Autoritäre und antisoziale Attitüde

Alle Welt redet von Populismus, als handle es sich um eine anstreckende Krankheit. Ein Populist regiert derzeit die USA. Eine Populistin war vor wenigen Monaten dicht dran, französische Präsidentin zu werden. Populisten haben Großbritannien in den Brexit geführt und machen der Regierung der Niederlande das Leben schwer. Um nur ein paar Beispiel zu nennen. Auch in Deutschland sind sie zu Hause, die Vereinfacher, die Inhaber der schlichten Wahrheiten, die Kenner des gesunden Volksempfindens, die Anhänger des „Wir hier, die dort“. Sie beharrten beispielsweise auf ihrer schlichten Idee von einer Obergrenze beim „Zuzug“ von Flüchtlingen, wohlwissend, nein, wohlignorierend, dass der Versuch, eine solche zu etablieren, in eine Verfasssungs- und Staatskrise geführt hätte. Sie beharren noch heute darauf, allerdings inzwischen wesentlich leiser. Sie waren bereit, für den Applaus der Masse auch das Bündnis mit der größeren Schwesterpartei, der CDU, aufs Spiel zu setzen.

Das Beispiel der CSU in Sachen Flüchtlinge zeigt exemplarisch, was Populismus ist. Da ging es nicht darum, praktikable Beiträge zur Lösung der Probleme zu liefern, also eine vernunftbetonte Debatte zu führen, sondern es ging darum, mit allen Mitteln die Lufthoheit über den Stammtischen zu behalten, aus Angst vor einer Partei namens „Alternative für Deutschland“, die selbst populistisch ist, keine ernsthaften Lösungen anzubieten hat, dies aber publikumswirksam vertritt. Die CSU-Granden wussten schon, warum sie der „Alternative für Deutschland“ – schon der Parteiname ist populistisch, denn die AfD ist nur die Behauptung einer Alternative für Deutschland – nicht den kleinsten Handbreit in der öffentlichen Meinung lassen wollten. Eher waren sie bereit, eine Staatskrise zu riskieren.

Es wäre zu einfach zu behaupten, Populisten sind Lügner, auch wenn Donald Trump das zu belegen scheint. Er behauptet jeden Tag etwas Neues, und es ist ihm völlig egal, ob er sich selbst widerspricht. Lügner sind immer die anderen, die nämlich, die ihm etwas anzuhängen versuchen. Wenn er selbst lügt, handelt es sich schlimmstenfalls um „alternative facts“. Die Strategie geht auf: Bei seinen Anhängern ist Trump weiterhin unangefochten populär. Tatsächlich ist es gar nicht so einfach zu sagen, was Populismus genau ist. Es gibt verschiedene Definitionen und Ansätze. Wer sich dafür interessiert, lese den Eintrag über Populismus auf Wikipedia. Aber es gibt ein paar Punkte, auf die man sich vielleicht einigen kann.

  1. Populisten behaupten stets, im Namen einer schweigenden Mehrheit aufzutreten, die sie hinter sich wissen und auf die sie sich glauben berufen zu dürfen.
  2. Populisten behaupten immer, gegen eine Elite anzutreten, der sie den systematischen Missbrauch ihrer Macht zu Lasten der „kleinen Leute“ unterstellen.
  3. Populisten behaupten immer, im Namen einer unterdrückten Massenkultur anzutreten, die unter die Räder zu geraten droht, da Minderheiten die Meinungshoheit erobert hätten.

Ich nehme mir mal jeden Punkt einzeln vor, ohne mich dabei zu sehr mit Wikipedia oder der aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung aufzuhalten, um die es hier eigentlich geht. Trotzdem ist es hilfreich, den FR-Bericht von Markus Decker vorher zu lesen.

Die schweigende Mehrheit

Populisten sind überzeugt davon, für eine große Zahl von Menschen zu sprechen, die sich selbst nicht zu artikulieren vermögen oder die sich von der Politik aus Verdruss zurückgezogen haben. Für das Beispiel der Flüchtlingswelle 2015 lässt sich diese Behauptung widerlegen: Alle Umfragen jener Zeit belegen, dass die Deutschen mehrheitlich eine Willkommenskultur pflegen wollten und auch gepflegt haben. Jedermensch konnte sehen, dass die Flüchtlinge, die über die Balkanroute nach Deutschland kamen, in existenzieller Not waren. Die Deutschen wollten helfen und haben das auch getan. Die Behauptung, die Flüchtlinge seien gegen den Willen einer schweigenden Mehrheit ins Land gelassen worden, stimmt nicht. Trotzdem wird sie weiter erhoben, nach dem Motto: Wenn man etwas nur oft behauptet, wird es wahr. Genau so verfährt Donald Trump.

Es geht dabei nicht darum, ob etwas objektiv wahr oder richtig ist. Objektivität oder auch nur der Versuch, objektiv zu sein, ist für Populisten eher störend. Es geht darum zu behaupten, objektiv zu sein, und zwar im Namen jener schweigenden Mehrheit und ihrer Wahrheit, die man angeblich nicht aussprechen darf. Diese Behauptung, die Dinge dürften nicht frei angesprochen werden, ist ein Gemeinplatz der Populisten. Die Tatsache, dass es nur wenige Länder auf der Welt gibt, in denen man seine Meinung so frei äußern kann wie in Deutschland, wird mit der Behauptung eines Medienkartells gekontert, das die gesellschaftliche Meinungsbildung dominiere („Lügenpresse“). Diese Behauptung ist notwendig, um die erste Behauptung zu stützen, Volkstribun einer schweigenden Mehrheit zu sein. Sie lässt sich nicht belegen, da in der Vielfalt der deutschen Medienlandschaft die unterschiedlichsten Meinungen geäußert werden (abgesehen von extremen oder extremistischen), aber es kommt nicht darauf an, etwas zu belegen, sondern nur darauf, es so zu behaupten, dass die eigene Klientel bestätigt wird, und so das Lebensgefühl derer zu treffen, die man ansprechen möchte. Populismus folgt also dem Konzept des Sich-selbst-auf-die-Schulter-Klopfens. Die Selbstvergewisserung ist wichtiger, als echte Antworten auf die schwierigen Probleme zu geben, die in der Realität lauern.

Die Elite

Populisten sind davon überzeugt, dass es ein Establishment gibt, das sie zu unterdrücken versucht. Bei den Populisten aus dem Umfeld von Pegida und AfD ist die Konstruktion eines „links-rot-grünen 68er-Siffs“ beliebt. Dahinter steht die Wahrnehmung, dass vor allem die Grünen ihre Positionen im Lauf der vergangenen Jahrzehnte in der gesellschaftlichen Mitte durchsetzen konnten: Atomausstieg, Energiewende, Ehe für alle, fortschrittliche Sexualaufklärung in den Schulen, um nur vier Beispiele zu nennen – die Grünen haben dieses Land verändert. Nicht alle empfinden dies als vorteilhaft. Aber es ist richtig: Grünes Gedankengut hat es an die Spitze gebracht, dahin, wo die Populisten selbst gern wären. Da sie keinen eigenen Gegenentwurf anzubieten haben, der überzeugen könnte, greifen sie auf der persönlichen Ebene an und behaupten die Existenz einer machthungrigen Elite.

Dabei bedienen sie sich vergrabener Instinkte und Urängste. Schon die Nazis hatten großen Erfolg mit der Behauptung einer „Elite“ (Finanzjudentum), gegen die sie die Massen mobilisierten. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Eliten erfolgt auf dieser Ebene nicht. Das leisten bisher weiterhin vor allem die klassischen Medien, etwa indem sie das „Auto-Kartell“ aufdecken, die Aberkennung der Gemeinnützigkeit Attacs kritisch kommentieren oder sich mit dem Gebaren des US-Präsidenten auseinandersetzen. Populisten haben in dieser Hinsicht nichts anzubieten, müssen dies aber auch nicht, weil es ihnen nicht um Auseinandersetzung und konstruktive Kritik geht, sondern nur darum, ein Feindbild zu bedienen: Kleine Leute versus große Leute. Wobei sie zu den großen Leuten insgeheim durchaus aufblicken.

Es ist allerdings richtig: Populismus kann nur da Erfolg haben, wo seine Behauptungen so etwas wie eine reale Basis haben. Auch in Deutschland mag es eine Entfremdung des Führungspersonals von jenden Menschen geben, die es vertreten soll. Das zeigt sich unter anderem darin, dass der deutsche Bundestag voller Akademiker ist. Doch im Vergleich zu anderen Ländern hinkt Deutschland hinterher. Frankreich mit seiner Kaderschmiede, der Eliteschule ENA, ist hier schlechtes Vorbild, ebenso wie die Vernetzung von Interessen des militärisch-industriellen Komplexes und der Wall Street mit der Politik in Washington – eine Interessenkonstellation, die Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton scheitern ließ. Der Sieg des Populisten Trump hat jedoch an diesen Zuständen bisher überhaupt nichts geändert.

Leitkultur

Populisten behaupten häufig, lediglich ihre Kultur und Lebensart verteidigen zu wollen, die durch das Einsickern fremder Einflüsse gefährdet sei, und betonen so die Notwendigkeit von Abgrenzung statt „Multikulti“. Damit einher geht die Überhöhung der eigenen Kultur, ohne dass die Wortführer der Populisten sagen könnten, worin diese Kultur eigentlich besteht. Sie können vielleicht die irgendwann einmal auswendig gelernten ersten Verse des „Erlkönig“, der „Glocke“ oder des „Faust“ aufsagen und wissen außerdem, dass der Bundestag in Berlin angesiedelt ist, um es mal populistisch zu formulieren, aber darum geht es nicht. Sondern es geht darum, klar zu sagen, wer in diesem Land Herr im Haus ist. Also um eine Aussage über die Macht hierzulande. Wer hierher kommt, darf sich, wenn es denn sein muss, anschließen, muss sich aber assimilieren.

Doch diese behauptete Unterdrückung der Massenkultur existiert nicht. Jeder darf in diesem Land sein Brauchtum pflegen, seinen Klein- oder Großgarten hegen, unterschiedlichste Traditionen haben, ob sie nun aus dem Sudetenland stammen oder aus Afghanistan. Es steht jedermensch frei, Initiativen und Vereine zu gründen und die eigene Kultur zu fördern. Genau das ist „Multikulti“. Statt sich darüber zu beschweren, dass andere Kulturen zu wuchern scheinen, während die eigene unter die Räder zu kommen droht, könnte ein jeder in Deutschland die Brauchtums- und Kulturpflege so anpacken, wie sie oder er es gut findet. Zahllose alternative Projekte, zum Beispiel im Umfeld des G20-Gipfels, machen es vor. Populisten finden es aber interessanter, die Chance nicht wahrzunehmen, sondern stattdessen die Beschwerde in die Öffentlichkeit zu tragen, die eigene Kultur käme unter die Räder.

Fazit

Populismus will keine Lösungen aufzeigen, sondern Ängste für eigene Machtinteressen instrumentalisieren. Das ist alles. Wer dem auf den Leim geht, muss sich fragen lassen, welche demokratische Kultur er oder sie will.

Will jetzt noch jemand über die „Populismusstudie“ der Bertelsmann-Stfitung diskutieren? Bitte sehr. FR-Autor Markus Decker hat dazu in seinem Kommentar“Nicht verharmlosen“ schon einiges gesagt.

fr-balkenLeserbriefe

Manfred Kirsch aus Neuwied meint:

„Auch ich empfinde das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann-Stiftung mit der Behauptung Populisten hierzulande seien überwiegend „enttäuschte Demokraten, aber keine Feinde der Demokratie“ als sehr stark verharmlosend. Ich kann jedenfalls nicht sagen, dass die hässlichen und widerwärtigen Parolen der so genannten „Alternative für Deutschland“ (AfD) , Pegida und anderen rechtsextremen Gruppierungen einer Enttäuschung über die Demokratie entspringen. Nein, es sind keine enttäuschten Demokraten sondern Menschen mit autoritärem Charakter und einer zutiefst unsozialen und undemokratischen Attitüde, die bei den rechten Populisten das Wort führen. Hinzu kommt, dass wir auch in an sich der Demokratie verpflichteten Parteien populistische Rechtsausleger zur Kenntnis nehmen müssen, wie ja beispielsweise Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht in entsprechenden Äußerungen über Fremde und Flüchtlinge leider schon des öfteren gezeigt haben. Und leider gibt es auch in Teilen der Sozialdemokratie erst jetzt wieder die Versuchung, mit dem Flüchtlingsthema Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. Es ist kein „radikaler Populismus“ sondern schlicht und ergreifend rechter Extremismus, der sich weder mit der ungelösten sozialen Frage noch mit mangelnder Bildung erklären lässt. Man würde all jenen aufrichtigen und armen Menschen mit der Reduzierung auf diese Faktoren unrecht tun, die als aufrechte Demokraten mit wenig Geld und Teilhabe ihr Leben bestreiten müssen. Und was ist mit dem bis in die so genannten „oberen Schichten“ verbreiteten Rechtsextremismus
und seiner Offizierskasinomentalität, wie wir ihn etwa aus der hessischen CDU oder der mit undemokratischen Regimen den Kontakt suchenden CSU kennen.. Diese Demokratie muss sich endlich als wehrhaft erweisen und rechten Verbrechern und Parolen mit dem Gewaltmonopol des Staates begegnen. Doch bis dato gilt für Gesetzgebung, ausführende Gewalt und Justiz immer noch die Diagnose „auf dem rechtem Auge blind“.“

Robert Maxeiner aus Frankfurt:

„Die Bertelsmann-Stiftung definiert sich Populismus nebst dazu gehörigen Kriterien selber, um dann auf Grundlage des Meinungsforschungsinstituts Dimap sogenannte Forschungsergebnisse zu präsentieren. Das nenne ich Populismus. „In seiner moderateren Variante“, so die Stiftung, „setze sich Populismus hingegen kritisch mit etablierten demokratischen Institutionen auseinander und wünsche sich mehr direkte Beteiligung der Bürger und eine bessere Berücksichtigung ihrer Interessen.“ Nach dieser Definition wären alle überzeugten Demokraten – und diejenigen, welche kritisch hinterfragen, halte ich dafür – Populisten, während nicht hinterfragende Anhänger einer Weiter-so-Politik von Populisten am weitesten entfernt. Diese perfide Annahme bestätigt die Studie, indem CDU-Wählern attestiert wird, sie seien die unpopulistischsten. In der Folge wird behauptet, eine neuerliche Flüchtlingsdebatte nutze nur der AfD. Dies kann nicht verwundern, denn die CDU mit ihren angeblich am wenigsten populistischen Wählern will diese neuerliche Flüchtlingsdebatte nicht und versucht die SPD in die populistische Ecke zu drängen, wenn diese eine solche Debatte anzettelt. Meines Erachtens gilt zu differenzieren zwischen Bürgern, die von der Politik oder Politikern enttäuscht sind und deshalb meinen, sich von der Demokratie abwenden zu müssen und solchen, die sich gegen undifferenzierte und kurzsichtige Politik für den Erhalt von Demokratie einsetzen. Diese Studie ruft in ihrer Ausgrenzung des Kritischen den Teufel herbei, den sie vorher an die Wand gemalt hat, um uns dann zu beruhigen, das uns nichts passieren kann, wenn wir weiter in der uns vordefinierten Mitte weiter schwimmen (und CDU wählen).“

Werner Arning aus Mörfelden-Walldorf:

„Ist die Populismus-Debatte nicht ein großes, inszeniertes Ablenkungsmanöver, um unzufriedene, kritische Bürger wieder auf den „richtigen“, „unpopulistischen“ Weg zurückzubringen? Geht es nicht eigentlich darum, Bürger, die gegenüber der Migrationspolitik der Kanzlerin und der sie dabei unterstützenden etablierten Parteien, kritisch eingestellt sind, umzustimmen? Denn niemand möchte gern mit den „Schmuddelkindern“ gesehen werden. Also lieber brav zurück ins Boot. Funktioniert so Demokratie in Deutschland im Jahre 2017?“

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6 Kommentare zu “Autoritäre und antisoziale Attitüde

  1. Dass die Bertelsmann-Stiftung i.A. ein CDU-freundlicher Dienstleister ist, ist nun nichts Neues – insofern kann das Ergebnis nicht allzusehr verwundern.

    Auch dass wir wie alle anderen Staaten auch einen braunen Bodensatz von ca 5% haben, ist nichts Neues, dass der sich immer neue Foren sucht, auch nicht. Dass man sich über den bei uns besonders aufregt, ist unserer Geschichte geschuldet, aber macht eigentlich auch nichts.

    Aber so wie die Diskussion zum Thema Populismus läuft, ist sie auch nur wieder ein „Die Bösen sind die anderen und wir müssen auf die aufpassen!“. Die eigentlich Gefahr sehe ich woanders: Dass wir hier in der bemühten Abwehr der „Anderen“ eine Atmosphäre schaffen, die sich von der, die wir abwehren wollen, kaum noch unterscheidet, und die tatsächlich auch zu einer gewissen Stromlinienförmigkeit des Journalismus und unserer Eliten führt – ein Beispiel, mit dem ich hier kein neues Fass aufzumachen brauche, weil in diesem Forum eine weitgehende Einigkeit darüber herrscht, war die „Beschneidungsdebatte“.

    Und ein Beispiel, mit dem ich ein neues Fass aufmachen möchte, ist dieses hier:
    https://www.nzz.ch/international/pegida-bist-du-nicht-weltoffen-wirst-du-geschlossen-ld.1307345

  2. Da keiner auf meinen Link von der NZZ anspringt, möchte ich grundsätzlicher werden:

    Ich bin mit Bronskis Sicht auf den Populismus nicht ganz einverstanden, weil sie mir zu parteiisch ist. Wikipedia beendet seien ersten Absatz, der selbst den Versuch einer Definition vermeidet, mit folgendem Satz: „In der politischen Debatte ist Populismus oder populistisch ein häufiger Vorwurf, den sich Vertreter unterschiedlicher Richtungen gegenseitig machen, wenn sie die Aussagen der Gegenrichtung für populär, aber nachteilig halten. Man spricht dann auch von einem politischen Schlagwort bzw. „Kampfbegriff“.“

    Dass Politiker soviel Distanz zu sich selbst besitzen, Populismus nicht als Kampfbegriff zu nehmen, ist selten, aber ich erinnere mich immerhin an Lafontaine, der in einer Diskussion mal so etwas wie „Populismus ist nichts, was ich dem politischen Gegner vorwerfen kann – dazu bin ich regelmäßig selbst zu populistisch“ von sich gab.

    Während einige Soziologen, traditionell eine eher „linke“ Wissenschaft, dementsprechend ganz genau wissen, wo sie den Populismus zu verorten haben, nämlich rechts, gibt es auch welche, die versuchen, den Überblick zu behalten – auch aus Wikipedia: „Der Soziologin Karin Priester zufolge ist Populismus „kein Substanz-, sondern ein Relationsbegriff“, er kann also nicht aus sich selbst heraus, sondern nur im Verhältnis oder in Abgrenzung zu einem Anderen (Gegner) definiert werden.“

    Um auf Bronskis „Regel, auf die man sich einigen kann“ Bezug zu nehmen, mal einen allgemeineren Entwurf:

    1.) Populisten behaupten stets, im Namen der schweigenden Mehrheit ihrer Zielgruppe aufzutreten, die sie hinter sich wissen und auf die sie sich glauben berufen zu dürfen.
    2.) Populisten behaupten immer, gegen einen unheimlichen Feind anzutreten, dem sie den das Böse unterstellen, sie treten immer im Namen einer gefährdeten Kultur an.
    3.) Populisten vereinfachen, sie appellieren an Gefühle und nicht an die Vernunft – sie sind kompromissunfähig.

    Das Beispiel, das ich oben verlinkt hatte, zeigt einen sehr üblen linken Populismus aus der Position eines politischen Amtes, der in dieser Form skandalös ist, aber praktisch kein Echo im deutschen Blätterwald gefunden hat. Warum wohl?

    Man erkennt die Qualität des politisch anderen nicht daran, ob er populistisch ist – „Der Islam ist eine Religion wie das Christentum“ ist genauso eine populistische Vereinfachung wie „alle Muslime sind Terroristen“, nur für eine andere Zielgruppe. Und schon gar nicht sind nur rechte oder gar Nazis Populisten.

  3. @Frank Wohlgemuth: Zu Ihrem Link. Was mit dem italienischen Restaurant passiert ist, das ist in meinen Augen kein Populismus, sondern eher Rufmord. Etwas Ähnliches ist vor vielen Jahren mit unserem kleinen Restaurant geschehen, das von Zeit zu Zeit unsere Futterkrippe war, wenn wir nach einem langen Arbeitstag nur noch relaxen wollten. Nur galt der verbreitete Verdacht nicht, dass die Inhaber rechte Menschen verköstigten, sondern dass sie selber Mitglieder bei den Scientologist seien. Von denen wird zur Zeit kaum noch berichtet, aber sie sie sind sicher auch noch präsent. Nur glaube ich, dass dieser kleine Laden niemals zu dieser Sekte gehört hat. Aber auch er verlor seine Gäste und musste schließen. Ein Wirt ist nicht verantwortlich für die Gesinnung seiner Gäste, so lange sie diese nicht lautstark nach außen verkünden.

    Populistisch – das ist hier das Thema – verhalten sich meinem Empfinden nach – alle Parteien. Als Frau Merkel die Grenzen öffnete, da hatte sie ein deutliches Gespür dafür, dass viele Menschen im Land ihr dafür Beifall zollen würden. So war es ja auch. Auch von mir. Von ihren Nichtwählern. Ein Akt der Humanität. Der war richtig. So fanden das Viele. Nur leider hat sich daraus überhaupt kein Plan entwickelt, wie man das bewältigen kann. Überforderte Kommunen, schreckliche provisorische Unterkünfte, eine versagende Verwaltung. Chaos. Und dann die Gegenbewegung , die Ängste schürt und Bestätigung findet bei jedem kriminellen Akt von jungen frustrierten Flüchtlingen, die lange zur Untätigkeit in einer Wartehaltung verharren müssen. Und jetzt die Rolle rückwärts: Abschiebung aller „Gefährder“, das soll das „Volk“ beruhigen, Töne wie „Kante zeigen“, den angeblich verängstigten Menschen deutlich machen „Wir tun alles für eure Sicherheit“. Und Europas Grenzen dicht machen, obwohl das gar nicht geht. Hier höre ich jetzt auf und gehe zu Bett. Aber es wäre wohl noch viel zu sagen.

  4. @ I.Werner
    Ich beschreibe den Münchner Vorgang mal ein einem bewusst boshaften Vokabular, um auf strukturelle Ähnlichkeiten hinzuweisen – wesentlich ist auch hier, was nicht direkt berichtet wird, sondern was im Hintergrund abgelaufen sein muss.

    Ich beziehe mich auf diese Passage des NZZ-Textes:
    „Dass die Pegida-Gruppe im Lokal keine Reden geschwungen hat, lässt Dill nicht gelten. Der 71-jährige Anwalt sagt, er wolle solche Leute generell nicht an einem öffentlichen Ort dulden. München stehe als «Hauptstadt der nationalsozialistischen Bewegung» von Adolf Hitler in der Pflicht. Er erinnert auch an den NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht. «Ich sage nur: Wehret den Anfängen!»

    Kurz nach dem Gespräch zwischen Dill und Costa prangt ein Graffito an der Fassade des Lokals: «Nazis verpisst euch». An den Fenstern kleben antifaschistische Aufkleber. «Zufall?», fragt Giovanni Costa. Kommunalpolitiker Dill beteuert, mit der Sachbeschädigung nichts zu tun zu haben.“
    Zitatende.
    Wir haben zuerst die Sitzungen in Parteien und Ausschüssen, in denen mit „wehret den Anfängen“ der Untergang des Abendlandes heraufbeschworen wird. Dann erfolgt eine ganz offizielle Aufforderung zur Erklärung der rechten Gesinnung, und nachdem das nicht fruchtet, kommt es zu spontanen Entladungen des gesunden Volksempfindens, die die Wirtschaft mit Nachrichten wie „Kauft nicht bei Nazis“ zum Volksfeind erklären.

    Ich glaube dem Herrn Dill, dass er direkt nichts damit zu tun hat. Aber welche Stimmungen wurden vorher geschürt, damit sich „der Volkskörper“ (Antifa-Gruppen? Jusos?) berufen fühlte, hier die liebevoll als Sachbeschädigung beschriebene Rufmordkampagne in Gang zu setzen?

    Für mich ist hier mit „Nazis verpisst euch“ auf der Wirtshauswand auch die Grenze von übler Nachrede zur Verleumdung überschritten und ich hoffe, dass der Wirt Anzeige erstattet hat, auch wenn dann nur sichtbar werden dürfte, dass die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft diesen Fall eines Ausbruchs gerechten Volkszorns zum Wohle der Stadt München nicht weiter untersucht. (Der Wortlaut der Begründung wird natürlich leicht abweichen.)

    Vielleicht ist jetzt deutlich, warum ich hier Populisten am Werk sehe.

  5. Da ich die NZZ für eine verlässliche Zeitung halte, gehe ich mal davon aus, dass die von ihr veröffentlichte Geschichte richtig wiedergegeben wurde.
    Meiner Ansicht nach handelt der SPD-Lokalpolitiker nicht nur populistisch – wie auch immer dieser Begriff zu definieren ist – sondern schlicht undemokratisch. Solange weder die AfD noch Pegida gerichtlich als verfassungsfeindliche Gruppierungen eingestuft und verboten worden sind, haben ihre Anhänger das Recht, in der Öffentlichkeit aufzutreten und vor allem als Privatleute zu essen, wo es ihnen Spaß macht. Und der Wirt des Restaurants hat nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, sie zu bewirten, solange sie sich nichts haben zuschulden kommen lassen, was ein Lokalverbot rechtfertigt.
    Mich wundert immer wieder, dass man mit solchen Druckmitteln allen Ernstes glaubt, Andersdenkende (auch wenn einem ihre Ansichten noch so zuwider sind)) umzustimmen. Das hat doch eher den gegenteiligen Effekt, denn jetzt haben die Pegida-Leute einen berechtigten Grund, gegen die „Altparteien“ zu wettern.

    Ich erinnere mich an einen Montag zu einer Zeit, als sich die Pegida-Demonstrationen auch auf Frankfurt ausgeweitet hatten. Ich wollte mich in der Innenstadt zur U-Bahn begeben und fand plötzlich ein riesiges Polizeiaufgebot vor, das die Hauptwache abgeriegelt hatte. Auf Schleichwegen versuchte ich, irgendwie in die B-Ebene zu gelangen, als ich in einer engen Gasse auf eine geschlossene Phalanx junger „Antifaschisten“ traf, die untergehakt im Laufschitt mit Gebrüll auf mich zu rannten, irgendeinen Anti-Pegida-Spruch skandierend. Völlig geschockt presste ich mich an eine Hausmauer, weil ich befürchtete, von diesem wildgewordenen Haufen umgerannt zu werden.
    Am nächsten Tag war in den Medien von circa 80 Pegida-Hansels die Rede, denen mehreren Hundert Gegendemonstranten gegenübergetreten waren.
    Solche wichtigtuerischen Gegenaktionen verschrecken harmlose Bürger wir mich doch mehr als Pegida selbst und verschaffen letzteren eine größere Aufmerksamkeit, als sie sie durch ihren eigenen mickrigen Auftritt erregt hätten.

  6. Ich halte ehrlich gesagt von der Bertelsmann-Stiftung und deren Studien und Trenduntersuchungen nicht sehr viel. Die Bertelsmann-Stiftung ist ein Teil der produzierenden Meinungsmache, bis hin zur Herrschaftsmeinung und sie hängt sich in alle Gesellschaftssektoren rein als großes Sachverständigen-Organ. Trendsetting. Ich habe das für den sozialen Bereich jahrelang miterlebt und wurde von mal zu mal skeptischer ob ihrer Interessenverfolgung, ihrer Einmischung und ihres Steuerungsgeschick. Diese Stiftung ist mir viel zu mächtig und einflussreich geworden, als dass ich ihre Untersuchungen – etwa Populismusthema – zum Maßstab meiner Meinungsbildung nehme. Leider muss sie wiederum ernst genommen werden. Ein Konzern, der viel zu viel Einfluss gewonnen hat. Das ist meine persönliche Meinung.

    Was den Populismus selber angeht, da sehe ich mich bei den Ausführungen von Frank Wohlgemuth (1.08.) 1-3.) gut aufgehoben.
    Populisten sind darüber hinaus diejenigen, die ihr Fähnchen nach dem Wind, der gerade günstig für sie weht, richten. Meister der Manipulation und Suggestion.

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