Zur Kommunalwahl in Hessen eine Glosse von Roland Bunzenthal

Unser Dorf soll bunter werden. Ein Appell an die Blumenfreunde und ebenso an die Migrationspolitiker. In diversen Großstädten tauchen aber in jüngster Zeit wieder verstärkt noch andere Blüten deutscher Farbenfreude auf: die Plakatwerbung. Es sind überwiegend Relikte der neoklassischen Wahlkampf-Epoche. Aber zugleich sind es oft stille Meisterwerke der kognitiven Schlichtheit – eben Plak-Art. Der hier gezeigte filigrane Umgang mit Farbe, Wort und Bild bestätigt immer wieder, dass wir doch ein Volk der Dichter und Denker sind. Zugleich zeigen zahlreiche Porträts eine fast verschüttete, manchmal fernöstlich anmutende Lebensfreude. So lächeln den Betrachter einige der Damen und Herren freundlich an – warum weiß allerdings niemand. Andere dagegen tragen die Bürde ihrer Würde mit seriösem Blick vor sich her. Die Damen nach dem Besuch beim Friseur.

Auf vielen Plakaten dominiert dagegen die Farbe als expressionistisches Stilelement. Rot – bekannt aus begrifflichen Darstellungen wie Rot-Front, Rot-Käppchen oder rote Socke – soll im Zuge der In-die-Mitte-Bewegung einer einzelnen Volkspartei in Magenta umgenannt werden. Gelb, als Farbe des Führungsanspruchs schon früh postuliert, so von dem zeitgenössischen Lyriker Robert Gernhardt („Gelb regiert die Welb“), gilt als traditionelle Hochburg des künstlerischen Libidalismus.

Strukturell undefinierbar dagegen die farbliche Ausrichtung der zweiten Volkspartei mit dem femininen Führungstouch, der regelmäßig ex kathedra die modisch-aktuelle Farbrichtung dieser Gruppierung vorgibt. Erfreuliche Belebung findet die Farb-Palette durch das tiefe Blau, das nunmehr eine neue politische Heimat gefunden hat. So ist sie das Symbol der Künstlervereinigung „Freie Wähler“, die im dialektischen Gedankensprung die Partei der Parteigegner ist. Ihr Satz Bürgerwille statt Parteienmacht wird oft verwechselt mit „Bürgerwille macht Parteien“. Neben der Antiparteienpartei hält auch noch die Antipasti-Partei der Piraten, Sektion Toskana, dem Blau den Pinsel. Zwar ist die in ihrem Namen verwendete Berufsbezeichnung mittlerweile von der Liste der Ausbildungsberufe gestrichen worden, doch hindert das nicht, den eigenen Zustand visuell zu untermalen.

In der Prosa der Plakatisten geht der Trend zum Einwortplakattitel: „Wohnungen“, ist ein dominant eingängiger Titel einer Magenta-Institution. Eine fast schon metaphysische Endzeit-Eschatologie beinhaltet der Plakat-Titel „fließender Verkehr – kein Dauerstau“. Er spiegelt den unterschwelligen Wunsch nach nostalgischer Renaissance der Pferdekutsche wider. Besonders kreativ sind die Freunde eines stehenden Flugverkehrs. So haben sie im Handstreich den Namen ihres Hauptfeindes okkupiert. Eine andere Gruppierung sorgt durch den radikal-grammatischen Einsatzes von Versalien für eine gewisse Bipolaritätät. Soll „Im Grünen Leben“ das Wunschbild darstellen: „einmal im grünen Leben im Grünen leben“?

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2 Kommentare zu “Plak-Art

  1. Wer auch immer das Kumulieren und Panachieren im Wahlzettel erfunden hat? Ihm sei der Orden „Wider den tierischen Ernst“ verliehen. Aus innerer Logik mag dieses Verfahren ja urdemokratisch sein. Nur: Es unterstellt, dssß die wählenden (Kommunal-) Bürger Personen, die zu wählen sind, irgendwie kennen, nicht unbedingt persönlich, sondern zum Beispiel aus der örtlichen Presse? Dies ist aber doch überhaupt nicht der Fall. Es ist ein Skandal, dass alle demokratische Parteien ein solches Verfahren auf die Bürgerschaft – jetzt schon zum wiederholten Male – herabsausen lassen. Man stelle sich vor, was das ein mentales Sammelsusel in einem Senioren-Stift auslöst?
    Wenn etwas geeignet ist, die Bürger von den Politikern zu entfremden, dann ist es dieser Theaterzauber von Politikern, die offenbar nicht in der realen Welt leben, sondern sich von quasi Juristen hinters Licht führen lassen! – Na denn weiter so mit einem solchen Unsinn!

  2. Ich finde das System ausgesprochen gut. Gibt es mir doch auf kommunaler Ebene die Möglichkeit, mir unsympathische oder (aufgrund subjektiver Empfindung) unfähige Politiker zu streichen. Ich kann endlich wählen, wen ich will, unabhängig vom seniorenfreundlichen Kreuz bei einer Partei, womöglich noch die, die man eh seit 50 Jahren gewählt hat.

    Ich finde die Möglichkeit perfekt. Und ich würde sie mir auf Bundesebene wünschen. Denn ich finde Politiker quer durch die Parteienlandschaft gut, und würde sie gerne wählen. Leider darf ich nur die Parteidiktatur der nächsten 4 oder 5 Jahre bestimmen.

    Den Verdienstorden am Band für den „Erfinder“ des Kumulieren und Panaschieren. Ich würde mir mehr solche direkte Demokratie wünschen, dann hätte ich auch wieder mehr Lust an ECHTER WAHL !

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