fehlen zwar im Körble Eintrittskarten für die Disco und MP3-Player, aber ansonsten ist die Grundsicherung ein elektronisches Netz, das nur selten durchbrennt.

Um Erfolge zu konservieren, braucht es konservative Altersverwalter. Natürlich gibt es auch den jung-dynamischen Rentenexperten, der einem erklärt, weshalb die Rentenformel nichts mit Chemie oder Mathematik zu tun hat, sondern mit den An- und Einfällen eines einzelnen Darmstädter Professors, der mittlerweile Drückerkolonnen motiviert. Die geplante Weiterentwicklung der Rentenformel sieht vor, einen Lobby-Faktor aufzunehmen. Je weniger die Versicherten zu sagen haben und je mehr ihre Sozialpartner zu Sozialpatriarchen werden, umso tiefer liegt das Beitragsziel für 2030. Trau keinem Beitrag über 20 und keinem Rentner unter 65.

Um dies zu verwirklichen gibt es alle sechs Jahre die Sozialwahlen. Noch nie davon gehört? Dann sollten Sie ihre Post besser sortieren. Vor sechs Jahren kamen zum letzen Mal die merkwürdigen Briefe, die man richtig in einen ebenfalls mitgelieferten Umschlag verpacken sollte und ohne Briefmarke verschicken durfte. Kaum einer wusste damals, wozu das Ganze gut sein sollte – heute ist man einen Schritt weiter, nach sechs Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit zum Wohle der Menschheit​ weiß immer noch keiner weshalb dieses Event existiert. Die Vertreter der Selbstverwaltungen haben inzwischen den Club anonymer Selbstverwalter gegründet. Er soll all jenen psychologische Betreuung zu kommen lassen, die nicht darüber hinweggkommen, dass sie von der Öffentlichkeit einfach ignoriert werden.

Bei der bevorstehenden Sozialwahl im April/Mai 2011 muss deshalb alles ganz anders werden. Vor allem braucht es eine gezielte PR- und Öffentlichkeitsarbeit. So sollten zündende Parolen kreiiert werden wie etwa „Die Alten verwalten ​ – bei uns bleibt niemand im Kalten“, „Geben Sie ihre Stimme ab, Sie bekommen sie heißer wieder“. Oder „Altersvorsorge richtig entsorgen – gehen Sie rechtzeitig in Kapitaldeckung“. Vielleicht auch: „Wir stimmen beim Geldausgeben mit – beim demokratischen Promille-Prinzip“. Schließllich noch: „Dein Sozialversicherungsvertreter – das unbekannte Wesen “ oder alternativ „Deine Sozialversicherung – das bekannte Unwesen“.

Schwierig wird es jedenfalls, wenn Sie nicht die 438 Seiten der offiziellen Broschüre zu den Sozialwahlen 2011 durchgelesen haben sollten. Dann werden Sie nämlich nie erfahren, was eine „Wahl ohne Wahlhandlung“ ist.

Verwandte Themen

3 Kommentare zu “Soziale Sozialwahl

  1. seltsam undurchsichtig, scheint die ursache für die anonymgesellschaft zu sein. da jeder glaubt, dass für ihn gesorgt ist, macht wohl niemand sich eine mühe dahinter zu schauen wie das ganze läuft.

  2. ist es der redaktion bekannt welche kandidaten -eventuell- sich für einen sozialen, bedingungslosen grundeinkommen einsetzen würden, können und wollen?

  3. Die schwarz/rote Koalition hat doch schon die Ungleichheit beim den Krankenversicherungen eingeführt. Dass jetzt die Arbeitgeber bei den Wahlen zur Vertreterversammlung noch immer paritätisch in der vertreterversammlung beteiligt sein sollen, ist dem Beitragszahler kaum zu vermitteln. Die gewerkschaften sollten sich gegen diese Ungleichbehandlung zur Wehr setzen, sind es doch die Versicherten, die nach dem neuen Gesetz nur noch in sehr geringem Maße beteiligt werden. Im Bundesausschuss sitzen in der Mehrzahl Beamte aus dem Ministerium. Weiter sind Ärzte, Zahnärzte Krankenkassen, in diesem Gremium vertreten. Von Patienten redet niemand. Die Vertreter der Versicherten dürfen am Katzentisch Platz nehmen.

Kommentarfunktion geschlossen