„Mit der Begründung ‚das Lohnniveau richtet sich nach der Produktivität‘ positionierte sich der gelernte Rechtsanwalt Koch als der wahre Ökonom der Runde, während er seinen Kontrahenten Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) als ‚Moralisten‘ titulierte“, so berichtet Roland Bunzenthal über die Podiumsdiskussion zum Thema „Niedriglohnsektor – Wege aus der Langzeitarbeitslosigkeit“. Und weiter: Müntefering „fasste den Vorwurf offensichtlich als Kompliment auf und beharrte auf seiner zentralen Forderung ‚wer voll arbeitet, muss auch davon leben können!'“

Altbekannte Standpunkte, die da aufeinandertrafen. Auf der Suche nach dem Königsweg aus der Langzeitarbeitslosigkeit bot Koch nur den alten Trampelpfad der hoch subventionierten Kombilöhne an. Der Staat soll dabei Niedrigentgelte bis zum Existenzminimum aufstocken – gewissermaßen als Dumping-Prämie. Und gegen das Argument, dass, wenn die Entwicklung der Löhne sich tatsächlich an der der Produktivität orientieren würde, eher eine 14 vor dem Komma stehen müsse als eine 4, wusste er anscheinend auch nicht so recht was einzuwenden, der „wahre Ökonom“, wie Roland Bunzenthal ihn leicht spöttisch nennt.

Wer voll arbeitet, muss auch davon leben können – ist das eine moralische Position? Und wenn ja, was wäre daran falsch? Wie kann der Begriff „Moralist“ in diesem Zusammenhang abfällig gemeint sein? Offenbar geht es um die Deutungshoheit über die Begriffe Moral und Ökonomie, wie FR-Leser Hans-Ulrich Hauschild in einem Leserbrief festhält:

„Jemand, der den Primat der Wirtschaft für schädlich hält als dominante Konstante einer Gesellschaftspolitik, wird gern abschätzig als ‚Moralist‘ bezeichnet, und seine Positionen sind ‚moralinsauer‘. Mit einem Schlag wird die Kritik an den Zuständen damit lächerlich gemacht und im Sumpf des gesellschaftlich Minderwertigen versenkt. Jemand, der völlig richtig mikroökonomisch auf die Zusammenhänge zwischen Produktivität und Lohnhöhe hinweist, ist noch kein ‚Nurökonom‘ ohne jede Moral. Und jemand, der möglicherweise makroökonomisch weiß, dass Lohnhöhen nicht nur im Betrieb Auswirkungen haben, sondern z.B. auch gesellschaftspolitisch und volkswirtschaftlich Auswirkungen haben und vor allem eben im gesellschaftlichen Willenbildungsprozess bedacht werden wollen, ist noch kein Nichtökonom. Im Übrigen werden beide Positionen auch von ethischen Grundüberzeugen getragen, im mikroökomischen Fall wohl die Position des Utilitarismus, im anderen geht es schon prinzipieller zu. Unsere Wirtschaftsverfassung verträgt aber mehr als nur Ethik in der Variante des Utilitarismus, vor allem wäre ein Mehr an Moral streng geboten.“

In diesem Zusammenhang freut es mich, dass Münte den Vorwurf, er sei ein Moralist, offenbar als Kompliment auffasst. Damit reißt er die Deutungshoheit über diesen Begriff an sich oder überlässt sie zumindest nicht dem Gegner. Das mag wichtig sein in einer schwierigen Debatte, in der die Positionen der SPD unter die Räder zu kommen drohen. Jetzt also Ausweitung des Entsendegesetzes statt Mindestlohn?

PS: Bitte an dieser Stelle keine weiteren Statements zu der Tatsache, dass die FR diese Podiumsdiskussion zusammen mit der INSM veranstaltet hat. Zu diesem Thema habe ich ausführlich hier Stellung bezogen. Weitere gemeinsame Veranstaltungen sind nicht geplant.

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3 Kommentare zu “Ökonomie vs. Moral

  1. Wie wäre es denn mal mit der Erkenntnis, dass es evtl. keinen „Königsweg aus der Langzeitarbeitslosigkeit“ gibt. Wäre das zu langweilig?

  2. Nichts liegt mir ferner als Herrn Müntefering zu unterstützen, hat er doch mit seinen Thesen und Taten bewiessen, auf welchem Kurs sich die SPD befindet (nämlich auf dem Abbau des „S“).
    In einem muss ich ihm jedoch zustimmen: der Koch’sche Weg (wird ja auch von Anderen begangen) bringt der arbeitssuchenden Bevölkerung nichts, denn sie müssen doch weiterhin zum „Amt“ gehen, um die „Aufstockung“ zu erhalten.
    .. und hat Herr Koch auch schon mal daran gedacht, dass „das Amt“ ja heute schon Probleme bei der Aufgabenbewältigung hat, wie soll das dann erst werden, wenn noch zusätzliche Aufgaben anstehen?

  3. Tatsächlich sind Mindestlöhne (nicht nur) ein Gebot sozialer Gerechtigkeit. Denn während das private Geldvermögen in Deutschland immer neue Rekordstände erreicht, steigt gleichzeitig die Anzahl der Armen in Deutschland. Allein im Jahr 2006 stieg das private Geldvermögen um 6,1% auf über 4.500 Milliarden €. Statistisch hat damit jeder Deutsche,vom Baby bis zum Rentner und vom Obdachlosen bis zum Hartz IV Empfänger 54.600 € auf der hohen Kante. Eine groteske Vorstellung. Die genannten Personen hätten im Jahr 2006 pro Monat 258 € zur Seite legen müssen. Wo das Geld tatsächlich gelandet ist, erfahren wir, wenn wir die Entwicklung des Volkseinkommens betrachten. Nur in 2006 stieg das Unternehmens- und Vermögenseinkommen um 6,9%; die Arbeitmehmerentgelte jedoch nur um 1,3%. Die Lohnquote erreichte damit den historischen Tiefststand von 66,2%.

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