Der EuGH und die Dumpinglöhne

Bund und Länder dürfen die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht daran knüpfen, dass die Auftragnehmer ihren Angestellten ordentliche Löhne zahlen. So hat der Europäische Gerichtshof nun überraschend geurteilt. Konkreter Fall: der Bau einer Justizvollzugsanstalt in Göttingen. Das ausführende Unternehmen hatte sich zur Zahlung der Tariflöhne verpflichtet, ein polnischer Subunternehmer jedoch beschäftigte seine Leute für weniger als die Hälfte. Daraufhin hatte das Land Niedersachsen, das das Landesvergabegesetz nicht eingehalten sah, eine Vertragsstrafe erhoben, gegen die das Unternehmen vor den EuGH zog. Ergebnis: Der EuGH kippte das Landesgesetz mit der Begründung, der betreffende Bautarifvertrag sei in Deutschland nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden. (Az C-346/06). Die FR kommentiert: „Unfairer Wettbewerb in Europa„.

Dazu FR-Leser Dieter Hooge aus Frankfurt:

„Das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in Luxenburg spricht Unrecht. Das Tor zur Förderung von Lohn-und Sozialdumping in den europäischen Ländern wird weiter aufgestoßen. Man kann das auch Klassenjustiz nennen, denn es folgt einer in der europäischen Politik vorherrschenden Logik.
Die einheitliche Verabschiedung der EU-Verfassung ist nur scheinbar gescheitert. Der neoliberale Geist dieses Projekts, die Revitalisierung des Manchester-Kapitalismus, hat die politische Klasse fast aller Mitgliedsländer mehr oder weniger durchdrungen. Die Hauptakteure Frankreich, England und nicht zuletzt Deutschland sind die Motoren dieser Entwicklung. Die meisten neuen Beitrittsländer folgen mehr oder weniger willig! Die EU-Kommission erweist sich immer wieder aufs Neue als verlässliche Lobby des großen Geldes und des freien Unternehmertums in Europa. Seltsam still ist es in Brüssel bei Baroso, Verheugen & Co. wenn es um Ideen und Initiativen für ein soziales Europa geht. Man kann den Eindruck haben, daß sie sich dafür garnicht zuständig fühlen.
Deswegen haben Urteile des EuGH auch ihre Logik. Die Damen und Herren Richter urteilen im Sinne des europaweiten neoliberalen Mainstreams und nicht im luftleeren Raum. Sie sprechen kein Recht sondern Unrecht, sie urteilen, wie am 3. April 2008, für Tarifuntreue statt Tariftreue. Sie urteilen nach bestimmten europäischen ‚Gesichtspunkten‘.
Die Europaverdrossenheit der Massen in den Ländern des Kontinents ist mit Händen zu greifen. Die Richterinnen und Richtern in Luxenburg, in ihren farbigen Roben, haben dem noch mal neuen Schub verliehen. Die europäischen Wirtschafts-Union wird immer massiver zementiert, die Sozial-Union zerbröselt. Verbale Proteste der Gewerkschaften (Wiesehügel spricht von Raubtierkapitalismus) helfen da nicht mehr. Angesagt ist eine gemeinsame, permanente gewerkschaftliche Gegenmacht allen Ländern der EU. Die ist von Fall zu Fall möglich gewesen. Zum Beispiel beim Ziehen der neoliberalen Giftzähne der Entsenderichtlinie. Noch ist es die Ausnahme, wann wird es endlich zur Regel?“

Ullrich F.J. Mies aus Vaals (NL):

„Hier zeigt das marktradikale Europa seine hässliche Fratze. Und bei Licht besehen wird sie noch sehr viel hässlicher, dann nämlich, wenn die Details des so genannten Reformvertrages ans Licht der Öffentlichkeit gelangen.“

Den Kommentar von Christine Skowronowski nimmt Reinhard Gottorf aus Reinheim genauer unter die Lupe:

„‚Die Richter am EuGH haben schuld daran, dass es in Europa möglich ist, Menschen zu Hungerlöhnen zu beschäftigen. Sie bestrafen Unternehmen die sich …‘
Oberflächlich und populistisch ist dieser Kommentar. Der EuGH hat darüber zu entscheiden, ob die Regelungen des niedersächsischen Landesvergabegesetzes mit den Gemeinschaftsrichtlinien in Übereinklang steht oder nicht. Es hat aber nicht darüber zu entscheiden, ob Menschen zu Hungerlöhnen beschäftigt werden dürfen oder nicht. Nein, sagt das Gericht. Die Richtlinie ist klar und deutlich formuliert. Das Landesvergabegesetz widerspricht den von den Instanzen der Europäischen Gemeinschaft – unter intensiver Beteiligung der deutschen Bundesregierung und der parlamentarischen Gremien – erlassenen Dienstleistungsrichtlinie. Mehr nicht. Und weiter sagt das Gericht: Wenn ihr den Schutz vor Dumpinglöhnen wollt, müsst ihr im nationalen Bereich nur Tarifverträge für allgemein verbindlich erklären.
Die Dame der FR fragt nicht, wer und warum eigentlich diese Richtlinie, die solche Dumpinglöhne ermöglicht, erlassen und beschlossen hat. Sie fragt nicht, warum die Bundesrepublik Deutschland überhaupt einer solchen Richtlinie zugestimmt hat. Sie fragt nicht, was die Bundesregierung seit dem Inkrafttreten der Dienstleistungsrichtlinie 2006 getan hat, um die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen zu beschließen. Sie fragt auch nicht, warum ein solches Gesetz in Niedersachsen so schlampig und dilettantisch überhaupt beschlossen werden konnte, wo doch jeder wissen sollte, dass es das Gemeinschaftsrecht gibt. Oder waren die Juristen der beteiligten niedersächsischen Ministerien zum Zeitpunkt der Beratung über dieses Vergabegesetz gerade alle im Urlaub?
‚Die Entscheidung der Luxemburger Richter lässt einen erschreckenden Schluss zu: Das soziale Europa rückt in immer weitere Ferne‘. So steht es in der FR!
Der Spruch des EuGH zeigt ein mal mehr, dieses Europa ist allein den Interessen der neoliberalen Wirtschaftspolitik und deren Protagonisten geschuldet. Ein soziales Europa ist und war nie vorgesehen. Das haben alle Bundesregierungen, die jetzige und alle davor, so und nicht anders gewollt. Und das wird durch die Ratifizierung der Verträge von Lissabon noch schlimmer. Die wahren Schuldigen an dieser, jetzt eingetretenen Situation, sitzen nicht in Straßburg beim EuGH, nein, die sitzen in Berlin und heißen Merkel, Glos, Müntefering, Clement, Schröder usw. usw. Alle haben sie an solchen Regelungen mitgearbeitet und den Beschluss herbeigeführt. Auch Herr Wulf, dieser ach so um das Wohl der Bauarbeiter besorgte Ministerpräsident von Niedersachsen, war im Bundesrat mit beteiligt, diese Dienstleistungsrichtlinie in Kraft zu setzen.
Die Richter des EuGH machen nur das, was sie sollen. Sie wachen darüber, dass die Regelungen von denen auch eingehalten werden, die diese Regelungen beschlossen haben. Nicht kritisieren, nein loben muss man die Richter des EuGH. Sie gehören zu den Wenigen in Europa, die tatsächlich das machen, wofür sie da sind. Aber das steht heute nicht mehr in der neuen FR.“

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Ein Kommentar zu “Der EuGH und die Dumpinglöhne

  1. Dazu fällt mir nur das Zitat des Zauberlehrlings ein. Dachte hier wirklich jemand, die Öffnung des europäischen Arbeitsmarktes ließe sich durch eine staatlich verordnete Mindestlohnpolitik verhindern ? Das war auch nie gewollt. Man hatte sehenden Auges osteuropäische Billiglohnländer in die EU aufgenommen und mit Fördergeldern der Mitgliedsstaaten, wie und gerade D, produzierendes Gewerbe angesiedelt. Arbeitsplätze, die hier wegfallen. Und anschließend wird heuchelnd NOKIA Verwünschungen seitens der Politik hinterher geworfen. Wobei, ehrlich gesagt, jede Firma, die diese Möglichkeit hat auch nutzt.

    Bei folgendem Satz wird wohl mancher hier seinen Augen nicht trauen, aber ich bin ein äusserster Verfechter von Mindestlöhnen. Denn sie schützen deutsche Firmen und Arbeitnehmer auf dem deutschen Markt vor Dumpingangeboten. Denn: Wer hier Leistungen anbietet, der soll auch hier übliche Löhne zahlen. Löhne, die auch eine Stärkung der Binnennachfrage mit sich bringen.

    Aber die öffentliche Hand hat gar kein Interesse daran, vielmehr nützt ihr diese Verfahrensweise eher als daß es ihr schadet, auf den ersten, oberflächlichen Blick zumindest. Denn eine Polnische Firma, die hier ca. 30 % billiger bauen kann (trotz Mindestlohn, ich weiß) läßt auch polnische oder andere Osteuropäer hier arbeiten, und diese transferieren ihre Löhne in ihr Heimatland, und der deutsche Staat muß seine Arbeitslose über Hartz 4 ernähren. Also wird ihn dies teurer kommen, aber durch die föderalistischen Strukturen zahlt der Eine (Kommunen) die Rechnung, der andere die Zeche.

    Insofern verwundert mich dieses Urteil nicht. Sichert es doch den Status der BRD als Melkkuh der EU, nicht mehr und nicht weniger.

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