Postfach: Einiges ist aus dem Ruder gelaufen

Herzlich willkommen zum
Postfach vom 14. Dezember 2016

Wieder sind Leserbriefe liegen geblieben, für die ich im Print-Leserforum keinen Platz gefunden habe. Also ab mit ihnen ins „Postfach“. (Mehr über die Hintergründe –> HIER.)

Anfangs wie immer ein kleiner Überblick.

  • Klaus Boll aus Frankfurt kritisiert die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz, die angesichts der Razzien gegen Salafisten „Augenmaß“ gefordert hat, und macht diese Haltung dafür „verantwortlich, dass einiges aus dem Ruder gelaufen ist“.
  • Herbert G. Just aus  Wiesbaden freut sich über die zurückerlangte Gemeinnützigkeit von Attac.
  • Jörg Sternberg aus Hanau mahnt angesichts des Syrienkrieges: „Die Schreckensnachrichten über zivile Opfer sind im Informationszeitalter Mittel der Kriegsführung.“
  • Irmela Mensah-Schramm, die aktiv gegen Nazi-Schmierereien vorgeht, hat aus Sicht von Manfred Kirsch aus Neuwied „keine Verurteilung, sondern viele Auszeichnungen für ihre Zivilcourage verdient“.
  • Auch Sigurd Schmidt aus Bad Homburg ist wieder dabei: Es gebe „in den USA einen Elitismus, der von den einfacheren Menschen nicht mehr ertragen wird“, sagt er zur US-Wahl. Dahinter stehe die Haltung: „Denen da oben im ‚Establishment‘ verpassen wir jetzt einmal eine ganz dicke Watsch’n.“
  • Und Robert Maxeiner aus Frankfurt meint, wir müssten uns „nicht wundern, wenn Kinder sich zu Tyrannen und Wüterichen entwickeln“.

Reden Sie mit! Und nun geht’s los.

fr-balkenEiniges ist aus dem Ruder gelaufen

Zu: „Empörung über Özoguz‘ Kritik an Salafisten-Razzia“ , FR-online.de vom 16.November 2016

„Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz hat „Augenmaß“ im Zusammenhang mit den Razzien gegen Islamisten angemahnt. Frau Özoguz steht damit garantiert nicht alleine. Sie gehört offenbar, wie viele in unserer Gesellschaft einem Weltbild an, dass einem Türili-Türilei-Multi-Kulti-Weltbild frönt, bei dem a priori Werte unserer Gesellschaft bei den hier Ankommenden als ihnen innewohnend vorausgesetzt werden. Dieses sogenannte „Augenmaß“ wird seit vielen Jahren zelebriert und ist dafür verantwortlich, dass dabei einiges aus dem Ruder gelaufen ist. Ich erinnere z.B. nur an den Bericht von Stefan Behr neulich im Lokalteil der FR: „Sause im Gerichtssaal“, oder an ethnisch reine Rockergruppen, die hier durch das Land fahren. Solche Dinge sind eigentlich nur noch als unterirdisch zu bezeichnen. A posteriori werden all diese empirischen Tatsachen von den Menschen mit „Augenmaß“ aus ideologischen Gründen klein geredet, verharmlost, verniedlicht und als Ausnahmen, etc. dargestellt. Die Befürworter einer solchen Politik sind letztlich für oben gennannte Zustände auch verantwortlich.
Multi-Kulti kann schön sein, wenn die Immigranten unsere Gesellschaftsordnung schätzen und auch daran mitwirken, also jene, die wirklich internationalistisch denken und fühlen und dabei die Verfassung über die Religion stellen. Aber was wollen wir mit denen, die dies nicht tun, die dieses Land, die Demokratie und auch die Menschen, die darin leben, verachten? Diejenigen, die aus autoritären patriarchalischen und/oder totalitären Gesellschaften stammen, die nur klare Kante als Ansprache kennen und die unser Verhalten als Schwäche auslegen und sich darüber lustig machen, die Vorteile dieser Republik aber gerne in Anspruch nehmen. Wären die nicht in ihren ach so tollen Herkunftsländern besser aufgehoben?“

Klaus Boll, Frankfurt

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Wenn die Finanzverwaltung was erklärt bekommen muss

Zu: „Attac doch gemeinnützig“ , FR-online.de vom 16. November 2016

„Das, was einem der gesunde Menschenverstand sagen konnte, hat das Finanzgericht nun auch der Finanzverwaltung und den politisch Verantwortlichen erklärt.“

Herbert G. Just, Wiesbaden

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Schreckensnachrichten sind Mittel der Kriegsführung

Syrien: „22 Kinder bei Luftangriff auf Schule getötet“ , FR-online.de vom 27. Oktober 2016

„Eine notwendige vorbemerkung: Als Linker bin ich gegen jede militärische Intervention und alle Waffenexporte, für eine Auflösung der Militärbündnisse und gewaltfreie Konfliktlösungen. Ich glaube auch, dass nur solch eine konsequente antimilitaristische Haltung die Welt von der Geißel Krieg und Vernichtung befreien kann. Die Welt wird nicht besser davon, dass alle Konfliktteilnehmer, wie jetzt im Syrienkrieg, sich gegenseitig die Schuld zuweisen und in eine Spirale der Verschärfung des Feindbildes und Zuspitzung der Auseinandersetzung hineingeraten.
Ich möchte deshalb ein fiktives Szenario phantasieren der russischen und Assad’schen Lesart des Krieges um Aleppo, die man in unserer Presse selten zur Kenntnis nimmt, nur um zu zeigen, wie wenig ‚wahr‘ beider Seiten Behauptungen zur Entlastung ihres jeweiligen Anteils am aufhaltbaren Kriegsgeschehen sind:
Den Pressagenturen westlicher Medien werden Nachrichten von der sog. syrischen Beobachtungsstelle zugespielt. Diese Stelle ist im Konflikt nicht neutral, sondern von den oppositionellen Kräften und deren Interessen geführt. Während der kurzen Waffenruhe hat die Regierung Assad durch Flugblätter und Sender die Zivilisten in der Stadt aufgerufen die Stadt zu verlassen, weil sich im Zentrum der östlichen Teile schwer bewaffnete Dschihadisten und al-Nusra- Kämpfer aufhalten und die Bevölkerung quasi als Geisel nehmen. Diesem Aufruf ist die große Mehrheit der Bevölkerung gefolgt und hat die umkämpften Stadtteile verlassen. Zurückgeblieben sind die gegnerischen Kämpfer und Söldner, teilweise um als sogenannte Märtyrer und Helden ins Paradies zu gelangen. Sie haben sich in diesem asymetrischen Krieg oft bewusst hinter den wenigen verbliebenen Zivilisten verschanzt. Die Waffenpause wurde von ihnen missbraucht, um die Truppen, etwa 900 Mann, neu zu formieren. Die Schreckensnachrichten über zivile Opfer sind im Informationszeitalter Mittel der Kriegsführung. Was ist in diesem Fall damit gewonnen? Weitere Verkäufe und Profite des waffenindustriellen Komplexes, Verschärfung des Embargos gegen Russland, Exportverluste der Europäer, Schwächung der Konkurrenz aus Sicht der USA, Schwächung Russlands bei der Aufteilung der Welt in Einflusszonen.
Sind Sie als Konsument landesüblicher Medien nun vielleicht ein wenig verunsichert? Das war die Absicht. Der Zweifel ist der Beginn des Philosophierens, sagte Platon, aber auch der Anfang einer auf mehr Vernunft basierenden Politik.“

Jörg Sternberg, Hanau

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Veruteilung für Zivilcourage

Irmela Mensah-Schramm: „Die Frau, die Nazi-Sprüche verschönert“ , FR-online.de vom 18. November 2016

„Das Engagement von Irmela Mensah-Schramm ist durch und durch vorbildlich und ich würde, wäre ich noch gesundheitlich dazu in der Lage, ebenfalls auf die Suche nach Nazi-Schmierereien gehen, um diese wie Irmela Mensah-Schramm zu entfernen. Jede Nazi-Schmiererei ist eine zu viel und müsste eigentlich vom Amts wegen entfernt werden. In einer Zeit, in der so genannte demokratische Parteien wieder den Begriff „deutsche Leitkultur“ hoffähig machen und in der in Gestalt der AfD der Rechtsextremismus dabei ist in die Länderparlamente und den Bundestag einzuziehen, kommt dem couragierten antifaschistischen Handeln von Menschen in unserer Gesellschaft eine besondere Bedeutung zu. Die Tatsache, dass ein deutsches Gericht die bekennende Demokratin noch verwarnte, ist ein Justizskandal, den man, wäre er nicht so ernst und verwerflich, geradezu als Treppenwitz bezeichnen müsste. Mensah-Schramm hat für ihr konsequentes Verhalten keine Verurteilung, sondern viele Auszeichnungen für ihre Zivilcourage verdient. Man kann nur hoffen, dass die deutsche Justiz die an die demokratische Aktivistin gerichteten widerlichen Hass-Botschaften mit gleicher Energie verfolgen werden, wie sie gegen die so genannten“ Sachbeschädigungen“ Mensah-Schramms vorgeht. Leider ist es ja so, dass Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit engagieren immer wieder vom braunen Mob attackiert werden. Doch die Behörden reagieren in solchen Fällen oft sehr zögerlich bis desinteressiert.
Viele Richter in diesem Lande sind nach wie vor noch auf dem rechten Auge blind.“

Manfred Kirsch, Neuwied

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Eine ganz dicke Watsch’n

Rechtspopulismus: „Das Unbehagen an der Macht“ , FR-online.de vom 9. November 2016

„Natürlich ist die Gesamtwertung von Harry Nutt nicht falsch. Aber sie ist viel zu idealistisch und es mangelt vollkommen der Realpolitik. Offiziell, nach katholischen Enzyklen und wirt- schafts-protestantischer Ethik, dient die Wirtschaft in aller erster Linie den menschlichen Bedürfnissen. Ist dies aber wirklich so? Nein. Die Wirtschaft gehorcht zunächst eigenen Gesetzen… und bedient daneben dann auch Nachfrage oder weckt sogar erst die Nachfrage.
Selbstverständlich geben auch autoritäre Regime vor, das Allgemeinwohl zu befriedigen. Dieses bestimmen sie dann aber vom Inhalt her doch weitgehend selbst. Gerade der jeweiligen US-amerikanischen Administration ist doch – im Vergleich zu den verspotteten europäischen Wohlfahrtsstaaten – das Ergehen des einzelnen Individuums ziemlich egal. Denn Selbsterhaltung ist doch das Prinzip der US-Zivilisation.
Die Erklärung für das Ergebnis der US-Präsidenten-Wahl ist vielmehr: DENEN da oben im „Establishment“ verpassen wir jetzt einmal eine ganz dicke „Watsch’n“. Die US-Wahl war eine Protestwahl, weil es an Anerkennung für den „kleinen Mann“ in den USA fehlt. Es war noch nicht einmal im Sinne von Karl Marx das „Lumpenproletariat“, das hier abgestimmt hat. Es waren Menschen, die sich von ihren jeweiligen „Oberen“ nicht ernst genommen fühlen. Wie in anderen Demokratien gibt es eben auch in den USA einen Elitismus, der von den einfacheren Menschen nicht mehr ertragen wird. Nach Abschaffung des Privateigentums wird aber doch gar nicht gerufen!“

Sigurd Schmidt, Bad Homburg

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Worunter Kinder besonders empfindlich leiden

Zu: „Toben, schreien, hauen“ FR vom 9. November 2016 (Text online nicht erhältlich, Screenshot wird nachgeliefert)

„Selbstverständlich teile ich die Meinung der Autoren, dass wir Kindern Grenzen setzen sollten. Aber zuerst sind sie noch ganz klein und bedürftig, und wir sollten sie bedingungslos lieben, ihre Bedürfnisse erkennen und danach handeln, damit sie ein gesundes Urvertrauen entwickeln. Wenn sie das Vertrauen und die Sicherheit haben, dass sie geliebt und verstanden werden, und dass auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird, akzeptieren sie auch Grenzen, die wir ihnen auch deutlich setzen sollten und allmählich lernen sie auch, mit Gefühlen und Impulsen adäquat umzugehen. Sie ausschließlich kontrollieren zu können, wie die Autorin meint, dient nur der unkritischen Anpassung an gegebene Verhältnisse. Aber wir leben leider in einer verrohten Gesellschaft, in der kindliche Bedürfnisse kaum erkannt werden, weil die Erwachsenen Bedürfnisse nur als eine Form von Konsum betrachten, und wenig Zeit haben, weshalb die Kleinen schnell entsorgt werden, damit Mama und Papa wieder arbeiten gehen können. Da müssen wir uns nicht wundern, wenn Kinder sich zu Tyrannen und Wüterichen entwickeln. Und was ist eigentlich mit den Anderen, den Unauffälligen und Angepassten, die sich ständig kontrollieren? Wollen wir warten, bis Einzelne von ihnen zu Amokläufern werden, oder wollen wir ihnen vorher etwas Aufmerksamkeit schenken? Es läuft nicht nur etwas schief zwischen Eltern und Kindern, wie in dem Artikel dargestellt wird, es läuft eine Menge schief in unserer Wettbewerbs- und Ausbeutungsgesellschaft, worunter Kinder besonders empfindlich leiden.“

Robert Maxeiner, Frankfurt

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4 Kommentare zu “Postfach: Einiges ist aus dem Ruder gelaufen

  1. Im Gegensatz zu Sigurd Schmidt halte ich Nutts Wertung der amerikanischen Präsidentenwahl nicht für idealistisch. Ein Geheimnis bleibt die von Schmidt vorgenommene Verbindung zum Begriff „Realpolitik“. Ansonsten bemüht der Autor Gemeinplätze und Binsenweisheiten. So z.B. wenn er feststellt, dass die Wirtschaft nicht nur menschlichen Bedürfnissen dient. Der Leserbriefschreiber redet da viel von Nachfrage herum. Nein, Kapitalakkumulation ist der Hauptzweck der kapitalistischen Produktionsweise. Deren Substanz ist die wertschätzende Arbeit. So sagt das auch der gerne von Schmidt zitierte Marx. Und der weiß das von David Ricardo. Die Neoklassiker – u.a. Marshall – verfolgen eher das Ziel diesen Zusammenhang zu kaschieren. Dann geht es um Angebot und Nachfrage, ganz nach dem Sayschen Theorem, dass sich jedes Angebot seine Nachfrage schaffe. Aber tatsächlich den Vorhang einmal anheben will Schmidt ja auch gar nicht. Ist es tatsächlich verwunderlich, dass die Populisten und Rechtsextremen den Kapitalismus („Abschaffung des Privateigentums“) gar nicht ernsthaft verfolgen?
    Man muss schon etwas aufpassen, selber nicht auf dem verquasten Antikapitalismus der Trump, LePen, Grillo, Petry, Farage … auszurutschen.
    Tipp für Schmidt: Didier Eribon, Rückkehr nach Reims, Suhrkamp 2016.

  2. Viel arroganter kann Elite nicht sein!

    Lieber Sigurd Schmidt.

    Was bin ich das ewige Gerede von der Watschn-Wahl des unerhörten Bürgers leid. Wenn es denn wirklich stimmen würde, hätte der unerhörte Bürger doch nicht ausgerechnet eine der „schillerndsten“ Figuren aus der US-amerikanischen Elite gewählt, also einen von denen ganz oben, der es sich mal leisten wollte und konnte, denen „da unten“ nach dem Maul zu reden. Mr. Trump wollte einfach mal wissen, ob es möglich ist, mit viel Geld und Egomanie, Lug und Trug, Sexis- und Nationalismus und flotten und dummen Sprüchen in Social Medias die unerhörten Bürger zu mobilisieren, die ja wirkliche Probleme haben, aber eben ganz und gar nicht seine. Es ist möglich! Er wird bald Präsident sein. Postfaktisch hat er Fakten geschaffen. Und nun? Militärs und Banker aus der Wall Street (War da nicht was?) gehören demnächst zu seinem Kabinett. Und das soll eine Protestwahl gewesen sein? Mr. Trump lacht sich ins Fäustchen. Viel arroganter kann Elite nicht sein!

  3. @ Bertram Münzer

    Ich stimme Ihnen voll zu.
    Nur benutzen Sie in diesem Zusammemhang bitte nicht das Wort Elite. Dieser Begriff bezeichnet eine Gruppe von auserwählten, sich durch besondere intellektuelle und moralische Fähigkeiten auszeichnenden Menschen. Trump dagegen ist ein primitiver Watz, der mithilfe eines millionenschweren Erbes sowie durch Skrupellosigkeit und Bauernschläue zu viel Geld gekommen ist. Dagegen, dass so einer zur Elite gehören sollte, möchte ich mich strengstens verwahren.

  4. An Herbert G. Just:
    Kurz und schmerzlos ausgedrückt. Es funktioniert doch noch einiges in unserem Rechtsstaat. Am Beispiel Attac sieht man, dass Widerstand auch erfolgreich sein kann.

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