Probleme nicht angesprochen

Da war nun also der SPD-Programm-Parteitag. Die SPD hat sich ein neues Programm gegeben und sich zum demokratischen Sozialismus bekannt – und gleich reden alle von Linksruck. Als ob Hartz IV nie gewesen wäre. Unter Schröder war die SPD in die politische Mitte vorgerückt, teils unter Preisgabe ihres sozialen Gewissens. Auch wenn man Schröder wohl zustimmen kann: Die Reformen, die damals als dringend nötig erachtet worden waren, wären sicher ganz anders ausgefallen, wenn sie einer Koalition aus Merkel-CDU und FDP überlassen worden wären. Man denke an den Heidelberger Professor und seine neoliberalen, nicht mehrheitsfähigen Positionen, die letztlich zur großen Koalition führten.

DGB-Chef Sommer meint nun, der Parteitag sei ein Neuanfang. Tatsache ist jedenfalls, dass die Handschrift der SPD-Basis an vielen Stellen zu erkennen ist. Stichwort Bahnprivatisierung, um nur ein Beispiel zu nennen. Aber Linksruck? Der Parteienforscher Peter Lösche meint, die SPD besinne sich vor allem wieder auf sich selbst. Was ja schon ein Fortschritt wäre – und sicher auch den integrativen Fähigkeiten ihres Parteichefs zu danken ist. Hierzu FR-Leser Gotthard Schmidt aus Moers:

„Herr Beck hat keine Idee, wie das länger zu zahlende ALG I für Ältere finanziert werden soll außer aus den Mitteln des Arbeitsamts. Er kommt nicht auf die Idee, dass die Überschüsse beim Arbeitsamt bald wieder schrumpfen werden.
Wer irgendwem etwas zuteilen will, muss sagen, woher er es nehmen will. Links wäre, wenn Herr Beck sagte, dass er es von den Vermögenden nehmen will, deren Einkommen in den letzten zwanzig Jahren geradezu astronomisch gewachsen ist. Er will aber denen, die in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, etwas nehmen, um es anderen zu geben, die ebenfalls in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben.
Kein Wunder, dass Herr Beck schon seit Jahren sehr gut mit der FDP koaliert: Weit entfernt davon, links zu sein, ist er bloß ein in der Wolle gefärbter Rechter, der aus opportunistischen Gründen auch schon mal den Linken gibt.“

Marion Manneck aus Essen meint:

„Der Parteitag der SPD ist kein Neuanfang. Es ist nur ein wenig Korrektur am ALG I. Die Probleme Hartz IV, Entrechtung und Verarmung wurden gar nicht angesprochen. Es waren Rot-Grün mit Schwarz-Gelb, die diese Gesetze ausgekungelt haben. Unterstützt von Bertelsmann-Stiftung, Roland Berger u. a. Herausgekommen ist, das sollte auch den Gewerkschaften aufgefallen sein, Lohndumping, Tarifflucht, Sozialabbau in großem Stil. Daran hat der SPD-Parteitag nichts verändert.“

In der Öffentlichkeit fand zunächst der Beschluss zum Tempolimit das größte Echo, obwohl er politisch kaum umsetzbar sein dürfte. Dazu Christian Milz aus Frankfurt:

„Praktischer Wert gleich Null? Immerhin ist die Forderung nach dem Tempolimit auf dem Tisch. Warum sollte es damit nicht so funktionieren wie mit Bio? Einfach machen! Wie viele Befürworter, die sich entsprechend verhalten, braucht man, um eine messbare Wirkung zu erzielen? Um dem ganzen etwas Nachdruck zu verleihen, könnte man mit 110 km/h anfangen.“

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9 Kommentare zu “Probleme nicht angesprochen

  1. Beck ist nicht glaubwürdig
    Notwendig ist eine grundlegend neue Politik
    Das heißt, daß eine Politik für die Menschen gemacht werden muß.
    1. Rücknahme aller Privatisierungen, da sonst undsere Infrastruktur zusammenbricht.
    2. Eine soziale Politk für alle, da sonst die Bevölkerung von Gesellschaft und Staat ausgeschlossen wird.
    3. Gesundheitspolitk auch für die Menschen, die sich dies nicht leisten können
    4. Demokratisierung der Gesellschaft, wo demokratische Mitbestimmungen zurückgenommen wurden.
    5. Bildung für alle; ohne Einfluß von Wirtschaft und Verbänden
    6. Meinungsfreiheit muß wieder praktiziert werden; die bestellten Quatschköpfe, die im Fernsehen sagen, was ihnen der Geldgeber sagt sind unerträglich
    7. Was sollen diese Priviligierten im Fernsehen auch zu dem sagen, was die Bevölkerung erlebt.
    Also: Wo bleibt eine neue Politik?

  2. Alle Beschlüsse des Parteitages sind von den miesen Umfragewerten der Meinungsforscher diktiert, die Wandlung also der Angst vor Stimmenverlust geschuldet. Die Basis drohte doch seit langem weg zu brechen, die Zahl der Parteiaustritte wird seit längerer Zeit nicht mehr genannt. Nein, das genügt noch nicht. Den Worten müssen taten folgen und die sind nun mal mit dem Koalitionspartner nicht möglich. Was bleibt ist die Scheidung, aber davor schreckt Beck und Co noch zurück.

    Übrigens ist “Linksruck“ falsch. Bei Einführung des Tempolimits rücken viele Fahrer zwangsläufig auf die rechte Spur……;-)

  3. Ja, ja, die Volkspartei SPD. War das jetzt ein Linksruck? Wer es so sehen mag…Vor allem war es das Streicheln sozialdemokratischer Mitglieds-Seelen, und ein ordentlicher Schuß vom Populismus-Cocktail für künftige Wähler. Aber von denen, die noch aktive Mitglieder sind und damit auch Delegierte, war wohl nicht mehr zu erwarten. Hartz-IV-Reformen – wo blieb die Erhöhung des Regelsatzes und des Selbstbehaltes zur Lebens- und Alterssicherung? Was tun all die neoliberalen Seeheimer-Kreis-Angehörigen, um wirklich auch den „vorsorgenden Sozialstaat“ mit Leben zu erfüllen, z.B. das 3-Klassen-Schulsystem abzuschaffen, und viel mehr Geld für kostenfreie Kindergärten, Schulen und Universitäten auszugeben? Wer sorgt dafür, daß Ausländer- und Arbeiterkinder die gleichen Aufstiegschancen erhalten wie der Nachwuchs von Ackermann & Co.? Wann profitiert die Masse der Bevölkerung endlich vom Aufschwung? Und wenn es demnächst wieder abwärts geht, wer sorgt dann dafür, daß auch die Oberschicht endlich mal ihren Gürtel enger schnallen muß und nicht noch weiter lockern darf – weil dies dann angeblich – zum xten Male – zum Aufschwung „für alle“ führt? Bei der SPD kennt man seit den letzten Wahlen die Absicht, und ist verstimmt. Als Mogelpackung wird es diese Partei mit dem wiedergewählt-werden schwer haben.

  4. Es ist schon merkwürdig wie schnell ein paar Beschlüsse, die dem jahrelang anhaltenden Mainstream scheinbar zuwiderlaufen, benutzt werden, um eine Kehrtwendung der SPD zu konstatieren bzw. von einem Linksruck, was immer das sei, zu sprechen. Dazu ein paar Zahlen:

    Die Bruttolohnbelastung durch die Lohnsteuer lag im Jahr 1960 bei 6%, 1980 bei 15,8% und 2005 bei 17,8%.

    Die direkten Steuern auf Gewinn- und Vermögenseinkommen haben sich anders entwickelt: 1960 lag die Belastung bei 20%, 1980 bei 15,3% und 2005 bei 6%.

    Diese gewaltige finanzielle Verschiebung zugunsten des Kapitals, lässt ahnen, was die SPD beschließen und umsetzen müsste, um als politisch links zu gelten. Die damit geschaffene Möglichkeit der Kapitalakkumulation geht einher mit einem Machtzuwachs demokratisch nichtlegitimierter Gruppen. Demokratische Errungenschaften werden zurückgedrängt, noch bestehende sind in höchstem Maße gefährdet.

  5. „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen“, steht schon in der Bibel.

    Warten wir ‚mal ab, was unsere Volksvertreter in absehbahrer Zeit „Linkes“ im Reichstag beschließen. Dann wird gejubelt oder auch nicht.

    Wer fällt heute noch auf Parteitagsbeschlüsse ‚rein? Die Mehrheit der Wähler jedenfalls nicht.

  6. @5 Bruno,
    wenn ich richtig informiert bin, steht das Wort bei Matthäus (dort, wo auch das mit dem Splitter im Auge des Anderen und dem (meine Interpretation) „Brett vor dem eigenen Kopf“ steht) und spricht aber von den Früchten, an denen man sie erkennen soll.
    Aber ist es nicht noch ein Wenig früh, in diesem Zusammenhang Früchte zu erwarten (wenn derart Fruchtloses produziert wird)?

  7. Nun, ich denke der Parteitag hatte zwei Adressaten: die noch verbliebenen Mitglieder und die Wahlbevölkerung.
    Vieles, was über den inneren Zustand der SPD nach den Jahren, die durch Agenda 2010 – aber viel mehr durch den Stil von Gerhard Schröder und seinen unmittelbaren Anhängern geprägt waren, wirkt auf mich eher verharmlosend: eine Mischung aus Desillusionierung und Desinteresse prägt die Ortsvereine. Auf den nächst folgenden Parteiebenen ist es kaum besser. Viele, die eine politische und auch richtungsweisende Debatte anstoßen oder befruchten könnten, sind entweder ausgetreten, gestorben oder nicht mehr präsent.
    Junge aktive Mitglieder sind selten und wenn man sie trifft, muß man sich fragen, warum sie eigentlich in dieser Partei sind. Der normale Alterdurchschnitt eines Ortsvereins liegt weit über 50 – das prägt Themen/Debatte/Visionen.
    Jetzt wäre das alles ja besser zu ertragen, wenn die Protagonisten der Schröderschen SPD-Linie auf allen Ebenen wie verrückt an die Parteiarbeit drängen würden, dann könnte man sagen, ok, das ist jetzt die SPD. Ist aber nicht so. Also macht eine (immer noch) inhaltlich weit gefächerte Gruppe die Kärrnerarbeit, um sich bei jeder passenden Gelegenheit anpinkeln zu lassen. Für eine Politik, die den eigenen Prinzipien zuwiderläuft.
    Manchmal habe ich das Gefühl, wenn mal eine wissenschaftliche Arbeit über Masochisten oder Altruisten (je nach Sichtweise) geschrieben werden muß: in der SPD ist die Trefferquote für diese Charaktere extrem.
    Die Agenda 2010 und der Rest ‚drum herum hat der Partei die Hälfte der Mitglieder, die Hälfte der Wähler und zwei Drittel der Mandatsträger gekostet. Inzwischen ist die SPD ohne den Einsatz professioneller „Helfer“ nicht mehr kampagnenfähig.
    Unter diesem Gesichtspunkt sehe ich den Parteitag (und insbesondere die Auseinandersetzung mit Münte vorher) als den verzweifelten Versuch, das weitere Abdriften per Notbremse zu verhindern.
    Für die nicht direkt Betroffenen, vulgo Wähler, gab es neben schönen Bildern einige Themen, die für die nächsten zwei Jahre die Partei in einem milderen Licht erscheinen lassen können. Gerade gegenüber der CDU wurden Zeichen gesetzt.
    Alles weitere wird sich zeigen.
    Übrigens: die „Alterspyramide“ in den anderen Parteien gleicht der der SPD. Das ist dann vielleicht unser wirkliches Problem.

  8. Das mit der „Glaubwürdigkeit“ der SPD ist so eine Sache. Wer vor der Bundestagswahl mit Vehemenz gegen eine MWSt.-Erhöhung von 2% ist, und sich dann mit dem Koalitionspartner auf 3% einigt, braucht sich nicht zu wundern, wenn ihm die Wählerinnen und Wähler nicht mehr glauben. Die Vorhaben von Frau Ypsilanti zur Hessenwahl in allen Ehren, aber es würde der Glaubwürdigkeit der Hessen-SPD noch dienlicher sein, wenn sie sich von dem Flop-Projekt „Flughafen-Erweiterung“ verabschieden würde, auch nicht mit dem – viel zu kleinen – Trostpflaster „Nachflugverbot“. Wir werden aufgrund der Ressourcen-Verknappung schon innerhalb der nächsten Jahre immense Preissteigerungen beim Flugbenzin erleben, und durch die allgemeine Steigerung der Lebenshaltungskosten wird es auch mit der Mallorca-Fliegerie von Lieschen Müller nicht mehr so doll sein. Also auch hier, liebe SPD: Butter bei die Fische!

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