“Schwuchtel-Parade”

Ein Stückchen unten hier im Blog wurde schon mal über das Thema Diskriminierung gesprochen, in jenem Fall der von Schwarzen. In die gleiche Sparte fällt die Diskriminierung von Lesben und Schwulen. Gerade hat man erleben dürfen, dass homosexuelle Menschen es in anderen Ländern schwerer haben als in Deutschland: Der Grünen-Politiker Volker Beck holte sich bei einer nicht genehmigten Demonstration in Moskau eine blutige Nase. Für den CDU-Politiker Andreas Schockenhoff Anlass zur Kritik an Beck: Der habe nur eine Schlagzeile für sich gewollt. Doch es hat sich etwas getan in Deutschland, denn ein anderer CDU-Politiker, Ruprecht Polenz, fällt Schockenhoff in den Arm: „Dass die Demonstration nicht angemeldet war, macht die Teilnehmer nicht zu Vogelfreien.“ Und die Bild-Zeitung reihte Schockenhoff unter die Verlierer des Tages.

Zu diesem Thema erreichte uns eine Vielzahl von Zuschriften unserer Leserinnen und Leser, die mich nachdenklich machen. So schreibt uns Gunter Schirmer aus Leipzig:

„Das hat noch gefehlt. Herr Beck versucht eine Regierungs-Initiative auszulösen. Nur weil er es nicht lassen konnte, trotz eindringlicher Warnung an dieser Demo teilzunehmen. Wenn er meint, seine Geschlechtsgenossen unterstützen zu wollen, dann ist dies sein Privatvergnügen. Oder hat er den Auftrag dazu gehabt? Ich hoffe nur, dass die Regierung dieses Unternehmen so sieht, wie es sicher von Herrn Beck gedacht war: Eine Aktion der Selbstdarstellung. Dass er dabei Pech hatte und eine aufs Maul bekommen hat, ist sein Risiko. Er soll doch froh sein, ohne diesen Kratzer wäre nie bekannt geworden, dass er bei dieser Schwuchtel-Parade dabei war.“

Dr. Thomas Fasbender aus Moskau bringt russische Perspektive ins Spiel:

„Man staunt ja doch, mit welcher Dreistigkeit wir Deutschen es wieder fertigbringen, uns in das innere Gefüge der russischen Gesellschaft und ihrer Traditionen einzumischen. Vor 65 Jahren sind wir mit Millionen Soldaten angerückt und haben Herrenmenschenrechte verkündet, heute kommt ein Grünenpolitiker allein und verkündet Menschenrechte. Aus Moskauer Sicht wird der Unterschied nicht ganz klar. Auch wenn dahinter die ganze Medienlandschaft aufmarschiert, weil, wie in der FR geschrieben, das „Erkämpfen von selbstverständlichen Minderheitenrechten oft internationalen Flankenschutz braucht“. Den internationalen Flankenschutz für die selbstverständlichen Herrenmenschenrechte sicherten früher die Hiwi-Soldaten aus Rumänien, Italien und anderen verstreuten braun eingefärbten Staaten. Für die Menschenrechte in der glorreichen grünen Gegenwart übernimmt das die politisch korrekte Journaille. – Als Deutscher in Moskau darf ich mich der Meinung meiner russischen Freunde anschließen: Solcherart Belehrung möge man sich sparen. Das kommt hier weder gut an, noch wird es fruchten. Man kann sich glücklich schätzen, wenn es dabei nur zu blutigen Nasen kommt. Vor 65 Jahren wäre es für Hr. Beck weniger glimpflich ausgegangen! “

Arnold Rekittke aus Holzminden meint hingegen:

„Was der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Schockenhoff da sagt, ist eine Billigung der permanenten Menschenrechtsverletzungen im Russland Putins. Oder wie ist es zu verstehen, wenn er meint, man solle sich auf die Gegebenheiten das Gastlandes einstellen? Dann also weiter die Augen vor dauerhaftem Morden durch Armee und Polizei in Tschetschenien verschließen? Und dann liegt das wohl für ihn in der ‚russischen Seele‘, auf andersartige Menschen einzuschlagen. Sozusagen Lokalkolorit. Wenn russische Behörden die Grundrechte der Meinungsfreiheit und der Gleichberechtigung unabhängig von Geschlecht, ethnischer oder geschlechtlicher Identität ignorieren, ist dies nicht zu tolerieren. Hier würde dem Herrn Schockenhoff als stellvertretendem Fraktionschef der Union anstehen, aufzustehen und zu protestieren. Grundrechte gelten für alle. Dies sollte er als gewählter Volksvertreter wissen. Und nicht die angreifen, die demokratische Grundrechte und -tugenden verteidigen.“

Ich meine: Wenn Lesben und Schwule in Deutschland und anderswo sich stets an die Sitten und Gebräuche gehalten hätten, die jeweils als bindend erachtet wurden, dann hätten wir heute noch Adenauer-Klima. Und das wäre nicht gut so.

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7 Kommentare zu ““Schwuchtel-Parade”

  1. Ob Herr Beck wohl auch im Iran oder gar Saudi Arabien demonstrieren würde?
    Ich glaube zu meinen „NEIN!“, denn er kann gewiß das Risiko kalkulieren.
    Dennoch wäre er und seine Partei in der Sache „Diskriminireung“ glaubhafter, wenn von diesen endlich einmal das Thema „Islam und Homosexualität“ diskutiert werden würde – aber bezüglich des Islam und dessen Ableger in Europa, halten sich die Grünen ja „stets an die Sitten und Gebräuche“ dieser, wohl doch extrem Homosexuellen und Demokratie feindlichen Religion bzw. treten für deren Rechte ein.

  2. @ Wilhelm:

    Es macht die eigene Schlechtigkeit nicht besser, wenn man auf die Schlechtigkeit anderer verweist. Im Übrigen ist homosexualität in zahlreichen islamischen Ländenr zwar kein Thema, aber dennoch verbreitet. Allerdings darf sie nicht offenbar werden, da dies dem Männlichkeitskult dieser Kulturen nicht förderlich wäre. Andererseits stellt sich mir die Frage, ob nicht gerade dieser Männlichkeitskult Homosexualität in diesen Kulturen fördert. Ach ja, mit Adelgunde Mertensackers nationalistischer Splitterpartei „Christliche Mitte“ haben wir mitten unter uns kranke Köpfe, die einerseits solche Flugblätter verbreiten und andererseits solche Ziele verfolgen:

    Die Ziele der Partei sind unter anderem die strafrechtliche Verfolgung von Abtreibungen als Mord, die Strafbarkeit von Homosexualität und jeglicher Form von Pornografie, der Verzicht auf Atomenergie, die Abschaffung der Massentierhaltung und ein Verbot des Sexualkundeunterrichts an den Schulen. Die Partei wendet sich auch gegen Astrologie, Okkultismus und andere Formen von Esoterik, wozu auch Romane wie J.K. Rowlings Harry Potter gerechnet werden.

    Wenn immer wieder nur alle mit dem Finger auf andere zeigen, bewegt man sich nur im Kreis.

    MfG

    Daniel

  3. Wenn Sie mit links und rechts gleichzeitig richtig Ärger haben wollen, dann nennen Sie doch einfach mal die SA die größte deutsche Schwulenorganisation aller Zeiten.

    😉

  4. tja, da kann man wieder nur staunen, was zunächst unbeteiligte menschen und medien aus so einem vorfall machen und wie jeder damit versucht, medienwirksam symphatie auf der einen oder anderen seite zu gewinnen.
    echt peinlich und total am kern der sache vorbei.

    egal gegen oder für was da demonstriert wurde, die gewaltanwendung passt nicht in ein land das sich mit europa messen will und die großen geschäfte macht oder machen will und dabei auch nicht danach fragt, ob das geld schwul, lesbisch oder hetero verdient wurde.

    gleiches sollten sich all die neuen „europa staaten“ gleich vor den euphorischen beitritten zu EU überlegen, ich denke da zum beispiel an polen. wer mitmachen will, muss in der lage sein, sich schnell an die in europa herrschenden freiheiten anzupassen oder in seiner bisherigen weltanschauung, zusammen mit denen die so etwas auch gut finden vor sich hindümpeln. es kann nicht sein, dass wir irgendwann in europa unsere freiheiten zurückstecken müssen, damit ein fortschritts- und respektloser multi kulti profitbringend expandieren kann.

    ich finde es dann doch ganz gut, dass leute die aufenthaltserlaubnisse oder staatsbürgerschaften aus europa erwerben wollen, vorher gewisse fragen nachhaltig und unmissverständlich im sinne unserer europäischen freiheiten und verfassungen beantworten müssen. das sollte man auch für firmen einführen die sich hier niederlassen wollen.

    in diesem sinne, haben wir alle eins auf die nase bekommen und sollten uns überlegen wie das passieren kann und ob da nicht von unseren polikern meist viel zu weiche worte (vielleicht auch nicht im sinne des volkes das sie vertreten) gesprochen werden und zum vorteil des kapitalismus zu oft die augen freiwillig zugekniffen werden damit man beim geschäftemachen nicht eins aufs auge bekommt. die blutige nase von herrn beck ist in dieser dimension ja nur ein ach so bedauerlicher einzelfall….

  5. ich finde die meinung von Thomas Fasbender sehr interessant. Er wirft nämlich für mich zwei fragen auf:
    1. dürfen wir aufgrund unseres historischen Hintergrunds wirklich nicht einmischen in angelegenheiten anderer Länder?
    2. Mischen wir uns als deutsche in die russische „homosexuellen-debatte“ ein, oder als europäer?

    ob es reiner schlagzeilenaktionismus war, oder ernsthaftes politisches Handeln sei dahingestellt, aber wenn einer in europa auf europäische missstände aufmerksam macht, dann kann ich das nur befürworten.

  6. Der Muslim-Markt geht davon aus, dass ihm und seinen Mitgliedern hier in Deutschland Gesetzeskonformität abverlangt würde, während die gleichen, die hier unqualifiziert herumblöken, in Person von Volker Beck in Russland selbst gegen Gesetze verstoßen dürften. So ganz verknappt, aber wohl nicht ganz verkehrt ausgedrückt.

    Insofern ist es auch anderswo daher natürlich völlig rechtens, wenn ein Mensch, der mit der Bibel in Tasche zum Beispiel in Riad landet, auch in einem saudischen Knast kommt. Nur so zum Beispiel. Denn Gesetze sind Gesetze!

    Und das sind sie eben nicht. Denn es gibt gute und schlechte Gesetze.

    Der Teufel ist bekanntlich ein Eichhörnchen und versteckt die Nüsse gern in den ganz kleinen Astlöchern. Hier ist es das Problem der Gleichsetzung von Recht (im Sinne von „richtig“) und Gesetz.

    In Europa geht es uns um Werte und Prinzipien: Um Meinungsfreiheit, um Minderheitenschutz usw. Das sind unsere Prinzipien, unsere Art zu denken, unsere Philosophie, unsere Kultur – aber nicht Dinge, die in dicke Gesetzbücher gegossen sind. Die Texte zum Thema finden sich dagegen bei Kant, bei Voltaire, auch bei Harald Schmidt. Gesetze sind bei uns Ableitungen aus diesen, unseren demokratischen Prinzipien.

    Der Bastille-Sturm, die Schüsse im Petersburger Winterpalais, die Boston-Tea-Party, die Montagsdemonstrationen – alles das waren Gesetzesverstöße. Leute sind auf die Straße gegangen, haben gesagt: „Scheiß auf Gesetze!“ – und wurden zu Helden. Der Muslimmarkt vertritt dagegen im Grunde eine richtige Spießer-Moral: „Is doch noch immer jot jange, Dschunge! Mach et so, wie’s alle machen! Warum machst du dir ’nen Kopp? Hör auf die Tradition! Lies den Koran.“

    Bißchen dürftig – finde ich. Haben die denn keine Denker da?

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