Religionsfreiheit ist auch die Freiheit, keiner Religion anzugehören

Das Problem zwischen Westen und Islam ist, dass beide Parteien nicht wissen, was „der Islam“ eigentlich ist. Ist er eine politische, ja vielleicht sogar faschistische Ideologie? Ist er eine Religion mit starkem Missionsdrang, wie er beispielsweise auch den römischen Katholizismus gekennzeichnet hat? Ist er eine Offenbarungsreligion, die den Erleuchteten privatissimo Anstrengungen auf dem Weg Gottes (Dschihad als innerer Kampf) auferlegt, um ihn fest im Glauben zu machen, oder setzt er die religiöse Erweckung ein, um Kämpfer zu rekrutieren (Dschihad als militärische Auseinandersetzung)? Oder ist er von allem etwas?

Es gibt auf diese Fragen keine klare Antwort. Er ist von allem etwas, und da es im Islam keine zentrale Glaubensbehörde wie etwa im Katholizismus gibt, gleicht er aus den Augen des Westens mitunter einer Art Gemischtwarenladen, in dem sich für jede Interessenslage etwas finden lässt, wenn man danach sucht. Du suchst nach Zitaten, die zum Mord an Ungläubigen aufrufen? Kein Problem, es gibt diverse Textpassagen im Koran, die Dein Bedürfnis befriedigen. Du suchst nach Zitaten, die zu Barmherzigkeit aufrufen? Ebenfalls kein Problem. Es gibt sogar ein Bekenntnis zur Religionsfreiheit im Koran, das überhaupt nicht zu dem Bild passt, dass Viele im Westen vom Islam haben:

„Sag: Ihr Ungläubigen! Ich diene nicht dem, dem Ihr dient, und Ihr dient nicht Dem, Dem ich diene, und ich werde nicht dem dienen, dem Ihr gedient habt, und Ihr werdet nicht Dem dienen, dem ich diene. Euch eure Religion, und mir meine Religion.“ (Sure 109, zitiert nach islam.de)

Religion ist Privatsache

abubakrIch mache es mir daher mal ein bisschen einfacher und hebe „den Islam“ auf das Level, auf das er meiner Meinung nach gehört: Er ist eine Weltanschauung. Jeder von uns hat eine Weltanschauung, die gleichberechtigt neben allen anderen steht. Sie ist im Wesentlichen die Privatangelegenheit jedes Einzelnen. Obwohl ich nie gründlich darüber nachgedacht habe, würde ich mich selbst z.B. als Agnostiker bezeichnen, denn ich halte die Frage, ob es Gott gibt, für nicht klärbar; aber ich halte es für möglich, dass es ihn — oder einen Gott — gibt, an den man dann eben glauben muss, wenn man ein Bedürfnis nach Transzendenz verspürt. Darüber hinaus bin ich ein Fan des Spaghettimonsters. Die Frage, ob es Gott gibt, interessiert mich nicht besonders. Viel interessanter finde ich die Frage, warum es uns im Westen, auch in Deutschland, immer weniger gut gelingt, die Tatsache zu akzeptieren, dass es unter uns Menschen gibt, die was anderes glauben, und dies nicht für eine Gefahr zu halten.

Insofern rate ich auch Ecevit Polat, Professor für Islamische Theologie, zu etwas mehr Gelassenheit. (Vielleicht sollte er mal dieses tolle Interview mit Matthias Horx lesen.) Polat ist Autor des kürzlich erschienenen Buches mit dem reißerischen Titel „Der Islam im Umbruch zwischen Tradition und Moderne“ und hatte sich in einem Gastbeitrag in der FR kürzlich gegen Angriffe von Islamkritikern zur Wehr gesetzt. Es könnte allerdings sein, dass er die Sache mit der Religionsfreiheit nicht ganz richtig auffasst, wenn er schreibt, dass Muslime ebenso wie die Mehrheitsgesellschaft Deutschlands „darauf aus sind, dass Institutionen wie Religion und Staat harmonisch und integral aufeinander bezogen sind“. Abgesehen davon, dass Religion keine Institution ist, sondern – wie gesagt – eine Weltanschauung, über die im Fall des Islam selbst unter Muslimen keine Einigkeit besteht; abgesehen davon also sind Grundgesetz und Religion nicht „integral aufeinander bezogen“, sondern das Grundgesetz regelt den Rahmen, in dem Religion in Deutschland gelebt werden darf.

Das Grundgesetz ist das, was es heißt: ein Gesetz. Muslime wie Christen in Deutschland können sich nicht aussuchen, ob sie danach leben wollen oder nicht. Das Grundgesetz versucht, die Dinge so zu regeln, dass ein möglichst harmonisches Miteinander möglich wird. Die Sache mit der Religionsfreiheit ist in Artikel 4 geregelt und steht in keiner Weise zur Disposition. Es ist nicht nötig, über ihn zu diskutieren, da er seinen Beitrag dazu geleistet hat, das Leben in Deutschland seit Inkraftsetzung des Grundgesetzes gut zu regeln. Davon haben über Jahrzehnte hinweg nicht zuletzt Muslime profitiert, die als „Gastarbeiter“ nach Deutschland kamen und ihren Glauben hier von Anfang an frei praktizieren konnten.

Das Horx-Interview empfehle ich übrigens generell immer mal wieder ganz gern. Darum gleich noch mal: –> HIER.

fr-balkenLeserbriefe

Hans-Georg Klein aus Frankfurt meint:

„Vielen Dank, Herr Polat, für die Aufklärung. Jetzt wissen wir, dass die Trennung von Staat und Kirche eine historisch junge Erscheinung mit fragwürdigen Wertmaßstäben ist. Zudem ist die Anzahl säkulärer Staaten im Weltmaßstand unbedeutend. Diese Staaten sind das Werk von „säkularen Extremisten“ mit dem Ziel, Religionen einen „harmonischen“ Zugriff auf staatliche Institutionen zu verwehren. Wir sollten endlich anerkennen, dass letztlich alle Religionen mit dem Grundgesetz kollidierten. Solche Thesen eines Professors für islamische Theologie bauen keine Ängste vor dem Islam ab, sondern fördern Vorbehalte.“

Anneliese Fleischamnn-Stroh aus Heilbronn:

„Als Professor sollte Herr Polat so weit mit den Gesetzen Deutschlands vertraut sein, dass ihm bekannt ist, dass das Gebot der Trennung von Staat und Kirche in der Weimarer Verfassung verankert, aber aus Feigheitsgründen gegenüber der Kirchenlobby seit fast 100 Jahren nie umgesetzt wurde. Auch über die Gründe für die Einzieung der Kirchensteuer durch den Staat scheint er schlecht informiert zu sein. Die Kirchensteuer sollte 1919 als Ortskirchensteuer vergangenheitsbezogen und ohne Beteiligung der Arbeitgeber oder des Staates erhoben werden. Die Kirchen konnten dies zu ihren Gunsten ändern und die Nationalsozialisten führten 1934 den Kirchensteuereinzug durch die Arbeitgeber als „staatliche Aufgabe“ ab dem 1.1.1935 ein. So hatte man schnell einen Überblick über die jüdische Bevölkerung – dies als Nebeneffekt. Der staatliche Einzug ist seit Nazizeiten unverändert.
Säkularismus als weltanschaulich junge Erscheinung zu bezeichnen, ist ebenfalls falsch. Bereits Kritias hat in Athen etwa 400 v.u.Z. erkannt, dass die Herrschenden die Götter erfunden hätten, die auf alles achteten, damit die Bevölkerung die Gesetze achtete. Diese Götter besäßen übermenschliche Erkenntnis und sähen alles. Sie seien im Himmel verortet, da wo Naturereignisse wie Blitz, Donner, Regen herkommen, die den Menschen Furcht einflößten.
Noch polemischer wird er, wenn er von „säkularen Extremisten“ schreibt und dies als Weltanschauung bezeichnet. Religionsfreiheit oder eben auch die Freiheit, keiner Religion anzugehören, ist ebenfalls im Grundgesetz verankert. Inzwischen machen Konfessionslose 33,6 Prozent der Bevölkerung aus.
Es ist doch sehr offensichtlich, dass die Lobby der Kirchen sich um Muslime erweitert hat, damit alle in die Genüsse kommen, als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt zu werden und damit üppige staatliche Zuschüsse erhalten können.“

Alexander von der Nahmer aus Wiesbaden:

„Ihr Gastbeitrag reizt mich zum Wiederspruch. Er hinterlässt bei mir den Eindruck, es hier mit einer Einlassung zu tun zu haben, die – obwohl in vielen Punkten Übereinstimmung besteht – sich den allgemein zu beobachtenden Versuchen anschließt, für die „Religionen“ in harmonischer Zusammenarbeit mit dem Staat an alle verfügbaren Privilegien zu gelangen. Ich empfinde es als Befürworter der Trennung von Staat und Kirche als eine Beleidigung und als Unverschämtheit, von säkularen „Extremisten“ zu sprechen, nur weil diese die unselige, in-transparente Verquickung zwischen Staat und Kirche hinterfragen und ablehnen. Hier kommt eine Haltung zur Vorschein, die sich nur aus der Arroganz monotheistischer Religionen deuten lässt.
Worum geht es: Innerhalb der durch unsere Verfassung vorgegebenen Ordnung werden alle Religionen und Weltanschauungen durch unseren Rechtsstaat geschützt. Unser Staat hat sich hier also nicht als weltanschauungslos, sondern als neutral gegenüber Weltanschauungen zu verhalten. Das ist das Ideal, an dem wir uns orientieren – leider sieht die Realität noch immer anders aus. Von meinem säkularen Standpunkt aus geht es also darum, dass jedwede Religion und Weltanschauung, ohne vom Staat privilegiert zu werden, sich innerhalb unseres Rechtssystems entfalten kann und sich im Verhältnis seiner jeweiligen Anteile an der Gesamtbevölkerung in die gesellschaftspolitischen Entscheidungsprozess einbringen kann und soll. So funktioniert Demokratie in einer pluralistischen Gesellschaft. Dabei kann der Staat auch distanziert-harmonisch mit jeder dieser Religionen und Weltanschauungen zusammenarbeiten – eben auch mit den Säkularen. Das schließt aber nicht ein, dass es z.B. ein kirchliches Arbeitsrecht, eine kirchliche Vorauswahl von strafrechtlich relevanten Tatbeständen etc. gibt. Das schließt auch nicht ein, dass es für muslimische Mitbürger z.B. das Recht auf Tierschächtung gibt, wenn dieses durch unser Tierschutzrecht nicht gedeckt ist usw., es gäbe unzählige Beispiele.
Bitte unterlassen Sie doch die Stigmatisierung der Mehrheit der Bevölkerung, indem Sie diesen Islamfeindlichkeit aus einem „eigenwilligen Demokratie- und Freiheitsverständnis“ heraus unterstellen. Es sind – leider – wie so oft einige Einpeitscher, die Stimmung machen. Vielleicht wäre es besser, wenn die muslimische(n) Gemeinde(n) – so es diese denn überhaupt gibt – klarer Stellung beziehen würden zu dem grauenhaften Terror der IS, Boko Haran etc., damit erkennbarer wird, dass die hier lebenden Muslime zu uns gehören und sich nicht immer wieder als Opfer (durch DITIB u.a.) darstellen lassen. Dann würde möglicherweise auch durch eine an Fakten orientierte Information der Anteil derjenigen steigern, die den populistischen Parolen einer AfD nicht mehr auf dem Leim gehen.“

Uwe Thoms aus Frankfurt:

„Es wäre durchaus nachvollziehbar, den Gastbeitrag des Islamforschers Polat als einen massiven Angriff auf unsere moderne, freiheitliche und aufgeklärte Gesellschaft einzustufen. In Deutschland haben es die Menschen in den letzten Dekaden erreicht, dass der Glaube an eine Religionslehre dem individuellen und privaten Bereich vorbehalten bleiben soll. Politik als Ausdruck menschlicher Lebensgestaltung gilt für alle Menschen, nicht nur für Menschen religiösen Glaubens. Religiöse Normen haben weltlichen Gesetzen grundsätzlich Vorrang zu gewähren, dies ist inzwischen common sense. Dies bedeutet aber nicht, dass Menschen mit und ohne religiösen Glauben nicht distanziert-harmonisch zusammenarbeiten könnten, wie Polat es ausdrückt.
Werte der Menschlichkeit z.B. findet man in allen Religionsbüchern, auch im Koran und in atheistischen Schriften. Keine Religionslehre enthält jedoch ein so weitgefasstes Spektrum von möglichen Interpretationen und Auslegungen, dass nicht einmal die Islamwissenschaftler den Muslimen verständlich ausdrücken und vermitteln können, was mit den unzähligen Postulaten in den Koransuren jeweils gemeint ist. Folglich gibt es eine Vielzahl von Strömungen in der Welt des Islam. Von Terror über den fundamentalistischen, konservativen Islam bis hin zu inzwischen zur Mehrheit gewordenen integrationsbereiten Muslimen in Deutschland, die eine eigene, selbstbewusste Form des Glaubens praktiziert und sich wenig um die entmündigenden Forderungen des Korans und der Religionsführer kümmert. Schriftsteller aus dem Bereich des Islam wie u.a. Seyran Ates, Sineb El Masrar und Hamed Abdel Samad zeigen deutlich auf, wo ein vermeintliches Feindbild Islam seine Ursachen hat. Es sind die fundamentalistisch beherrschten Moscheegemeinden und die zahlreichen Islamverbände, die sich auf einen allseits vertretbaren Islam in Deutschland einfach nicht einigen können.
Sie bestätigen die Zerstrittenheit des Islam weltweit, die vielmals zu kriegerischen Auseinandersetzungen führt.
Polat rügt die Pauschalkritik gegen den Islam und die Muslime. Dieser Umstand ist schon lange auf eine Minderheit in Deutschland zu beschränken. Beschämend ist jedoch, wenn Polat behauptet, „die Deutschen“ würden durch die Kritik am Islam wieder „ihre alteingesessene Identität erlangen“. Dabei bedienten sie sich eines „eigenwilligen Demokratie- und Freiheitsverständnisses“. Diese Ungeheuerlichkeit müsste Polat eigentlich widerrufen, unsere „Meinungsfreiheit“ soll ihm Dispens gewähren. Was Polat vielleicht gar nicht gemerkt hat: Er pauschaliert selbst mit „die Deutschen“ und beachtet dabei nicht, dass eine Vielzahl von Muslimen in Deutschland bereits intensive Islamkritik üben. Gerade diese Menschen sind mit der Trennung von Staat und Religion sehr zufrieden.“

Und auch Sigurd Schmidt aus Bad Homburg hat mir zu diesem Thema etwas geschrieben:

„Der Professor für Islamische Theologie Ecevit Polat macht von seinem guten Recht der Meinungsfreiheit im Rahmen des GG Gebrauch, um hier in Europa die Meinung zu vertreten, das eine strikte Trennung von Staat und Religion keine Lösung sei. Nun ist aber die europäische Geschichte nach der Aufklärung den Weg dieser strikten Trennung gegangen. Jürgen Habermas hat zum Verhältnis von Religion und Weltlichkeit noch zu Zeiten von Kardinal Ratzinger gesagt, dass die Religion für philosophische Welterkundungen durchaus eine Ressource sein kann, aber nur im Böckenvördeschen Sinne einer möglichen, eben nicht obligatorischen Sinnstiftung. Es ist zutreffend, dass in den meisten europäischen Ländern kirchliche Einrichtungen als Werteanker betrachtet werden, was aber nicht heißt, daß Atheisten in Europa in irgendeiner Weise geächtet sind. Was nicht in der Argumentation von Ecevit Polat einleuchtet, ist, dass in Europa ein Feindbild Islam bestehe. Vielmehr ist es doch so, dass sich terroristische Vereinigungen auf den Islam beziehen und dass das islamische Familienrecht mit den europäischen familienrechtlichen Statuten nicht oder kaum vereinbar ist. Die diversen militanten muslimischen Strömungen nehmen gegenüber den europäischen gesellschaftlichen Verhältnissen mitunter eine aggressive Haltung ein, auf die die hiesigen Stammgesellschaften (siehe auch die Schweiz mit ihrem Verbot des Neubaus von Minaretten) allergisch reagieren. Auf jeden Fall ist es abwegig, die Auffassung zu vertreten, in Europa müssten die religiösen Bekenntnisse sich wieder aktiv in Politik einmischen!“

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9 Kommentare zu “Religionsfreiheit ist auch die Freiheit, keiner Religion anzugehören

  1. Artikel 4 GG unterliegt nicht der Ewigkeitsgarantie aus Art. 79 des GG. Dieser schützt „nur“ Art. 1 und 20, d.h. die Menschenwürde, und die Staatsform mitsamt ihrer Gliederung.

  2. Polat behauptet, die strikte Trennung von Staat und Religion sei keine Lösung. Wer auch nur ansatzweise den Geist der Aufklärung geatmet hat, weiß, dass diese Trennung die einzig mögliche Lösung ist. Denn gerade die monotheistischen Religionen, mit ihrem Absolutheitsanspruch gehören durch diese Trennung gezähmt.

  3. In den ausgewählten Leserbriefen sind bereits viele wesentliche Punkte zum Gastbeitrag von Ecevit Polat benannt, der sich eher wie ein Pamphlet liest als – wie er vorgibt – eine „zeitgenössisch kritische Auseinandersetzung“. Sie strotzt nur so vor polemischen Begriffen wie „säkulare Extremisten“ für Verteidiger der Trennung von Kirche und Staat oder infamen Unterstellungen wie etwa „die Deutschen“ bräuchten die „Mithilfe des äußeren Feindes“ Islam, um „wieder ihre alteingesessene Identität erlangen (zu) können“. Das Benutzen von AfD-Positionen, um sie auf „die Deutschen“ zu verallgemeinern, zeigt, wie Islam-Hass und politischer Islam einander bedürfen, um sich gegenseitig aufzuschaukeln.
    Dass Herrn Polats Ziel nicht „kritische Auseinandersetzung“, sondern institutionell abgesicherte Einflussnahme auf deutsche Politik ist, zeigt sich auch an anderer Stelle. So im Schwärmen für ein Modell, in dem, „Institutionen wie Religion und Staat harmonisch und integral aufeinander bezogen sind“. –
    Was der Herr Professor damit wohl meint? – Zunächst ist aufschlussreich, dass für ihn „Religion“ nichts mit Weltanschauung zu tun hat, sondern, dem Staat entsprechend, als „Institution“ zu bezeichnen sei.
    Und was heißt „harmonisch und integral aufeinander bezogen“? – Seine hanebüchenen Assoziationen zum Mittelalter geben hier Aufschluss. Wie im „Mittelalter“ sieht er „im Namen eines eigenwilligen Demokratie- und Freiheitsverständnisses“ sogar die „Daseinsberechtigung“ von „Islam“ und „Muslimen“ bedroht. – Ein neuer Kreuzzug also?
    Um dem Geschichtsverständnis des Herrn Professor etwas nachzuhelfen:
    „Integral aufeinander bezogen“ waren Religion, politische Macht und Kriegshandwerk in den Kreuzfahrerstaaten in der Tat. So nennt Bernhard von Clairvaux die Kreuzritter in seinen Aufrufen zum 2. Kreuzzug (1147-1149) „miles Christi“ (Soldat Christi). Die Geschichtsforschung spricht hier von „Symbiose von Rittertum und Kirche“ oder „Militarisierung des Christentums“.
    Nur ist ein ähnlich martialisches Vorgehen gegen „den Islam“ bisher noch nicht einmal der AfD in den Sinn gekommen. Es bedarf schon eines Herrn Polat, um Derartiges als Ideal des Verhältnisses von Staat und Religion anzupreisen.
    Die AfD wird’s dem Herrn Professor sicher danken, ihr auf diese Weise auf die Sprünge zu helfen.

  4. Das Interview von Horx ist nicht ansatzweise so gut wie hier beschrieben. Das ist eigentlich nur das übliche Abarbeiten von Klischees , wie sie leider auf der akademischen Seite üblich geworden sind.

    Natürlich hat jemand mit einer Position wie der Horx` keinen Grund , mit Angst in die Zukunft zu blicken. Wenn er sich dann aber dazu äußern möchte , wie es um die Positionen Anderer steht , kann erwartet werden , daß zumindest der Versuch unternommen wird , sich in Lebenswelten hineinzuversetzen , die über die eigene Filterbubble hinausgehen.

    Vieles , was Horx sagt , ist ja sogar richtig , was die Sache aber nur noch schlimmer macht.
    Die angesprochenen Verbesserungen sind real , gleichzeitig aber erleben immer Menschen , daß sie von diesen Verbesserungen gezielt ausgeschlossen werden.

    Das steigert den Hass noch , und man kann es vielen nichtmal verdenken.
    Ich empfehle Herrn Horx mal ein „Praktikum“ in den nicht so privilegierten Etagen unserer Arbeitswelt , oder in den Arbeitsämtern des Landes , wo er sich dann mit dem „aktivierenden“ Sozialstaat herumschlagen darf.
    Oder einen netten Gasturlaub in einer der vielen kaputten Familien .

    Vielleicht bekommt er dann eine leise Ahnung , wo die „german angst“ herkommen könnte.
    Ob Leute wie er das aber überhaupt wollen , da hab ich so meine Zweifel , eher hab ich den Eindruck , als sei der Begriff der „german angst“ wieder so ein Spruch , der vor allem der eigenen Bequemlichkeit dient.
    Und dieselben Leute wundern sich dann über nationalistische Gegenrektionen.

  5. Ich teile mit Herrn Schmidt die Grundaussage der Notwendigkeit einer strikten Trennung von Kirche und Staat in unserer Gesellschaft mit den entsprechenden Folgen für die verschiedenen Glaubensrichtungen und ihren Vergesellschaftungen in Form von Glaubensgemeinschaften, Kirchen etc.
    Ich verstehe aber nicht die Empörung über die Inhalte des Gastbeitrages „Weg vom Feindbild Islam“, die im Beitrag von Herrn Schmidt, aber auch in anderen Leserbriefen, sichtbar wird.
    Ich teile nicht die Meinung, dass in unseren europäischen Staaten diese strikte Trennung wirklich und überall stattgefunden hat. Das gilt sicher für die formale Ebene. Es gibt keine gesetzlich verankerten Allianzen von Thron und Alter mehr. Es gibt aber sehr wohl weiterhin Dominanzen von christlichen Kirchen z.B. in unserer bundesrepublikanischen Gesellschaft, die diese formale Trennung zumindest relativ macht. Man sehe sich nur die umfangreichen Lobbyinstitutionen der Kirchen an. In anderen europäischen Staaten ist das noch sichtbarer (z.B. Irland, Polen usw.)
    Die von Herrn Schmidt benannten Werteanker der christlichen Kirchen sind ja in Wirklichkeit Machtanker der Kirchen, Möglichkeiten, die Bedeutung der Kirchen in unserer Gesellschaft hervorzuheben, entgegengesetzt zu den schwindenden Zahlen ihrer Gläubigen.
    Auf der Wertebene orientieren sich diese „Machtanker- Einrichtungen“ mittlerweile an den Wertvorstellungen der säkularen Gesellschaft, was ihnen mit viel Mühe im Laufe der Jahrzehnte beigebracht wurde. Zum Beispiel orientieren sich christliche Schulen (bis auf wenige Ausnahmen) an den Inhalten der staatlichen Schulen, und orientieren sich auch nicht an wesentlich anderen Werten. Sie dienen m.E. nur dem Erhalt einer machtvollen Stellung. Ähnlich der Kampf um den konfessionellen Religionsunterricht an den Schulen.
    Auch im sozialen Bereich ähneln die Angebote der christlichen Kirchen denen anderer säkularer Träger (Rotes Kreuz, Arbeiterwohlfahrt). Die Werte, an denen sie sich alle orientieren, entstammen der Aufklärung und dem Humanismus, sind also Werte der säkularen Gesellschaft und nicht exklusiv der christlichen Kirchen. Diese brauchten Jahrhunderte, um z.B. die Gleichheit von Mann und Frau anzuerkennen.
    Mich irritiert auch der Begriff der „Stammgesellschaft“. Ich habe ihn zuerst missverstanden als „Stammesgesellschaft“. Wer gehört zu diesem Stamm? Zur „Stammgesellschaft“ eines jeden europäischen Staates gehören auch schon seit Jahrhunderten die jüdischen Mitbewohner. Ihnen wurde immer wieder, auch mit Zustimmung der christlichen Kirchen, dieser Platz streitig gemacht bis hin zur totalen Vernichtung dieses Teils der „Stammgesellschaft“. Wer gehört zu diesem Stamm? Gleiche „Rasse“, gleiche Religion, gleiches Land, gleiche Hautfarbe,…?
    Nach Herrn Schmidt ist es abwegig, im Sinne von Herrn Polat zu fordern, dass sich die religiösen Bekenntnisse, gemeint ist hier das islamische Bekenntnis, wieder aktiv in die Politik einmischen sollen. Für wie abwegig erklärt er dann den politischen Einfluss der christlichen Kirchen in unserer Gesellschaft? Ein machtvoller Einfluss, der in keinem Verhältnis steht zu der verschwindenden Mehrheit ihrer Gläubigen.

  6. Lieber Bronski,
    „In der aktuellen Debatte um den Islam in Deutschland scheint es keine Hemmschwelle gegenüber generalisierender Pauschalkritik mehr zu geben“, schreibt – meiner Meinung nach zutreffend – Ecevit Porat in seinem Gastbeitrag in der FR. Blanker Hass, der Repräsentanten des Islams aus einem nicht geringen Teil der deutschen Gesellschaft entgegenschlägt und bis zu Morddrohungen reicht, die politische Instrumentalisierung des „Feindbilds Islam“ nicht nur durch die AfD und – als Folge – eine zunehmende Zahl von physischen Angriffen gegen Moscheen und Muslime sind die traurige Realität. Angesichts dieser Situation den Betroffenen „Gelassenheit“ zu empfehlen, halte ich nicht für eine angemessene Reaktion.
    Konkret halten Sie Porat vor, „dass er die Sache mit der Religionsfreiheit nicht ganz richtig auffasst, wenn er schreibt, dass Muslime ebenso wie die Mehrheitsgesellschaft Deutschlands >>darauf aus sind, dass Institutionen wie Religion und Staat harmonisch und integral aufeinander bezogen sind<<“. Dem gegenüber betonen Sie, dass Religionen als Weltanschauungen „im Wesentlichen die Privatangelegenheit jedes Einzelnen“ seien. Die Religionsfreiheit, wie sie im Grundgesetz verankert ist, erschöpft sich aber nicht im individuellen Recht, sondern postuliert auch Rechte der zur Religionsausübung notwendigen Religionsgemeinschaften. Diese Religionsgemeinschaften („die Religionen“) sind, wie andere Weltanschauungsgemeinschaften, Parteien, Gewerkschaften, Verbände und Organisationen, ein Teil der Zivilgesellschaft, auf der die staatlichen Institutionen („der Staat“) basieren. Den Bezugsrahmen dafür bildet zweifelsohne das Grundgesetz – was Porat mit keinem Wort in Frage stellt.
    Die vom Grundgesetz geforderte religiöse (und weltanschauliche) Neutralität impliziert aber nicht zwingend eine strikte Trennung von Religionen und Staat, wie es zum Beispiel der französischen „Laicite“ oder dem Staatsmodel der USA entspricht. In die „wohlwollende Neutralität“ des deutschen Staatskirchenrechts möchte Porat auch die Muslime und ihre Gemeinschaften eingebunden sehen – meiner Meinung nach ein legitimes Anliegen. Bisher sind nämlich Muslime in ihrer Religionsausübung weniger geschützt, als Christen oder Juden, was z.B. das Recht auf (unbezahlte) Arbeitsbefreiung an islamischen Feiertagen oder auch die Einhaltung von Religionsvorschriften bei der Bestattung betrifft.
    Natürlich kann man über die Vor- und Nachteile der einzelnen Regelungen im Staatskirchenrechts (wie den bekenntnisorientierten Religionsunterricht an staatlichen Schulen, die Einbeziehung der Ausbildung von Theologen in die Universität oder den staatlichen Einzug der Bekenntnissteuer) streiten, manche – wie das kirchliche Arbeitsrecht – sind dringend überholungsbedürftig. Diese Diskussion können wir allerdings wirklich gelassen führen, denn das Staatskirchenrecht in Deutschland (das selbstverständlich auch das Recht schützt, keiner Religion anzugehören) hat bisher den gesellschaftlichen Frieden besser gewahrt und den Einfluss extremer Religionsgruppen im Zaum gehalten als es z.B. in Frankreich oder in den USA gelingt.

  7. Alexander von der Nahmer fordert in seinem Leserbrief: „Vielleicht wäre es besser, wenn die muslimische(n) Gemeinde(n) – so es diese denn überhaupt gibt – klarer Stellung beziehen würden zu dem grauenhaften Terror der IS, Boko Haran etc.“ Damit ignoriert er, dass eine Vielzahl muslimischer Gemeinden und Verbände bereits klare Stellung gegen islamistische Gewalt und Terror bezogen hat. Ich verweise z.B. auf die „Deklaration der Münchner Imame“ vom 21. September 2014 (www.islam-penzberg.de/?p=1163), die als Zeichen gegen den Terror nach den Anschlägen in Paris von muslimischen Gemeinden (ja, die gibt es tatsächlich!) und Verbänden organisierte Kundgebung am Geschwister-Scholl-Platz in München am 20. November 2015 (http://www.tz.de/muenchen/stadt/zeichen-gegen-terror-odeonsplatz-imam-benjamin-idriz-5884942.html) sowie den demonstrativen Solidaritätsbesuch der Münchner Imame nach dem Mord an einem Priester in Frankreich bei Domkapitular Rupert Graf zu Stolberg am 1.8.2016 (https://www.youtube.com/watch?v=7wL4uBFtvuY).

  8. Da ich mich von den christlichen Kirchen entfernt habe und ohne Religion hier in diesem Lande gut leben kann, brauche ich auch keinen muslimischen Glauben, der sich leider nun auch bei uns zu verfestigen scheint. Ich bedauere es immer wieder, dass die größte Gruppe in unserer Bevölkerung, die Konfessionslosen, keine machtvolle Stimme erheben kann.

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