Unverschuldet in schwieriger Situation

Die Bundesregierung und die Regierungen der Bundesländer wollen der Wirtschaft und vor allem auch Kleinunternehmern, Selbstständigen und Künstlern helfen, in der Corona-Krise über die Runden zu kommen. Sie gewähren Soforthilfe. Niemand konnte erwarten, dass dabei alles reibungslos ablaufen würde, denn mit dieser Hilfe ist es wie mit allem anderen in der Coronavirus-Krise auch: So was hat es noch nicht gegeben. Darum gibt es dafür auch keine eingeübten Abläufe. Und das ist wohl der Grund dafür, dass es auch gleich Beschwerden gab. Vor allem von Selbstständigen, denen auf einen Schlag alle Einkünfte weggebrochen sind.

Wer eine Pension, Rente oder ein regelmäßiges Gehalt bezieht, kann sich womöglich nur schwer in diese Situation hineinversetzen, in der ein Mensch schlicht nicht weiß, was er machen soll. Ich behaupte nicht, diese Situation zu kennen, aber ich war früher Freiberufler und kenne zumindest die Sorge um den Geldfluss. Das ist einer der Gründe für den Blogtalk mit dem Choreografen und Tänzer Yamir Sharon, der jetzt in eben dieser Situation ist und Soforthilfe bekommt.

Den unten folgenden Leserbrief des Fotografen Uli Planz habe ich am 31. März im Print-Leserforum der FR veröffentlicht. Es gab verschiedene Reaktionen. Bitte lesen Sie.

fr-debatteSagenhafter Aufwand

Hessen: „Ansturm auf Soforthilfe erwartet“, FR-Regional vom 26.März

Ich bin als selbstständiger Fotograf einer der kleinen Gewerbetreibenden, der in Folge der Pandemie alle Aufträge verloren und in den nächsten Monaten keine Umsatzerlöse mehr hat. Gerade habe ich mir den 6 Seiten langen Leitfaden zum Ausfüllen des Corona-Soforthilfe-Antrags reingezogen. Sagenhaft, was hier an Unterlagen und Erklärungen erforderlich ist. Aber entgegen der Ankündigung, dass der Link zum Antrag ab 06:00 bereitstehe, funktioniert das Ganze (Stand 08:00 Uhr) immer noch nicht. Die Scans der diversen Dokumente habe ich schon fertig. Wer keinen Scanner besitzt, hat in Hessen die Arschkarte. Es gibt übrigens (maximal und nicht pauschal) 10.000 Euro Soforthilfe nur zur Deckung der betrieblichen Kosten in den nächsten 3 Monaten – nicht gedeckt ist der Einnahmenausfall. Die Einnahmen – sprich Überschüsse – eines Selbstständigen sichern doch erst seinen Lebensunterhalt. Aber dass der seine private Miete und seine Lebensmittel aus dem Einkommen bestreiten muss, welches er in nächster Zeit gar nicht mehr hat, scheint die Hessische Landesregierung nicht zu verstehen. Übrigens darf die Soforthilfe später mit der Steuererklärung für 2020 auch noch als Einnahme versteuert werden…. Die „Soforthilfe“ in Hessen ist eine Mogelpackung und fernab von einfach, schnell und unbürokratisch, wie uns das Herr Bouffier und Herr Al Wazir angepriesen hatten.

Uli Planz, Kelkheim

Siehe zu diesem Thema auch den gegenwärtig laufenden Blogtalk mit dem freischaffenden Choreografen Yaron Shamir.

fr-debatteIn dramatischem, empörtem Duktus

Ein Leserbrief überschrieben mit „Sagenhafter Aufwand“ von Herrn Planz erregte heute meine Aufmerksamkeit. Darin werden in dramatischem empörtem Duktus allerlei Schwierigkeiten beschrieben bei der Beantragung der Corona Soforthilfe. Neugierig geworden habe ich mich mit dem Antrags Formular und den ach so dramatischen Voraussetzungen zum ausfüllen desselben etc. beschäftigt (Internet RP Kassel). Ergebnis: es gibt doch immer wieder Menschen, die meinen, Sie sind der Nabel der Welt und wenn nicht ALLES und SOFORT geschieht sind Sie zutiefst persönlich getroffen. Aussage: „Sagenhaft, was hier an Unterlagen und Erklärungen erforderlich ist“. Realität: Der letzte Steuerbescheid, der Personalausweis und sonstige Banalitäten sind selbstverständlich von Nöten. „Wer keinen Scanner besitzt, hat in Hessen die Arschkarte“. Tatsächlich kann man das – wie in der Anleitung beschrieben – auch OHNE Scanner bewerkstelligen. Da wird sich beschwert, das die Soforthilfe max. 10.000 € betrüge (tatsächlich sind es bis zu 30.000 €, wenn auch nicht für Einzelunternehmer) und dies der maximale Betrag sei. Ja was denn sonst? Ist das ein Programm zur Finanzierung und Bereicherung mittelloser Fotografen? Und um Gottes Willen: das muss man ja auch noch versteuern. Ja, wenn man im Jahr 2020 Überschüsse erzielt (inklusive der nicht zurückzuzahlenden Soforthilfe) da muss man Steuern bezahlen. Was gibt es daran sich aufzuregen?
Die Soforthilfe ist KEINE Mogelpackung sondern der lobenswerte Versuch, Härten bei Kleinunternehmen im betrieblichen Umfeld abzufedern damit diese Unternehmen nicht unmittelbar insolvent werden. Sie ist ohne großen bürokratischen Aufwand sofort beantragbar. Ein Dank an Politik und Steuerzahler anstelle aufgeplustertem unwahren Empörungsgeschrei wäre angebracht.

Kurt N. Hambüchen, Mühlheim a.M.

fr-debatteDie Soforthilfe ist schwer abrufbar

Bei der Lektüre des 6-seitiges Leitfadens zum Ausfüllen der Corona-Soforthilfe ging es uns wie dem gestrigen Leserbriefschreiber Herrn Planz: Wir waren wie erschlagen von der Fülle an Hinweisen, Details, bzw. einzureichenden Unterlagen!
Wir, das ist eine kleine Gruppe von Dozenten in Integrationskursen an einer Privatschule. Seit der behördlich angeordneten Schließung vom 13.3.20 verfügen wir bis auf Weiteres über keinerlei Einnahmen. Weit entfernt sind wir vom Image oder den Einkünften anderer Freiberufler wie z.B. erfolgsverwöhnter Stararchitekten, sonnengebräunter Zahnärzte oder gutbetuchter Rechtsanwälte. Mit viel Glück bringen wir es auf 2000€ brutto pro Monat – und das, obwohl wir hochqualifiziert, zum Teil mit Doppelstudium und einige mit Doktortitel sind. Aber wir lieben unsere Arbeit!
Recht schnell wurde uns nach der besagten Lektüre klar, dass wir weder über die technischen Gerätschaften noch über das nötige Expertenwissen zur Bearbeitung des Antrags verfügten. So trafen wir uns im nunmehr verwaisten Büro unserer Schule, das zum Glück mit allem Notwendigen ausgestattet ist, und nach einem denkwürdigen Arbeitsprozess von mehr als einer Stunde schafften wir zumindest die erste Etappe, nämlich das Einscannen der erforderlichen Unterlagen und deren Speicherung. Die diesbezüglichen Hinweise des momentanen Büroleiters dazu variierten von Minute zu Minute , ein anderer Kollege hüpfte wie Rumpelstielzchen um den PC herum, ich selbst rang in stummer Verzweiflung die Hände, und nur unsere hilfsbereite Kollegin blieb gelassen.
Glauben Herr Bouffier und sein Superminister Al Wazir allen Ernstes, dass die ca.1,2 Millionen Freiberufler und kleinen Selbstständigen – von der Reinigungskraft oder Küchenhilfe bis zum Kellner – in der Lage sind, erfolgreich diese Soforthilfe zu beantragen? Unser gemeinsames Fazit: „Die“ (da oben) wollen es allen kleinen Selbstständigen möglichst schwer machen, diese finanzielle Hilfe abzurufen!!!!!!!!!!
Dieses Procedere der Antragstellung ist unmenschlich und undemokratisch!!!
Dies war der erste Streich und der zweite folgt – nicht sogleich! Die zweite Etappe der Antragstellung mit Angaben u.a. zum Liquiditätsengpass (meine Kollegin: „Was ist denn das?“), zur Steuernummer etc. kann heute, am Tag 2 der Antragstellung (31.1.20 um 14 h), noch nicht starten: Die entsprechende Seite ist noch nicht freigeschaltet, da die Server überlastet sind!

Janine Aranda, Frankfurt

fr-debatteUnbürokratisch auf Hessisch

Hessen: „Ansturm auf Soforthilfe erwartet“, FR-Regional vom 26. März

Montagmorgen, 30.3.2020 um acht Uhr: Ich mache mich im Internet kundig und lade die Dokumente herunter; Ich komme auf 17 (!) Blatt Papier „unbürokratische und schnelle“ Soforthilfe auf hessisch. Ich ahnte es. Zahlreiche Dokumente sind beizubringen. Alles geht nur auf elektronischem Wege; eine zweiseitige „FAQ Coronahilfe – Ich habe keinen Scanner“ hilft den „rückständigen“ Soloselbständigen weiter. Hochsensible Daten werden dann dem Internet unverschlüsselt anvertraut. Der Ansturm wird zu einer Server-Überlastung führen (ein entsprechender Hinweis findet sich auch in den Antrags-Unterlagen). Tröstlich: Der Corona-Sofort-hilfe-Antrag kann bis zum 31.Mai gestellt werden, und das auch auf dem altertümlichen Fax-Weg. Die Fax-Nummer wird dann auch geliefert sein. Ich kann nicht einmal grimmig lachen.War es das, was der hessische Finanzminister Dr. Thomas Schäfer als Enttäuschung der Vielen voraussah?

Thomas Ewald-Wehner, Nidderau

fr-debatteVerhindern von Missbrauch liegt im Interesse aller

In wie viel Ländern der Welt gibt es eine ähnlich großzügige Hilfe auch für Selbständige? Es werden nicht viele sein. Dennoch wird auf allen Plattformen geschimpft über nicht erreichbare Server, Papierkram, Arbeit etc. Was hat man denn erwartet? Dass jeder locker 10.000 Euro auf das Konto bekommt ? Hier wird sehr großzügig Geld vergeben; dann sollte es doch zumindest möglich sein, ein paar wenige Fragen zur Unternehmung zu stellen. Das Verhindern von Missbrauch liegt im Interesse Aller. Auch ist klar, dass ein Zugang ins System an einem Tag, an dem alle „losrennen“, überlastet ist. Wer nicht einmal 2 Tage warten kann, hat Fehler gemacht. (z.B. schon im Vorfeld mit evt. Gläubigern reden) Wer verblüfft schaut, dass er nur die tatsächlichen Aufwendungen erhält, hat sich vorher nicht richtig informiert. Wer sich über das „scannen“ aufregt, hat in der umfangreichen Erklärung nicht gelesen, dass auch die Möglichkeit der Fotoweiterleitung besteht. Ich selbst habe einem Freund beim Antrag geholfen; es war sehr ausführlich erklärt. Wir jammern auf einem extrem hohen Niveau, unser Anspruchsverhalten kennt keine Grenzen.

Ulrich Grein, Bad Vilbel

fr-debatte

Vielen Dank für den Artikel. In der Tat werden viele Soloselbständige von den Soforthilfen des Landes nicht erfasst, und erhalten somit auch nicht die dringend benötigte Hilfe. Als freischaffende Trainerin, Coach und Beraterin erlebe ich seit dem 13. März fast nur Stornierungen bzw. Verschiebungen von Veranstaltungen und Terminen, was meine Kunden übrigens ebenso bedauern wie ich. Ich habe mein Büro in der eigenen Wohnung, führe meine Seminare in der Regel in den Räumen meiner Kunden durch, lease weder Auto noch teures Equipment und habe dadurch wenig laufende Kosten. Aber einen massiven Liquiditätsengpass, weil die Honorare ausbleiben! Das teilt meine Zunft der Beratenden mit den Künstlerinnen, mit all jenen, die nicht viel Platz und Equipment benötigen, aber jetzt natürlich einen Liquiditätsengpass haben, durch Lebenshaltungskosten, die schiere Existenz. Unsere Bitte an die Ministerin: Verehrte Ministerin Dorn, bessern sie an dieser Stelle nach, denn auch wir tragen durch Steuern und Abgaben zum Wohlstand dieses Landes bei und sind, wie viele andere, unverschuldet in einer schwierigen Situation. Und brauchen jetzt eine Hilfe zur Überbrückung.

Susanne Marx, Wiesbaden

fr-debatte

Verwandte Themen

6 Kommentare zu “Unverschuldet in schwieriger Situation

  1. Sehr geehrte Damen und Herren,
    vor über einer Woche habe ich für unser Unternehmen beim zuständigen Regierungspräsidium in Kassel einen Antrag auf Corona Soforthilfe wegen akuter Liquiditäts Problemen gestellt.
    Seitens der Bundesregierung wurde uns Unternehmern zugesichert sofort und unbürokratisch Geld zur Verfügung zu stellen. Wir als Unternehmen haben so gut wie keine Aufträge mehr und offene Rechnungen werden nicht beglichen da auch diese Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten sind. Andere Bundesländer haben die Vorgabe der Regierung 1:1 vorbildlich umgesetzt, die meisten Länder sind quasi damit bereits durch. Hierunter sind Erzkonservative Regierungen wie die in Bayern und NRW. Alleine der Antrag und das Antragsprozedere war und ist in Hessen alles andere als unbürokratisch. Es ist vielmehr eine Zumutung und alles andere als zeitgemäß und vor allem wie so oft weit vorbei an den gemachten Versprechungen.
    Ich habe diverse Email Adressen seitens der IHK Frankfurt erhalten an die ich mich beim Regierungspräsidium melden soll. Daraufhin habe ich 5 Emails geschrieben und nie eine Antwort erhalten. Ich weiss bis heute nicht einmal ob unser Antrag angekommen ist. Das gibt das hessische System nicht her. Anrufe an das zuständige Regierungspräsidium verlaufen ins Leere. Eine Ablehnung kann es ja ausser im Betrugsfall kaum geben. Gestern noch äußerte ja Herr Al-Wazir :“ Jeder kleine Gewerbetreibende habe Anspruch auf betriebliche Soforthilfe.“
    Eine weitere Möglichkeit schnell an flüssige Mittel heranzukommen, bot sich vermeintlich durch die angebliche Möglichkeit sich beim zuständigen Finanzamt seine Sondervorauszahlung 2020 zurück zu holen. Diesen Antrag sollte man doch am besten via Elster unbürokratisch stellen. Auch das haben wir am 11.03.2020 getan. Bis heute gab es weder eine Antwort, geschweige denn einen Cent. Auch beim Finanzamt ist niemand erreichbar. Wie sich herausstellt sind alle Finanzämter allerdings seit Wochen geschlossen. Also auch eine Mogelpackung….
    Ich frage Sie nun: Wo sind unsere zugesicherten finanziellen Hilfen? Warum dauert dass in Hessen so lange und geht in vielen Bundesländern sehr schnell? Warum wurde das Antragsprozedere nicht wie versprochen „unbürokratisch“ gehandelt? Eigentlich müsste ich nun rein vom Gesetz her Insolvenz anmelden, gilt das Insolvenzrecht noch?
    Im insgeheimen rechne ich aber mit einem faulen Osterei.
    Sophia Willinek, Bambule Mediengestaltung & Handels UG

  2. Obwohl ich mich seit über 50 Jahren vehement für rasche und wirksame Hilfe für alle einsetze, die in eine Notlage geraten sind, verwundert mich die offensichtliche Naivität mancher Selbstständigen.

    Denn wer eine kleine Einzelfirma gründet, bedarf auch eines bürotechnischen Equipments (Telefon- und Internetanschluss, PC plus Software, Drucker, Scanner). Und er/sie darf die ordnungsgemäße Buchführung samt umfassender Dokumentenablage nicht hinten anstellen. Ebenso gehören Finanzplan, Risikoanalyse und Strategien gegen typische Probleme in den Businessplan. Ich musste mehrfach den wirtschaftlichen Ruin von zwar künstlerisch hoch talentierten, aber kaufmännisch völlig unerfahrenen Menschen mitansehen und besaß keine Möglichkeit des Eingreifens.

    Deswegen habe ich Existenzgründern im publizistischen Bereich (Buchhändlern, Kleinverlegern, Autoren, Lektoren, Grafikern, Fotografen, Marketing- und Werbefachleuten) immer geraten, nur dann den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen, wenn sie über ein ausreichendes finanzielles Polster verfügen. Als Faustformel empfahl ich, ein Jahr auch ohne nennenswerte Einnahmen überleben und trotzdem Renten- und Krankenversicherungsbeiträge, Mieten, Steuern und Abgaben sowie den persönlichen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Falls es dann trotzdem schief ginge, stünden sie zumindest ohne einen Schuldenberg da.

    Die Geschäftsideen eines beträchtlichen Teils der Soloselbstständigen scheinen hingegen von unkalkulierbaren Risiken geprägt zu sein, was jetzt in der Corona-Krise deutlich wird. Es hat den Anschein, dass viele bereits beruflich gescheitert und in die Selbstständigkeit geflüchtet waren. Allein die stellenweise Hilflosigkeit im Umgang mit Anträgen und Behörden deutet darauf hin. Möglicherweise sind das noch Spätfolgen von Schröders Agendapolitik. Ich-AG und Soloselbstständigkeit scheinen dieselben politischen Väter zu haben. Eine Soforthilfe von 10.000 Euro wird einen Minibetrieb, der von der Hand in den Mund lebt, nicht retten können. Stattdessen könnten Hilfe zum Lebensunterhalt plus Übernahme der Wohnungsmiete plus Krankenversicherung (also Hartz IV) und berufliche Eingliederungsmaßnahmen ein Zurück aus der Einbahnstraße ermöglichen, die letztlich nur ins Elend führt.

    Die Lage der Soloselbstständigen unterscheidet sich völlig von der solcher Betriebe, die eine wirtschaftliche Solidität nachweisen können, aber durch kaum beeinflussbare äußere Bedingungen zwar in eine Liquiditätskrise geraten, aber grundsätzlich überlebensfähig sind. Hier scheinen Hilfen zur Selbsthilfe (nichtrückzahlbare Zuschüsse, günstige Kredite) das Mittel der Wahl zu sein. Unbestritten notwendig ist auch das Kurzarbeitergeld.

  3. Das Thema Unverschuldet wird nicht lange tragen. Unverschuldet sind wir alle. Soloselbständig ist unter Umständen ein zusätzliches Problem. Das ist aber z.B. bei einem Friseur etwas anderes als bei einem Tänzer. Wenn man sieht was die Lufthansa macht werden auch vielleicht sogar Piloten zu einem Berufsstand von dem es einige auf Dauer schwerer haben werden wie ein Friseur und am Flughafen sind nicht alle Piloten. Ich denke die Pandemie wird Lebensentwürfe für viele unverschuldet ändern. Das beim Staat abladen wird nicht gehen. Er kann letztlich nur über die Sozialsysteme das Schlimmste verhindern.

  4. Wer fordert muss zahlen, schreibt Tobias Peter. Doch wer fordert und wer zahlt eigentlich? Nirgendwo in der gegenwärtigen Berichterstattung und auch nicht in dem Kommentar wird erwähnt, wie Löhne und Lohnerhöhungen zustande kommen. Es wird immer der Eindruck erweckt als sei der Staat gefragt, statt darüber zu informieren, dass nur gut organisierte Belegschaften überhaupt in der Lage sind, ihre Forderungen gegenüber den Arbeitgebern durchzusetzen.

    Noch niemals in der Geschichte wurde den Beschäftigten etwas geschenkt; Verbesserungen mussten stets mit den Gewerkschaften erkämpft werden. Insofern ist die erste Forderung an die betroffenen Kolleginnen und Kollegen selbst: organisiert euch in eurer Gewerkschaft, damit ihr nicht betteln müsst, sondern für eure Rechte und gute Tarifverträge kämpfen könnt. Und dann darf man gespannt sein, ob diejenigen, die heute die systemrelevanten Beschäftigten bejubeln und beklatschen, auch dann noch applaudieren, wenn die Kolleginnen und Kollegen für ihre Rechte streiken!

    Und die Politiker sollten nicht nur euphorisch danken, sondern die Beschäftigten aufklären und auffordern, Gewerkschaftsmitglied zu werden, damit das auch was wird mit der Lohnerhöhung und den besseren Arbeitsbedingungen. Und die Regierung muss endlich dafür sorgen, dass Tarifverträge in Kleinbetrieben für allgemeinverbindlich erklärt werden, es den Arbeitgebern verboten wird, Mitglied in Arbeitgeberverbänden zu sein ohne Tarifbindung, dass das Befristungsunwesen endlich beendet wird, damit die Leute nicht weiterhin schneller wieder aus dem Betrieb verschwunden sind, bevor sie überhaupt die Chance bekommen, für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen usw.
    Es gibt Besseres und vor allem Wichtigeres zu tun als zu applaudieren, denn wie gesagt: der Lohn fällt nicht vom Himmel.

  5. Ich bin mir nicht ganz sicher ob ich das Thema hier aufgreifen sollte. Es betrifft mich selbst aber auch eine Person aus meinem Umfeld die als Soloselbstständige arbeitet. Warum wird bei den neuen Regeln überhaupt nicht auf Leute eingegangen die Corona überwunden haben? Für diese Personen müssten doch andere Regeln gelten als für Leute die das noch nicht haben. Dazu kann man aber auch gar nichts lesen oder hören. Zum Beispiel könnte auch ein Fitnessstudio für solche Leute wieder aufmachen oder eine alleinarbeitende Frisöse hätte letztlich kein Problem wenn sie immer nur einen Kunden in ihren Salon lässt. Die Anzahl der Leute die geheilt sind wird ja auch immer größer. Warum erschließt man dieses Potential nicht?

  6. Sehr geehrte Damen und Herren,
    diesmal schicke ich Ihnen keinen klassischen Leserbrief, sondern eine Erzählung.
    Mit freundlichen Grüße, Thomas Fix

    Zehn Jahre ist das Virus nun schon da und hat mehr Künstlern das Leben gekostet als alle Epidemien vorher. Allein die Selbstmordrate von Künstlern in Deutschland war seit 2020 auf mehr 300 Menschen aller Genres gestiegen. Bei den Kulturschaffenden waren es mehr als 500 Suizide. Immer im Hintergrund hört Rafael den Popsong “ I am in love with a german filmstar“ auf einer fast zerkrazten CD der 1990er Jahre auf einem uralten CD-Player.

    Rafael, Student der Filmwissenschaften, geht mit seinem Mundschutz durch die Straßen Berlins. Alles ist offen, die Gastronomie erholte sich schnell, neue Einkaufszentren sprießen wie Unkraut aus dem Boden, keine Abstandsregeln, keine Kontaktverbote mehr, nur wenige Tote (2 bis 3 in Europa im Jahr!), die Gesellschaft scheint zu einer gewissen Normalität zurückgekehrt zu sein, dass einzige, was noch an die Corona-Gesellschaft erinnert, sind die Mundschutze und die vielen leeren und verfallenen Kinos, Theater und Bibliotheken. 2022 wurde Netflix ins Kabelnetz eingespeist, 2023 wurde alle kritischen Kunstwerke aus Film, Musik, Literatur, Theater und bildender Kunst vom Staat konfisziert, sofern sie nicht Seuchen zum Thema haben oder sich auf reine, belanglose Unterhaltung beziehen. Schlager und Volksmusik sprießen aus dem Fernsehen, Harry Potter und Game of Thrones erleben ihre X-tausendste Wiederholung und Rosamunde Pilcher und Uta Danella gehören in Deutschland zu den bekanntesten Promis, mit 99 % Bekanntheitsgrad. I am in love with a german filmstar.

    Rafael sucht bei Netzflix verzweifelt nach Stummfilmen aller Art, (Diese Art von Filmen, die Du suchst, ist verboten!) zeigt ihm ein Schild an. Dasselbe bei Filmen von Rainer Werner Fassbinder, Werner Schroeter, Rosa von Praunheim, Manoel de Oliveira, Michael Moore und vielen anderen. Seine Magisterarbeit in Filmwissenschaften wollte er ursprünglich über Marlene Dietrich und die Bedeutung von Humanismus im deutschen Film schreiben, verboten, wie der Professor sehr freundlich sagt. Er könne nur zwischen dem Thema „Rosamunde Pilcher“ oder „Der deutsche Volksfilm der 1990er Jahre“ wählen. Der Kanzler hat Kultur als sinnlosen Schnörkel bezeichnet und vor allem den Konsum nach der Coronakrise als Trost für all die Last der harten Jahre bezeichnet. „Kauft, kauft, liebe Mitbürger!“ schallt es allenthalben durch Fernsehen und Internet. Das klassische Radio ist auch abgeschafft, gibt es nur noch im Internet als Dudelsender deutscher Volksmusik und Schlager. Helene Fischer wird zur „Göttin deutscher Musik“ gekrönt. Ein paar Pet Shop Boys-Fans demonstrieren vor der Halle der Gala, doch die Polizei kommt, nimmt sie mit und sie werden nie wieder gesehen. I am in love with a german Filmstar.

    Die Welt ist eine ganz andere, vor allem ohne Kultur und Religion. Auch die Kirchen dürfen nicht mehr öffnen, weder katholisch, evangelisch, orthodox noch jüdisch oder muslimisch. Auch wenn es 2020 zarte Wiedereröffnungsversuche gab, war das nur für eine kurze Zeit. Stattdessen muss man Eintritt zahlen für die Besichtigung aller Kirchen, Priester müssen alleine den Gottesdienst fürs Fernsehen halten, Polizeibeamte achten im Hintergrund (man sieht sie kurz in der Ecke stehen), dass sie nichts gegen das Corona-Fieber und die Maßnahmen predigen. Vier Priester wurden schon festgenommen und ein Bischof zu 80 Jahren Haft in diesem Neuen Deutschland verurteilt. I am in love with a german filmstar.

    Corona hat stattdessen auch die Kunst- und Kulturwelt völlig verändert, gleichzeitig aber auch lieblos, distanziert und entmenschlicht. Künstliche Intelligenz dreht nun eigene Filme und malt live im Fernsehen Bilder zum Mitmachen für jedermann. Konzerte und Lesungen finden statt, aber nicht mehr mit lebenden Autoren, sondern als Hologramm. Tausende jubeln diesen zu. Shakespeare hält Lesungen als Hologramm, Michael Jackson gibt vor 500.000 Menschen wieder Konzerte- als Hologramm. Salvadore Dali malt live, wirbt ein spanischer TV-Sender- mit dem Hologramm und vor Zuschauern! Nix mehr mit Abstandsregeln und Corona. I am in love with a german Filmstar.

    Einige wenige Studeten versuchen immer wieder mit Piratenaktionen, echte und richtige Kultur in die Welt zu bringen. Bei Zoom lesen zwei Studenten der Literaturwissenschaften aus den Werken von Ronald M. Schernikau, Bert Brecht und Erich Mühsam, doch sie werden überrannt von Fremden, die sich einklinken und rund vierzig Leute, die Werke von Goethe, Ernst Jünger, Carl Schmitt vortragen und die beiden übertönen. Rafael und ein Freund halten einen Vortrag auf Youtube über den Schauspieler Conrad Veidt, als die Plattform auf Druck der Polizei das Video herunternehmen muss und die beiden auf eine Wache einbestellt werden. I am in love with a german filmstar.

    Die Menschen, die noch die Livekultur kannten und mochten, sind vernichtend gering. Konsum, Hologrammismus, Künstliche Intelligenz, Nationalismus und Kulturbevormundung bestimmen den Alltag. Corona heißt Krone, ja dieser Virus ist die Krone der Kulturzerstörung, es hat nun geschafft, den Rest an Menschlichkeit aus der Gesellschaft zu tragen. Rafael ist tot, auch er hat Suizid begangen. Er wollte nicht mehr in einer so engen und geistlosen Gesellschaft leben. I am in love with a german filmstar.

Kommentarfunktion geschlossen