"Ideologisch motivierte Ökodiktatur"

OPEC-Gipfel in Dschidda. Der weltgrößte Ölproduzent Saudi-Arabien ist nach den Worten von König Abdullah im Grundsatz zu weiteren Produktionsausweitungen bereit, um die Preisexplosion bei dem begehrten Rohstoff Erdöl zu stoppen. Konkrete Zahlen nannte er zwar nicht, verwies aber allgemein auf umfangreiche Ausbaupläne. Kann man das glauben, oder ist das nur der Versuch, den Spekulanten psychologisch zu kommen? Nach einer Meldung von Brennstoffspiegel.de sind Zweifel an der saudischen Fähigkeit angebracht, die Produktion erhöhen zu können.

In den Ländern des Westens scheint der neue Ölschock zu fruchten, indem er – zu dieser Einschätzung könnte man jedenfalls gelangen, wenn man guckt, wer derzeit die Lufthoheit bei den Themen der Energiepolitik ausübt – zu einer Renaissance der Kernkraft führt. Der britische Premierminister Brown hat’s in Dschidda wieder angekündigt. Auch Bundeswirtschaftsminister Glos hieb wieder in diese Kerbe. Italien, Osteuropa, die USA, China – allen wollen die Kernkraft. Warten wir einfach ab, bis sich das Thema erledigt, weil die Rohstoffkosten zu hoch werden, wenn uns das Uran ausgeht? Oder machen wir klar, dass Kernkraft unwirtschaftlich ist, u.a. weil die Folgekosten nicht einkalkuliert werden? Die Endlagerung bereitet weiter Probleme – und gerade machen die Folgen der Atomkraft ja auch wieder Schlagzeilen – siehe Asse 2.

Das mit den Folgekosten gilt natürlich auch für den Sprit, denn die Folgen des Klimawandels sind an den Tankstellen nicht einkalkuliert – egal wohin der Spritpreis noch steigt. Aber dass er steigt, das sei ein Segen, meint Mario Müller in seiner FR-Kolumne – und erntet Zuspruch von den FR-Lesern, wenn er sagt: Die Politik kenne zwar “ nicht die ‚wahren‘ Kosten oder den ‚gerechten Preis‘. Aber da der Markt die langfristigen Folgen des Ölverbrauchs für das Leben auf der Erde nicht im Kalkül hat, muss die Politik tätig werden, auch auf die Gefahr hin, sich zu irren. Sie sollte deshalb den Forderungen nach Steuersenkungen widerstehen. Die Treibstoffpreise müssen hoch bleiben, auch wenn es vielen Verbrauchern weh tut. Und es sollten endlich Lkw oder spritfressende SUVs angemessen zur Kasse gebeten werden.“

Hier kommt wieder die Theorie des „Peak Oil“ ins Spiel. Dazu FR-Leser Dr. Johannes Nix aus Bremen:

„Das eben beschlossene Klimapaket ist eine verpasste Chance, Ökologie und Ökonomie mit der Realität in Einklang zu bringen. Seine Harmlosigkeit kann uns teuer zu stehen kommen, denn mit einer dauerhaften Energiekrise ist zu rechnen: Die globale Ölförderung stagniert trotz steigender Preise. Dies sind alarmierende Anzeichen für eine als „Peak Oil“ bekannte Prognose von Erdölgeologen, die sich auf publizierte Daten und plausible Folgerungen stützen. Dieser Prognose zufolge ist der Rückgang der Ölförderung nicht umkehrbar, sondern wird sich beschleunigen und in wenigen Jahren zu Förderrückgängen von mehreren Prozent jährlich führen. Dann wären Barrelpreise von 300 oder 1000 Dollar möglich. Pkw-Verkehr würde zum Luxusgut – wer wollte mit dem Auto zur Arbeit fahren, wenn ihn das zwei Drittel des Einkommens kostet?
Wegen der Unumkehrbarkeit dieser sich abzeichnenden Entwicklung und der Notwendigkeit, schnelle Anpassungen zu leisten, würden zwingende, durch zinsfreie Kredite geförderte Maßnahmen zur Energieeffizienz helfen – während Steuererleichterungen für Öl und Benzin bloß bedeuten, sterbende Dinosaurier zu füttern.
Die Wirtschaft hat anscheinend noch nicht begriffen, dass schnelle Reaktionen auf die drohende Energiekrise zu ihrem primären Interesse gehören. Denn jeder Euro, der zukünftig in die arabische Wüste transferiert wird, kann nicht gleichzeitig in den Kassen von einheimischen Unternehmen landen.
Dass die Ölproduzenten die Erschöpfung der Förderkapazitäten und den Niedergang ihres Geschäfts nicht gern zugeben, ist eine Sache – welches Unternehmen kündigt seinen Konkurs im Voraus an? Auch europäische Politiker scheuen das Überbringen schlechter Nachrichten. Doch deswegen die ganze Volkswirtschaft an die Wand zu fahren, wäre angesichts bereitstehender Alternativen eine kollektive Dummheit. Auch unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes sind rasche Konsequenzen dringend, denn allzu kurzfristige Ausgleichsmaßnahmen wie Destillation von Ölsanden und Kohle würden die globale Erwärmung nur anheizen. Die Dämpfung der Folgen eines zu erwartenden Energieschocks macht nationale Maßnahmen weit sinnvoller als zuvor.“

Karl-Heinz Bollmann aus Freiensteinau hat einen Vorschlag:

„Es ist eine Illusion zu glauben, dass eine Senkung der Spritsteuer von den Mineralölkonzernen an den Autofahrer weitergegeben wird. Der berühmte Tritt in den Hintern des Autofahrers (und last but not least dem des Staates) ist als Dank gewiss.
Die Zeit wäre mehr als günstig, die Brain-Power der Ingenieure zum flächendeckenden, beschleunigten Wiederaufbau des Bus- und Bahnnetzes zu verwenden. Der Unfug muss aufhören, dass man sich allein schon deshalb ein Auto kaufen muss, um als Pendler in der Provinz die nächste Bahnstation erreichen zu können. Die ständige Drohung der Autoindustrie, dass Arbeitsplätze wegfallen würden, darf die Politik nicht länger beeinflussen. Allein für den Wiederauf- und Ausbau des Schienennetzes (lieber viergleisigen Streckenausbau anstelle von weiterem Straßenneubau) nebst Entwicklung und Bau von neuem, wirtschaftlichem Rollmaterial würden massenhaft Ersatzersatzplätze geschaffen.“

Die Sache mit der Wärmedämmung bzw. Energiesparen in Gebäuden ist auch Teil des Klimapakets der Bundesregierung, das Dr. Nix kritisiert. Weitere Punkte: Die Lkw-Maut wird erhöht und das Stromnetz ausgebaut (was überfällig ist und eigentlich Sache der Energiekonzerne sein sollte). Und das war’s dann auch schon so weit. O-Ton Umweltminister Gabriel: „Das werden Sie weltweit nicht nochmal finden.“ Da könnte er Recht haben.

Auf diese Weise also will die Bundesregierung ihren Kampf gegen den Klimawandel verstärken. Die Stadt Marburg macht währenddessen vor, wie es wirklich geht: Die – umstrittene – Solarsatzung zwingt Hausbesitzer, sich eine thermische Solaranlage aufs Dach zu setzen, sobald sie ein neues Haus bauen, die Heizungsanlage austauschen, ein Gebäude erweitern oder ein Dach sanieren. Mal sehen, wie weit Marburg mit diesem Projekt kommt. Der Verband für Energiehandel Südwest-Mitte, der rund 700 Brennstoff- und Mineralölhändler vertritt, hat bereits eine Klage angekündigt. Auch das Gießener Regierungspräsidium hält die Satzung für rechtswidrig.

Dem Bürger werde grüne Politik diktiert, kritisierte Karin Schaffner (CDU Marburg). Hermann Uchtmann (Marburger Bürgerliste) sprach von einer „ideologisch motivierten Ökodiktatur“. Dagegen sagte Oberbürgermeister Egon Vaupel (SPD): „Sehen Sie sich nur die Zapfsäulen und die Gaspreise an. Was wir mit dieser Satzung machen, ist Sozialpolitik.“ Bürgermeister Franz Kahle (Grüne) rief den Parlamentariern zu: „Sie können in Marburg nicht die Welt retten, aber dies ist ein Schritt in die richtige Richtung.“

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4 Kommentare zu “"Ideologisch motivierte Ökodiktatur"

  1. „Ökodiktatur“?
    Lächerlich!

    Wenn die Kapitalismusdiktatur nicht seit 40 Jahren die Erkenntnisse der Wissenschaft niedertreten würde, wären wir heute nicht in dieser Situation.

    40 verlorene Jahre- aber daß die „Öko’s“ Recht hatten, zeigt sich ja heute an jeder Ecke. An jeder dieser Ecken rettet man die Welt, auch in Marburg.

    Jedem Bürger gehört die Solaranlage geschenkt.

  2. Zum Leserbrief von Alexander Auth.
    Dem Herrn ist nur ein kleiner Fehler unterlaufen. Nach Adam Riese machen die 56 Mio. Euro bei 80 Mio. Einwohnern gerade mal 71 Cent. Aber ein anderer Vorschlag: Wenn der Staat sich die Mrd. an Schwarzgeld aus Liechtenstein,Luxemburg,Caiman-Inseln etc. zurückholt, könnte es klappen mit der neuesten Technik für jeden Hausbesitzer/Mieter. Aber dazu brauchten wir eine andere Regierung.

  3. Also ich bin manchmal nicht so sicher, wie drastisch Maßnahmen wirklich ausfallen sollten, um eine Gegenbewegung zur autozentrierten Industrie loszutreten. Zwang zur Solaranlage klingt vielleicht komisch, andererseits zwingt unser Lebensstil viele Menschen auf dem Planeten von ihrem Arbeitslohn abzugeben, was ihnen eigentlich selbst zusteht (siehe Stichwort: Ökologischer Fußabdruck) Nur ist mancher Zwang viel subtiler als der in Marburg.

    Wohin die Reise mit Peak Oil geht ist eine gute Frage. Ich hoffe inständig: Hin zu kreativeren und umweltkompatibleren Ideen als in den letzten 150 Jahren… ( http://www.peak-oil.com/junkie-business.php )

  4. Zwang oder Erpressung ?
    Die wirkungsvollste Art von Zwang kam immer aus der eigenen Geldbörse.
    Problem ist nur,wenn der Bürger sich auf den aktuellen Zwang einläßt und aus vollen Herzen mitmacht wird er am Ende doch bestraft?
    Nachfrage bestimmt den Preis!!
    Haben wir alles schon gehabt.
    Diesel -Öl -Gas- usw.
    Nach sparen kommt die Erhöhung und der Staat macht mit und berechnet noch Steuer auf Steuer zur Belohnung für den Sparwillen-

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