Postfach: Streit um das israelische Selbstverständnis

Herzlich willkommen zum
Postfach vom 25. Januar 2017

Wieder sind Leserbriefe liegen geblieben, für die ich im Print-Leserforum keinen Platz gefunden habe. Also ab mit ihnen ins „Postfach“. (Mehr über die Hintergründe –> HIER.)

Anfangs wie immer ein kleiner Überblick.

  • Das Thema Israel könnte in nächster Zeit wieder verstärkt in den Vordergrund rücken.Torben Waschke aus Sulzbach schreibt: „Eine der Kernfragen, die sich in Zukunft stellt, ist der Streit um das israelische Selbstverständnis.“
  • Eine Kernfrage, die sich Vielen stellt, wenn sie sich mit ihrer Steuererklärung herumschlagen, wird von Arist Wohlt aus Filderstadt auf den Punkt gebracht: „Wer soll das bitte bewältigen?“
  • Eine andere wird von Robert Maxeiner aus Frankfurt aufgeworfen: „Und was soll eine liberale Demokratie sein?“ Da geht er mit Thomas Oppermann von der SPD ins Gericht.
  • Die SPD und ihre Situation treibt auch andere Postfach-Stammgäste um: Manfred Kirsch aus Neuwied und Sigurd Schmidt aus Bad Homburg. Ersterer findet, die SPD habe 2013 „die Chance für einen Politikwechsel leichtfertig verspielt“, letzterer meint: „Die Linke ist auf Bundesebene nicht koalitionsfähig.“
  • Das berührt Kernfragen der Innenpolitik. Da darf die Rente nicht fehlen. „Das Rentensystem ist primär ein Altersabsicherungssystem und kein Armutsvermeidungssystem“, schreibt Ernst Niemeier aus Wentorf, aber es vermeidet Altersarmut „in erheblichem Maße“. Leider sei es durch Riester/Rürup aufgegeben worden.
  • Beide sind nicht zu VW gegangen, sonst hätten sie jetzt mit Regeln für die Autoindustrie zu tun. Dazu schreibt Robert Maxeiner in einem weiteren Leserbrief: „Mittlerweile müsste doch auch ein Herr Dobrindt kapiert haben, dass freiwillige Selbstverpflichtungen überhaupt nichts nutzen.“ Hat er das nicht?

Und nun geht’s los.

fr-balkenStreit um das israelische Selbstverständnis

Zu: „Israel wartet auf die Trump-Regierung“ , FR-online.de vom 29. Dezember 2016

„In Anbetracht des gesamten nahöstlichen geopolitischen Kontextes ist das politische Klima in Israel diffizil. Die zionistische Utopie von einer friedlichen Koexistenz zwischen einer jüdischen und einer arabischen Bevölkerung wich der Ernüchterung eines unvermeidlichen gewaltsamen Konfliktes der von anhaltender Natur geprägt ist. Heute würde sich Ben Gurion, der in der Unabhängigkeitserklärung ausdrücklich die soziale wie politische Gleichheit, gleich welcher Religion oder Nation, zusicherte, durch das entstandene Demokratiedefizit in Israel im Grabe umdrehen. Das Gründungsdokument diente als Referenz für die Verantwortung der universalen Grundwerte: Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden. Bedingt durch die mittlerweile fast fünfzig Jahre währende Besatzung bildet die arabische Minderheit immer noch eine Parallelgesellschaft, die in vieler Hinsicht ausgeschlossen ist. Israel, das Kind von säkularen und sozialen Gründerväter, hat einen wachsenden nationalen und religiösen Wandel in einer multiethischen Mosaikgesellschaft vollzogen. Seit 1967 ist die israelische Rechte im Aufwind bzw. regieren seit 1977 überwiegend rechte Parteien in Israel die eine Form des kulturellen Partikularismus vorantreiben. Diese traditionalistische Prämisse ist rückwärtsgewandt und rückt in die Nähe eines virulenten Nationalismus. Die anhaltende Besatzung, der verstärkte Siedlungsausbau und die drei Gazakriege haben das Klima in der nahöstlichen Großwetterlage in den vergangenen Jahren verschärft. Der Konflikt zwischen einer arabischen Minderheit, die sich größtenteils nicht Israel zugehörig fühlen, gegenüber der wachsenden Anzahl von Ultrarechten, die eine andere Vorstellungen von Gemeinwesen haben, ist stets präsent. Die von einer ideologischen und religiösen Rechten kontrollierte Regierung, die das Siedlungswesen im Westjordanland aus eigenen politischen und militanten Motiven vorantreibt und dadurch einen sicheren Abzug der Besatzungsmacht bewusst verhindert, stellt ein immanentes Gefahrenpotenzial für eine sichere Zweistaatenlösung dar. Die Unversehrtheit von „Eretz Israel“ spielt in der rechten Ideologie eine wichtige Rolle. Vor allem die Likud-Partei fördert eine jüdische Identität, in der nationales und religiöses Selbstverständnis ineinander übergehen. Eine der Kernfragen, die sich in Zukunft stellt, ist der Streit um das israelische Selbstverständnis. Während man im rechten politischen Spektrum auf das ethnoreligiöse Motiv als Nationalstaat pocht, beruft man sich im Mitte-links-Lager auf die Beibehaltung eines Doppelcharakters, d. h. das Israel zugleich ein demokratischer Staat sein muss. Andererseits sollte für Israels Rechtfertigung beachtet werden, dass das Sicherheitsdenken ein inhärenter Bestandteil und Notwendigkeit des politischen Alltags ist. Viele in Israel sorgen sich, dass in Zukunft die Grenze zwischen legitimer Kritik an israelischer Politik und gezielten Delegitimierungsversuchen ihres Staates verwischt werden könnte. Israel befindet sich trotz seiner militärischen Stärke nach wie vor in einem Existenzkampf. Die verstärkte Islamisierung in der Region, der arabische Nationalismus, die reaktionären Attacken eines religiösen Fundamentalismus auf den modernen Nationalstaat im Nahen Osten sowie die Gefahr eines neuen Antisemitismus finden im öffentlichen Diskurs leider nur peripher ausführliche Beachtung. Dennoch bleibt festzuhalten, dass nur die gestrige zionistische Utopie, nämlich eine israelische Gesamtidentität, also auch eine die Araber im Land gleichberechtigte Eingliederung im israelischen Gemeinwesen, für das gegenwärtige Israel eine nationale Zukunft als „Staat all seiner Bürger“ bieten kann.

Torben Waschke, Sulzbach

fr-balkenWo ist die Erleichterung für den Bürger?

Zu: „Steuererklärung ohne Schrecken“ , FR-online vom 26. Dezember 2016

„Diese Steuerreform wird dem Bürger als Erleichterung verkauft. Tatsächlich wird das Korsett, in das der Steuerzahler gezwängt wird, nur noch enger geschnürt. Die Steuererklärung und jegliche Kommunikation mit der Behörde soll nun über das Internet laufen, Belege sollen künftig eingescannt und elektronisch versendet werden. Enden soll das alles idealerweise in einem vollautomatischen Steuerbescheid. Wo ist da die Erleichterung für den Bürger? Die Steuererklärung in Papierform an sich ist schon sehr schwer zu bewältigen. Nun muss das ganze Beamten-Kauderwelsch auch noch in die EDV des Staates übersetzt werden! Wer soll das bitte bewältigen? Großverdiener wie ein Finanzminister müssen das sicher nicht, die habe schließlich Spezialisten, die das gerne für ihn erledigen. Der Job der Führungskraft ist es schließlich nur, diese Mogelpackung an den Mann bzw. an die Frau zu bringen. Nennen wir das Kind doch beim Namen: bei dieser Steuerreform handelt es sich um eine tiefgreifende Rationalsierungsmaßnahme der Steuerbehörde. Mit Vereinfachungen oder gar Erleichterungen für den Steuerzahler hat das jedenfalls nichts zu tun. Die Branche der Steuerberater wird’s freuen.“

Arist Wohlt, Filderstadt

fr-balkenVollmundige Propaganda

Zu: „Altersarmut nimmt in Deutschland zu„, FR-online vom 26. Oktober 2016

„Herr Oppermann meint, seine Partei dafür loben zu müssen, was sie erreicht hat. Das Rentenkonzept von Frau Nahles findet er richtig gut. So viel Selbstlob wirkt angeberisch. Wir LeserInnen brauchen uns anscheinend selbst gar keine Meinung mehr zu bilden. Er möchte öffentliche und soziale Sicherheit garantieren. Da zeigt sich mal wieder das Dilemma der SPD,  denn etwas unbedingt garantieren zu wollen, was bestenfalls anzustreben ist, diese Art vollmundige Propaganda beherrschen andere Parteien besser, während Positionen links von der SPD jede Menge Platz haben. Und was soll eine liberale Demokratie sein? Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass sie selbstverständlich liberal ist. Wir reden ja auch nicht von unsozialer Marktwirtschaft, obwohl diese Bezeichnung durchaus zutreffend wäre. Und der Interviewer, Herr Doemens, frönt mal wieder seinem plumpen Haudrauf- Journalismus, indem er der Linken „durchaus Sympathien für den zukünftigen US-Präsidenten Trump“ unterstellt. Ich bin auch gegen Freihandelsabkommen, wenn auch aus völlig anderen Gründen wie Herr Trump, aber ich habe durchaus nicht die geringsten Sympathien für ihn.“

Robert Maxeiner, Frankfurt

fr-balkenImmer zu Ungunsten der SPD

Zu: „Kramp-Karrenbauer: Rot-Rot-Grün im Bund verhindern“ , FR-Online.de vom 31.12.2016

„Die SPD hat nach der letzten Bundestagswahl die Chance für einen Politikwechsel leichtfertig verspielt. Eine Option auf eine rot-rot-grüne Mehrheit wurde nicht genutzt. Stattdessen entschied sich die Mehrheit der Sozialdemokraten für eine große Koalition. Dies doch wohl wissend, dass sich große Koalitionen nicht eignen, um wirkliche soziale Verbesserungen für die Menschen zu erreichen. Hinzu kommt, dass es ja wohl bekannt sein dürfte, dass sich große Koalitionen immer zu ungunsten der SPD entwickeln. Das Hauptproblem für die SPD ist und bleibt wohl vorerst die Tatsache, dass die SPD unter Gerhard Schröder die von ihr selbst erkämpften sozialen Errungenschaften auf dem Altar des Neoliberalismus opferte und dadurch die vorhandene Chance auf einer konsequente soziale, liberale und ökologische Politik vorübergehen ließ. Dabei wäre eine glaubwürdige sozialdemokratische Politik gerade in diesen Zeiten, die mehr und mehr die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergehen lässt und in der die Rechten immer gefährlicher werden für Demokraten so wichtig wie die Luft zum atmen. In der Geschichte dieser Republik war die SPD immer dann stark, wenn sie sich konsequent als Anwalt der kleinen Leute engagierte. Dieses Ziel muss wieder in den Mittelpunkt sozialdemokratischer Politik gerückt werden. Ebenso das kompromisslose Eintreten gegen Rechts. Es bleibt jedenfalls dabei, dass die Sozialdemokraten nur mit einer Absage an die Agenda 2010-Politik und dem Bekenntnis, dass die so genannten Hartz IV-Reformen ein schwerwiegender Fehler und zutiefst unsozial waren, wieder die Chance auf eine Gestaltungsmehrheit erhalten können.“

Manfred Kirsch, Neuwied

fr-balkenDie Linke ist nicht koalitionsfähig

Zu: „Kramp-Karrenbauer: Rot-Rot-Grün im Bund verhindern“ , FR-Online.de vom 31.12.2016

Die Leserbeiträge in der FR vom 28.Oktober spiegeln recht gut das Spektrum der Meinungen Derjenigen wieder, denen zufolge sich endlich die SPD radikalisieren möge. Rot/Rot/Grün läge doch so nahe. Nur: die politische Wirklichkeit ist in Deutschland überhaupt nicht so. Die Linke ist auf Bundesebene nicht Groko-fähig. Eher gehen wir – wie in Spanien- auf ein Dauersystem einer versteckten Großen Koalition zu. ^^ Schon Siegfried Kracauer hat in den 20er Jahren des vorigen Jh. diagnostiziert, daß die Arbeitergesellschaft von der Angestelltenschaft abgelöst wird. Angestellte und Beamte und die neuen Freiberuflichen „ticken“ aber ganz anders als Arbeiter. Die Gewerkschaftsmacht ist auch in Deutschland erodiert. Sieht man etwa Bankangestellte, die gegen bestimmte Geschäftspraktiken ihrer Vorstände auf die Straße gehen?- Deutschland praktiziert nach der Agenda 2010 auch nicht einen Neo-Liberalismus pur, also roher Auslegung. Vielmehr hatte man seinerzeit im England von Tony Blair und Antony Giddens das Konzept Fördern & Fordern entdeckt. ^^ Warum sieht eigentlich das Grundgesetz kein Recht auf Arbeit vor? Weil der Staat eben keine Arbeitsplätze – auf Dauer – garantieren kann, vorübergehende Beschäftigungsverhältnisse und Weiterbildungshilfen aber schon.^^ Die moderne Volkswirtschaftslehre hat seit dem späten 18.Jh. immer wieder deklamiert, daß Wohlstand und gute Beschäftigung eben nur durch einen gewissen Grad an Deregulierung des Arbeitsmarktes zu haben ist. ^Die technologisch getriebene Globalisierung läßt sich durch das Schwenken roter Fähnchen nicht aufhalten, schon gar nicht die gegenwärtige Digitalisierung. Der Standort Deutschland muß auch bedacht sein, seine Produktionskosten günstig zu halten. Das gilt gleichermaßen für Energie wie für die Arbeitskosten.^^ Von der Bundesrepublik wird im Kreis der EU und besonders der €-Zone-Mitglieder mehr (finanzielle)Solidarität erwartet. Dieses Thema ist volkswirtschaftlich für die BRD weitaus wichtiger, als die Frage, wie wieder mehr Stammarbeitsplätzte nicht fragiler Art geschaffen werden können.“

Sigurd Schmidt, Bad Homburg

fr-balkenübe

Zu: „Stunde der Sozialdemokraten„, FR-Meinung vom 15.12.2016 (unter anderer Überschrift FR-online.de vom 14.12.2016)

„Sie scheinen ein Problem mit der gesetzlichen Rentenversicherung zu haben, die allerdings ein wichtiges Element unseres – leider schon stark beschädigten – Sozialstaates ist. Sie war 1957 als Lohnersatz konzipiert worden und sollte die Rentner an der Lohnentwicklung teilhaben lassen. Das Ziel der (tendenziellen) Lebensstandardsicherung wurde durch Riester/Rürup leider aufgegeben, obwohl sich eine Gesellschaft mit immer noch steigendem Wohlstand diese Alterssicherung sehr wohl leisten kann und leisten sollte. Deshalb ist die Forderung nach einem Absicherungsniveau von 53 % keine Forderung nach einem – wie Sie abfällig schreiben – „möglichst hohen Rentenniveaus“, sondern eine gerechtfertigte Forderung, die zudem den sozialen Sprengstoff aus dem Rentensystem entfernt, den Riester/Rürup hineingelegt haben. Ich empfehle Ihnen, weniger neoliberale Ökonomen zu diesem Thema zu studieren, sondern beispielsweise Winfried Schmähl oder – in einem glänzenden Beitrag in der ZEIT vom 27. 10. 2016 – Norbert Blüm. Zwar ist das Rentensystem primär ein Altersabsicherungssystem in dem oben beschriebenen Sinne und kein Armutsvermeidungssstem. Dennoch aber hat es den Nebeneffekt, dass es auch Altersarmut in erheblichem Maße vermeidet. Weshalb Sie von einer „kopflos-überzogenen Debatte über Altersarmut“ schreiben, obwohl die Riester-Reform auch Altersarmut programmierte, ist mir schleierhaft. Und eine Teillösung für die drohende Altersarmut ist die Revision der Riester-Reform durchaus. Darüber hinaus müssen die Armutsprobleme, die aus prekärer Beschäftigungt, aus Langzeitarbeitslosigkeit und aus langjähriger Teilzeitarbeit resultieren, auf andere Weise gelöst, jedenfalls aber aus Steuern finanziert werden.“

Ernst Niemeier, Wentorf

fr-balkenWir brauchen klare Regeln, die eingehalten werden

Zu: „Dobrindt fordert Autobranche zu Abgasselbstverpflichtung auf“ , FR-online.de vom 26.10.2016

„Mittlerweile müsste es doch auch ein Herr Dobrindt kapiert haben, dass freiwillige Selbstverpflichtungen überhaupt nichts nutzen, zumal in der Autoindustrie und bezüglich Abgaswerten. Was wir brauchen, sind klare Regeln, die kontinuierlich von unabhängigen Prüfern kontrolliert werden. Und wer dann immer noch betrügt, der soll…, nein, nicht fliegen, aber bestraft werden. Es geht auch nicht um einen Vertrauensschaden, sondern um Schäden an der Umwelt. Gerade seine Partei nimmt es doch mit Regeln und deren Kontrolle sehr genau. Diese sollen aber offenbar nur für Flüchtlinge, Außenseiter und Andersdenkende gelten. Damit tragen Herr Dobrindt und seine CSU zur weiteren Spaltung der Gesellschaft bei. Er spricht von einem langwierigen Prozess, wenn es um Regeln für die Automobilindustrie auf EU-Ebene geht. Auf die Einsicht in diesen langwierigen Prozess, wenn es um Integration geht, habe ich bei ihm und seinen Parteigenossen vergeblich gewartet. Wenn es um Menschen geht, wird schon geurteilt und werden Konsequenzen angedroht, bevor überhaupt die Sachlage klar ist.“

Robert Maxeiner, Frankfurt

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13 Kommentare zu “Postfach: Streit um das israelische Selbstverständnis

  1. Herrn Waschkes Analyse des Problems des Staates Israel kann ich in den verschiedenen Ansätzen (Demokratiedefizit, Besatzung, Siedlungswesen im Westjordanland, Macht der Ultrarechten, Nationalismus, religiöser Fundamentalismus) allseits zustimmen. Das Bedrohungsszenarium, das Israel nicht abzusprechen ist und das seine Entsprechung in der Demonstration seiner militärischen Stärke findet, ist aber auch ein selbstproduziertes, durch eine Politik der harten Hand, deutlich gezeigtes Desinteresse an einem Friedensprozess.
    Auch wenn der internationale Druck (UN-Resolution) auf Israel zugenommen zu haben scheint, ist eine zumindestens Zweistaatenlösung immer noch in weite Ferne gerückt. Allerdings müsste die Lösung in der von Waschke beschriebenen Weise so aussehen: ein Land ‚Palästina‘, das die Araber als gleichberechtigte Bürger in einem Gemeinwesen integriert, statt die weitere Steuerung von seiten Israels auf ein vollentwickeltes Apartheidsystem. Ein „Staat all seiner Bürger“, nur das hat eine Zukunft. Der zersiedelte Flickenteppich Westjordanland mit den ABC-Zonen ist ein „Absurdistan“.

  2. Ohne ein Nah Ost Experte zu sein. Die Reaktion der Regierung von Israel auf Trump spricht Bände. Diese Regierung will keinen Frieden vor dem Sieg und schon gar nicht eine zwei Staaten Lösung. Nur auf diesen Menschen zu setzen kann auch der Untergang von Israel sein.

  3. @ Jürgen Malyssek

    Die Kritik an der (beklagenswerten) Politik der israelischen Regierung bedarf einer Ergänzung, warum die Wähler sich für die rechten Parteien entschieden haben: Die erste Ursache war die Weigerung von Jassir Arafat, das mit Ehud Barak von der Arbeitspartei ausgehandelte (zweite) Camp-David-Abkommen im Jahr 2000 zu unterzeichnen, mit dem die Zwei-Staaten-Lösung umgesetzt worden wäre. Stattdessen initiierte Arafat die zweite Intifada, deren blutiger Terror die israelische Friedensbewegung schwächte und zum Wahlsieg der rechten Likud unter Ariel Scharon führte. Die zweite ungenutzte Chance zur Beendigung des Konflikts war der von Scharon 2005 gegen den Widerstand der Rechten durchgesetzte vollständige Rückzug aus Gaza und die Räumung einiger Siedlungen im Westjordanland. Dies stärkte zunächst durch Scharons Austritt aus dem Likud und die Gründung der Kadima sowie die Bildung der Koalition mit der Arbeitspartei die politische Mitte in Israel. Da aber nach dem Rückzug der Siedler und des israelischen Militärs aus Gaza nicht ein friedlicher palästinensischer (Teil-)Staat, sondern – vor allem nach der gewaltsamen Machtübernahme durch Hamas – die Basis für Terror gegen Israel wurde, war die Idee von „Land für Frieden“ in den Augen der Wählermehrheit diskreditiert, was die Rechte wieder an die Macht brachte, weil sie in Augen der Wählermehrheit die Sicherheit garantiert.

    Für falsch halte ich die Schlussfolgerung, dass „das Bedrohungsszenario, das Israel nicht abzusprechen ist und das seine Entsprechung in der Demonstration seiner militärischen Stärke findet, … aber auch ein selbstproduziertes, durch eine Politik der harten Hand, deutlich gezeigtes Desinteresse an einem Friedensprozess“ sei, wie Jürgen Malyssek schreibt. Hisbollah und Hamas sowie ihr Pate, das Mullah-Regime im Iran, streben keinen Ausgleich, sondern die Vernichtung Israels an.

    Unklar ist mir schließlich, was Jürgen Malyssek meint, wenn er die Lösung in einem „Staat all seiner Bürger“ sieht. Meint er damit, dass im künftigen palästinensischen Staat im Westjordanland auch jüdische Bewohner Platz finden müssen? Oder verlangt er von den jüdischen Israelis die Aufgabe des jüdischen Staates Israel, der laut der Unabhängigkeitserklärung ein demokratischer Staat mit gleichen Rechten für seine nichtjüdischen Bürger sein sollte?

  4. An JaM: Jetzt ist aus dem Heute ein Morgen geworden. Sorry!
    Den „Staat all seiner Bürger“ habe ich von Herrn Waschke übernommen, weil ich ihn sehr passend finde. Ich weiss, dass es nahezu illusionär ist von einer „Ein-Staaten-Lösung“ zu reden, aber das ist für mich der eigentliche Weg von einem besetzten Land zu einer demokratischen Gesellschaft. Eine Koexistenz von Juden und Arabern in Palästina, im Nahen Osten. Ich weiss, dass der Wille zu einem Friedensprozess sowohl vom Staat Israel als auch von Seiten der Palästinenser (Hisbolla, Hamas)nicht sehr stark ist. Als Arafat noch lebte, gab es durch die heute nicht mal mehr das Papier wert faktisch rückentwickelten Osloverträge durchaus berechtigte Hoffnungen auf Frieden. Sicher spielt auch die Vernichtung des jüdischen Staates eine politische Rolle (Iran). Aber klar ist auch, dass die Rechtsregierung Netanjahus null Willen zeigt am Status quo zu ändern. Höchstens sich dabei noch hervortut ihre befreundeten Staaten weiterhin moralisch unter Druck zu setzen, nichts weiter in Richtung Lösung zu unternehmen, zumal die militärische Aufrüstung und damit die eigene Macht im „Heiligen Land“ gesichert wird. Westjordanland und Gaza sind Anachronismen. Aber auch da kommt nichts vom Westen, das ändern zu können und zu wollen.
    JaM, Sie haben mit ihrer politischen Analyse oben völlig recht. Aber Israel als einen wirklichen demokratischen Staat mit gleichen Rechten für alle Bürger, unter den Fakten der Besatzung, Besiedlungspolitik, der Mauern, der Check-Points, der behördlichen Willkürmaßnahmen und des biblisch-religiösen Landanspruchsdenken, zu bezeichnen, ist schon eine intellektuelle Herausforderung. Die gesellschaftliche Atmosphäre in Israel habe ich eher als sehr bedrückend empfunden, wenn man vielleicht mal so eine moderne Stadt wie Tel Aviv versucht auszuschließen.

  5. @ Jürgen Malyssek
    Ihrer Aussage, dass „der Wille zu einem Friedensprozess sowohl vom Staat Israel als auch von Seiten der Palästinenser (Hisbolla, Hamas) nicht sehr stark ist“, kann ich zustimmen, würde es aber nicht auf die Bevölkerung insgesamt, sondern auf die jeweiligen Regierungen beziehen. Dies sollte aber nicht dazu führen, dass neue, zweifelhafte Ziele für eine künftige Friedensordnung vorgegeben werden. Ein Palästina „from the river to the see“ als einen „Staat all seiner Bürger“ halte ich für ein solches zweifelhafte Ziel, nicht weil seine Erreichung illusionär erscheint (das gilt im Augenblick auch für die Zwei-Staaten-Lösung), sondern weil es eine für die jüdischen Israelis und die Juden in der Diaspora unakzeptable Aufgabe eines eigenen, jüdischen Staates Israel bedeuten würde. Eines jüdischen Staates, in dem das Leben in einer (pluralistischen) religiösen wie säkular-kulturellen jüdischen Tradition selbstverständlich als „Staatsvolk“ möglich ist und nicht immer wieder aus einer Minderheitenposition erklärt und eingefordert werden muss. Dieser Wunsch ist genauso legitim wie beispielsweise der Wunsch der Slowaken nach einem slowakischen Staat. Auch sie wollten nicht in einem „Staat all seiner Bürger“ von Asch bis Kosice leben.

    Daran ändert nichts, dass ich Ihre Zweifel nachvollziehen kann, ob man „Israel als einen wirklichen demokratischen Staat mit gleichen Rechten für alle Bürger, unter den Fakten der Besatzung, Besiedlungspolitik, der Mauern, der Check-Points, der behördlichen Willkürmaßnahmen und des biblisch-religiösen Landanspruchsdenken“ bezeichnen kann. Sie beschreiben die gegenwärtige Realität (die man allerdings differenzierter in Israel selbst und in den unter Militärverwaltung bzw. unter Autonomieverwaltung stehenden Gebieten betrachten müsste), während ich von einem (noch nicht vollständig erreichtem und von der gegenwärtigen Regierung gefährdeten) Ziel spreche, das schon in der Unabhängigkeitserklärung von 1948 vorgegeben ist.

  6. @JaM
    Ich halte einen jüdischen, israelischen Staat für die beste Lösung aus realpolitischer Sicht.
    Ich habe Mühe, wenn man es verallgemeinert, wie Sie es mit dem Bezug auf die Slowakei gemacht haben.
    Wo endet es? Ist der Wunsch der Krimbewohner zu Russland zu gehören ein legitimer Wunsch und lässt sich aus diesem Wunsch ein Recht ableiten? Hat jede Minderheit den Anspruch auf einen eigenen Staat? Gilt das auch für Katalanen, Bretonen, Korsen, Schotten und die vielen anderen Minderheiten? Ich würde Israel lieber als die begründete Ausnahme von der Regel sehen, denn als Regelfall.

  7. @ Henning Flessner
    Es würde das Thema sprengen, an dieser Stelle über die Grenzen der Selbstbestimmung der Völker diskutieren zu wollen. Ich habe das Beispiel der Slowaken deshalb gewählt, weil sich diese mit einer föderalen Struktur der Tschechoslowakei (die manchen Befürwortern der Ein-Staaten-Lösung für Israel/Palästina vorschwebt) nicht zufrieden gaben und eine staatliche Trennung wählten. Diese wurde auf friedliche Weise vollzogen und hat tatsächlich zum Abbau der nationalen Spannungen beigetragen. Der Wunsch nach nationalen Eigenständigkeit ist legitim, wenn auch nicht immer vernünftig. Dieser Wunsch kann mit dem genauso legitimen Wunsch der anderen Nationen oder Volksgruppen nach dem Erhalt eines historisch gewachsenen Staatswesens kollidieren. Entscheiden ist, ob dieser Konflikt im Rahmen demokratischer Prozesse ausgetragen wird (wie von den Schotten) oder militärisch durch die Macht des Stärkeren (wie auf der Krim) „gelöst“ wird.

  8. An JaM: Auch da kann ich Ihnen zustimmen, dass die Bereitschaft zu Friedensprozess einer Unterscheidung bedürfte, zwischen den Regierungen und den verschiedenen Teilen der Bevölkerung.
    Auf beiden Seiten gibt es sehr viele aufgeschlossene moderne liberale Menschen (auch und insbesondere Intellektuelle), frei von Ideologien und religiösen Dogmen.
    Erwähnt werden sollte, dass auf der Seite der Juden in Israel keine geschlossene ethnische Identität besteht, sondern eine Vielzahl von ganz unterschiedlichen Zugehörigkeiten (aus allen Herren Länder Europas, Asien, arabischen Ländern stammend)und sozialen Stellungen im Staate. Oder die besondere Rolle, die die Kibbuzime in ihren unterschiedlichen Gesellschaftsmodellen in Israel spielen.
    Sehr lesenswert in diesem Zusammenhang sind die soziologischen Essays von Eva Illouz: Israel, ed. suhrkamp (2015).
    Sie erwähnen mit Recht die Unabhängigkeitserklärung von 1948. Der neu gegründete Staat Israel hatte durchaus sehr demokratische, liberale Vorstellungen für das zukünftige Zusammenleben von Juden und Palästinensern, auch wenn ich gerade diese Erklärung nicht mehr so genau vor meinem geistigen Auge habe.
    Die Diskussion bringt zeigt, dass es eine sehr komplexe Geschichte ist und aufgrund des aktuellen Geschehens im Nahen Ost eine politische Lösung wohl in weiter Ferne liegt. Von Trump und den USA (die wichtig sind für ein Fortkommen für den Frieden) wissen wir zur Zeit sowieso nicht, wo das alles hingehen wird.
    Danke jedenfalls für die konstruktive Debatte.

  9. @ Jürgen Malyssek
    Die Unabhängigkeitserklärung Israels finden sie hier: http://www.hagalil.com/israel/independence/azmauth.htm
    Natürlich gibt es in Israel keine einheitliche jüdische Identität, so wie es in Deutschland keine einheitliche deutsche Identität gibt. Trotzdem gibt es mehr Gemeinsames als Trennendes, so dass man durchaus vom jüdischen Volk sprechen kann.
    Das Buch von Eva Illouz belegt, dass die schärfsten Kritiker Israels aus Israel selber kommen. Allerdings haben ihre Ausführungen wie die von vielen „linken“ Autoren in Israel eine große Schwäche: Sie sind aus innerisraelischer Sicht geschrieben und zeigen nur die kritische Seite der Wirklichkeit, weil die Autoren davon ausgehen, dass das heimische Publikum die Diskussion in ihrer ganzen Breite verfolgt. Für den in der Regel mit Israel wenig vertrauten deutschen Leser entsteht dadurch aber ein schiefes Bild.

  10. An JaM: Danke für den Link zur Unabhängigkeitserklärung. Guter Grund sie nochmals zu lesen.
    Ich stelle, trotz der nicht einheitlichen Identität, das „jüdische Volk“ gar nicht in Abrede.
    Die Kritik aus innerisraelischer Sicht ist mir schon noch wichtig, gerade weil ich mit dem überwiegend Blick von aussen auch diesen „Stoff“ noch ergänzend brauche, auch wenn Sie mit ihren kritischem Einwand bestimmt nicht falsch liegen. Es ist bei uns allerdings nicht viel anders: Die Kritiker im Lande werden auch nur von einem Bruchteil der Bevölkerung wahrgenommen. Gleicher Effekt also hier.
    Habe übrigens beim Lesen von Eva Illouz erfahren können, dass sie sich in keiner bestimmten ethnischen Identität wirklich wiederfindet. Ihre Auswanderung nach Israel hat
    das wohl eher noch verstärkt (immer so zwischen den festen Stühlen)–> 9.Kapitel

  11. @ Jürgen Malyssek
    Ob in Bezug auf Israel Ihre Feststellung zutrifft, „Die Kritiker im Lande werden auch nur von einem Bruchteil der Bevölkerung wahrgenommen.“, kann ich nicht sicher beurteilen, weil ich Israel auch nur von außen beobachte. In der „jüdischen Welt“, die ich in Deutschland, Westeuropa, Großbritannien und Nordamerika kenne, werden die kritischen Stimmen aus Israel wohl wahrgenommen.
    Zu Eva Illouz nur noch die letzte Bemerkung: Während sie z.B. die Vorstellungen des religiös-nationalistischen Lagers des „jüdischen Staats“ (zu Recht) scharf kritisiert, klammert sie aus, dass es auch liberale, offene „jüdische“ Gegenkonzepte gibt. Einen umfassenderen, aber keineswegs weniger kritischen Blick auf Israel ermöglicht zum Beispiel das Buch von Diana Pinto „Israel ist umgezogen“.

  12. An JaM: Meine Wahrnehmung von außen und zeitweise in Israel, ist die, dass es an kritischen jüdischen Intellektuellen in Israel und im Ausland wirklich nicht mangelt (nur ein Beispiel: Ilan Pappe, in England lebend).
    Wie hoch der Anteil der Bevölkerung ist, der sich mit ihnen auseinandersetzt, kann ich natürlich auch nicht sagen, aber bedeutend sind sie auf jedenfall.
    Ihrem Hinweis mit dem Buch von Diana Pinto werde ich gerne nachgehen. Sie kannte ich nicht. Freundliche Grüße aus Wiesbaden.

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